Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 06.10.2009

LSG Shs: behandlung, krankenversicherung, verordnung, innere medizin, arzneimittel, medikament, krankenkasse, anorexie, label, chemotherapie

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Urteil vom 06.10.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Kiel S 14 KA 34/06
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 4 KA 35/08
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 30. April 2008 wird zurückgewiesen. Der
Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um einen Arzneikostenregress wegen der Verordnung eines für ein Krankheitsbild nicht
zugelassenen Arzneimittels (sog. Off-Label-Use).
Der Kläger ist Chefarzt des onkologischen Schwerpunktes des Krankenhauses G – Zentrum für Pneumologie und
Thoraxchirurgie. Außerdem nimmt er als Arzt für innere Medizin und Pulmologie an der vertragsärztlichen Versorgung
teil.
Am 25. März 2002 stellte die zu 1. beigeladene Krankenkasse bei dem Prüfungsausschuss den Antrag auf
Feststellung eines sonstigen Schadens gemäß § 12.3 der in Schleswig-Holstein geltenden Prüfvereinbarung vom 15.
März 1995 und machte zur Begründung geltend, dass der Kläger im Quartal II/2001 einem bei ihr versicherten
männlichen Patienten das Arzneimittel Megestat verordnet habe. Megestat sei zur palliativen Behandlung von
fortgeschrittenen Karzinomen der Brust und der Gebärmutter zugelassen. Die Erprobung von Arzneimitteln auf Kosten
der Versicherungsträger sei nicht zulässig. Die aktuelle Rechtsprechung des BSG bestätige, dass das Fehlen einer
positiven Zulassungsentscheidung generell zum Ausschluss aus der Leistungspflicht der gesetzlichen
Krankenversicherung führe.
Weitere Anträge auf Feststellung eines Schadens stellte die Beigeladene zu 1. am 30. September 2003 für das
Quartal IV/2002, am 15. Dezember 2003 für das Quartal I/2003, am 31. März 2004 für das Quartal II/2003 und am 25.
Juni 2004 für das Quartal III/2003 und führte zur Begründung aus: Der Kläger habe ihren Versicherten unter Verstoß
gegen die Arzneimittelrichtlinien ölige Dronabinoltropfen 2,5 % verordnet. Dronabinol sei ein synthetisches
Cannabisharz, welches in den USA als Fertigarzneimittel bei Anorexie mit Gewichtsverlust bei Aids-Patienten sowie
bei Übelkeit und Erbrechen bei Krebs-Chemotherapie bei Patienten, die nicht auf eine adäquate Therapie mit
konventionellen Antiemetika ansprächen, zugelassen sei. Nach den Arzneimittelrichtlinien dürften appetitanregende
Mittel nicht verordnet werden. Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapie könnten in der Regel erfolgreich mit in
Deutschland zugelassenen Arzneimitteln behandelt werden, sodass Dronabinol nur nach erfolgloser, dokumentierter
Therapie mit konventionellen Antiemetika wie MCP, Dimenhydrinat, Meclozin, Ondansetron und Dolasetron eingesetzt
werden könne. Durch die Verordnung als Rezeptur dürfe die Zulassungspflicht nicht unterlaufen werden. Der
Gemeinsame Bundesausschuss habe zur Anwendung von Dronabinol-Rezepturen bisher kein positives Votum
abgegeben.
Mit Bescheid vom 23. September 2004 setzte der Prüfungsausschuss für die Quartale II/2001, IV/2002 und I/2003 bis
III/2003 einen Schadensersatz in Höhe von 1.960,78 EUR zugunsten der Beigeladenen zu 1. gegen den Kläger fest.
Zur Begründung des dagegen am 1. Oktober 2004 eingelegten Widerspruchs machte der Kläger im Wesentlichen
geltend, dass er das Medikament Megestat bei Patienten mit fortgeschrittenen bösartigen Tumoren der Thoraxorgane
oder fortgeschrittenen Bronchialkarzinomen mit bereits stattgehabter Metastasierung eingesetzt habe. Für die
Patienten hätten zum Zeitpunkt der Verordnung keine kurativen Behandlungsmöglichkeiten mehr bestanden. Die
Patienten hätten im Zusammenhang mit der Tumorerkrankung unter einer zunehmenden Tumorkachexie mit Asthenie,
Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust gelitten. Für die Behandlung dieser speziellen Tumorsymptomatik gebe es kein
zugelassenes Präparat, das in der Wirkung dem Präparat Megestat gleichzusetzen sei. Megestat führe bei mehr als
60 % der Tumorpatienten mit dieser Symptomatik zu einer Appetitsteigerung und zu einer Gewichtszunahme und
damit zu einer deutlichen Symptomverbesserung mit deutlich verbesserter Lebensqualität. Ihm sei durchaus bewusst,
dass Megestat nicht für diese Indikation zugelassen sei. Dennoch sei die Literatur in Bezug auf die beschriebene
Wirkung eindeutig. Dazu bezog sich der Kläger auf zahlreiche Veröffentlichungen, die er bereits in einem
Parallelverfahren (Verwaltungsverfahren zu dem unter dem Aktenzeichen L 4 KA 34/08 geführten Berufungsverfahren)
übersandt hatte. Die Patienten hätten kurzfristig von der Einnahme von Megestat profitiert. Alle in der Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts entwickelten Voraussetzungen für die Verordnung eines Medikaments außerhalb des
zugelassenen Anwendungsbereichs (Off-Label-Use) seien erfüllt. Dazu bezog sich der Kläger auf das Urteil des
Bundessozialgerichts vom 19. März 2002 zum Aktenzeichen B 1 KR 37/00 R (Sandoglobulin). Bezüglich der
Verordnung von Dronabinol gelte der gleiche Sachverhalt. Das Medikament sei von ihm nur in wenigen Fällen zur
Behandlung einer Tumorkachexie und eines Fatigue-Syndroms eingesetzt worden. Der Prüfungsausschuss gehe von
einer falschen Voraussetzung aus, wenn er annehme, dass das Medikament gegen Übelkeit im Rahmen der
Chemotherapie verordnet worden sei. Die Indikation habe auch hier in Tumorkachexie und Fatigue bestanden. Er habe
Dronabinol erst an Tumorpatienten verordnet, nachdem die Verordnung von Megestat in anderen Fällen nicht
akzeptiert worden sei. Auch für diese Indikation gebe es keine Standardtherapie. Wenn andere Ärzte diese
Medikamente nicht rezeptierten, liege das daran, dass sie Regressforderungen aus dem Wege gehen wollten und
Patienten in ihrer aussichtslosen Situation und ihren Beschwerden weitgehend alleine ließen.
