Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 25.05.2010

LSG Shs: rückforderung, erlass, leistungsanspruch, verfügung, billigkeit, hauptsache, auszahlung, deckung, zivilprozessordnung, ausnahme

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Beschluss vom 25.05.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht Lübeck S 7 AS 1100/09
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 3 AS 64/10 B PKH
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 11. März 2010 wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die leistungsrechtlichen Folgen der Rückforderung von Kindergeld.
Die 1956 geborene Klägerin bezog seit dem 1. Januar 2005 für sich und ihren 1988 geborenen Sohn O Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Ihr 1983 geborener Sohn M
-C , der seinerzeit im Haushalt der Klägerin wohnte, bezog aufgrund ihm gegenüber ergangener gesonderter
Bewilligung ebenfalls Leistungen nach dem SGB II, wobei das für ihn gezahlte Kindergeld auf seinen
Leistungsanspruch angerechnet wurde. Infolge der zum 1. Juli 2006 wirksam gewordenen Änderung des § 7 Abs. 3
Nr. 4 SGB II wurde der Sohn M -C ab diesem Datum der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin zugeordnet und in den an
die Klägerin adressierten Änderungsbescheiden berücksichtigt. Insoweit wurde das für M -C gezahlte Kindergeld seit
dem 1. August 2006 auf den Leistungsanspruch angerechnet (vgl. Aufhebungsbescheid vom 5. Oktober 2006 in der
Fassung des Änderungsbescheides vom 24. Januar 2007 und des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2007).
Mit Bescheid vom 22. Februar 2008 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 7. Mai 2008 und der
Einspruchsentscheidung vom 7. Mai 2008 hob die Familienkasse Bad Oa die Festsetzung des Kindergeldes für M -C
ab November 2004 bis März 2006 sowie von September 2006 bis August 2007 auf und forderte die Erstattung des für
diese Zeiträume gezahlten Kindergeldes in Höhe von 4.466,00 EUR. Zur Begründung heißt es in der
Einspruchsentscheidung, dass für diese Zeiträume die Berücksichtigungsvoraussetzungen nicht vorgelegen hätten
bzw. nicht nachgewiesen seien. Insbesondere seien keine ausreichenden Nachweise über die ernsthafte
Ausbildungsstellensuche vorgelegt worden. M -C sei auch nicht als Bewerber bei der Berufsberatung der
Bundesagentur für Arbeit geführt worden. Das schließe eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Nr. 2c
Einkommensteuergesetz (EStG) aus.
Im anschließenden finanzgerichtlichen Verfahren (Finanzgericht Kiel, Az. 1 K 88/08) verpflichtete sich die
Familienkasse im Termin am 3. Juni 2009, die ergangenen Bescheide dahin abzuändern, dass eine Rückforderung auf
die Zahlungszeiträume November 2004 bis Januar 2005, Mai 2005 bis März 2006 sowie September 2006 bis April
2007 beschränkt werde. Der verbleibende Erstattungsbetrag wurde mit 2.772,00 EUR beziffert. Hierauf erklärte die
Klägerin das finanzgerichtliche Verfahren in der Hauptsache für erledigt.
Die ihr von der Klägerin zugeleitete Abschrift der Niederschrift vom 3. Juni 2009 nahm die Beklagte zum Anlass, ein
Überprüfungsverfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) einzuleiten. Mit Bescheid vom 17. Juli
2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2009 teilte sie der Klägerin mit, dass es bei
den ergangenen und bindend gewordenen Bewilligungsbescheiden verbleibe. Denn die Klägerin habe nichts
vorgebracht, was für die Unrichtigkeit dieser Entscheidungen sprechen könnte. Soweit die Klägerin geltend gemacht
habe, dass das angerechnete Kindergeld zurückzuzahlen sei, führe dieser Einwand zu keiner anderen Entscheidung.
Zu beachten sei, dass das Kindergeld in den jeweiligen Leistungszeiträumen zum Lebensunterhalt zur Verfügung
gestanden habe und auch verbraucht worden sei.
Hiergegen hat die Klägerin am 1. Oktober 2009 bei dem Sozialgericht Lübeck Klage erhoben, über die eine
Entscheidung noch nicht ergangen ist. Sie beantragt in der Hauptsache nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Juli 2009 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 14. September 2009 die Bewilligungsbescheide für die Zeiträume November 2004 bis
Januar 2005, Mai 2005 bis März 2006 sowie September 2006 bis April 2007 in Bezug auf nichtanrechenbares
Kindergeld abzuändern.
