Urteil des LSG Sachsen vom 17.12.2009

LSG Fss: materielles recht, schweigen des gesetzes, einstweilige verfügung, erlass, verwaltungsakt, verfahrensmangel, vertretung, widerspruchsverfahren, gesetzeslücke, untätigkeitsklage

Sächsisches Landessozialgericht
Beschluss vom 17.12.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 31 AL 84/05
Sächsisches Landessozialgericht L 1 B 772/08 AL-NZB
I. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 02. Oktober
2008 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger und Beschwerdeführer ein Anspruch auf Kostenerstattung gegen die
Beklagte und Beschwerdegegnerin dafür zusteht, dass er zur Herbeiführung einer vorläufigen Entscheidung über die
Bewilligung von Arbeitslosengeld einen Rechtsanwalt hinzugezogen hat.
Der am 1966 geborene Beschwerdeführer meldete sich am 17.12.2001 ab 21.12.2001 bei der Beschwerdegegnerin
arbeitslos. Der am 20.01.2002 vom Beschwerdeführer unterzeichnete förmliche Antrag ging am 01.02.2002 bei der
Beschwerdegegnerin ein. Mit Schreiben vom 08.02.2002 teilte die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer mit,
über seinen Antrag könne noch nicht entschieden werden, weil die Arbeitsbescheinigung seines Arbeitgebers für die
Zeit vom 12.11.2001 bis 20.12.2001 noch fehle. Nachdem der Beschwerdeführer das Kündigungsschreiben seines
früheren Arbeitgebers vom 06.12.2001 und seinen Arbeitsvertrag vom 12.11.2001 vorgelegt hatte, bewilligte ihm die
Beschwerdegegnerin durch Bescheide vom 12.02.2002 Arbeitslosengeld vom 21.12.2001 bis 31.12.2001, außerdem
vom 01.01.2002 bis 12.02.2002. Am 13.02.2002 nahm der Beschwerdeführer eine sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung auf. Ausweislich der Zahlungsnachweise der Beschwerdegegnerin vom 15.02.2002 und vom
18.02.2002 wurden die von ihr bewilligten Leistungen am 15.02.2002 zur Zahlung angewiesen.
Mit am 18.02.2002 bei der Beschwerdegegnerin eingegangenem Schreiben vom 16.02.2002 teilte der
Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers der Beschwerdegegnerin mit, der Beschwerdeführer habe trotz
wiederholter Anfragen bislang keinerlei Zahlungen erhalten, nicht einmal ausdrücklich beantragte Vorschusszahlungen
nach § 42 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Die Beschwerdegegnerin werde nunmehr um umgehende
Bearbeitung und Gewährung eines Vorschusses gebeten. Der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers
forderte die Beschwerdegegnerin dazu auf, ihm bis 22.02.2002 eine Nachricht zu erteilen. Andernfalls werde er beim
Sozialgericht Dresden (SG) eine einstweilige Verfügung auf Vorschussgewährung beantragen.
Mit Schreiben vom 10.05.2002 teilte der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers der Beschwerdegegnerin
mit, die Vorschussanforderung habe sich erledigt, weil in der Zwischenzeit ein Bewilligungsbescheid ergangen sei.
Durch die rechtswidrige Verweigerung der Vorschusszahlung sei seine Tätigkeit durch die Beschwerdegegnerin
veranlasst worden. Sie schulde deshalb die Begleichung seiner Kosten in Höhe von 160,08 EUR.
Mit Schreiben vom 06.06.2002 stellte die Beschwerdegegnerin dem Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers
in Aussicht, nach entsprechender Prüfung in Kürze einen definitiven Bescheid zu erlassen. Da dieser Bescheid
(zunächst) nicht erging, war der Sachverhalt unter dem Aktenzeichen S 10 AL 217/03 Gegenstand einer
Untätigkeitsklage vor dem SG. In diesem Verfahren erkannte die Beschwerdegegnerin an, über den Antrag des
Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers auf Kostenerstattung zu entscheiden; dieses Anerkenntnis nahm
der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers am 01.04.2003 an.
