Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 17.03.2009

LSG Shs: krankengeld, grobe fahrlässigkeit, anhörung, rechtswidrigkeit, behörde, verwaltungsakt, widerspruchsverfahren, fehlerhaftigkeit, vertrauensschutz, erlass

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Urteil vom 17.03.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Schleswig S 2 AS 812/05
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 11 AS 8/08
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 14. August 2007 aufgehoben und
die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird
zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung eines leistungsbewilligenden Bescheides für den Zeitraum vom 1. März
2005 bis zum 31. Juli 2005 und die Rückforderung von 2.525,00 EUR.
Der am 22. Juli 1969 geborene Kläger stellte am 14. Februar 2005 bei der Beklagten einen Antrag auf Leistungen der
Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II). Dabei gab er an, dass er bis zum 28. Februar
2005 Arbeitslosengeld beziehe. Am 2. März 2005 teilte der Kläger der Agentur für Arbeit mit, dass er seit dem 25.
Februar 2005 Krankengeld beziehe.
Mit Bescheid vom 18. April 2005 gewährte die Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II in Höhe von 505,00 EUR monatlich für die Zeit vom 1. März bis zum 31. Juli 2005. Diesen
Bescheid hob die Beklagte mit Bescheid vom 14. Juli 2005 unter Hinweis auf § 48 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch
(SGB X), wegen des Bezugs von Krankengeld auf. Außerdem forderte sie einen Betrag von 2.525,00 EUR zurück.
Der Kläger legte durch seinen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 27. am 28. Juli 2005 Widerspruch ein mit
der Begründung, er habe den Bezug von Krankengeld mitgeteilt. Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Au¬gust 2005
wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, der Bescheid vom 18. April 2005 sei gemäß § 45
Abs. 2 SGB X zurückzunehmen, da der Kläger sich nicht auf Vertrauensschutz berufen könne. Er habe die
Rechtswidrigkeit des Bescheides infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt, denn er hätte der dem Bescheid
beigefügten Berechnung entnehmen können, dass ab März 2005 keinerlei Einkommen angerechnet worden sei.
Der Kläger hat am 28. September 2005 Klage erhoben und ausgeführt, dass er den Krankengeldbezug der Beklagten
mitgeteilt habe und im Übrigen die Leistungen verbraucht seien. Er habe keine Pflicht, die Bescheide unter der
Maßgabe zu kontrollieren, ob sämtliche von ihm getätigten Angaben hinreichend durch die Beklagte berücksichtigt
bzw. umgesetzt worden seien. Insoweit könne er sich auf Vertrauensschutz berufen.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 14. Juli 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2005 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie sich im Wesentlichen auf den Inhalt der angegriffenen Bescheide berufen und ergänzend
ausgeführt, auf Vertrauen könne sich der Kläger gerade nicht berufen, da auch für einen Laien klar erkennbar gewesen
sei, dass bei der Berechnung Krankengeld nicht angerechnet worden sei.
Mit Urteil vom 14. August 2007, verkündet am 25. Oktober 2007 und fälschlicherweise unter diesem Datum ergangen,
hat das Sozialgericht Schleswig den Bescheid vom 14. Juli 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