Die Beklagte tritt der Klage entgegen.
Mit Beschluss vom 11. März 2010 hat das Sozialgericht der Klägerin die für das Klageverfahren nachgesuchte
Prozesskostenhilfe versagt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage habe keine hinreichenden
Erfolgsaussichten. Denn auch vor dem Hintergrund der anstehenden Rückzahlung des Kindergeldes erweise sich die
damalige Anrechnung nicht als rechtswidrig. Das Kindergeld habe - unabhängig davon, ob es mit der Möglichkeit einer
Rückforderung belastet gewesen sei - Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II dargestellt und sei damit bei der
Bemessung der zu bewilligenden Leistungen nach dem hier geltenden Zuflussprinzip anzurechnen gewesen. Das SGB
II sehe keine hier greifende eine Anrechnung ausschließende Regelung vor. Die Klägerin bzw. ihre
Bedarfsgemeinschaft sei letztlich auf den Versuch zu verweisen, die Kindergeldkasse zu einem Erlass der
Rückforderung zu bewegen, zumal in dem Fall, dass das zu Unrecht gezahlte Kindergeld mit Leistungen nach dem
SGB II zusammenfalle, der Ausgleich betreffend das zu Unrecht gezahlte Kindergeld wohl grundsätzlich im Verhältnis
der Kindergeldkasse zu dem SGB II-Leistungsträger stattfinde.
Gegen den Beschluss vom 11. März 2010 richtet sich die am 22. März 2010 eingegangene Beschwerde der Klägerin.
Sie macht geltend: Ihrer Auffassung nach könne hier nicht das Zuflussprinzip gelten. Es entspreche nicht der
Billigkeit, dass die Beklagte sich hier aus der Verantwortung stehle. Fakt sei, dass die Kindergeldkasse einem Erlass
der Rückforderung gerade nicht zugestimmt habe. Sie - die Klägerin - habe hierüber mit der Kasse vor dem
Finanzgericht gestritten. Für die in Rede stehenden Zeiträume hätten ihr - der Klägerin - die zunächst gezahlten
Kindergelder nicht zugestanden. Gleichwohl habe die Beklagte eine entsprechende Anrechnung vorgenommen. Es
entspreche deshalb der Billigkeit, dass die Beklagte die in Rede stehenden Beträge für sie - die Klägerin - übernehme
und an die Familienkasse weitergebe.
Die Beklagte stützt den angefochtenen Beschluss.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht
hat die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu Recht wegen Fehlens hinreichender
Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung (§ 73a Sozialgerichtsgesetz [SGG] i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung [ZPO])
abgelehnt.
Soweit es um Leistungszeiträume von November 2004 bis Januar 2005 und Mai 2005 bis März 2006 geht, kann die
Klage schon deshalb keinen Erfolg haben, weil Bescheide, in denen das für ihren Sohn M -C gezahlte Kindergeld auf
Leistungen nach dem SGB II angerechnet wurde, gegenüber der Klägerin gar nicht ergangen sind. Leistungen nach
dem SGB II sind ohnehin erst ab 1. Januar 2005 gewährt worden, und bis zum 30. Juni 2006 sind gegenüber dem
Sohn der Klägerin gesonderte Bewilligungsbescheide ergangen, weil dieser vor der zum 1. Juli 2006 wirksam
gewordenen Änderung des § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft war. In Bezug auf die dem
Sohn M -C gegenüber ergangenen Bescheide fehlt der Klägerin die Aktivlegitimation zur Betreibung eines Verfahrens
nach § 44 SGB X.
Soweit es um den Leistungszeitraum von September 2006 bis April 2007 geht, hat das Sozialgericht zu Recht
ausgeführt, dass das Kindergeld als Einkommen auf den Leistungsanspruch nach dem SGB II anzurechnen war (vgl.
§ 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II). Die Beklagte hat dabei auch das sog. Zuflussprinzip in nicht zu beanstandender Weise
berücksichtigt. Laufende Einnahmen sind nämlich für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen (ständige
Rechtsprechung, vgl. zuletzt Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 18. Februar 2010, B 14 AS 86/08 R,
veröffentlicht in juris). Zwar mag eine Ausnahme für den Fall gelten, dass ausbezahltes Kindergeld bereits im
Zeitpunkt der Auszahlung mit einer Rückzahlungsverpflichtung belastet war und dem Leistungsempfänger unter
wirtschaftlichen Gesichtspunkten zur Deckung seines Lebensunterhalts nicht mehr zur Verfügung stand (vgl. so
Sozialgericht Detmold, Urteil vom 31. März 2009, S 8 AS 61/08, veröffentlicht in juris). Ein solcher Fall lag hier
indessen nicht vor, weil die Rückzahlungsverpflichtung vorliegend erst zu einem späteren Zeitpunkt (durch den Erlass
der Rückforderungsbescheide bzw. deren Modifizierung im finanzgerichtlichen Verfahren) konkretisiert worden ist.
