Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 10.07.2003

LSG Shs: grundsatz der gleichbehandlung, lehrer, erwerbstätigkeit, auskunft, verdienstausfall, arbeitskraft, pflege, teilzeitarbeit, pflichtstundenzahl, informationspflicht

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Urteil vom 10.07.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Kiel S 6 EG 17/01
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 5 EG 4/03
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 21. November 2002 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Erziehungsgeld für die Zeit vom 1. März bis 30. April 2001.
Die Klägerin war seit 1. August 2000 als Grund- und Hauptschullehrerin mit 14 Pflichtunterrichtsstunden im
Landesdienst beschäftigt. Am 30. Oktober 2000 kam ihr Kind Mats auf die Welt. Nachdem die Klägerin zunächst vom
2. Oktober bis 25. Dezember 2000 Mutterschaftsgeld bezogen hatte, nahm sie für die anschließende Zeit bis zum 31.
Januar 2001 Erziehungsurlaub. Danach setzte sie ihre Berufstätigkeit fort, nahm aber je Woche zwei Stillstunden in
Anspruch.
Auf ihren Antrag vom 19. Dezember 2000 bewilligte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 4. Januar 2001
Erziehungsgeld bis zum 28. Februar 2001, zuletzt in voller Höhe. Für die Zeit ab 1. März 2001 versagte der Beklagte
das Erziehungsgeld, weil die Klägerin eine Erwerbstätigkeit aufgenommen habe. Hiergegen erhob die Klägerin
Widerspruch und wies darauf hin, dass sie weniger als 19 Stunden in der Woche erwerbstätig sei. Der Beklagte
bestätigte jedoch in dem Widerspruchsbescheid vom 20. August 2001 seine Entscheidung: Bei Lehrern richte sich der
Umfang der zulässigen Teilzeitarbeit nach der Pflichtstundenzahl. Angestellte Lehrer dürften Teilzeitarbeit bis zu der
Stundenzahl verrichten, die dem Verhältnis von 19 Stunden Arbeitszeit zu einer Vollbeschäftigung entspreche.
Demnach arbeite die Klägerin mehr als nach § 2 Abs. 1 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) zulässig sei.
Die Klägerin hat am 29. August 2001 Klage erhoben und vorgetragen: Sie arbeite maximal 14 Stunden und übe damit
keine für das Erziehungsgeld schädliche Erwerbstätigkeit im Sinne des § 2 BErzGG aus. Für die
Verhältnisberechnung des Beklagten gebe es im Gesetz keine Stütze. Im Übrigen habe der Beklagte auch die
Stillstunden nicht berücksichtigt. Ziehe man diese von der Arbeitszeit ab, habe die Klägerin im umstrittenen Zeitraum
keinesfalls mehr als 19 Stunden gearbeitet. Folge man der Gesetzesinterpretation des Beklagten, verstoße die
gesetzliche Regelung auch in mehrfacher Hinsicht gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG).
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 4. Januar 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2001 abzuändern
und den Beklagten zu verurteilen, ihr Erziehungsgeld für ihren am 30. Oktober 2000 geborenen Sohn Mats für die Zeit
vom 1. März 2001 bis 29. April 2001 zu gewähren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 21. November 2002 die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im
Wesentlichen ausgeführt: Die Berechnungen des Beklagten seien rechtlich nicht zu beanstanden. Die von ihr in
Anspruch genommenen Stillstunden minderten nicht ihre vertraglich vereinbarte Pflichtstundenzahl. Die
Stichtagsregelung des § 24 BErzGG verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Solche Regelungen seien vom
Bundesverfassungsgericht für zulässig erachtet worden. Schließlich habe der Beklagte auch keine Auskunfts- oder
Beratungspflichten verletzt. Der geltend gemachte sozialrechtliche Herstellungsanspruch greife nicht durch.
Gegen dieses der Klägerin am 6. Februar 2003 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung, die am 3. März 2003 beim
Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Die Klägerin wiederholt und vertieft ihren bisherigen
Vortrag in tatsächlicher und rechtlicher Sicht.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 21. November 2002 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 4.