31. August 2005 aufgehoben. Das Urteil ist der Beklagten am 2. Januar 2008 zugestellt worden.
Die Beklagte hat am 23. Januar 2008 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe die
Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides zumindest grob fahrlässig nicht gekannt, da er in der mündlichen
Verhandlung angegeben habe, den Bescheid überhaupt nicht gelesen zu haben. Das Sozialgericht habe diese
Feststellung verfahrensfehlerhaft nicht in das Protokoll der mündlichen Verhandlung aufgenommen. Für die Frage der
Fahrlässigkeit sei jedoch entscheidend, inwieweit der Kläger den Inhalt überhaupt zur Kenntnis genommen habe. Es
sei herrschende Meinung, dass allein der Umstand, einen Bescheid nicht gelesen zu haben, den Vorwurf der groben
Fahrlässigkeit begründe. Im Übrigen sei ein Bescheid auch im Ganzen durchzusehen. Schließlich hätte der Kläger die
Rechtswidrigkeit des Bescheides ohne Mühen erkennen können, da für die Monate März bis Juli 2005 keinerlei
Einkommen angerechnet worden sei. Die Nichtanrechnung des Krankengeldes sei leicht erkennbar und für den Kläger
augenfällig gewesen. Ein eventuelles Mitverschulden der Behörde sei unerheblich. Auch subjektiv sei der Kläger, der
über einen Haupt- und Realschulabschluss sowie eine Ausbildung zum Lageristen verfüge, in der Lage, den Gehalt
des Bescheides und dessen Fehlerhaftigkeit zu erfassen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 25. Ok¬tober 2007 (14. August 2007) aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Von ihm könne eine Richtigkeitsprüfung jeder einzelnen Seite des
Bescheides nicht verlangt werden, da er hierzu insbesondere vor dem Hintergrund der fehlenden Klarheit und
Nachvollziehbarkeit der Bescheide der Beklagten intellektuell nicht in der Lage sei. Ferner sei er lediglich verpflichtet,
Änderungen in den persönlichen Verhältnissen mitzuteilen. Dieser Verpflichtung sei er nachgekommen. Die
Beurteilung der Auswirkungen der Veränderungen der Verhältnisse obliege einzig und allein der Beklagten. Der Kläger
bestreitet, in der mündlichen Verhandlung vom 14. August 2007 die Aussage getätigt zu haben, er habe sich den
Bewilligungsbescheid nicht durchgelesen. Jedenfalls könne er sich an eine solche Aussage nicht erinnern.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf die Gerichts- und Beiakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Das auf die mündliche Verhandlung vom
14. August 2007 ergangene, angegriffene Urteil des Sozialgerichts, welches lediglich am 25. Oktober 2007 verkündet
wurde, ist fehlerhaft und daher aufzuheben.
Der Bescheid vom 14. Juli 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2005 ist nicht
rechtswidrig.
Allerdings ist der Bescheid vom 14. Juli 2005 verfahrensfehlerhaft zu Stande gekommen, denn der Kläger ist vor dem
Erlass des Bescheides nicht angehört worden.
Bevor ein Verwaltungsakt, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, erlassen wird, ist diesem gemäß § 24 Abs. 1 SGB
X Gelegenheit zu geben, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Diese Verpflichtung zur
Anhörung hat angesichts des belastenden Charakters der Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung hier bestanden,
denn ein Fall des § 24 Abs. 2 SGB X, wonach von einer Anhörung ausnahmsweise abgesehen werden kann, lag nicht
vor.
Die unterlassene Anhörung führt gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X nicht zur formellen Rechtswidrigkeit des
Aufhebungs- und Erstattungsbescheides, denn eine Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften, die den
Verwaltungsakt nicht nach § 40 SGB X nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn insbesondere die erforderliche Anhörung
eines Beteiligten nachgeholt wird. Die Anhörung kann bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder
verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden (§ 41 Abs. 2 SGB X).
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist dieser Verfahrensmangel allerdings nicht im Widerspruchsverfahren durch
die gewährte Akteneinsicht und die Widerspruchsbegründung geheilt worden. Die Anhörung kann nur dann im
Widerspruchsverfahren nachgeholt werden, wenn der Ausgangsbescheid selbst alle wesentlichen –
entscheidungserheblichen – Tatsachen enthält, zu denen der Betroffene dann im Vorverfahren Stellung nehmen kann
(Schütze in: von Wulffen, SGB X, 6. Aufl. 2008, § 41 Rn. 15, auch zum Folgenden; vgl. BSG, Urt. v. 13. Dezember
2001 – B 13 RJ 67/99 R, BSGE 89, 111, 114). Entscheidungserheblich sind dabei alle Tatsachen, auf die die Behörde
den Verfügungssatz gestützt hat oder auf den es nach ihrer materiell rechtlichen Ansicht objektiv ankommt. Enthält
der Bescheid alle wesentlichen Tatsachen, auf die die Verwaltung ihre Entscheidung gestützt hat und im
Widerspruchsbescheid stützen will, reicht für die Anhörung die Möglichkeit der Stellungnahme im
Widerspruchsverfahren aus. Solange der Entscheidung über den Widerspruch keine neuen Tatsachen zugrunde gelegt
werden, zu denen der Widerspruchsführer neu angehört werden müsste, ist insoweit kein gesondertes förmliches
Anhörungsverfahren erforderlich. Das gilt hier jedoch nicht, denn der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 14.
