Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 22.01.2003

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Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Urteil vom 22.01.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Schleswig S 1 VG 20/01
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 2 VG 21/02
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Schleswig vom 27. Februar 2002 wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird
nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG)
hat.
Der 1964 geborene Kläger ist Schweizer Staatsbürger. Mit seiner am 15. Januar 1998 bei der Staatsanwaltschaft
Flensburg eingegangenen Strafanzeige machte er geltend, er habe während seines Urlaubs auf der Insel S im
Juni/Juli 1997 den in W wohnhaften Herrn A L kennen gelernt. Sie seien bei der 3 stündigen Unterhaltung und dem
näheren Kennenlernen auch auf das Thema "Aids" zu sprechen gekommen. Er habe Herrn L. wahrheitsgemäß
geantwortet, dass er sich im Februar 1997 zum letzten Mal mit seinem damaligen Lebensgefährten auf Aids habe
testen lassen. Beide Tests seien negativ, also ohne eine HIV Infektion, gewesen. Herr L. habe auf seine Frage
geantwortet, auch er sei negativ und ohne HIV Infektion. Da sie sich beide sehr zugetan gewesen seien und auch
beide Lust auf Sex miteinander gehabt hätten, seien sie so gegen 23:00 Uhr in die Wohnung des Herrn L. gegangen.
Dort habe ihm Herr L. auch sein letztes Testergebnis gezeigt, das laut Laborbefund sowohl bei HIV 1 wie auch bei
HIV 2 negativ gewesen sei. Daraufhin hätten sie Geschlechtsverkehr ohne Kondome ausgeübt. Die nächsten vier
Tage seien sie weiter ständig bis auf wenige Stunden zusammen gewesen. Am frühen Morgen des fünften
gemeinsamen Tages sei er vor Herrn L. aufgewacht und habe zufällig ein Schreiben in die Hände bekommen, aus
dem der Behindertenstatus des Herrn L. und Ansprüche auf Rente wegen HIV Aids Infizierung festgehalten gewesen
seien. Er habe dann fluchtartig die Wohnung von Herrn L. verlassen und sei noch am selben Tag abgereist. Seit dem
22. Dezember 1997 habe er nun die eigene Bestätigung, dass er HIV Aids positiv sei. Er wisse zu 100 Prozent, dass
er sich nur bei Herrn L. infiziert haben könne, da seine beiden anderen Sexualpartner im Zeitraum vom 9. April 1996
Haftentlassung und im Juli 1997 bekannt seien und er andere Partner außer Herrn L. nicht gehabt habe.
Dieser Aussage wolle er gleichzeitig hinzufügen, dass er gegenüber Herrn L. straffällig geworden sei, indem er ihm
seine Geldbörse und Schecks gestohlen habe.
Der Befund einer positiven HIV 1 Infektion des Klägers ergibt sich aus Befundberichten einer Gemeinschaftspraxis für
Laboratoriumsmedizin in D (28.11.1997) und des Landesgesundheitsamtes B (12.12.1997).
In einem Vermerk der Kriminalpolizeiaußenstelle W vom 9. März 1998 ist u. a. festgehalten, der Kläger sei auf dieser
Dienststelle bekannt. Im Jahre 1997 sei ein Ermittlungsverfahren wegen "Einmietebetruges, 2 maligen Einkaufes mit
ungedeckten Schecks, Diebstahls von Schecks, EC und Kreditkarten zum Nachteil des Herrn L " anhängig gewesen.
Der Kläger sei hier unter dem Namen van Da aufgetreten.
Der 1965 geborene Herr L erklärte nach dem Inhalt eines von der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Flensburg
veranlassten Gutachtens von Prof. Dr. H und der Stationsärztin Dr. Sa von der Klinik für Psychiatrie und
Psychotherapie II im Krankenhaus Ba Ost (27.03.2000 StA Flensburg 106 Js 1927/98 ) u. a., er habe im Juni 1997
den Ankläger an das genaue Datum könne er sich nicht mehr erinnern kennen gelernt. Dieser habe sich als Dr. M. van
Da vorgestellt. Beim Kennenlernen habe Herr L. ihn über seine HIV Positivität und Aidserkrankung aufgeklärt dies
teile er immer mit, wenn er jemand Neues kennen lerne. Auf S habe jeder von seiner Erkrankung gewusst. Der
Ankläger hätte berichtet, er sei selber positiv und es würde nichts ausmachen. Da Herr L. sich sehr einsam gefühlt
habe und der Ankläger ihn aus seiner Sicht sehr umworben habe, habe er ihn (während dessen Urlaubszeit) bei sich
einziehen lassen. Herr L. berichte weiter, in der 5. und 6. Nacht sei es dann zu sexuellen Handlungen gekommen, am
nächsten Morgen sei Herr van Da dann verschwunden. Insgesamt seien ihm Bargeld (wie viel, wisse er nicht mehr),
seine Visa Karte und Schecks, die Bahncard, der Personalausweis und der Führerschein gestohlen worden. Daraufhin
hätte er eine Anzeige in W /S erhoben.