Der Beklagte zog ein Gutachten des Prof. Dr. H und des Dr. S , Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK)
N , Kompetenz Centrum Onkologie, vom 17. April 2003 bei und wies den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom
5. Januar 2006 zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus: Megestat enthalte als arzneilich wirksame
Substanz Megestrolacetat, ein Gestagen. Es sei zugelassen zur palliativen Behandlung von fortgeschrittenen
Karzinomen der Brust und der Gebärmutter. Für eine dieser Erkrankungen sei das Präparat jedoch nicht eingesetzt
worden, sondern zur Behandlung von Appetitlosigkeit und Tumorkachexie bei Patienten in der Terminalphase
fortgeschrittener Lungen- und Bronchialkarzinome. Damit sei die Anwendung außerhalb der Zulassung des
Medikamentes erfolgt. Dies sei dem Kläger auch bekannt gewesen. Deswegen berufe er sich auf das Urteil des BSG
vom 19. März 2002 - B 1 KR 37/00 R (Sandoglobulin) zu den Bedingungen für einen Off-Label-Gebrauch von
Arzneimitteln zu Kassenlasten. Nach Auffassung des BSG komme die Anwendung eines Arzneimittels außerhalb der
zugelassenen Indikationen auf Kosten einer gesetzlichen Krankenkasse nur dann in Betracht, wenn es sich um eine
schwerwiegende (lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende) Erkrankung
handele, bei der keine andere Therapie verfügbar sei und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe,
dass mit dem betreffenden Arzneimittel ein Behandlungserfolg kurativ oder palliativ zu erzielen sei. Letzteres bedeute,
dass Forschungsergebnisse vorliegen müssten, die erwarten ließen, dass das Medikament für die betreffende
Indikation zugelassen werden könne. Hiervon könne ausgegangen werden, wenn die Erweiterung der Zulassung
bereits beantragt sei und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III veröffentlicht seien und
diese eine klinisch relevante Wirksamkeit bzw. einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegten. Bei
dem im Quartal II/2001 mit Megestat behandelten Patienten Martin Zilske liege ausweislich der
Abrechnungsunterlagen eine "bösartige Neubildung der Bronchien und der Lunge" vor. Diese Erkrankung sei zwar als
lebensbedrohlich anzusehen, die Verabreichung des in Rede stehenden Medikamentes habe aber nicht zur
Behandlung der Erkrankung selbst gedient, sondern zur Beeinflussung der Folgen der Erkrankung, nämlich der
Appetitlosigkeit und der Tumorkachexie. Die Auffassung des Klägers, dass für die Behandlung dieser
Begleitsymptome keine Standardtherapie verfügbar sei, könne nicht geteilt werden. Wie in dem Gutachten des MDK N
vom 17. April 2003 hervorgehoben werde, bestehe in der Terminalphase maligner Erkrankungen die Möglichkeit, eine
hochkalorische Kost in Form von Elementardiäten als Trinknahrung, per Sonde oder parenteralen Ernährungslösungen
zu applizieren. Als Eingriff in die Integrität des Patienten könne die Anlage einer PEG-Sonde nur dann angesehen
werden, wenn dieser Eingriff ohne Zustimmung erfolge. Alternative Therapieoptionen stünden also durchaus zur
Verfügung. Im Übrigen sei nach Ansicht des Beklagten die Datenlage für Megestat bei Tumorkachexie nicht
ausreichend, um die Aussicht auf einen Behandlungserfolg mit dem betreffenden Präparat zu begründen. Der von dem
Kläger eingereichten Literatur sei zu entnehmen, dass zwar verschiedene Studien - unter anderem solche der Phase
III - zur Wirksamkeit von Megestrolacetat bei Tumorkachexie durchgeführt worden seien, die Ergebnisse aber meist
wegen zu kleiner Fallzahlen oder inhomogenen Patientenkollektivs nicht als Beleg einer Wirksamkeit bewertet werden
könnten. Auch das Gutachten des MDK N vom 17. April 2003 komme zu dem Ergebnis, dass die publizierten Daten
nicht ausreichend seien, um erwarten zu können, dass das Medikament für die vorliegende Indikation eine
arzneimittelrechtliche Zulassung erhalte. Die vom BSG formulierten Kriterien, die eine Verordnung von
Fertigarzneimitteln außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung ermöglichten, seien im vorliegenden Fall (Patient
mit Tumorkachexie bei Bronchialkarzinom) nicht erfüllt. Bislang lägen keine Forschungsergebnisse vor, die erwarten
ließen, dass das Arzneimittel für die entsprechende Indikation zugelassen werden könne. Bei Dronabinol handele es
sich um einen Wirkstoff (Tetrahydrocannabinol = THC) aus der Cannabispflanze. Aus der empirischen
Arzneimittelanwendung seien diverse Anwendungsgebiete bekannt, die Gegenstand klinischer Forschung seien. Von
Bedeutung seien heute vor allem die Appetitsteigerung u.a. bei AIDS- oder Krebserkrankungen, die Hemmung von
Übelkeit und Erbrechen vor allem im Zusammenhang mit Chemotherapie, Reduzierung muskulärer Krämpfe und
Spastiken (z.B. bei MS), chronische und therapieresistente Schmerzen, auch in Kombination mit Opioiden, Reduktion
von Nebenwirkungen bei gleich¬zeitiger Potenzierung der Analgesie von Opiaten, Therapie des akuten Migräneanfalls,
neurologische Erkrankungen (Alzheimer, Gilles de la Tourette, Epilepsie), Senkung des Augeninnendrucks (Glaukom),
Reduzierung asthmatischer Beschwerden und die Stimmungsaufhellung. Dronabinol sei in Deutschland nur als
Rezeptursubstanz erhältlich. Es falle unter das Betäubungsmittelgesetz (BtmG) und sei hier wie auch in der
Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtmVv) - als verkehrsfähiges und verschreibungsfähiges
Betäubungsmittel ohne Angaben zu Indikationen gelistet. Die Aufnahme von Dronabinol in die Anlage III des
Betäubungsmittelgesetzes ("verkehrsfähige und verschreibungsfähige Betäubungsmittel") sei aber nicht
gleichzusetzen mit einer Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Hierzu bedürfe es
einer Nutzen-Risiko-Bewertung für die beanspruchte Indikation, wie sie in der Regel im Rahmen einer
Fertigarzneimittelzulassung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erfolge. Da auf
dem deutschen Markt kein Fertigarzneimittel mit Dronabinol als Wirkstoff vorhanden sei, liege eine solche Nutzen-
Risiko-Bewertung durch die oberste Arzneimittelaufsichtsbehörde nicht vor. Die Aufnahme eines nur als
Rezepturarzneimittel zur Verfügung stehenden Wirkstoffs in den Leistungskatalog der gesetzlichen
Krankenversicherung könne gemäß § 135 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) nur auf der Grundlage einer
entsprechenden Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss erfolgen. Es seien zumindest solche
Pharmakotherapien der Kontrolle durch den Bundesausschuss zu unterwerfen, bei denen das eingesetzte
Medikament keiner arzneimittelrechtlichen Zulassung bedürfe, weil anderenfalls die Qualitätsprüfung bei neuen
Behandlungsmethoden lückenhaft bleibe und die gesetzliche Regelung teilweise leerlaufe. Nach derzeitigem Stand sei
jedoch kein diesbezüglicher Antrag an den Bundesausschuss gestellt worden. Aufgrund der fehlenden Bewertung sei
die nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 SGB V) geforderte Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit zumindest
fraglich. Nach Nr. 13 der Arzneimittelrichtlinien (AMR) dürfe der Vertragsarzt Arzneimittel mit nicht gesichertem
therapeutischen Nutzen nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnen. Damit scheide die
Verordnung einer Dronabinol-Rezeptur auf Kassenrezept aus. Im Übrigen seien die Vertragsärzte in Schleswig-
Holstein im Nordlicht aktuell, Ausgabe 5/2003, mit einem Artikel von Frau Dr. E. Dietrich, KBV, darüber informiert
worden, dass Rezepturen, die Dronabinol enthielten, nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung seien. Das
der Rezeptur entsprechende Fertigarzneimittel Marinol sei in den USA für die Indikationen "Übelkeit und Erbrechen bei
Krebschemotherapie" zugelassen. Eine Anwendung der Dronabinol-Rezeptur in Analogie zu dem in den USA
zugelassenen Marinol zu Kassenlasten käme nach der derzeitigen Rechtslage nur dann in Betracht, wenn in
Deutschland keine Medikamente zur Behandlung der Übelkeit im Rahmen der Chemotherapie und der Tumorkachexie
zur Verfügung stünden. Dies sei jedoch der Fall. In Deutschland sei eine Reihe von Arzneimitteln zur Behandlung von
Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapie auf dem Markt und auch verordnungsfähig. Die Standardtherapie der
Tumorkachexie bestehe, wie zu Megestat ausgeführt, in der Gabe von hochkalorischen Ernährungslösungen per os,
per Sonde oder parenteral. Appetitanregende Mittel auch zu diesem Zweck solle die Dronabinol-Rezeptur dienen seien
nach Nr. 17.1.o AMR nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnungsfähig.
Gegen diesen Bescheid hat sich der Kläger mit seiner am 1. Februar 2006 bei dem Sozialgericht Kiel erhobenen
Klage gewandt und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen: Die Beklagte habe verkannt, dass die nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu fordernde begründete Aussicht, dass mit dem betreffenden Präparat ein
Behandlungserfolg erzielt werden könne, bereits dann anzunehmen sei, wenn Forschungsergebnisse vorlägen, die
erwarten ließen, dass das Medikament für die betreffende Indikation zugelassen werden könne. Dies sei insbesondere
auch dann der Fall, wenn außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht seien, die
über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich
nachprüfbare Aussagen zuließen und aufgrund dieser in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen
voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne bestehe. Entgegen der Annahme des Beklagten sei eine solche
Datenlage sehr wohl gegeben. Die vorliegenden Studien seien nicht zutreffend bewertet worden. Der Beklagte
verkenne, dass die Gesamtheit der Studien, insbesondere der randomisierten Phase-III-Studien überwiegend ein Bild
positiver Ergebnisse bezüglich Anorexie und Gewichtszunahme ergäben. In diesem Sinne müsse auch das Gutachten
des MDK N vom 17. April 2003 interpretiert werden, weil dort die Datenlage positiv und als ausreichend für die
Begründung eines "individuellen Heilversuches" beschrieben werde. Hinsichtlich der Verordnung von Dronabinol
verhalte es sich ebenso. Auch hier griffen die Grundsätze zum sog. "Off-Label-Use" ein, wie sie vom BSG
niedergelegt seien. Insbesondere handele es sich um die Behandlung schwerwiegender Erkrankungen. Es seien keine
anderen Therapien verfügbar und es habe die begründete Aussicht bestanden, dass mit dem Präparat ein
Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden könne. Der Behandlungserfolg sei in allen Fällen auch
tatsächlich eingetreten. Wenn der angefochtene Bescheid unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK N vom 17.