Streitgegenständlich sind nunmehr die beiden folgenden Sachverhalte:
1. Mit Schreiben vom 23.04.2003, das keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, lehnte die Beschwerdegegnerin die mit
Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers vom 10.05.2002 begehrte Kostenerstattung ab. Die
anwaltliche Tätigkeit sei zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich gewesen, weil die
Nichtgewährung eines Vorschusses rechtlich begründet gewesen sei. Die Bearbeitung des Antrags sei am 12.02.2002
erfolgt, bereits am 15.02.2002 sei das Arbeitslosengeld für die Zeit vom 21.12.2001 bis 31.12.2001 auf das Konto des
Beschwerdeführers überwiesen worden. Da die zur Feststellung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld dem Grunde
nach erforderlichen Antragsunterlagen erst am 01.02.2002 bei der Beschwerdegegnerin eingegangen seien, hätten die
Voraussetzungen für eine Vorschusszahlung gemäß § 42 SGB I nicht vorgelegen. Die Beantragung einer
Vorschusszahlung sei erstmalig mit Schreiben vom 16.02.2002 erfolgt. Da die Nichtgewährung eines Vorschusses
nicht rechtswidrig gewesen sei, sei die Einschaltung eines Rechtsanwalts nicht erforderlich gewesen.
Hiergegen legte der Beschwerdeführer am 03.11.2003 Widerspruch ein.
Die unter dem Aktenzeichen S 6 AL 326/04 insoweit beim SG erhobene Untätigkeitsklage nahm der
Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers am 18.01.2005 zurück, nachdem die Beschwerdegegnerin den
Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.2004 als unzulässig verworfen hatte. Zur Begründung hatte sie
ausgeführt, bei dem Schreiben vom 23.04.2003 handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt, da es keine
eigenständige Regelung enthalte, sondern lediglich den Hinweis auf die Ablehnung der Übernahme der geltend
gemachten Kosten.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 16.12.2004 hat der Beschwerdeführer am 18.01.2005 unter dem Aktenzeichen
S 6 AL 84/05 – später S 31 AL 84/05 – Klage beim SG erhoben.
Der Beschwerdeführer hat vorgetragen, ihm sei trotz mehrfacher mündlicher Vorsprache seiner Ehefrau bei der
Beschwerdegegnerin die Zahlung eines Vorschusses auf das ihm zustehende Arbeitslosengeld verweigert worden.
Dies könne seine Ehefrau als Zeugin be-stätigen. Die Kosten für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zur
Herbeiführung einer vorläufigen Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld müssten unter diesen
Umständen von der Beschwerdegegnerin erstattet werden. Zur Begründung der Kostenerstattungspflicht der
Beschwerdegegnerin hat sich der Beschwerdeführer insbesondere auf das Urteil des Landessozialgerichts (LSG)
Schleswig-Holstein vom 12.12.1994 (L 7 Ar 11/94 – Breithaupt 1995, 816) bezogen.
2. Mit Bescheid vom 16.12.2004 lehnte die Beschwerdegegnerin die mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten des
Beschwerdeführers vom 10.05.2002 begehrte Kostenerstattung ebenfalls ab. Da kein Widerspruchsverfahren
stattgefunden habe, sei eine Kostenübernahme nach § 63 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht möglich.
Den hiergegen am 20.01.2005 eingelegten Widerspruch wies die Beschwerdegegnerin durch Widerspruchsbescheid
vom 16.02.2005 zurück.
Dagegen hat der Beschwerdeführer am 17.03.2005 unter dem Aktenzeichen S 6 AL 347/05 – später S 31 AL 347/05 –
Klage beim SG erhoben.
Der Beschwerdeführer hat in diesem Verfahren zusätzlich vorgetragen, die Beschwerdegegnerin hätte sofort bei
Arbeitslosmeldung am 17.12.2001 eine vorläufige Bewilligung von Arbeitslosengeld gemäß § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) vornehmen können. Anlässlich der Antragstellung des Beschwerdeführers
habe ihr auch eine entsprechende Hinweispflicht oblegen.