Anders als in dem von dem Sozialgericht Detmold entschiedenen Fall vermag der Senat auch nicht davon
auszugehen, dass der Kindergeldanspruch bereits im Zeitpunkt der Auszahlung aus materiell-rechtlichen Gründen
nicht mehr bestand. Dass nämlich insoweit die Anspruchsvoraussetzungen nicht mehr vorlagen und die
Kindergeldkasse nach § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG zur Aufhebung der Bewilligung verpflichtet war, stand - wie auch der
weitere Verlauf des Verfahrens betreffend das Kindergeld bis hin zum finanzgerichtlichen Verfahren belegt - seinerzeit
keinesfalls fest.
Im Zeitpunkt der Anrechnung des Kindergeldes auf den Leistungsanspruch nach dem SGB II stand das Kindergeld
zur (teilweisen) Deckung des Lebensunterhalts zur Verfügung und ist ersichtlich auch entsprechend verwendet
worden.
Dass das leistungsmindernd berücksichtige Kindergeld nach dem Ergebnis des finanzgerichtlichen Verfahrens
nunmehr zurückzuzahlen ist, ändert nichts an der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Bewilligungsbescheide. Denn
die Beklagte hat bei Erlass ihrer Bewilligungsentscheidungen nicht objektiv falsch gehandelt, so dass für die
Anwendung von § 44 SGB X kein Raum ist.
Rückwirkende Änderungen der Sach- oder Rechtslage sind nach § 48 Abs. 1 SGB X zu beurteilen, und zwar auch
dann, wenn die Änderung der Verhältnisse auf den Zeitpunkt des Bescheiderlasses oder davor zurückwirkt (vgl.
Schütze in von Wulffen, SGB X, 6. Aufl. § 44 Rz 9). Dies ist allerdings nicht Gegenstand des anhängigen
Rechtsstreits, dem allein die nach § 44 SGB X erlassenen Bescheide der Beklagten zugrunde liegen. Es verbietet
sich auch gemäß § 43 Abs. 3 SGB X, den Bescheid vom 17. Juli 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 14. September 2009 in Bescheide nach § 48 SGB X umzudeuten, weil eine rückwirkende Änderung der
Bewilligungsentscheidungen zugunsten der Klägerin (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X) eine Ermessensentscheidung
darstellt, während es sich bei Entscheidungen nach § 44 SGB X um gebundene Entscheidungen handelt. Ob hier eine
Bewilligung höherer Leistungen für die Zeit von September 2006 bis April 2007 nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X
erfolgen kann, muss ggf. außerhalb des vorliegenden Rechtsstreits geprüft werden. Ebenso mag die Klägerin
außerhalb des vorliegenden Verfahrens bei der Familienkasse geltend machen, dass das zurückgeforderte Kindergeld
bereits auf Leistungen nach dem SGB II angerechnet worden ist. Dies mag dazu führen, dass die Familienkasse
einen Erstattungsantrag an die Beklagte richtet, die durch die Anrechnung des Kindergeldes bei wirtschaftlicher
Betrachtung Aufwendungen nach dem SGB II erspart hat. Auch ein bereits vom Sozialgericht erwähnter Erlassantrag
der Klägerin gegenüber der Kindergeldkasse erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen. Entgegen dem
Vorbringen der Beschwerdebegründung ist hierüber bisher keineswegs entschieden worden; die im finanzgerichtlichen
Verfahren strittig gewesene Frage des Bestands des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides ist nämlich zu trennen
von der Frage der Durchsetzung der Erstattungsforderung und dazu ggf. gestellten Stundungs- oder Erlassanträgen.
All dies bedarf indessen keiner Vertiefung im vorliegenden Verfahren. Jedenfalls vermag der Senat aus den
vorstehend genannten Gründen hinreichende Erfolgsaussichten dieser Klage nicht zu erkennen, so dass die
Beschwerde gegen die Versagung der dafür nachgesuchten Prozesskostenhilfe ohne Erfolg bleiben muss.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).