April 2003 darauf abstelle, dass mit der Verabreichung von hochkalorischer Kost in Form von Elementardiäten aus
Trinknahrung, per Sonde oder parenteralen Ernährungslösungen in der Terminalphase maligner Erkrankungen eine
Standardtherapie zur Verfügung stehe, so sei dies in keiner Weise haltbar. Abgesehen davon, dass eine solche
Behandlung in Anbetracht des Allgemeinzustandes der Patienten medizinisch nicht mehr vertretbar gewesen sei,
hätte eine solche Behandlung überhaupt keinen Sinn mehr ergeben, da es sich bei der Tumorkachexie nicht um das
Problem der Zufuhr von ausreichenden Kalorien, sondern um ein endokrinologisch-immunologisches Problem handele,
das allenfalls medikamentös angegangen werden könne. Soweit darauf abgestellt werde, dass es bislang an einer
positiven Bewertung des Wirkstoffes Dronabinol durch den Gemeinsamen Bundesausschuss gem. § 135 SGB V
fehle, werde auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 verwiesen. Danach sei es
mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 2 Satz 1
GG nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche
Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung
stehe, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn
eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den
Krankheitsverlauf bestehe. Dieser Rechtsgrundsatz sei nicht nur auf die unter dem Bewertungsvorbehalt des
Bundesausschusses stehenden Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung anzuwenden, sondern auch im
Rahmen der bisherigen Rechtsprechung zum "Off-Label-Use" von Arzneimitteln zu berücksichtigen. Infolgedessen sei
es nicht mehr zulässig, im Hinblick auf die Forderung des BSG, nach der aufgrund der Datenlage eine begründete
Aussicht auf einen konkreten Behandlungserfolg bestehen müsse, allzu hohe Evidenzanforderungen zu stellen. Dies
gelte insbesondere bei Einzelimporten nach § 73 Abs. 3 Arzneimittelgesetz (AMG), die eine echte Therapielücke
schlössen. Die Dronabinol-Rezeptur sei hier nicht zur Behandlung von Übelkeit im Rahmen der Chemotherapie,
sondern allein im Hinblick auf die bestehende Tumorkachexie und das Fatiguesyndrom verabreicht worden. Es
komme deshalb überhaupt nicht auf die im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung an, dass es in
Deutschland für die Behandlung von Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapie eine Reihe von verordnungsfähigen
Arzneimitteln auf dem Markt gebe.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 5. Januar 2006 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen, welchen er für zutreffend hält.
Die Beigeladenen haben sich nicht geäußert.
Mit Urteil vom 30. April 2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die verfügten Regresse seien formell und
materiell rechtmäßig. Der Kläger habe das Medikament Megestat außerhalb des Zulassungsrahmens (Off-Label)
verordnet. Die Voraussetzungen, unter denen eine Verordnung gleichwohl zu Lasten der gesetzlichen
Krankenversicherung erfolgen könne, seien nicht erfüllt. Voraussetzung wäre u. a., dass aufgrund der Datenlage die
begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt
werden könne. Davon habe sich die Kammer nicht überzeugen können. Es lägen keine Forschungsergebnisse vor, die
erwarten ließen, dass Megestat für die betreffende Indikation (pharmakologische Beeinflussung des
krankheitsbegleitenden Anorexie-Kachexie-Syndroms bei hormonunabhängigen Tumoren) zugelassen werden könne.
Die Erweiterung der Zulassung sei unstreitig nicht beantragt. Ferner seien auch keine außerhalb eines
Zulassungsverfahrens gewonnenen Erkenntnisse veröffentlicht, die über Qualität und Wirksamkeit des Medikaments
in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen und aufgrund derer
von einem Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne in den einschlägigen
Fachkreisen ausgegangen werden könne. Zwar scheine sich überwiegend, wenngleich im Unterschied zu
Placeboeffekten nicht immer signifikant, ein positiver Effekt hinsichtlich des Anorexie-Kachexie-Syndroms in Form
von Appetitsteigerung, Verbesserung der Nahrungsaufnahme und Gewichtssteigerung einzustellen. Auch die positiven
Studien hierzu seien indes nicht alle randomisiert und lediglich auf kleine Patientenzahlen bezogen. Die
Untersuchungen könnten daher noch nicht als abgeschlossen bezeichnet werden. Nach den in den Akten befindlichen
medizinischen Stellungnahmen seien bereits Wirkungsweise und –mechanismus, Wirksamkeit, Dosierung,
Therapiebeginn und –dauer sowie Nebenwirkungen einschließlich wachstumsstimulierender Wirkung auf Tumorgewebe
nicht ausreichend erforscht. Demzufolge werde auch die Indikation als weiter eingrenzungsbedürftig bezeichnet. Vor
allem erscheine die Wirksamkeit im Hinblick auf das eigentliche Ziel, die Verbesserung der nicht-spezifischen
Bereiche der Lebensqualität, nicht gesichert. Eine Erweiterung der Leistungspflicht der Krankenkassen auf
Behandlungsmethoden, die sich erst im Stadium der Forschung oder Erprobung befänden und (noch) nicht dem
allgemein anerkannten Stand der medizinischen Forschung entsprächen, lasse das Gesetz auch bei schweren und
vorhersehbar tödlich verlaufenden Krankheiten grundsätzlich nicht zu. Dem Einwand des Klägers, in solchen Fällen
müsse ein – wie vorliegend vorgenommener – individueller Heilversuch zu Lasten der Krankenversicherung auch mit
noch nicht ausreichend gesicherten Therapieverfahren möglich sein, könne in dieser allgemeinen Form nicht
Rechnung getragen werden. Das SGB V verlange, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein
anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprächen. Das verbiete es, die Erprobung neuer Methoden und
die medizinische Forschung zu den Versicherungsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu zählen. Die
Einstandspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für eine nicht ausreichend geprüfte Behandlung sei demgemäß
nach geltendem Recht nicht damit zu begründen, dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt eine anerkannte
Heilmethode für die Krankheit des Versicherten nicht gebe. Eine Leistungspflicht der beigeladenen Krankenkasse
bestehe auch nicht bezogen auf das verordnete Dronabinol, weil es an der erforderlichen Empfehlung des
Gemeinsamen Bundesausschusses fehle. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines sog. Seltenheitsfalles bestünden
nicht. Eine Leistungspflicht könne auch nicht aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember
2005 (Az.: 1 BvR 347/98) hergeleitet werden. Voraussetzung wäre, dass eine lebensbedrohliche oder schon in näherer
Zukunft regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung therapiert werden solle. Dabei müsse die Lebensbedrohlichkeit
bzw. der absehbare tödliche Verlauf nach Auffassung der Kammer gerade auf die Indikation zurückgehen, deretwegen
das Medikament verordnet worden sei. Dies sei jedoch vorliegend nicht der Fall. Die von dem Kläger vorgenommene
Verordnung bezwecke nicht die Abwendung der infolge des fortgeschrittenen Lungenkrebses infausten Prognose,
sondern ausschließlich die Beseitigung bzw. Linderung der infolge des krankheitsbegleitenden Anorexie-Kachexie-
sowie des Fatigue-Syndroms bestehenden Einbuße an Lebensqualität. Diese sei jedoch lediglich nachhaltig
beeinträchtigend, aber für sich nicht lebensbedrohlich. Dies könne nicht als ausreichend angesehen werden, um einen
Anspruch auf eine Arzneimittelversorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu begründen.