Mit Beschluss vom 22.05.2008 hat das SG die Streitsachen S 31 AL 347/05 und S 31 AL 84/05 zur gemeinsamen
Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen S 31 AL 84/05 fortgeführt.
Mit Gerichtsbescheid vom 29.05.2008 hat das SG die Klagen abgewiesen. Die zulässigen Klagen seien unbegründet.
Streitgegenständlich sei nicht nur der Bescheid vom 16.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
16.02.2005. Auch das Schreiben vom 23.04.2003 stelle einen Verwaltungsakt dar, weil die Ablehnung des mit
Schreiben vom 10.05.2002 geltend gemachten Kostenerstattungsanspruches eine verbindliche Rechtsfolge gesetzt
habe, so dass die Voraussetzungen für einen Verwaltungsakt gemäß § 31 SGB X vorlägen. Da somit auch der
Bescheid vom 23.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2004 streitgegenständlich sei,
handele sich bei dem Bescheid vom 16.12.2004 um einen Zweitbescheid, mit welchem der frühere Bescheid vom
23.04.2003 noch im laufenden Widerspruchsverfahren unter Aufrechterhaltung der belastenden Wirkung ersetzt
worden sei. Mithin liege ein Fall des § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vor. Dem Beschwerdeführer stehe kein
Kostenerstattungsanspruch zu. Eine Regelung über die Erstattung von Kosten, die dem Beschwerdeführer durch eine
Vertretung während des Verwaltungsverfahrens bis zur Erteilung des Verwaltungsaktes entstanden seien, kenne das
Recht nicht. § 63 Abs. 1 SGB X sei im Fall des Beschwerdeführers nicht anwendbar. Denn nach dieser Vorschrift
komme eine Kostenerstattung erst dann in Betracht, wenn der Sozialversicherungsträger einem Antrag durch
Verwaltungsakt nicht stattgegeben habe und der Versicherte deshalb im Widerspruchsverfahren einer rechtskundigen
Vertretung bedürfe. § 63 SGB X könne vorliegend auch nicht entsprechend angewendet werden. Das Fehlen einer für
den Beschwerdeführer günstigen Kostenvorschrift beruhe nicht auf einer Lücke im Gesetz, die durch Richterrecht
auszufüllen sei. Vielmehr handele es sich um ein "beredtes Schweigen" des Gesetzes. Dementsprechend habe das
Bundessozialgericht (BSG) eine Anwendung von § 63 SGB X sowohl bei Beauftragung eines Rechtsanwalts schon im
Anhörungsverfahren – also vor Erlass eines Verwaltungsaktes – (Hinweis auf BSG, Urteil vom 12.12.1990 – 9 a/9
RVs 13/89 – SozR 3-1300 § 63 Nr. 1) als auch bei Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Stellung eines Antrags
gemäß § 44 SGB X (Hinweis auf BSG, Urteil vom 20.04.1983 – 5 a RKn 1/82 – BSGE 55, 92 = SozR 1300 § 63 Nr. 1)
abgelehnt. Aus diesen Gründen sei der vom Beschwerdeführer zitierten Rechtsauffassung des LSG Schleswig-
Holstein (Urteil vom 12.12.1994 – L 7 Ar 11/94 – Breithaupt 1995, 816), nach der eine analoge Anwendung von § 63
SGB X in Betracht komme, nicht zuzustimmen. Die Berufung sei nicht zuzulassen, weil die anwaltliche Vertretung
des Beschwerdeführers zum einen aus sich aus dem zeitlichen Ablauf der Ereignisse ergebenden tatsächlichen
Gründen nicht erforderlich gewesen sei und zum anderen, weil die strittige Rechtsfrage höchstrichterlich hinreichend
geklärt sei.