Januar 2001 sowie den Widerspruchsbescheid vom 20. August 2001 zu ändern und den Beklagten zu verur teilen,
Erziehungsgeld für die Zeit vom 1. März 2001 bis zum 30. April 2001 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Dem Senat haben die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten sowie eine Auskunft des Ministeriums für Bildung,
Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein vom 6. Juni 2003 vorgelegen. Diese Auskunft ist
den Beteiligten bekannt. Auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten wird im Übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Im Einverständnis mit den Beteiligten ergeht die Entscheidung durch den Vorsitzenden als Einzelrichter (§ 155 Abs. 3
Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erziehungsgeld für die beantragte Zeit. Sie war mehr als 19 Stunden in der
Woche erwerbstätig.
Es steht fest, dass die Klägerin für die umstrittene Zeit die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BErzGG
erfüllt. Nach Nr. 4 dieser Vorschrift in Verbindung mit der vorliegend allein in Betracht kommenden Nr. 1 des § 2 Abs.
1 BErzGG ist der Anspruch nicht gegeben, wenn die Antragstellerin mehr als 19 Stunden in der Woche erwerbstätig
ist. Das war hier der Fall.
1. Die oben zitierte Gesetzesfassung ist im anhängigen Rechtsstreit anwendbar, weil das Kind Mats vor dem 1.
Januar 2001 geboren ist (Übergangsvorschrift des § 24 Abs. 1 BErzGG i.d.F.v. 12. Oktober 2000 - BGBl. I, S. 1426).
Den Einwand der Klägerin, diese Stichtagsregelung verstoße gegen Art. 3 GG, hat das Sozialgericht in seinem Urteil
mit überzeugenden Gründen widerlegt. Hierauf wird nach § 153 Abs. 2 SGG verwiesen.
2. Die Klägerin macht als weiteren Verstoß gegen Art. 3 GG geltend: Arbeitnehmer, die nicht als Lehrer erwerbstätig
seien, dürften 19 Stunden leistungsunschädlich arbeiten, Lehrer aber nur 13,3 Stunden. Bei dieser Argumentation
setzt die Klägerin die Normalarbeitszeit mit der Zahl der Pflichtunterrichtungsstunden gleich. Diese Sichtweise ist
nicht richtig. Die Normalarbeitszeit eines jeden Angestellten im öf-fentlichen Dienst - auch die eines Lehrers - betrug
im umstrittenen Zeitraum 38,5 Stunden (Auskunft des Ministeriums vom 6. Juni 2003). In dieser Zeit hatte der
vollbeschäftigte Lehrer an einer Grund- und Hauptschule 27 Unterrichtsstunden abzuhalten und in der übrigen Zeit
seine Arbeitskraft der Vor- und Nachbereitung des Unterrichts oder sonstigen mit dem Lehrerberuf verbundenen
Aufgaben zu widmen. Aus Gleichbehandlungsgründen trifft diese Pflicht entsprechend auch den teilzeitbeschäftigten
Lehrer. Wer 14 Unterrichtsstunden zu erteilen hat, steht in der Pflicht, seine Arbeitskraft dementsprechend 19,96
Stunden in der Woche für seinen Dienstherrn einzusetzen (38,5 × 14 ÷ 27). Er ist deshalb mehr als 19 Stunden in der
Woche erwerbstätig. Dass die Klägerin die unterrichtsfreie Arbeitszeit im Verlauf eines Tages frei gestalten kann, ist
ein Privileg ihres Berufsstandes, ändert aber an dem arbeitsvertraglichen Umfang ihrer Leistungspflicht nichts.
Entgegen der Auffassung der Klägerin entspricht die Verhältnisberechnung des Beklagten dem Grundsatz der
Gleichbehandlung mit allen anderen Erziehungsgeldberechtigten. Ein Verstoß gegen Art. 3 GG liegt nicht vor.
Der Hinweis der Klägerin in der Berufungsverhandlung, dass beamtete Teilzeitkräfte nach dem Schleswig-
Holsteinischen Pflichtstundenerlass vom 9. März 1999 anders behandelt würden als Angestellte, ist richtig. Der
Unterschied wird aber in ihrem Fall nicht entscheidungsrelevant. Denn selbst wenn die Klägerin eine
Teilzeitbeschäftigung mit 14 Pflichtunter-richtsstunden im Beamtenverhältnis ausgeübt hätte, wäre sie verpflichtet
gewesen, insgesamt 19,6 Stunden in der Woche Arbeiten für ihren Dienstherrn zu verrichten (38,5 × 14 ÷ 27,5). Auch
dann hätte sie die nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 BErzGG zulässige Grenze überschritten. In ihrem Fall liegt eine
entscheidungserhebliche Ungleichbehandlung von beamteten und angestellten Lehrern im Rahmen des BErzGG nicht
vor.
