Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 28.01.2011

LSG San: gebühr, kündigungsfrist, halle, verfahrensmangel, durchschnitt, gerichtsakte, auflage, subsumtion, blw, bezogener

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss vom 28.01.2011 (rechtskräftig)
Sozialgericht Halle (Saale) S 1 AL 242/09
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 2 AL 44/10 NZB
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Halle vom 9. März
2010 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle (SG) vom 9. März 2010.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der von der Beklagten zur erstattenden Aufwendungen für die Hinzuziehung
eines Bevollmächtigten im sog. "isolierten Vorverfahren".
Die am 1965 geborene Klägerin meldete sich am 13. November 2008 zum 1. Januar 2009 bei der Beklagten
arbeitslos. Sie legte eine arbeitgeberseitige Kündigung vom 31. Juli 2008 zum 31. Dezember 2008 ihres seit dem 21.
März 1994 bestehenden Arbeitsvertrages mit der Firma D. Landschaftsarchitekten aus H. vor. In dem
Kündigungsschreiben lautete es, dass es sich um eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung unter Einhaltung der
gesetzlichen Kündigungsfrist handele. Nach dem vorgelegten Arbeitsvertrag vom 15. März 1994 in der Fassung des
Änderungsvertrages vom 6. Juni 2005 betrug die Kündigungsfrist vier Wochen, wobei die längeren Kündigungsfristen
nach dem Gesetz über die Fristen für die Kündigung von älteren Angestellten vom 9. Juli 1926 davon unberührt
blieben. Die Klägerin fügte ebenfalls einen schriftlichen Vergleich vor dem Arbeitsgericht Halle vom 1. September
2008 bei, wonach sich die Arbeitsvertragsparteien einig darüber sind, dass das Arbeitsverhältnis zum genannten
Kündigungstermin gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 3.600 EUR beendet werde. Nach der
Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers beträgt die Betriebszugehörigkeit 14 Jahre und die maßgebliche
Kündigungsfrist sechs Monate.
Mit Bescheid vom 20. Januar 2009 stellte die Beklagte ein Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bis zum 31.
Januar 2009 wegen Nichteinhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist fest.
Hiergegen legte die Klägerin vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten am 27. Januar 2009 Widerspruch ein. Zur
Begründung führte sie auf 2,5 Seiten aus: Die ordentliche Kündigungsfrist von fünf Monaten zum Monatsende sei bei
der Kündigung am 31. Juli 2008 eingehalten. Die von der Beklagten angenommene sechsmonatige Kündigungsfrist
wäre erst einzuhalten gewesen, wenn das Arbeitsverhältnis 15 Jahre bestanden hätte, dies sei bei einem Eintritt am
21. März 1994 erst im März 2009 der Fall gewesen. Es fehle daher die Voraussetzung für ein Ruhen des Anspruchs.
Nach Rückfrage von der Beklagten teilte der Arbeitgeber der Klägerin am 29. Januar 2009 mit, dass die Angabe der
sechsmonatigen Kündigungsfrist auf einem Schreibfehler beruhe. Mit Bescheid vom 29. Januar 2009 entsprach die
Beklagte dem Widerspruch der Klägerin und hob ihren Bescheid über das Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs auf.
Hierbei bestimmte sie, dass die im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten einschließlich der Gebühren und
Auslagen des Prozessbevollmächtigten erstattet würden, soweit sie notwendig waren und nachgewiesen sind. Der
Prozessbevollmächtigte der Klägerin rechnete folgende Gebühren ab.
Geschäftsgebühr gem. Nr. 2400 VV 280,00 EUR Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gem. Nr.
7002 VV 20,00 EUR 19,00 % Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV 57,00 EUR Endsumme: 357,00 EUR
Die Beklagte teilt mit Schreiben vom 4. März 2009 mit, dass 166,60 EUR erstattet würden. Zur Begründung führte sie
an, der Prozessbevollmächtigte sei bereits im Arbeitsgerichtsverfahren umfassend mit der Prüfung der
Arbeitgeberkündigung befasst gewesen. Hierfür sei er bereits vergütet worden, weshalb er hier billigerweise nur die
ergänzenden Leistungen in Rechnung stellen dürfe. So sei bei einer anderweitigen Vortätigkeit höchstens ein Betrag
von 120,00 EUR zzgl. Auslagen und Umsatzsteuer in Ansatz zu bringen.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Am 13. Juli 2009 hat die Klägerin beim SG Klage erhoben. Sie hat darauf verwiesen: Die Beklagte übersehe, dass
das RVG nicht danach unterscheide, ob ein Bevollmächtigter schon einmal anderweitig vorgerichtlich tätig war. Nur
eine sozialgerichtliche Vorbefassung wäre relevant. Es sei für die Klägerin elementar, ob sie ab 1. Januar 2009 oder
am 1. Februar 2009 Arbeitslosengeld beziehe.