Der Gerichtsbescheid ist dem Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers ausweislich seines
Empfangsbekenntnisses am 26.06.2008 zugegangen. Am 18.07.2008 hat der Beschwerdeführer Antrag auf mündliche
Verhandlung gestellt. Nach Durchführung des Termins zur mündlichen Verhandlung hat das SG die Klagen durch
Urteil vom 02.10.2008 abgewiesen. Zur Begründung hat es auf seinen Gerichtsbescheid vom 29.05.2008 Bezug
genommen. In der mündlichen Verhandlung hätten sich für die Beurteilung des Rechtsstreits keine neuen
Gesichtspunkte ergeben. Ergänzend sei lediglich hinzuzufügen, dass das Gericht es aufgrund seiner Auslegung von §
63 SGB X nicht für notwendig erachte, die vom Beschwerdeführer benannte Zeugin X zu vernehmen, die Berufung
zuzulassen und eine andere Kostenentscheidung zu treffen.
Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 12.11.2008 zugestellte Urteil hat der Beschwerdeführer am
17.11.2008 Nichtzulassungsbeschwerde beim Sächsischen LSG eingelegt.
Er ist der Auffassung, die Berufung sei aus drei Gründen zuzulassen: Zum einen weiche das SG von der
Entscheidung des LSG Schleswig-Holstein ab, zum anderen komme der streitgegenständlichen Rechtsfrage, unter
welchen Voraussetzungen eine Verpflichtung der Beschwerdegegnerin bestehe, die Kosten einer anwaltlichen
Vertretung zu übernehmen, wenn ein Antrag auf Gewährung eines Vorschusses abgelehnt worden sei, grundsätzliche
Bedeutung zu, aber auch aus der Abweichung von der Entscheidung des LSG Schleswig-Holstein ergebe sich schon
die grundsätzliche Bedeutung, und schließlich habe das SG zu Unrecht die benannte Zeugin X nicht einvernommen.
Im Übrigen habe das SG in der Sache falsch entschieden.
Der Beschwerdeführer beantragt,
die Berufung zuzulassen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beschwerdegegnerin trägt vor, die Berufung bedürfe der Zulassung, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes
160,08 EUR betrage und deshalb die in § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG genannte Grenze von 750,00 EUR nicht
übersteige. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung lägen aber nicht vor. Eine grundsätzliche
Rechtsfrage werde nicht aufgeworfen (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Da das SG nicht von einer Entscheidung des
Sächsischen LSG abweiche, liege auch keine Divergenz im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG vor. Schließlich liege
auch kein Verfahrensmangel vor, weil das SG den Kostenerstattungsanspruch des Beschwerdeführers mit der
Begründung verneint habe, § 63 SGB X sei nicht anwendbar, so dass aus seiner Sicht die Frage, ob die Ehefrau des
Beschwerdeführers in dessen Namen mündlich einen Vorschuss beantragt habe, nicht entscheidungserheblich
gewesen sei. Verstöße gegen materielles Recht, die möglicherweise zu einer inhaltlich unrichtigen Entscheidung
führten, seien kein Zulassungsgrund.
Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen, ebenso
die Akten des SG mit den Aktenzeichen S 10 AL 217/03 und S 6 AL 326/04.
II.
Die statthafte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
1. Statthaftes Rechtsmittel gegen das Urteil des SG ist die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 145 SGG).
Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (in der hier maßgeblichen, ab 01.04.2008 geltenden Fassung) bedarf die
Berufung der ausdrücklichen Zulassung, wenn – wie hier – der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage,
die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt.
Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1
Satz 2 SGG). Letzteres trifft hier nicht zu.
Das SG hat die Berufung nicht im Sinne von § 144 Abs. 1 und 3 SGG zugelassen.
2. Die danach statthafte und zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist aber unbegründet.
Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor. Gemäß § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des LSG, des BSG, des
Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf
dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel
geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).
a) Eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor. Eine Rechtssache hat dann grundsätzliche
Bedeutung, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen
Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Ein
Individualinteresse genügt nicht. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (s. Leitherer in
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 144 Rn. 28). Nicht klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage in der
Regel dann, wenn sich die Antwort auf die Rechtsfrage unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt, ferner
dann, wenn der höchstrichterlichen Rechtsprechung Kriterien oder Grundsätze zur Auslegung zu entnehmen sind, die
für die Entscheidung im Einzelfall ausreichen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 160
Rn. 8 a).