3. Dadurch, dass die Klägerin im umstrittenen Zeitraum je Woche zwei Stillstunden genommen hat, ergibt sich keine
andere Entscheidung. Die Klägerin meint, dass sie in dieser Zeit keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen sei und
deshalb nur zwölf Pflichtunterrichtsstunden geleistet habe. Diese Auffassung trifft nicht zu. Erwerbstätigkeit ist eine
Tätigkeit gegen Entgelt. Stillstunden sind nach § 7 Mutterschutzgesetz bezahlte Arbeitszeit. Dass der Arbeitgeber in
dieser Zeit keine Arbeitsleistung beanspruchen kann, ändert nichts am Charakter einer bezahlten Tätigkeit. Nur diese
Sicht entspricht auch dem Sinn und Zweck des BErzGG. Dieses Gesetz will nicht die Pflege und Betreuung eines
Kindes durch seine Mutter oder einen Erziehungsberechtigten direkt bezahlen. Denn die Pflege und Erziehung des
Kindes ist in erster Linie die natürliche Aufgabe der Erziehungsberechtigten. Wie die Anrechnungsvorschriften zeigen,
will das Gesetz lediglich zum Teil den Verdienstausfall kompensieren, den ein Berechtigter durch die Betreuung und
Erziehung eines Kleinkindes hat. Entsteht aber wie bei der Stillzeit kein Verdienstausfall, ist auch kein Grund
ersichtlich, Erziehungsgeld zu erbringen. Das bedeutet, dass die Stillzeit bei einer Teilzeitbeschäftigten nicht von der
Zahl der arbeitsvertraglich festgelegten Arbeitsstunden abzuziehen ist.
Der in diesem Zusammenhang mündlich vorgebrachte Hinweis der Klägerin, es müsse auf die tatsächlich geleistete
Arbeits-zeit ankommen, entspricht nicht den wohl bedachten Gesetzesformulierungen. Da die objektive Darlegungs-
und Beweislast zunächst die Klägerin trifft, würde ihre Argumentation darauf hinauslaufen, dass sie nachweisen
müsste, weniger als 19 Stunden tatsächlich gearbeitet zu haben. Diesen Nachweis könnten Berufsgruppen mit nicht
festgelegten Arbeitsstunden kaum führen und erst recht wäre es unmöglich, entsprechende Behauptungen durch die
Verwaltung und die Gerichte Monate später nachzuprüfen. Es muss deshalb bei der vom Gesetzgeber gefundenen
Lösung bleiben, wonach auf die vertraglich abgemachte und bezahlte Zeit der Erwerbstätigkeit abzustellen ist.
4. Schließlich kann sich die Klägerin auch nicht auf den sozi-alrechtlichen Herstellungsanspruch stützen, weil der
Beklagte seiner Informationspflicht nicht nachgekommen ist. Ein Verstoß gegen die Informationspflicht aus § 13
Sozialgesetzbuch 1. Teil (SGB I) liegt nicht vor. Die Behauptung, die Broschüren des Beklagten seien unzulänglich,
weil sie auf die Sonderbehandlung der Lehrer nicht hinwiesen, ist unzutreffend. Wie oben ausgeführt, werden Lehrer
und auch teilzeitbeschäftigte Lehrer nicht anders behandelt als andere Arbeitnehmer. Der Irrtum der Klägerin, die
geleisteten Pflichtunterrichtsstunden seien ihre Erwerbstätigkeit, ist von dem Beklagten nicht verursacht worden.
Der Beklagte hat auch nicht gegen § 14 SGB I verstoßen. Hierzu hätte sie auf ein konkretes Beratungsersuchen eine
falsche oder unvollständige Auskunft erteilen müssen. Dieses Beratungsersuchen hätte vor dem Abschluss des
Arbeitsvertrages im August 2000 gestellt sein müssen, um ursächlich zu werden. Die Klägerin hat ein solches
konkretes Beratungsersuchen aber zu der Zeit nicht gestellt. Es ist darüber nichts aktenkundig und auch nichts näher
von ihr vorgetragen worden.
Nach alledem ist die Berufung mit der Kostenentscheidung aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG zurückzuweisen.
Der Senat hat jedoch die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zugelassen, weil grundsätzlich und höchstrichterlich zu
klären ist, ob die Verhältnisberechnungen des Beklagten und die Unbeachtlichkeit der Stillstunden rechtens sind.