Mit Urteil vom 9. März 2010 hat das SG die Klage abgewiesen und dies wie folgt begründet: Die anwaltliche
Festsetzung sei unbillig gewesen. Die Gebühr in Höhe der Mitte der Rahmenwerte, hier gesetzlich nochmals
abgesenkt auf 240,00 EUR, sei nur anzusetzen, wenn der Auftrag des Rechtsanwaltes nach den von § 14 Abs. 1
RVG genannten Kriterien insgesamt durchschnittlich gewesen sei, es also sowohl durchschnittlich umfangreich und
schwierig war, eine mittlere Bedeutung für den Auftraggeber hatte und auch die Einkommens- und
Vermögensverhältnisse nicht vom Durchschnitt abwichen. Es seien im Streitfall alle Umstände, vor allem der Umfang
und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der Angelegenheiten sowie die Einkommens- und
Vermögensverhältnisse der Auftraggeber und evtl. ein besonders Haftungsrisiko für den Rechtsanwalt einzeln zu
gewichten und dann im Wege einer Gesamtabwägung die Gebühr im Einzelfall festzusetzen. Die Bedeutung der
Angelegenheit werte die Kammer als weit unterdurchschnittlich, die Schwierigkeit sei ebenfalls unterdurchschnittlich
und die Einkommensverhältnisse der Klägerin seien ebenfalls unterdurchschnittlich. Zudem bestehe kein
Haftungsrisiko. Die Gebühr mit 120 EUR anzusetzen erscheine als angemessen, da alle maßgeblichen Kriterien als
unterdurchschnittlich zu bewerten seien.
Gegen das der Klägerin am 12. April 2010 zugestellte Urteil hat diese am 12. Mai 2010 Beschwerde gegen die
Nichtzulassung der Berufung eingelegt und diese wie folgt begründet: Es liege der Zulassungsgrund der Divergenz
vor. Das SG sei mit seiner Begründung, dass die Mittelgebühr nur in Fällen billig sei, die von durchschnittlicher
Bedeutung seien von der Rechtsprechung des BSG (u. a. Urteil vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 21/09 R – zitiert nach juris)
abgewichen. Damit setze das SG, abstrakt betrachtet, die Durchschnittlichkeit der anwaltlichen Tätigkeit einer Gebühr
in Höhe der Mittelgebühr gleich. Das BSG habe in seinen Entscheidungen hingegen die Mittelgebühr als
Ausgangspunkt der Betrachtung festgelegt und stelle nicht starr auf die Grenze der Durchschnittlichkeit ab, sondern
nehme eine wertende Betrachtung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände de Einzelfalles vor. Das SG habe
auch nicht berücksichtigt, dass die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit im juristischen als auch im tatsächlichen
Bereich liegen könne.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 9. März 2010 zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält die Beschwerde für unbegründet. Das SG sei nicht von der Rechtsprechung des BSG abgewichen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und
die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Berufung gegen das
Urteil vom 9. März 2010 nicht zugelassen.
Die Berufung bedurfte der Zulassung, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR nicht erreicht, § 144
Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Es geht um 190,04 EUR höhere Anwaltsgebühren.
Die Berufung war nicht nach § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen. Danach ist die Berufung zuzulassen, wenn
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts,
des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des
Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des
Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung
beruhen kann.
Der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG liegt nicht vor, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat.
Die grundsätzliche Bedeutung liegt vor, wenn die Sache bisher nicht geklärte, aber klärungsbedürftige und -fähige
Rechtsfragen aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die
Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 144 Rn.
28). Klärungsbedürftigkeit ist dagegen nicht gegeben, wenn sich die entschiedene Rechtsfrage unmittelbar und ohne
weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder nur eine Anwendung schon entwickelter höchstrichterlicher
Rechtssätze auf den Einzelfall darstellt.
