Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 09.03.2011

LSG San: ratio legis, darlehen, aufrechnung, sachleistung, kauf, geldleistung, auflage, zukunft, rücklage, verfügung

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss vom 09.03.2011 (rechtskräftig)
Sozialgericht Magdeburg S 7 AS 1196/06
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 5 AS 151/08 NZB
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe:
I.
In der Sache streiten die Beteiligten darüber, ob ein Einbehalt von 10 % der Regelleistung nach dem Zweiten Buch
des Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zur Rückzahlung eines Darlehens zulässig ist.
Der Beschwerdeführer, Antragsteller und Kläger (im Weiteren nur Kläger genannt) wendet sich gegen die
Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts und beantragt für dieses Verfahren weiter die
Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Der Kläger ist 1960 geboren und erhält mit seiner Ehefrau als Bedarfsgemeinschaft seit Januar 2005 Leistungen nach
dem SGB II.
Unter dem 2. Juni 2006 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass seine Waschmaschine defekt sei. Er brauche
dringend eine neue und beantrage daher die finanziellen Mittel zum Kauf einer Waschmaschine. Mit Bescheid vom 19.
Juni 2006 gewährte der Beklagte dem Kläger die beantragte Leistung als Darlehen in Höhe von einmalig 250,00 EUR.
Unter Hinweis auf § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II ordnete der Beklagte zugleich die Tilgung des Darlehens ab dem 1.
August 2006 in monatlichen Raten an. Bei dieser Entscheidung machte er von dem Ermessen Gebrauch und
berücksichtige die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers; vorliegend ergäben sich aber keine
Anhaltspunkte, die gegen eine Aufrechnung in Höhe von 10% der Regelleistung pro Monat sprächen.
Hiergegen legte der Kläger am 19. Juni 2006 Widerspruch ein und verlangte, von der Aufrechnung mit den
monatlichen Regelleistungen abzusehen. Zur Begründung verwies er auf die §§ 580a ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Er genieße Pfändungsschutz. Anderenfalls verblieben ihm keine ausreichenden Mittel, um den laufenden
Lebensunterhalt ausreichend zu decken. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2006 wies die Beklagte den
Widerspruch des Klägers zurück.
Schon am 20. Juni 2006 hat der Kläger hiergegen Klage am Sozialgericht Magdeburg erhoben und zur Begründung die
Ausführungen aus dem Widerspruchsverfahren vertieft. Es sei einem Arbeitslosengeld-II-Bezieher nicht möglich,
Beträge für defekte Geräte und Ähnliches anzusparen. Der Abzug von den Sozialleistungen verstoße gegen den
Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes. Auch Transferempfänger wie Beamte fielen unter den Schutz der
Pfändungsfreigrenzen. Zudem dürften nicht 10% der gesamten Leistung für die Bedarfsgemeinschaft angesetzt
werden. Denn nur er habe ein Darlehen zum Kauf der Waschmaschine erhalten. Im Termin am 15. August 2008 hat
der Beklagte anerkannt, dass er zu Unrecht von den Regelleistungen an die Ehefrau einen Betrag von insgesamt
125,00 EUR einbehalten habe. Insoweit hat er sich verpflichtet, diesen Betrag an die Ehefrau des Klägers
auszuzahlen. Mit Urteil vom 15. August 2008 hat das Sozialgericht Magdeburg die Klage abgewiesen und zur
Begründung auf § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II hingewiesen. In der Rechtsmittelbelehrung hat das Sozialgericht
ausgeführt, die Berufung sei unzulässig.
Gegen die ihm am 1. September 2008 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 30. September 2008
Nichtzulassungsbeschwerde erhoben und eine Verletzung des Art. 3 Grundgesetz (GG) gerügt. Lediglich den
Arbeitslosengeld II-Empfängern würde keine Pfändungsfreigrenze eingeräumt. Nach Abzug des Darlehens verbleibe
dem diesem nicht einmal ein verfassungsmäßiges Grundeinkommen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. August 2008 zuzulassen und die
Berufungsverfahren durchzuführen sowie
ihm für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Der Beklagte hat keinen ausdrücklichen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten ergänzend
Bezug genommen. Die Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats.
II.
A. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 145 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes
(SGG) eingelegt worden. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Berufung gegen das Urteil vom
15. August 2008 zu Recht nicht zugelassen.
Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG in der seit dem 1. April 2008 geltenden Fassung bedarf die Berufung der Zulassung
in einem Urteil des SG, wenn der Wert des Streitgegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder
einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Der Beschwerdewert liegt hier maximal
in der Höhe des Darlehens bei 250,00 EUR. Eine wiederkehrenden Leistung für mehr als ein Jahr im Sinne von § 144
Abs. 1 Satz 3 SGG liegt ebenfalls nicht vor.