Juli 2005 enthält als entscheidungserhebliche Tatsache lediglich den Bezug von Krankengeld und führt als relevante
Aufhebungsnorm § 48 SGB X an. Weder aus dem angegriffenen Bescheid noch aus dem Inhalt der Verwaltungsakte
war für den Kläger während des Vorverfahrens erkennbar, dass die Beklagte ihre Aufhebungsentscheidung in der
Fassung des Widerspruchsbescheides auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X stützen werde. Neben dem Bezug von
Krankengeld stellt der Widerspruchsbescheid vom 31. August 2005 auf einen mangelnden Vertrauensschutz infolge
grober Fahrlässigkeit als entscheidungserhebliche Tatsache ab, ohne dass dem Kläger während des Vorverfahrens
Gelegenheit gegeben wurde, sich zu den Tatsachen, die den Vorwurf des grob fahrlässigen Verhaltens begründen, zu
äußern.
Der Verfahrensmangel der unterbliebenen Anhörung ist jedoch im Klageverfahren vor dem Sozialgericht durch die
Stellungnahme des Klägers zu dem Vorwurf der groben Fahrlässigkeit geheilt.
Das Bundessozialgericht (Urt. v. 23. Januar 2008 – B 10 LW 1/07 R; Urt. v. 5. Februar 2008 – B 2 U 6/07 R, SGb
2009, 156) lässt eine Heilung des Verfahrensfehlers der fehlenden Anhörung zu, wenn bis einschließlich der
mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren eine Anhörung durch ein förmliches Verfahren seitens der
Beklagtenseite durchgeführt worden ist. Zwar ist eine Heilung nach der Rechtsprechung des 4. Senats (Urt. v. 31.
Okto¬ber 2002 – B 4 RA 15/01 R, SozR 3-1300 § 24 Nr. 22) ausgeschlossen, wenn die Behörde die Anhörungspflicht
vorsätzlich, rechtmissbräuchlich oder durch Organisationsverschulden verletzt hat. Diese einschränkende Auffassung
wird zutreffend vom 2. Senat nicht geteilt (vgl. Urt. v. 5. Februar 2008, a. a. O.). Im Übrigen sind hier keine
Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Beklagte ihre Anhörungspflicht vorsätzlich verletzt haben sollte.
Allerdings ist bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz auch kein förmliches Anhörungsverfahren durchgeführt
worden. Das ist nach Auffassung des Senats aber entbehrlich. Zusammen mit dem Landessozialgericht Nordrhein-
Westfalen (Urt. v. 20. August 2007 – L 20 AS 99/06 -) ist der Senat der Auffassung, dass eine fehlende Anhörung
wirksam nachgeholt und geheilt ist, wenn in der mündlichen Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz des
sozialgerichtlichen Verfahrens den Beteiligten ausdrücklich Gelegenheit gegeben wird, sich zu äußern und der
Hilfebedürftige sich im Übrigen zu den relevanten Umständen im Klageverfahren geäußert hat. Ein nochmaliger
Hinweis auf die bereits bekannten Haupttatsachen durch den Leistungsträger in einem formellen Anhörungsverfahren
unter Einräumung einer Äußerungsfrist wäre eine inhaltsleere Formalität.
Zwar ist der 7a. Senat des Bundessozialgerichts (Urt. v. 6. April 2006 – B 7a AL 64/05 R -) der Auffassung, es sei für
die Heilung nicht ausreichend, dass – wie im Widerspruchsverfahren – der Betroffene aufgrund des Bescheides die
Möglichkeit hat, Stellung zu nehmen. Vielmehr müsse gewährleistet sein, dass die beklagte Beteiligte dem
Betroffenen die Möglichkeit gebe, sich zu der bereits vorliegenden Entscheidung zu äußern, um dann zumindest
formlos darüber zu befinden, ob sie bei ihrer Entscheidung verbleibe. Dies sei – im Unterschied zum
Widerspruchsverfahren, in dem noch ein Widerspruchsbescheid erfolge – nicht gewährleistet, wenn lediglich das
Gericht den Betroffenen im Rahmen des Klageverfahrens diese Möglichkeit eröffne. Dem ist entgegen zu halten, dass
es Ziel der Anhörung ist, dem Betroffenen rechtzeitig Gelegenheit zum Vortrag entscheidungserheblicher Tatsachen
zu geben, damit dieser nicht durch einen Verwaltungsakt überrascht wird, der seine Rechtsposition schmälert. Die
Behörde soll den Betroffenen so als berechtigtes Subjekt in den Prozess der Entscheidungsbildung einbeziehen.