Da sich der Zeitpunkt des Zugangs des Bewilligungsbescheides vom 12.02.2002 aus den Akten nicht exakt
bestimmen lässt, weil das Datum der Aufgabe zur Post seitens der Beschwerdegegnerin nicht vermerkt ist, hilft die
Fiktion in § 37 Abs. 2 SGB X vorliegend nicht weiter. Es bedarf daher einer alternativen Sachverhaltsprüfung in dem
Sinne, dass entweder vom Zugang am 15.02.2002 (aa) oder vom Zugang nach dem 15.02.2002 (bb) auszugehen ist.
aa) Sofern der Bewilligungsbescheid vom 12.02.2002 dem Beschwerdeführer am 15.02.2002 zugegangen sein sollte,
war das anwaltliche Schreiben vom 16.02.2002 zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung des Beschwerdeführers
schon objektiv nicht notwendig.
Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt
erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist.
Sollte der endgültige Bewilligungsbescheid vom 12.02.2002 dem Beschwerdeführer bereits vor Verfassung des
anwaltlichen Schreibens vom 16.02.2002 bekannt gegeben worden sein (§ 37 Abs. 1 Satz 1 SGB X), hätte kein
Bedürfnis für die Rechtsverfolgung im Hinblick auf einen Vorschuss auf das Arbeitslosengeld gemäß § 42 SGB I oder
bezüglich einer vorläufigen Bewilligung von Arbeitslosengeld gemäß § 328 SGB III mehr bestanden, weil die
endgültige Entscheidung über die Bewilligung gemäß § 39 Abs. 2 SGB X ohnehin zur Erledigung eines etwaigen
Vorschussbescheides (s. insoweit Seewald in Kasseler Kommentar, SGB I, § 42 Rn. 22, Stand März 2005, und
Steinwedel in Kasseler Kommentar, SGB X, § 39 Rn. 26, Stand Mai 2006) oder einer etwaigen Entscheidung über
eine vorläufige Bewilligung (hierzu Niesel in Niesel, SGB III, 4. Aufl., § 328 Rn. 19) geführt hätte. Das mit der
Beauftragung eines Rechtsanwalts verbundene Kostenrisiko wäre bei diesem zeitlichen Ablauf in die Sphäre des
Beschwerdeführers gefallen.
Bei dieser Sachlage ist eine direkte Anwendung von § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X ausgeschlossen, für eine analoge
Anwendung besteht kein Bedürfnis. Eine analoge Anwendung setzt nämlich zum einen eine planwidrige
Gesetzeslücke und zum anderen eine gleichgelagerte Interessenlage voraus. Bei einer nicht zweckentsprechenden
Rechtsverfolgung kann aber nicht von einer gleichgelagerten Interessenlage ausgegangen werden.
bb) Sofern der Bewilligungsbescheid vom 12.02.2002 dem Beschwerdeführer nach dem 15.02.2002 zugegangen sein
sollte, gilt Folgendes:
Zwar ergibt sich die Antwort auf die dann streitgegenständliche Rechtsfrage nicht unmittelbar und ohne weiteres aus
dem Gesetz, weil die analoge Anwendung von § 63 SGB X sowohl in der Rechtsprechung (s. nur LSG Schleswig-
Holstein, Urteil vom 12.12.1994 – L 7 Ar 11/94 – Breithaupt 1995, 816, 818 f., und Sächsisches LSG, Beschluss vom
03.09.2009 – L 1 B 571/07 AL – amtlicher Umdruck, S. 6) als auch in der Literatur (s. z. B. Roos in von Wulffen, SGB
X, 6. Aufl., § 63 Rn. 22) in bestimmten Fällen durchaus befürwortet wird. Jedoch sind der Rechtsprechung des BSG
Kriterien zu entnehmen, die jedenfalls gegen eine analoge Anwendung von § 63 SGB X im vorliegenden Fall
sprechen, weil es insoweit an der Voraussetzung einer planwidrigen Gesetzeslücke fehlt.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist die Anwendung von § 63 Abs. 1 SGB X ausgeschlossen, wenn die