Das auf Grund der Strafanzeige vom 15. Januar 1998 wegen gefährlicher Körperverletzung gegen Herrn L. eingeleitete
Strafverfahren ist am 28. Juli 2000 gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt worden, da eine
Schuldunfähigkeit des Beschuldigten zum Tatzeitpunkt nach dem Inhalt der eingeholten Gutachten nicht habe
ausgeschlossen werden können.
Mit seinem am 29. Januar 2001 beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe eingegangenen Antrag beantragte der Kläger
unter Hinweis auf den vorgenannten Sachverhalt Opferentschädigung. Er machte dazu ergänzend gegenüber dem
Beklagten geltend, bei ihm sei die Krankheit sehr schnell ausgebrochen. Er sei nunmehr seit März 2000 nicht mehr in
der Lage, in seinem angestammten Beruf zu arbeiten. Er sei durch das hinterhältige Verhalten des Herrn L. mit dem
HI Virus infiziert worden. Den Antrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 23. Mai 2001 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2001 mit der Begründung ab, es könne dahingestellt sein, ob ein ursächlicher
Zusammenhang zwischen seiner Erkrankung und den sexuellen Kontakten zu Herrn L. gegeben sei.
Entschädigungsleistungen seien nach der Regelung in § 2 OEG zu versagen. Er habe mit einer Zufallsbekanntschaft
im Urlaub Sexualpraktiken ausgeübt, ohne sich gegen eine Infizierung zu schützen. Die Gefahr einer Infizierung mit
dem Aids Virus bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr sei ihm bekannt gewesen, wie der Schilderung seines
Kennenlernens zu entnehmen sei. Wenn er sich in Kenntnis dieser Gefährdung darauf eingelassen habe, müsse ihm
eine wesentliche Mitverursachung seiner Schädigung zugeordnet werden. Es sei unerheblich, dass Herr L. ihm einen
Nachweis gezeigt haben solle, demzufolge er HIV negativ sei. Auch dann wäre eine wesentliche Mitverursachung
durch ihn zu bejahen. Diese Rechtsauffassung entspreche der Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts (Urteil
vom 18. Oktober 1995 9 RVg 5/95 ).
Zur Begründung seiner hiergegen am 18. Juli 2001 zunächst beim Sozialgericht Itzehoe eingelegten Klage, das den
Rechtsstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht Schleswig verwiesen hat, hat der Kläger im Wesentlichen sein
Vorbringen gegenüber der Staatsanwaltschaft und gegenüber dem Beklagten wiederholt und ergänzend vorgetragen,
er sei im guten Glauben von der Richtigkeit des durch den Täter vorgewiesenen negativen Aids Tests ausgegangen
und habe somit nicht eine wesentliche Bedingung für den Eintritt der Schädigung beigetragen.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 23. Mai 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2001 aufzuheben und den
Beklagten zu verurteilen, eine Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz zu gewähren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide verwiesen.
Das Sozialgericht hat durch Gerichtsbescheid vom 27. Februar 2002 die Klage abgewiesen. In den
Entscheidungsgründen ist im Wesentlichen ausgeführt: Nach § 1 Abs. 1 OEG habe derjenige Anspruch auf Leistung,
der infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch
dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Unter einem "tätlichen Angriff" im Sinne
des § 1 Abs. 1 OEG sei auch die Beibringung von lebensgefährlichen Krankheitserregern als eine gegen einen
anderen gerichtete feindliche Aktion anzusehen, auch wenn eine besondere Kraftentfaltung nicht erforderlich und der
Vorsatz nur bedingt gewesen sei (vgl. Urteil des BSG vom 18. Oktober 1995 Az. 9 RVg 5/95, SozR 3 3800 § 2 Nr. 3).
Nach dem vom Kläger eingereichten forensisch psychiatrischen Gutachten vom 1. Juli 1999 habe der Schädiger, Herr
L , seine Erkrankung und die damit verbundene Ansteckungsgefahr gekannt, so dass sofern der Schädiger
nachweislich die einzige Ansteckungsquelle im Hinblick auf die Aids Infektion sein sollte von einem tätlichen Angriff
im Sinne des Gesetzes auszugehen sei.