Zugleich soll das Angebot zum tatsächlichen Vorbringen durch die Beteiligten dazu beitragen, den zu beurteilenden
Sachverhalt vollständig zu klären (Dörr, Anm. zum Urteil des BSG vom 5. Februar 2008, SGb 2009, 159 unter Hinweis
auf die Gesetzesmaterialien). Dann ist aber ausreichend, dass der von einer für ihn negativen Entscheidung
Betroffene im Laufe des Verwaltungs- und des Gerichtsverfahrens die Möglichkeit hat, alle für ihn bedeutsamen
Argumente gegen die behördliche Entscheidung vorzutragen. Dies ist im erstinstanzlichen Verfahren und im
Berufungsverfahren jeweils der Fall. Hierzu bedarf es keines zusätzlichen Verfahrens seitens der Beklagten. Die
Rechte der betroffenen Partei sind durch die Möglichkeit gewahrt, bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz
umfassend vortragen zu können. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass nur durch ein mehr oder weniger förmliches
Verfahren der Beklagtenseite die Rechte der betroffenen Partei gewahrt werden und anderenfalls eine
Rechtsverletzung mit beeinträchtigendem Charakter vorliegt.
Zu fordern, der Verwaltungsträger müsse vor Abschluss der gerichtlichen Tatsacheninstanz dem Betroffenen, dem
bereits alle für die Entscheidung der Behörde wesentlichen Tatsachen bekannt sind, gleichsam nochmals mit
Einräumung einer Äußerungsfrist auf diese Tatsachen hinzuweisen und gegebenenfalls anschließend eine nach § 96
SGG zum Gegenstand des Verfahrens werdende Entscheidung über Bestätigung, Änderung und Aufhebung des
Eingriffs treffen, unterläuft zudem die Regelung des § 41 Abs. 2 SGB X in der Fassung ab 1. Januar 2001. Denn
diese Vorschrift dient der Vereinfachung des Verfahrens, wenn Rechte des Betroffenen nicht beeinträchtigt sind. Zwar
kann der Anhörungszweck eines Schutzes vor Überraschungsentscheidungen von vornherein nicht durch eine
Nachholung der Anhörung ungeschehen gemacht werden. Der Betroffene hat aber die Gelegenheit, seine Sicht der
Dinge während des Verwaltungsverfahrens und gerichtlichen Verfahrens darzulegen. Die Behörde kann daraufhin ihr
Handeln noch einmal überprüfen, sodass die übrigen Zwecke der Anhörung vollständig gewahrt bleiben. Insofern ist
die Behörde ohnehin während des gerichtlichen Verfahrens ständig gehalten, ihre Entscheidung nochmals – z. B. im
Hinblick auf das vom Kläger Vorgebrachte – zu prüfen und gegebenenfalls durch teilweises oder vollständiges
Anerkenntnis das Vorgebrachte zu würdigen. Tut sie dies nicht, bringt sie damit erkennbar zum Ausdruck, dass ihre
Entscheidung auch in Ansehung des Vorgetragenen nicht geändert werden soll. Die Behörde zu zwingen, einen
weiteren nach § 96 SGG zum Gegenstand des Verfahrens werdenden Verwaltungsakt zu erlassen, "wäre
demgegenüber eine förmelnde Verkomplizierung des Prozessstoffes ohne weiteren Erkenntnisgewinn für Beteiligte
und Gericht und ohne jeden Rechtsschutzgewinn für den Kläger" (LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 20. August 2007 –
L 20 AS 99/06 -).
Der Bescheid vom 14. Juli 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2005 ist von der Sache
her rechtmäßig. Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar
geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 der Vorschrift mit Wirkung für die Vergangenheit
zurückgenommen werden, soweit er rechtswidrig ist. Soweit dem Kläger mit Bescheid vom 18. April 2005 für die Zeit
von März bis Juli 2005 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 505,00 EUR monatlich bewilligt worden sind, war
diese Entscheidung von Anfang an rechtswidrig, denn der Kläger hatte ab 25. Februar 2005 Krankengeld bezogen und
daher ab dem 1. März 2005 keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.