Gegen das ihm am 3. Juli 2008 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der am 30. Juli 2008 beim Schleswig-
Holsteinischen Landessozialgericht eingegangenen Berufung, zu deren Begründung er sein Vorbringen aus dem
erstinstanzlichen Verfahren wiederholt und vertieft. Das Sozialgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass es an
der Behandlung einer schwerwiegenden Krankheit fehle, weil es bei dem Einsatz von Megestat letztlich um die
Verlängerung einer lebenswerten Zeit bzw. die Palliation mit Verbesserung der Qualität der verbleibenden
Lebensspanne gegangen sei. Eine Differenzierung zwischen Behandlungen schwerwiegender Krankheiten im engeren
und im weiteren Sinne kenne das Gesetz nicht. Auch das Bundessozialgericht nehme eine solche Unterscheidung
nicht vor, wenn es in seiner Rechtsprechung zum Off-Label-Use ausdrücklich auf die Beeinträchtigung der
Lebensqualität und auf den Behandlungserfolg, sei er auch nur palliativ erzielt worden, abstelle. Eine
Behandlungsalternative habe nicht bestanden. Die Verabreichung von hochkalorischer Kost per Sonde oder PEG
komme nicht in Betracht, da es sich bei der Tumorkachexie von Bronchialkarzinompatienten nicht um das Problem
der Zufuhr von ausreichenden Kalorien, sondern um ein endokrinologisch-immunologisches Problem handele, das
medikamentös angegangen werden müsse. Dessen ungeachtet habe der Allgemeinzustand der in der Terminalphase
befindlichen Patienten eine solche Behandlung per Sonde/PEG ohnehin nicht mehr zugelassen. Entgegen der
Auffassung des Sozialgerichts habe nach der Datenlage die begründete Aussicht bestanden, dass mit dem Präparat
ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden könne. Die Gesamtheit der vorliegenden Studien ergebe
überwiegend ein Bild positiver Ergebnisse bei der Behandlung mit Megestat bezüglich Anorexie und
Gewichtszunahme. Das Sozialgericht habe sich zu Unrecht den zum Teil widersprüchlichen Schlussfolgerungen des
Gutachtens des MDK N vom 17. April 2003 angeschlossen. Das Gutachten des MDK N habe die insoweit
einschlägige Literatur nur zu einem Bruchteil ausgewertet. Nach der Fachinformation der Herstellerfirma sei eine
Gewichtszunahme die häufigste Nebenwirkung bei der Behandlung mit Megestat. Diese Gewichtszunahme stehe mit
einem gesteigerten Appetit im Zusammenhang. Dass diese Wirkung nicht nur bei der arzneimittelrechtlich
zugelassenen palliativen Behandlung fortgeschrittener Mammakarzinome, sondern auch bei der Behandlung von
Karzinomen der hier zur Diskussion stehenden Art auftrete, sei gesicherte Erkenntnis und werde durch die in dem
Verfahren zum Aktenzeichen L 4 KA 34/08 von der dort beigeladenen Krankenkasse vorgelegte Zusammenfassung
der Metastudie von Berenstein und Ortiz aus dem Jahr 2005 bestätigt. Die zum Zeitpunkt der Behandlung vorliegende
Zahl von Phase-II-Studien wäre bereits ausreichend für eine Zulassung gewesen. Berücksichtige man die allenfalls
nach Wochen zu bemessende Lebenserwartung der Patienten, so liege es auf der Hand, dass die Vorteile durch die
Verabreichung von Megestat im Hinblick auf die bestehende Tumorkachexie und das Fatiguesyndrom etwaige
Nachteile durch potentielle Nebenwirkungen derart überwögen, dass sie wegen der kurzen Lebenserwartung praktisch
überhaupt nicht ins Gewicht fielen. Außerdem habe das Sozialgericht verkannt, dass sich die Leistungspflicht der
Krankenkasse aus den im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 entwickelten
Grundsätzen zur grundrechtsorientierten Auslegung der einer solchen Leistungspflicht entgegenstehenden Normen
ergebe. Es dürfe nicht danach unterschieden werden, ob die ärztlich verordneten Maßnahmen kurativ oder palliativ
indiziert seien. Bezogen auf das verordnete Dronabinol verneine das Sozialgericht zwar zu Recht eine Leistungspflicht
der Kassen nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften. Aus den dargelegten Gründen hätte die Krankenkasse
jedoch auch für dieses Mittel im Rahmen grundrechtsorientierter Auslegung des Krankenversicherungsrechts eine
Kostenübernahme nicht versagen dürfen. In diesem Zusammenhang sei klarzustellen, dass Dronabinol nicht gegen
Übelkeit im Rahmen der Chemotherapie verordnet worden sei, sondern allein gegen die Tumorkachexie und das
Fatiguesyndrom. Die Verordnung von Dronabinol sei erst erfolgt, nachdem die Verordnung von Megestat nicht
akzeptiert worden sei. Eine geeignete Therapiealternative habe nicht bestanden. Megestat bzw. Dronabinol seien nur
in Einzelfällen bei einer kleinen Zahl von Patienten angewendet worden, die auf andere zugelassene Medikamente,
wie z.B. Cortison, nicht angesprochen hätten. Der beabsichtigte Behandlungserfolg sei tatsächlich eingetreten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 30. April 2008 sowie den Bescheid des Beklagten vom 5. Januar 2006
aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat sich ebenfalls auf die in dem Verfahren zum Aktenzeichen L 4 KA 34/08 von der beigeladenen Krankenkasse
vorgelegte Zusammenfassung der Metastudie von Berenstein und Ortiz bezogen und geltend gemacht, dass danach
kein Hinweis auf das Vorliegen von Phase-III-Studien oder eine Zulassungsreife von Megestat für die hier diskutierte
Anwendung bestehe.
Die Beigeladenen haben sich auch im Berufungsverfahren nicht geäußert.
Die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten und die Prozessakten zu den unter den Aktenzeichen L
4 KA 34/08 und L 4 KA 35/08 geführten Verfahren haben dem Senat vorgelegen. Diese sind Gegenstand der
mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf ihren Inhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass der
angefochtene Bescheid, mit dem der Beklagte gegenüber dem Kläger einen Regress für durchgeführte
Arzneimitteltherapien festgesetzt hat, nicht zu beanstanden ist.
Gemäß § 106 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in den hier maßgebenden Fassungen des GKV-
Gesundheitsreformgesetzes 2000 vom 22. Dezember 1999, BGBl. I S. 2626 (bezogen auf das Quartal II/01) und des
Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetzes vom 19. Dezember 2001, BGBl. I S. 3773 (bezogen auf die Quartale IV/2002
bis III/03) wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung u. a. durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich
verordneter Leistungen, und zwar entweder nach Durchschnittswerten oder anhand von Richtgrößenvolumina und/oder
auf der Grundlage von Stichproben geprüft. Über diese Prüfungsarten hinaus können die Landesverbände der
Krankenkassen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen gemäß § 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V andere arztbezogene
Prüfungsarten vereinbaren (vgl. BSG, Urt. v. 27. Juni 2007 – B 6 KA 44/06 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 17). Von dieser
Kompetenz haben die Partner der Gesamtverträge in Schleswig-Holstein in § 12 Abs. 3 der hier noch maßgebenden
(vgl. BSG, Urt. v. 9. April 2008 – B 6 KA 34/07 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 18) "Gemeinsame Prüfvereinbarung
vertragsärztliche Versorgung" vom 15. Mai 1995 bezogen auf Einzelfallprüfungen bei unzulässiger Verordnung von
Arzneimitteln Gebrauch gemacht. Nach dieser Regelung entscheidet der Prüfungsausschuss auf begründeten Antrag
im Einzelfall auch über einen Anspruch auf Schadensersatz wegen unzulässiger Verordnung von Leistungen, die aus
der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind. Für die Entscheidung über derartige
Anträge sind die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung umfassend zuständig (BSG, Urt. v. 14. März 2001 – B 6 KA
19/00 R, SozR 3-2500 § 106 Nr. 52).
Die Beigeladene zu 1. hat die Anträge auf Prüfung jeweils innerhalb der in § 12 Abs. 4 der Prüfvereinbarung geregelten
Frist von neun Monaten nach Eingang der Überweisungsscheine gestellt. Dies ist auch von den Beteiligten nicht in
Zweifel gezogen worden.