Eine Entschädigung komme hingegen nach § 2 Abs. 1 OEG nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift seien
Leistungen zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht habe, oder wenn es aus sonstigen,
insbesondere in seinem eigenen Verhalten liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Der Kläger
sei als Partner des Geschlechtsverkehrs und Opfer der dabei erfolgten Übertragung von Krankheitserregern in
besonders deutlicher Weise unmittelbar am schädigenden Geschehensablauf beteiligt gewesen. Die Beteiligung des
Klägers an seiner Schädigung sei aber als gleichwertige Mitverursachung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG zu
beurteilen. Nach dem Hauptzweck des § 2 Abs. 1 OEG habe die Folgen selbst zu tragen, wer bewusst oder
leichtfertig ein hohes Risiko eingehe; das OEG schütze ihn dann nicht. Nach der zitierten Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts habe, wer sich freiwillig auf ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einer Zufallsbekanntschaft
einlasse, eine dabei erworbene Aids Infektion wesentlich mitverursacht und deshalb keinen Anspruch auf Versorgung
nach dem OEG. Der durch diesen Leitsatz erfasste Sachverhalt weiche nicht ab von der Schilderung, die der Kläger
selbst gegeben habe.
Gegen diesen ihm am 14. März 2002 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit seiner am 18. März
2002 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingelegten Berufung. Zur Begründung wiederholt er im
Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, er habe nicht leichtfertig gehandelt, sondern in
gutem Glauben den Angaben des Herrn L über das Ergebnis des Aids Tests vertraut.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Schleswig vom 27. Februar 2002 und den Bescheid des Beklagten vom 23.
Mai 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen,
ihm ab 1. Januar 2001 unter Anerkennung der Schädigungsfolge "Erkrankung an Aids" Versorgung nach dem OEG zu
gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Die den Kläger betreffende Akte des Beklagten und die Akte der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Flensburg
106 Js 1927/98 - einschließlich drei Sonderheften haben dem Senat vorgelegen. Der Inhalt dieser Akten ist
Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Die angefochtenen Entscheidungen sind zu bestätigen, weil sie der rechtlichen und tatsächlichen Nachprüfung im
Berufungsverfahren standhalten.
Der Senat sieht gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer Wiedergabe seiner Entscheidungsgründe
ab und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf den angefochtenen Gerichtsbescheid und in entsprechender
Anwendung von § 153 Abs. 2 SGG auf den Beschluss des Senats vom 17. Dezember 2001 in dem vorangegangenen
PKH-Verfahren. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch im vorliegenden Fall kein tatsächlicher
Anlass zur Abweichung von den Grundsätzen besteht, die in dem auch vom Sozialgericht zitierten Urteil des BSG
vom 18. Oktober 1995 (SozR 3-3800 § 2 Nr. 3) niedergelegt sind. Zwar hebt der Kläger auch im Berufungsverfahren
weiterhin hervor, er habe nicht leichtfertig gehandelt, sondern in gutem Glauben den Angaben des Herrn L. über das
Ergebnis des Aids-Tests vertraut. Diese Angaben des Klägers stehen zwar im Widerspruch zu den Angaben des
Herrn L., nach welchen Herr L. den Kläger über seine HIV-Positivität und Aids-Erkrankung aufgeklärt habe, wie er dies
immer mitteile, wenn er jemand Neues kennen lerne. Aber auch wenn man die Angaben des Klägers über die
Täuschung durch Herrn L. mit einem nicht zutreffenden Testergebnis als zutreffend unterstellt, ist mit der
Rechtsprechung des BSG ein Anspruch des Klägers auf Versorgung nach dem OEG zu verneinen. Zwar ist der vom
BSG entschiedene Fall teilweise anders gelagert. Entscheidend bleibt aber, dass nach den vom BSG entwickelten
Grundsätzen im Opferentschädigungsrecht u. a. die leichtfertige Selbstgefährdung in Fällen einer hohen Gefahr immer
als Leistungsausschlussgrund nach § 2 OEG zu beurteilen ist (BSG, a.a.O. auf S. 9 in der Mitte m.w.H.). Das BSG
führt in dem zitierten Urteil a.a.O. weiter unten ferner aus, dass auch schon im Jahre 1995 die Höhe der Gefahr, in die
sich jemand durch die Einlassung auf ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einer Zufallsbekanntschaft begab, sich
auch an dem Umstand gezeigt hat, dass schon damals vor ungeschütztem Verkehr zwischen zufällig Bekannten
ständig öffentlich gewarnt worden ist. Die Höhe dieser Gefahr konnte auch wegen der starken Gefährlichkeit dieser
Erkrankung und der nicht stets eindeutig zuverlässigen Aussagekraft von Testungen durch Vorlage von Tests nicht
ausgeschlossen werden. Der Kläger hat sich aber im Sinne der Rechtsprechung des BSG auf ungeschützten
Geschlechtsverkehr mit einer Zufallsbekanntschaft eingelassen, sich damit leichtfertig selbst gefährdet und damit die
Schädigung gleichwertig mitverursacht mit der Folge, dass er keinen Anspruch auf Versorgung nach dem OEG hat.
Der angefochtene Gerichtsbescheid ist deshalb zu bestätigen.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten folgt aus § 193 SGG, die über die Nichtzulassung der Revision
aus § 160 SGG.