Dem Bedarf des Klägers in dem maßgeblichen Zeitraum in Höhe von 445,00 EUR (345,00 EUR Regelsatz und 100,00
EUR Kosten der Unterkunft) monatlich stand ein Einkommen aus Krankengeld in Höhe von 20,77 EUR täglich, mithin
623,10 EUR monatlich, gegenüber. Von dem monatlichen Krankengeld sind nach § 11 Abs. 2 SGB II der Beitrag zur
Kfz-Haftpflichtversicherung in Höhe von 17,38 EUR monatlich und die Versicherungspauschale in Höhe von 30,00
EUR monatlich sowie der geförderte Altersvorsorgebeitrag in Höhe von 50,00 EUR monatlich abzusetzen, so dass
sich in dem Zeitraum von März bis Juli ein anzurechnendes Einkommen aus Krankengeld in Höhe von 525,72 EUR
monatlich ergab. Da das anzurechnende Einkommen den Bedarf des Klägers überstieg, bestand kein Anspruch auf
Leistungen nach dem SGB II, so dass auch der gemäß § 24 Abs. 2 SGB II bei Bezug von Leistungen zu
berücksichtigende Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld in Höhe von hier 60,00 EUR monatlich entfiel.
Nach § 45 Abs. 2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden,
soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit
dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn
der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder
nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Allerdings kann sich der Begünstigte auf Vertrauen
nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht
kannte. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße
verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die in der Personengruppe
herrschende Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden ist, wenn also außer Acht gelassen worden
ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Die Rechtswidrigkeit muss sich ohne weitere
Nachforschungen aus dem Bescheid selbst ergeben und es muss anhand der Umstände und ganz naheliegender
Überlegungen einleuchten und auffallen, dass der Bescheid fehlerhaft ist (vgl. Schütze, a.a.O., § 45 Rn. 56). Dabei ist
auch in subjektiver Hinsicht ein gegenüber einfacher Fahrlässigkeit gesteigertes Verschulden nötig. Eine erheblich
verminderte Einsichtsfähigkeit kann dabei allerdings nicht außer Betracht bleiben. Der Betroffene muss unter
Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit seine Sorgfaltspflichten in außergewöhnlich
hohem Maße, d. h. in einem das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich übersteigenden Ausmaß verletzt
haben. Ob ein Kennenmüssen zu bejahen ist, muss unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der
Persönlichkeit des Betroffenen, beurteilt werden (vgl. Schütze, a.a.O., § 45 Rn. 56, 52). Dabei ist unerheblich, wer die
Rechtswidrigkeit verursacht hat. Die grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit entfällt nicht dadurch, dass die
wesentliche Ursache der Unrichtigkeit des Verwaltungsaktes bei der Behörde liegt.
Gemessen an diesen Maßstäben ist eine grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers mit der Folge zu bejahen, dass er
nicht auf den Bestand des Bescheides vertrauen durfte.
Unerheblich ist dabei, ob die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung vor dem
Sozialgericht geäußert, den Bewilligungsbescheid nicht gelesen zu haben, zutrifft. Denn selbst wenn der Kläger den
Bescheid gelesen haben sollte, so hätte ihm die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides auffallen können oder
müssen.
Die Rechtswidrigkeit des Bescheides ergab sich ohne weitere Nachforschungen aus diesem selbst. Der Kläger
wusste, dass er seit dem 25. Februar 2005 Krankengeld erhielt und dass dieses auf den Bedarf anzurechnen war. So
wurde er in dem Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter IV
(Einkommensverhältnisse) des Antragsvordruckes u. a. auch nach dem Bezug von Krankengeld gefragt. Dort hat er
den Bezug von Krankengeld nicht angegeben. Ferner versicherte er am 14. Februar 2005 durch seine Unterschrift, alle
Änderungen – insbesondere der Einkommensverhältnisse – unaufgefordert und unverzüglich mitzuteilen. Er hat auch
den Bezug von Krankengeld mitgeteilt, allerdings nicht der Beklagten, sondern der Agentur für Arbeit. Dieses
Verhalten zeigt, dass er gemessen an seinen subjektiven Fähigkeiten in der Lage war, die Relevanz des
Krankengeldbezuges für seinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zu erkennen.