Auch die materiellen Voraussetzungen eines Regresses nach § 12 Abs. 3 der Prüfvereinbarung liegen vor. Der Kläger
durfte weder das Medikament Megestat noch das Medikament Dronabinol zu Lasten der gesetzlichen
Krankenversicherung verordnen, weil die Versicherten keinen Anspruch auf Versorgung mit diesen Arzneimitteln
hatten und eine Leistungspflicht der beigeladenen Krankenkasse nicht bestand. Ein Verschulden des Vertragsarztes
setzt die Feststellung eines Arzneimittelregresses wegen Unwirtschaftlichkeit nicht voraus (ständige Rspr., vgl.
zuletzt BSG, Urt. v. 6. Mai 2009 – B 6 KA 3/08 R, m. w. N.). Der Regress ist zutreffend in Höhe des der
Krankenkasse entstandenen Schadens (vgl. BSG, a. a. O.) festgesetzt worden.
1. Ein Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln besteht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nur nach
Maßgabe des § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i. V. m. § 31 Abs. 1 SGB V. Aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V folgt,
dass im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nur solche Verordnungen zulässig sind, die die Gewähr für
Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit jeweils nach Maßgabe des allgemein anerkannten Standes der
medizinischen Erkenntnisse bieten. Die Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erfolgt bei
Fertigarzneimitteln durch das Zulassungsverfahren nach dem Arzneimittelgesetz. Arzneimittel, denen die erforderliche
arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt, sind deshalb grundsätzlich mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit
nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst (BSG, Urt. v. 28. Februar 2008 – B 1
KR 15/07 R, SozR 4-2500 § 13 Nr. 16, m. w. N.). Dies ist bezogen auf das Medikament Megestat der Fall. Megestat
ist ein Fertigarzneimittel, das zur palliativen Behandlung fortgeschrittener Brustkrebserkrankungen und zur palliativen
Behandlung rezidivierender hochdifferenzierter Gebärmutterkrebserkrankungen zugelassen ist. Die Zulassung
erstreckt sich nicht auf die Behandlung anderer Tumorerkrankungen. Damit waren die vom Kläger vorgenommenen
Verordnungen nicht vom zugelassenen Anwendungsbereich des Medikaments umfasst. Das wird auch vom Kläger
nicht in Abrede gestellt.
2. Auch die Voraussetzungen einer zulassungsüberschreitenden Anwendung des Fertigarzneimittels Megestat auf
Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung (sog. Off-Label-Use) sind nicht erfüllt. Nach ständiger Rechtsprechung
(BSG, Urt. v. 19. März 2002 - B 1 KR 37/00 R, BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr. 8; vgl. BSG, Urt. v. 28.
Februar 2008, a.a.O.) setzt ein zulassungsüberschreitender Einsatz eines Arzneimittels auf Kosten der gesetzlichen
Krankenversicherung voraus, dass es a) um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die
Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, b) dass keine andere Therapie verfügbar ist
und c) dass aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein
Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.
Dass die Patienten des Klägers, die mit Megestat behandelt wurden, an einer lebensbedrohlichen Erkrankung gelitten
haben, unterliegt keinem Zweifel. Zweifelhaft ist jedoch, ob keine andere Therapie verfügbar war. Wie in dem
Gutachten des MDK N vom 17. April 2003 nachvollziehbar dargelegt wird, kann zur Behandlung der tumorinduzierten
Kachexie eine Ernährung mit hochkalorischer Kost erfolgen. Wie der Kläger jedoch ebenfalls nachvollziehbar
dargelegt hat, ist die Gabe hochkalorischer Kost insbesondere nicht geeignet, dem durch die Tumorerkrankung
bedingten Appetitverlust entgegenzuwirken. Außerdem ist bekannt, dass die Gabe hochkalorischer Kost in größeren
Mengen nicht selten zu Verdauungsproblemen (Diarrhoe) führt. Für den Senat ist es in jeder Hinsicht nachvollziehbar,
dass es für die Lebensqualität eines an Krebs erkrankten Patienten in seiner letzten Lebensphase einen erheblichen
Unterschied bedeuten kann, ob er hochkalorische Kost zu sich nehmen muss, um sein Gewicht und seinen
Kräftezustand günstig zu beeinflussen oder ob er mit Appetit natürliche Nahrung zu sich nehmen kann. Insofern
spricht einiges dafür, dass bezogen auf das Therapieziel, den krankhheitsbedingt bestehenden Appetitverlust zu
bekämpfen, eine Therapiealternative nicht besteht.
Im Ergebnis kommt es darauf jedoch nach Auffassung des Senats nicht an. Die Voraussetzungen eines
zulassungsüberschreitenden Einsatzes auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung liegen jedenfalls deshalb
nicht vor, weil es zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Behandlung (vgl. BSG, Urt. v. 15. Februar 2007, a.a.O.,
juris Rz. 21, m.w.N.) an einer aufgrund der Datenlage begründeten Erfolgsaussicht gefehlt hat. Dabei geht der Senat
mit der ständigen Rechtsprechung (vgl. BSG, Urt. v. 28. Februar 2008, a.a.O., juris Rz. 23, m. w. N.) davon aus, dass
von einer hinreichenden Erfolgsaussicht dann ausgegangen werden kann, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die
erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies kann
angenommen werden, wenn entweder (a) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und Ergebnisse
einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht worden sind und
eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder
(b) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und
Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare
Aussagen zulassen, aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen
in dem vorgenannten Sinne besteht.
Diese Voraussetzungen knüpfen an die arzneimittelrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen der §§ 21 ff.
Arzneimittelgesetz (AMG) an und berücksichtigen u. a., dass für den Regelfall des § 22 Abs. 2 AMG das Arzneimittel
nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ausreichend geprüft und die angegebene
therapeutische Wirkung nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse vom Antragsteller
zureichend begründet sein muss, um mit den Zulassungsunterlagen Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des
Mittels hinreichend darzutun (vgl. § 25 Abs. 2 AMG). Von einer ausreichenden Prüfung entsprechend dem "jeweils
gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse" wird bei Arzneimitteln ausgegangen, wenn sie die klinische
Prüfung bis zur Zulassungserteilung, die sich regelmäßig in drei Phasen gliedert, durchlaufen haben (vgl. dazu OVG
Berlin, Urt. v. 25. November 1999 – 5 B 11.98, veröffentlicht in juris; BSG, Urt. v. 26. September 2006 B 1 KR 14/06
R, SozR 4-2500 § 31 Nr. 6). Dabei wird zunächst die Verträglichkeit der Substanz beim Menschen an einer kleinen
Zahl gesunder Probanden untersucht. Wenn die Befunde dieser Phase die weitere Untersuchung der Prüfsubstanz
rechtfertigen, wird in einer Phase II an einer begrenzten Zahl von in der Regel bis etwa 200 Patienten versucht, die
pharmako-dynamische Wirkung des Arzneimittels zu objektivieren. Diese Studien der Phase II dienen dazu, Hinweise
auf erwünschte und unerwünschte Wirkungen, Indikationen und Kontraindikationen zu finden sowie die optimale
Dosierung des Arzneimittels zu ermitteln. Auf der Grundlage der gewonnenen Daten erfolgt in einer Phase III-Studie
der eigentliche Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der neuen Substanz an einer
größeren Zahl von in der Regel mehr als 200 Patienten. Dabei sind Vergleichsgruppen mit Patienten zu bilden, denen
Placebos oder andere Wirkstoffe verabreicht werden und die Zuteilung zu Gruppen hat nach dem Zufallsprinzip zu
erfolgen (randomisierte Studien).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe fehlte es im Zeitraum der durchgeführten Behandlung (Quartal II/2001) an der
Zulassungsreife von Megestat bezogen auf die Verordnung bei anderen Krebserkrankungen als denen, auf die sich die
Zulassung bisher bezieht (Mamma- und Endometriumkarzinome).