Die Berufung war auch nicht nach § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen. Danach ist die Berufung zuzulassen, wenn
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats
der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung
beruht oder
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf
dem die Entscheidung beruhen kann.
Der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG liegt nicht vor, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat.
Dies verlangt, dass das Verfahren bisher nicht geklärte, aber klärungsbedürftige und -fähige Rechtsfragen aufwirft,
deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts
zu fördern. Klärungsbedürftigkeit ist dagegen nicht gegeben, wenn sich die entschiedene Rechtsfrage unmittelbar und
ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder nur eine Anwendung schon ergangener höchstrichterlicher
Rechtssätze auf den Einzelfall darstellt (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 144, Rdnr. 28).
Der vom Kläger angegriffene Einbehalt von 10% der Regelleistung ist ausdrücklich in § 23 Abs. 1 SGB II geregelt.
Diese Vorschrift lautet:
"Kann im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur
Sicherung des Lebensunterhalts weder durch das Vermögen nach § 12 Abs 2 Nr. 4 noch auf andere Weise gedeckt
werden, erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als
Geldleistung und gewährt dem Hilfebedürftigen ein entsprechendes Darlehen. Bei Sachleistungen wird das Darlehen in
Höhe des für die Agentur für Arbeit entstandenen Anschaffungswertes gewährt. Das Darlehen wird durch monatliche
Aufrechnung in Höhe von bis zu 10 vom Hundert der an den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die mit ihm in
Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen jeweils zu zahlenden Regelleistung getilgt."
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung hat der Senat nicht.
Die Höhe des Regelsatzes hat das Bundesverfassungsgericht in dem Urteil vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL
3/09, 1 BvL 4/09) für den hier im Streit stehenden Zeitraum ausdrücklich gebilligt. Der Einbehalt ist gleichfalls
verfassungsgemäß, da der notwendige Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich größerer
Anschaffungen wie im vorliegenden Fall mit der verfassungskonformen Regelleistung gedeckt wird. Würde der Kläger
diesen Betrag nicht zurückzahlen müssen, würde im Ergebnis doppelt geleistet; hierfür besteht kein Anlass. Hat ein
Leistungsempfänger entgegen der Intention des Gesetzes für größere einmalige Anschaffungen keine Rücklagen
gebildet, hat der Leistungsträger zwar im Falle eines unabweisbaren Bedarfs ein Darlehn zu gewähren.
Konsequenterweise verringert sich aber die Regelleistung für die Zukunft; die unterlassene Rücklage wird so im
Ergebnis nachträglich gebildet.
Die unterschiedliche Festsetzung der Pfändungsfreigrenze und des dem Kläger nach der Aufrechnung verbleibenden
Betrages verstößt nicht gegen Art. 3 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat in der oben genannten Entscheidung zur
Höhe des Regelsatzes, der ebenfalls unter den Pfändungsfreigrenzen liegt, unter anderem ausgeführt (a.a.O., Rn.
153):
"Der Umstand, dass der Gesetzgeber in anderen Rechtsbereichen, zum Beispiel bei den Einkommensgrenzen im
Prozesskostenhilferecht oder bei den Pfändungsfreigrenzen, andere Beträge festgesetzt hat, begründet keine
durchgreifenden Zweifel an der Bedarfsgerechtigkeit der Summe von 345 Euro. Der Gesetzgeber kann in anderen
Bereichen unterschiedliche Wertungen nach der jeweiligen ratio legis treffen und dabei auch über das hinausgehen,
was er von Verfassungs wegen denjenigen zur Verfügung stellen muss, die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen
Mitteln bestreiten können. Aus anderen Rechtsbereichen können daher keine Rückschlüsse auf die notwendige Höhe
der Leistungen zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums gezogen werden."
Dem hat der Senat nichts hinzuzufügen.
Andere Zulassungsgründe sind weder erkennbar noch vorgetragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
B. Soweit der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe begehrt hat, war dem nicht zu entsprechen. Nach § 73a
Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO ist auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, soweit der Antragsteller nach
seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in
Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg
bietet und nicht mutwillig erscheint. Hier hat die Rechtsverfolgung aus den dargelegten Gründen keine Aussicht auf
Erfolg.
Gegen diese Entscheidungen ist die Beschwerde nicht zulässig (§ 177 SGG).