Der Kläger war auch verpflichtet, den Bewilligungsbescheid vom 18. April 2005 auf seine Richtigkeit hin zu
überprüfen. Diese Verpflichtung bezieht sich nicht nur auf den Verfügungssatz, sondern auf alle wesentlichen Punkte
der Berechnung der jeweiligen Bedarfsmonate. Dabei kann von dem Kläger bei der Komplexität der Bescheide der
Beklagten zugegebenermaßen nicht verlangt werden, eine eventuell erfolgte Einkommensanrechnung in allen
Einzelheiten, insbesondere im Hinblick auf die Berechnung von Freibeträgen und ähnlichem, nachzuvollziehen.
Jedoch ist zu erwarten, dass der Kläger die Frage, ob Einkommen überhaupt angerechnet wird oder nicht, erkennt.
Bei Durchsicht der Bedarfsberechnungen war auch für den Kläger als juristischen Laien leicht erkennbar, dass in den
Monaten März bis Juli 2005 keinerlei Einkommen angerechnet worden war, also auch kein Einkommen aus
Krankengeld. Da sich die Rechtswidrigkeit des Bescheides augenfällig aus diesem selbst ergab, hätte der Kläger die
Fehlerhaftigkeit des Bescheides ohne Mühen erkennen können, zumal aus dem Bescheid vom 18. April 2005
eindeutig ersichtlich war, dass für Februar 2005 Einkommen in Form des Arbeitslosengeldes I angerechnet worden
war, für die übrigen Monate aber trotz Bezugs von Krankengeld keine Einkommensanrechnung erfolge.
Der Kläger war auch unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit zum Erkennen der
Fehlerhaftigkeit des Bescheides in der Lage. Er verfügt über einen Schulabschluss und eine abgeschlossene
Berufsausbildung als Lagerist/Handelsfachpacker. Der Beruf des Handelsfachpackers/Lage¬rist setzt annähernd
durchschnittliche Kenntnisse in Mathematik und ausreichende Sicherheit in der Rechtschreibung voraus. So müssen
Flächen- und Umfangberechnungen von Transportgütern angestellt, Lade- und Warenbegleitpapiere ausgefüllt und
Listen und Tabellen kontrolliert und überwacht werden. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger in der Lage
war und ist, den tabellenartig aufgeführten Bescheid der Beklagten zumindest insoweit nachzuvollziehen, als dass
kein anzurechnendes Einkommen aufgeführt worden ist.
Hierfür ist auch nicht erforderlich, das anzurechnende Einkommen aus Krankengeld mit 0,00 EUR anzugeben, wie der
Kläger meint. Das würde bedeuten, dass in den Bewilligungsbescheiden alle denkbaren Einkommensarten
aufzuführen sind und mit jeweils 0,00 EUR angegeben werden müssten. Dies würde zu einer inhaltlichen
Überfrachtung der Bescheide führen. Ausreichend, übersichtlich und verständlich ist es, lediglich die
Einkommensarten in die Bedarfsberechnung aufzunehmen, die für die Ermittlung des Leistungsanspruchs von
Relevanz sind.
Ein eventuelles Verschulden der Beklagten bei Erlass des rechtswidrigen Bewilligungsbescheides ist unbeachtlich.
Diese wäre allenfalls im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen gewesen. Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2
Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III handelt es sich hier jedoch um eine gebundene Entscheidung, so dass auch
für die Erstattungshöhe allein entscheidend ist, ob der Kläger die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides hätte
erkennen können und müssen.
Der Bewilligungsbescheid vom 18. April 2005 war daher gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X für die Zeit von März
bis Juli 2005 mit der Folge aufzuheben, dass gemäß § 50 SGB X die für diesen Zeitraum zu Unrecht erbrachten
Leistungen in Höhe von insgesamt 2.525,00 EUR zu erstatten sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision ist gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG zuzulassen, weil diese Entscheidung von den Entscheidungen des
Bundessozialgerichts zur Anhörung abweicht.