Solche ungeklärte Rechtsfrage wirft der Rechtsstreit nicht auf. Über die Kriterien bei der Prüfung der angemessenen
Gebühr nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG hat das Bundessozialgericht bereits zahlreiche Entscheidungen getroffen (u. a.
die vom Kläger zitierte Entscheidung vom 1. Juli 2009). Auch die Klägerin als Beschwerdeführerin sieht in der
vorliegenden Fallkonstellation keinen Fall mit grundsätzlicher Bedeutung, sondern meint, dass das SG die bereits
aufgestellten Grundsätze falsch angewendet hat.
Es besteht auch keine Divergenz zu anderen Entscheidungen der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte.
Divergenz liegt vor, wenn die tragfähigen abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde liegen, nicht
übereinstimmen (vgl. BSG, Beschluss v. 25. September 2002 – B 7 AL 142/02 B – SozR 3-1500 § 160a Nr. 34). Ein
abstrakter Rechtssatz liegt nur vor bei fallübergreifender, nicht lediglich auf Würdigung des Einzelfalles bezogener
rechtlicher Aussage. Dabei muss es im Ansatz um dieselbe Rechtsfrage gehen, zu der das abweichende Gericht eine
die Entscheidung tragende andere Rechtsansicht entwickelt hat. Das angefochtene Urteil muss auf dieser
Abweichung beruhen, d. h. es ist erforderlich, dass die angefochtene Entscheidung bei Zugrundelegung des
Rechtssatzes, von dem abgewichen ist, anders hätte ausfallen müssen (BSG; Beschluss vom 26. Januar 2005 – B
12 KR 62/04 B – SozR 4-1500 § 160a Nr. 6). Ein Beruhen auf einer Abweichung ist zum Beispiel dann zu verneinen,
wenn das angefochtene Urteil auf mehrere Begründungen gestützt ist, die Abweichung sich aber nur auf eine
Begründung bezieht (BSG, Beschluss vom 25. Juni 2007 – B 3 KR 28/06 B – zitiert nach juris; BSG, Beschluss vom
24. September 1980 – 11 BLw 4/80 – SozR 1500 § 160a Nr. 38) oder auch.
Es liegt selbst dann keine Divergenz vor, wenn das abweichende Gericht einen vom BSG aufgestellten Rechtssatz
folgen will, diesen aber missversteht oder sonst Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Einzelfall nicht
übernimmt (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr. 34; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 160 Rn.
14). Es kommt daher nicht darauf an, dass einzelne Sätze im Urteil des SG z. B. eine Gebühr in Höhe der Mitte der
Rahmenwerte ist "nur anzusetzen, wenn der Auftrag des Rechtsanwaltes insgesamt durchschnittlich ist, es als
sowohl durchschnittlich umfangreich und schwierig war, eine mittlere Bedeutung für den Arbeitgeber hatte und auch
die Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht vom Durchschnitt abweichen" missverständlich sind bzw. die
BSG-Rechtsprechung verkürzt wiedergeben. Schon aus den folgenden Sätzen ist erkennbar, dass das SG wie nach
den abstrakten Rechtssätzen des BSG gefordert, ebenfalls eine Gewichtung der einzelnen Kriterien vornimmt, um in
einer Gesamtabwägung die Gebühr im Einzelfall festzulegen. Eine vom SG entwickelte, die Entscheidung tragende,
gegenteilige Rechtsansicht ist nicht zu erkennen. Zudem wäre auch nach dem konkreten Prüfungsschema des BSG,
wonach von der Mittelgebühr ausgegangen wird, bei unterdurchschnittlicher Bedeutung, unterdurchschnittlicher
Schwierigkeit, unterdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen eine im Betrag jedenfalls nicht oberhalb der
gewählten hälftige Mittelgebühr angemessen, so dass die Entscheidung nicht hätte anders ausfallen müssen.
Inwieweit die Subsumtion der Tatsachen bei der Prüfung, ob bezogen auf die einzelnen Kriterien wie Schwierigkeit der
anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin usw. der Fall jeweils als durchschnittlich
anzusehen ist, zutreffend ist, ist keine im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde zu prüfende Frage.
Der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG liegt nicht vor, weil kein Verfahrensmangel geltend gemacht
worden ist.
Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.