Mit dieser Bewertung bezieht sich der Senat zunächst auf das in dem Verwaltungsverfahren zum Parallelrechtsstreit
(L 4 KA 34/08) eingeholte Gutachten der Ärzte für innere Medizin Dr. S und Prof. Dr. H , Kompetenz Centrum
Onkologie des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung N vom 17. April 2003. In diesem Gutachten werden
die vom Kläger auch im vorliegenden Verfahren in Bezug genommenen Veröffentlichungen sowie weitere
Studienergebnisse nachvollziehbar und überzeugend ausgewertet. Forschungsergebnisse, die erwarten lassen, dass
das Arzneimittel für die betreffende Indikation (bösartige unheilbare Bronchialkarzinome) zugelassen werden kann,
lagen danach bis in das Jahr 2003 nicht vor. Voraussetzung wäre das Vorliegen zumindest einer doppelblinden
placebokontrollierten Phase III-Studie an einem größeren Patientenkollektiv mit einheitlicher Vorbehandlung und
standardisierter Erfassung der Parameter zu Lebensqualität und Toxizität. Diesen Anforderungen entsprechen die vom
Kläger im Verwaltungsverfahren vorgelegten und die weiteren von den Gutachtern ermittelten Studien nicht. Teilweise
handelt es sich um nicht randomisierte Studien. Die randomisierten Studien sind überwiegend an kleineren
Patientenzahlen mit unterschiedlichen Tumorarten durchgeführt worden. Auch eine unter Beteiligung des Klägers
veröffentlichte Studie (Heckmayr/Gatzemeier, Dosisfindungs-Studien mit Megestrolacetat bei Patienten mit
Bronchialkarzinom, Bl. 56 der Verwaltungsakte zu dem unter dem Aktenzeichen L 4 KA 34/08 geführten Verfahren)
bezieht sich auf eine verhältnismäßig kleine Zahl von 33 Patienten. Die Ergebnisse bezogen auf die Steigerung von
Appetit und Allgemeinbefinden werden darin als vielversprechend bezeichnet. Gleichzeitig wird konzediert, die Studie
werfe "eine Reihe von Fragen auf, die in weitergehenden Studien beantwortet werden sollten". In diesem
Zusammenhang wird die Überprüfung der subjektiv angegebenen positiven Therapieeffekte in einer Placebo-
kontrollierten Doppelblindstudie für erforderlich gehalten. Diese Beurteilung in der vom Kläger mitverfassten
Veröffentlichung deckt sich weitgehend mit der aus dem Gutachten des MDK N vom 17. April 2003. Darüber hinaus
ist zu berücksichtigen, dass die bei der Behandlung mit Megestat in vielen Studien angegebene signifikante
Verbesserung der tumorassoziierten Anorexie und Kachexie nicht unbedingt mit einer Verbesserung der
Lebensqualität einhergehen muss. Zumindest zeigen einige randomisierte Studien keine Verbesserung gegenüber der
Kontrollgruppe (vgl. die vom Kläger vorgelegte Veröffentlichung von Tchekmedyian/Hickman/Zahyna/Cella, Wirkung
von Megestrolacetat bei Krebspatienten: Einfluss in der palliativen Behandlung und auf die Lebensqualität, Bl. 44 der
Verwaltungsakte zu dem unter dem Aktenzeichen L 4 KA 34/08 geführten Verfahren). Hinzuweisen ist außerdem auf
das nicht unerhebliche Nebenwirkungsprofil von Megestrolacetat. Als häufige Nebenwirkungen werden in der zu dem
Medikament herausgegebenen Fachinformation z. B. Übelkeit/Erbrechen, Diarrhoe, Sodbrennen, Muskelkrämpfe,
Müdigkeit, Kopfschmerzen angegeben. Von besonderer Bedeutung können im vorliegenden Zusammenhang die
ebenfalls als häufige Nebenwirkungen angegebene Thrombose sowie Embolie sein. Wie in dem Gutachten des MDK
N vom 17. April 2003 nachvollziehbar dargelegt wird, besteht bei Tumorpatienten im Vergleich zur Normalbevölkerung
ohnehin ein bereits erhöhtes Risiko für die Entwicklung derartiger Komplikationen. Daher ist zu fordern, dass in einer
doppelblind durchgeführten, Placebo-kontrollierten Phase III-Studie sichergestellt wird, dass aufgrund dieser
Nebenwirkungen nicht eine erhöhte Rate tödlicher thrombotischer oder vaskulärer Komplikationen verursacht wird, die
die Lebenserwartung der Patienten ungünst¬ig beein¬flusst.
Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vom Kläger vertretenen Auffassung lässt auch die im Parallelverfahren
zu dem Aktenzeichen L 4 KA 34/08 von der dort beigeladenen Krankenkasse vorgelegte Zusammenfassung einer
Metaanalyse von Beren¬stein und Ortiz aus dem Jahre 2005 nicht den Schluss auf die Zulassungsreife von Megestat
für die Behandlung von Bronchialkarzinomen zu. In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es
hier auf die Frage der Zulassungsreife zum Zeitpunkt der durchgeführten Behandlung ankommt (BSG, Urt. v. 15.
Februar 2007, a.a.O., juris Rz 21, m.w.N.). Maßgebend ist hier deshalb der Stand der Erkenntnisse im Jahre 2001,
während die in Bezug genommene Metaanalyse erst im Jahre 2005 veröffentlicht wurde. Unabhängig davon belegt die
Metaanalyse, dass eine Zulassungsreife für die Behandlung anderer Krebserkrankungen als die, auf die sich die
Zulassung erstreckt, auch im Jahre 2005 noch nicht gegeben war. Zwar trifft es zu, dass sich die Metaanalyse von
Berenstein und Ortiz, die sich mit 30 Studien auseinandersetzt, auf die Behandlung einer großen Zahl, nämlich über
4.000 Patienten beziehen kann. Die in dem Gutachten des MDK N vom 17. April 2003 näher begründete Forderung
nach zumindest einer doppelblinden placebokontrollierten Phase III-Studie an einem größeren Patientenkollektiv mit
einheitlicher Vorbehandlung wird damit jedoch nicht erfüllt. Außerdem werden nicht nur Studien ausgewertet, die sich
auf Patienten mit unterschiedlichen Krebserkrankungen beziehen, sondern auch Studien an Patienten mit AIDS und
anderen Erkrankungen. Zwar bestätigt die Analyse von Berenstein und Ortiz die Ergebnisse aus einer Reihe vom
Kläger vorgelegter Untersuchungen, nach der Megestat zu einer Verbesserung bezogen auf Appetit und
Gewichtszunahme bei Krebspatienten führt. Bezogen auf die Frage, ob eine Steigerung der Lebensqualität erreicht
werden kann, waren die Studienergebnisse jedoch auch nach dieser Analyse heterogen. Es gab keine ausreichenden
Informationen, um die optimale Dosis definieren zu können. Vor diesem Hintergrund kommen die Autoren der
Metaanalyse zu dem Fazit, dass Megestat Appetit und Gewichtszunahme bei Patienten mit Krebserkrankungen
verbessere, dass aber nicht allgemein der Schluss auf eine Verbesserung der Lebensqualität gezogen werden könne.
Die geringe Zahl der Patienten, methodische Unzulänglichkeiten und dürftige Berichterstattung hätten es den Autoren
nicht ermöglicht, Megestrolacetat zur Behandlung von Aidspatienten oder Patienten mit anderen zu Grunde liegenden
Erkrankungen zu empfehlen. Auch die in dem Parallelverfahren zum Aktenzeichen L 4 KA 34/08 vorgelegte
Zusammenfassung einer Metaanalyse von Lesniak/Bala/Jaeschke/Krzakowski aus dem Jahre 2008 (Effects of
megestrol acetate in patients with cancer anorexia-cachexia syndrome – a systematic review and meta-analysis)
kommt zu einem vergleichbaren Ergebnis: Danach konnte eine vorteilhafte Auswirkung der Behandlung mit Megestat
auf die gesamte Lebensqualität nicht bestätigt werden. Wegen der niedrigen Qualität der einbezogenen Studien wird
eine neue randomisierte, kontrollierte Studie für eine valide Beurteilung für erforderlich gehalten.
Gegen die Zulassungsreife von Megestat für die Behandlung von Anorexie und Kachexie bei
Bronchialkrebserkrankungen im Jahre 2001 spricht auch die Tatsache, dass das Medikament nach der aktuellen zu
dem Medikament herausgegebenen Fachinformation mit Stand von Januar 2009 weiterhin ausschließlich für die
palliative Behandlung fortgeschrittener Mammakarzinome und die palliative Behandlung rezidivierender, hoch
differenzierter Endometriumkarzinome angezeigt ist und dass die Anwendung von Megestat zur Behandlung anderer
neoplastischer Erkrankungen ausdrücklich nicht empfohlen wird. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der vom
Kläger im Berufungsverfahren vorgelegten umfangreichen Auflistung von Studien. Der Kläger hat nicht konkret
dargelegt, dass sich darunter Studien finden würden, die zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen
bezogen auf Qualität und Wirksamkeit von Megestat in dem neuen Anwendungsgebiet zuließen und aus denen der
Schluss gezogen werden könnte, dass bereits zum Zeitpunkt der Behandlung im Jahre 2001 Konsens über den
Nutzen von Megestat in dem neuen Anwendungsgebiet bestünde. Dafür bestehen auch sonst keine Anhaltspunkte.
3. Die Behandlung von Anorexie und Kachexie im Endstadium von (Bronchial-)Krebserkrankungen mit Megestat kann
auch nicht nach den in der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen eines sog. Seltenheitsfalles der
Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung unterfallen. Als Seltenheitsfall werden Erkrankungsfälle
verstanden, die weltweit nur extrem selten auftreten und die deshalb im nationalen wie im internationalen Rahmen
weder systematisch erforscht noch systematisch behandelt werden können und bei denen somit für den
Wirksamkeitsnachweis positive Forschungsergebnisse bzw. einen bestimmten Standard entsprechende
wissenschaftliche Fachveröffentlichungen nicht verlangt werden können (vgl. dazu BSG, Urt. v. 19. Oktober 2004 – B
1 KR 27/02 R, BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 1). Wie in dem Gutachten des MDK N vom 17. April 2003
ausgeführt wird und dem fachkundig besetzten Senat auch bekannt ist, handelt es sich bei dem Bronchialkarzinom
um eine häufige Tumordiagnose. Dass im Endstadium derartiger Erkrankungen häufig Appetitlosigkeit und
Gewichtsverlust auftreten und dass es sich dabei nicht um ein weltweit nur extrem selten auftretendes
Krankheitssymptom handelt, ist allgemein bekannt. Etwas anderes ist von dem Kläger auch nicht geltend gemacht
worden.
4. In Übereinstimmung mit der Auffassung des Sozialgerichts geht der Senat davon aus, dass sich der Anspruch der
vom Kläger behandelten Patienten auf Versorgung mit dem Arzneimittel Megestat auch nicht aus der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts zum Erfordernis einer verfassungskonformen Auslegung leistungsbeschränkender
Vorschriften des SGB V ergibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 6. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 = SozR
4-2500 § 27 Nr. 5). Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem genannten Beschluss vom 6. Dezember 2005
entschieden, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem
Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, für
dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem
Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich
angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder
auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Das Bundessozialgericht hat diese
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sinngemäß auch auf die Versorgung mit nicht zugelassenen
Arzneimitteln angewandt und die Maßstäbe dabei weiter konkretisiert (vgl. BSG, Urt. v. 4. April 2006 – B 1 KR 7/05 R,
BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 4). Danach müssen folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein:
1) Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. 2) Bezüglich dieser Krankheit
steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. 3)
Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode
besteht eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare
positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. 4) Es liegt kein Verstoß gegen das Arzneimittelrecht vor. 5) Unter
Berücksichtigung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes überwiegt bei der vor der Behandlung erforderlichen
sowohl abstrakten als auch speziell auf den Versicherten bezogenen konkreten Analyse und Abwägung von Chancen
und Risiken der voraussichtliche Nutzen. 6) Die - in erster Linie fachärztliche - Behandlung wird auch im Übrigen den
Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend durchgeführt und ausreichend dokumentiert.
Der Senat ist der Auffassung, dass jedenfalls die unter 3) genannte Voraussetzung nicht vorliegt. Eine "nicht ganz
fern liegende Aussicht auf Heilung" bestand bei den behandelten Patienten nach menschlichem Ermessen auch nach
den Darlegungen des Klägers nicht. Die Behandlung mit Megestat hatte erklärtermaßen nicht die Heilung zum Ziel.
Auch eine Verlängerung der Lebensdauer wird als Behandlungsziel vom Kläger nicht angegeben und die Verlängerung
der Lebensdauer wird auch nicht als Fragestellung in einer der vom Kläger vorgelegten Studien zur Wirksamkeit der
Behandlung mit Megestat formuliert. Vielmehr geht es ausschließlich um die Verbesserung der Lebensqualität der
Patienten in der verbleibenden Lebensspanne. Damit stellt sich die Frage, ob die bezweckte Verbesserung der
Lebensqualität insbesondere in Gestalt einer Appetitsteigerung und damit verbunden einer Gewichtssteigerung als
"spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf" im Sinne der oben unter c) genannten Voraussetzung
angesehen werden kann. Nach Auffassung des Senats ist dies nicht der Fall.
Der Senat verkennt nicht die hohe Bedeutung der Lebensqualität gerade für todkranke Menschen in der Endphase
ihrer Erkrankung. Ob die Voraussetzung der angestrebten "spürbaren positiven Einwirkung auf den Krankheitsverlauf"
als erfüllt angesehen werden kann, muss jedoch auch berücksichtigen, dass es hier um die Frage geht, ob eine
Konstellation vorliegt, in der eine grundrechtsorientierte, erweiternde Auslegung der Vorschriften des Rechts der
gesetzlichen Krankenversicherung geboten ist. Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts setzt dies das Vorliegen einer durch nahe Lebensgefahr
gekennzeichneten individuellen Notlage (BVerfG, Beschl. vom 30. Juni 2008 – 1 BvR 1665/07, juris Rz 10) bzw. einer
notstandsähnlichen Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik
voraus, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist (BSG, Urt. v. 14.
Dezember 2006 - B 1 KR 12/06, SozR 4-2500 § 31 Nr. 8, juris Rz. 20). Eine damit vergleichbare Situation besteht bei
der Behandlung von Patienten mit Arzneimitteln, die nicht die Lebenserhaltung, sondern ausschließlich die Erhaltung
der Lebensqualität zum Ziel haben, nach Auffassung des Senats nicht.
a) Dass an das Vorliegen einer notstandsähnlichen Situation hohe Anforderungen zu stellen sind, findet seinen
Ausdruck bereits in der Voraussetzung, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung
vorliegen muss. Dabei verlangt das Bundessozialgericht, dass nach den Umständen des Falles ein voraussichtlich
tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit droht
oder dass der Verlust eines wichtigen Sinnesorganes oder einer herausgehobenen Körperfunktion akut droht (vgl.
BSG, Urt. v. 5. Mai 2009 – B 1 KR 15/08 R, zur Veröffentlichung vorgesehen für SozR 4, Rz. 15, m. w. N.). Das
Vorliegen dieser Voraussetzung und damit einer notstandsähnlichen Situation hat das Bundessozialgericht z.B. bei
einem Prostatakarzinom im Anfangsstadium (BSG, Urt. v. 4. April 2006 B 1 KR 12/05 R, SozR 4-2500 § 27 Nr. 8), bei
massiven Schlafstörungen und daraus resultierenden körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen durch ein
Restless-Legs-Syndrom (BSG, Urt. v. 26. September 2006 B 1 KR 14/06 R, SozR 4-2500 § 31 Nr. 6), bei der
Behandlung eines Schmerzsyndroms (BSG, Urt. v. 27. März 2007 - B 1 KR 30/06 R) oder bei der Behandlung von
multipler Sklerose im Hinblick auf den langen, verzögerten Krankheitsverlauf (BSG, Urt. v. 27. März 2007 - B 1 KR
17/06 R) verneint. Entsprechendes gilt bei einer drohenden Erblindung in 20 bis 30 Jahren (BSG, Beschl. v. 26.
September 2006 - B 1 KR 16/06 B). Damit hat das Bundessozialgericht auch bei Behandlungen, die große Bedeutung
für die Lebensqualität der Patienten haben können, eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach
den Vorgaben aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 abgelehnt.
b) Von den o.g. durch das Bundessozialgericht entschiedenen Fallgestaltungen unterscheidet sich die vorliegende
dadurch, dass die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung der behandelten Patienten, die inzwischen auch verstorben
sind, außer Zweifel steht. Allerdings ging es hier bei der durchgeführten Behandlung mit dem für den
Anwendungsbereich nicht zugelassenen Arzneimittel Megestat von vornherein nicht um die Lebenserhaltung oder
zumindest Verzögerung des Krankheitsverlaufs, sondern ausschließlich um die Behandlung eines
Krankheitssymptoms, nämlich der Appetitlosigkeit und damit verbunden der Tumorkachexie. Die Hoffnung auf Heilung
oder auch nur der Verzögerung des Krankheitsverlaufs in Gestalt einer Verlängerung des Lebens der Patienten war
damit nicht verbunden. Dies wäre nach Auffassung Senats jedoch erforderlich, um das Vorliegen einer
notstandsähnlichen Situation annehmen zu können. Davon geht soweit ersichtlich auch das Bundessozialgericht in
der Tomudex-Entscheidung aus (BSG, Urt. v. 4. April 2006, a.a.O., juris Rz. 31; a.A. jedoch ausdrücklich Zuck,
MedR 2009, 256 ff, 262), indem es im Zusammenhang mit der Frage der hinreichenden Erfolgsaussicht der
Behandlung prüft, ob "zumindest eine Verzögerung des Krankheitsverlaufs hätte erreicht werden können." Die
Situation der vom Kläger behandelten Patienten war nicht mit der von Patienten vergleichbar, die mit der Verwendung
eines nicht zugelassenen Arzneimittels die letzte Hoffnung auf Rettung aus einer unmittelbar lebensbedrohlichen
Situation verbinden. Nur in dieser Situation ist die vom Bundessozialgericht (vgl. Urt. v. 4. April 2006, a. a. O., juris
Rz. 40) befürwortete Differenzierung im Sinne der Geltung abgestufter Evidenzgrade in dem Sinne zu rechtfertigen
dass " je schwerwiegender die Erkrankung und ’hoffnungsloser’ die Situation, desto geringere Anforderungen an die
’ernsthaften Hinweise’ auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg " zu stellen sind. Während bei der
Behandlung schwerwiegend erkrankter Menschen, die die berechtigte Hoffnung auf letzte Rettung aus einer nahezu
aussichtslos erscheinenden Situation haben, auch höhere Risiken bei dem Einsatz eines für die konkrete Anwendung
nicht zugelassenen Medikaments akzeptabel sein mögen, wenn auch nur "ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz
entfernt liegenden Behandlungserfolg" in Gestalt einer Heilung oder wenigstens Verzögerung des Krankheitsverlaufs
bestehen, kann dies nach Auffassung des Senats nicht in gleicher Weise für die Behandlung von
Krankheitssymptomen mit dem alleinigen Ziel der Verbesserung der Lebensqualität und ohne Aussicht auf Heilung
oder Verzögerung des Krankheitsverlaufs gelten. Dies wird gerade bei der hier angestrebten Behandlung von
Appetitlosigkeit und Kachexie bei Patienten mit Krebserkrankungen deutlich. Die vorliegenden Studien haben sich mit
der Frage, ob eine Verzögerung des Krankheitsverlaufs in Gestalt einer Lebensverlängerung durch die Behandlung mit
Megestat erreicht werden kann, von vornherein nicht befasst oder keinen positiven Effekt feststellen können.
Allerdings geben sie Hinweise darauf, dass eine Verbesserung von Appetit und Gewichtszunahme zu erreichen ist.
Ein eindeutiger Beleg dafür, dass damit auch eine Steigerung der Lebensqualität verbunden war, fehlt dagegen. Umso
stärker fallen vor dem Hintergrund des Behandlungsziels (Erhöhung der Lebensqualität) die Nebenwirkungen ins
Gewicht, die nicht nur die Lebensqualität (häufiges Auftreten von Übelkeit/Erbrechen, Diarrhoe, Sodbrennen, u. a.),
sondern die auch die Lebenserwartung der Patienten ungünstig beeinflussen können. In diesem Zusammenhang sind
die bei der Anwendung von Megestat häufig auftretenden thromboembolischen und vaskulären Komplikationen von
besonderer Bedeutung.
c) Die hier vorgenommene Auslegung dahin, dass die Behandlung der Heilung oder einer spürbaren positiven
Einwirkung auf den Krankheitsverlauf mit dem Ziel einer Verlängerung der Lebensdauer dienen muss, vermeidet, dass
bei der ambulanten Palliativversorgung von Versicherten mit einer nicht heilbaren, fortschreitenden und weit
fortgeschrittenen Erkrankung bei einer zugleich begrenzten Lebenserwartung (vgl. § 37b Abs. 1 Satz 1 SGB V) das
Erfordernis der Zulassung der angewandten Arzneimittel weitgehend an Bedeutung verliert. Dabei geht der Senat
davon aus, dass gerade lebensbedrohlich erkrankte Versicherte mit begrenzter Lebenserwartung nicht inakzeptablen
und unkalkulierbaren Risiken ausgesetzt werden dürfen. Der Vermeidung dieser Risiken dient gerade die
arzneimittelrechtlich vorgesehene Kontrolle der Sicherheit und Qualität. Deshalb geht der Senat mit dem BSG (vgl.
Urt. v. 28. Februar 2008, a.a.O., Rz. 33) davon aus, dass Ausnahmen vom Zulassungserfordernis der verordneten
Arzneimittel nur in engen Grenzen aufgrund einer Güterabwägung anerkannt werden können. Diese Grenzen würden
überschritten, wenn das Zulassungserfordernis für verordnete Arzneimittel in der gesamten Palliativversorgung
erheblich an Bedeutung verlieren würde.
5. Auch auf das vom Kläger in den Quartalen IV/2002 bis III/2003 verordnete Dronabinol hatten die Patienten keinen
Anspruch aus der gesetzlichen Krankenversicherung. Dronabinol (Delta-9-Tetrahydrocan¬nabinol) ist der
Hauptwirkstoff der Cannabispflanze (Cannabis sativa). In den USA ist ein Fertigarzneimittel mit diesem Wirkstoff
unter dem Handelsnamen Marinol für die Behandlung chemotherapiebedingter Übelkeit sowie zur Therapie der
Kachexie und Appetitstimulation von Aidspatienten zugelassen. Weder in Deutschland noch in anderen Ländern der
europäischen Union gibt es für cannabinoidhaltige Fertigarzneimittel eine Zulassung. Damit kommt auch eine
zulassungsüberschreitende Anwendung (Off-Label-Use) von vornherein nicht in Betracht (vgl. BSG, Urt. v. 19. März
2002, a.a.O.). In Deutschland wird Dronabinol als Rezeptursubstanz hergestellt und an Apotheken geliefert. Die
Verordnung ist – wie der Einzelimport nach § 73 Abs. 3 AMG - betäubungsmittelrechtlich zulässig (vgl. BSG, Urt. v.
27. März 2007 – B 1 KR 30/06 R, SGb 2007, 287). Nach ständiger Rechtsprechung, der auch der Senat folgt, dürfen
die Krankenkassen ihren Versicherten jedoch eine neuartige Therapie mit einem Rezepturarzneimittel nicht gewähren,
solange diese vom Gemeinsamen Bundesausschuss nicht empfohlen ist. An einer solchen Empfehlung fehlte es im
hier maßgebenden Zeitraum der Behandlung bezogen auf die Therapie mit Dronabinol (vgl. BSG, Urt. v. 27. März
2007, a.a.O.). Auch die Voraussetzungen eines sog. Seltenheitsfalles sind – wie oben dargelegt – nicht erfüllt und
eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bestand auch nicht nach den in der Rechtsprechung
entwickelten Voraussetzungen eines sog. Systemversagens, weil in dem hier maßgebenden Zeitraum der Behandlung
noch nicht einmal ein Prüfantrag für cannabinoidhaltige Rezepturarzneimittel an den Gemeinsamen Bundesausschuss
gestellt worden war (vgl. BSG, Urt. v. 27. März 2007, a.a.O.).
Die Anwendung der Maßstäbe aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (a.a.O.)
führt zu keinem anderen Ergebnis. Dazu wird auf die obigen Darlegungen zur Behandlung mit dem für die
entsprechende Indikation nicht zugelassenen Arzneimittel Megestat verwiesen. Eine notstandsähnliche Situation, die
die Anwendung eines Rezepturarzneimittels ohne die grundsätzlich erforderliche Empfehlung des Gemeinsamen
Bundesausschusses ermöglichen würde, liegt nach Auffassung des Senats in der hier bestehenden Fallkonstellation
der palliativen Behandlung mit dem Ziel der Verbesserung der Lebensqualität in der letzten Lebensphase nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 2
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig,
weil diese sich nicht durch die Stellung eigener Sachanträge an dem Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt haben (§
162 Abs. 3 in Verbindung mit § 154 Abs. 3 VwGO).
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Frage,
ob eine notstandsähnliche Situation bei der palliativen Behandlung von Versicherten mit begrenzter Lebenserwartung
in Betracht kommt, wenn die Behandlung allein die Steigerung der Lebensqualität, nicht dagegen eine Beeinflussung
des Krankheitsverlaufs im Sinne wenigstens einer Verzögerung oder gar eine Heilung bezweckt, ist in der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, soweit ersichtlich, bisher nicht geklärt.
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