Kostenerstattung für die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts begehrt wird, der bereits vor Erlass eines
Verwaltungsaktes, beauftragt wurde. Dies hat das BSG für den Fall der Anhörung vor Erlass eines Verwaltungsaktes
(BSG, Urteil vom 12.12.1990 – 9 a/9 RVs 13/89 – SozR 3-1300 § 63 Nr. 1) und für den Fall der Stellung eines Antrags
gemäß § 44 SGB X (BSG, Urteil vom 20.04.1983 – 5 a RKn 1/82 – BSGE 55, 92 = SozR 1300 § 63 Nr. 1)
entschieden. Zur Begründung hat das BSG ausgeführt, der Gesetzgeber habe mehrere, das Verwaltungsverfahren im
Bereich des Sozialrechts betreffende Kostenregelungen getroffen (§§ 15 Abs. 3 Satz 1 SGB X, § 64 SGB X, § 65 a
SGB I), aber gerade keine Regelung über die Erstattung derjenigen Kosten normiert, die einem Antragsteller durch
eine Vertretung während des einem Rechtsbehelfsverfahren vorgelagerten Verwaltungsverfahrens entstünden (BSG,
Urteil vom 20.04.1983 – 5 a RKn 1/82 – BSGE 55, 92 = SozR 1300 § 63 Nr. 1, und BSG, Urteil vom 12.12.1990 – 9
a/9 RVs 13/89 – SozR 3-1300 § 63 Nr. 1 S. 2). Das deute auf eine bewusste Gesetzeslücke hin (vgl. BSG, Urteil vom
20.04.1983 – 5 a RKn 1/82 – BSGE 55, 92, 94 = SozR 1300 § 63 Nr. 1). Da nach diesen überzeugenden
Ausführungen von einem "beredten Schweigen" des Gesetzgebers auszugehen ist (BSG, Urteil vom 20.04.1983 – 5 a
RKn 1/82 – BSGE 55, 92, 94 = SozR 1300 § 63 Nr. 1, und BSG, Urteil vom 12.12.1990 – 9 a/9 RVs 13/89 – SozR 3-
1300 § 63 Nr. 1 S. 3), scheidet eine Kostenerstattung in entsprechender Anwendung von § 63 SGB X zumindest vor
Erlass eines Verwaltungsakts aus. Nichts anderes folgt aus dem Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 12.12.1994
(L 7 Ar 11/94 – Breithaupt 1995, 816). Denn die Einschaltung des Rechtsanwalts war in diesem Fall erfolgt, nachdem
die Beklagte die Zahlung von Lehrgangsgebühren in Höhe von 1.040,00 DM durch Verwaltungsakt bewilligt, diese
jedoch irrtümlich auf ein falsches Konto überwiesen hatte. Auch der Sachverhalt, der dem Beschluss des
Sächsischen LSG vom 03.09.2009 – L 1 B 571/07 AL – zu Grunde lag, betrifft die Einschaltung eines Rechtsanwalts
nach Erlass eines Schreibens, das von der Beklagten als "Bescheid" bezeichnet worden war. Sofern die Beklagte
durch ihr Verhalten die Erhebung eines unzulässigen Widerspruchs provoziert hat, ist es sachgerecht, § 63 Abs. 1
Satz 2 SGB X entsprechend anzuwenden (so zutreffend Roos in von Wulffen, SGB X, 6. Aufl., § 63 Rn. 22).
Eine entsprechende Anwendung von § 63 Abs. 1 SGB X auf die Zeit vor Erlass eines Verwaltungsaktes wäre auch
bei Unterstellung einer planwidrigen Gesetzeslücke nicht geboten. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die
Verwaltung rechtmäßig handelt und es somit der Anfechtung eines Verwaltungsaktes nicht bedarf (hierzu und zum
Folgenden BSG, Urteil vom 20.04.1983 – 5 a RKn 1/82 – BSGE 55, 92, 94 = SozR 1300 § 63 Nr. 1). Deshalb soll der
Versicherte die Solidargemeinschaft zunächst nicht mit Kosten belasten und den Bescheid abwarten. Erst wenn
seinem Antrag nicht stattgegeben worden ist und er deshalb im Widerspruchsverfahren der rechtskundigen Vertretung
bedarf, ist eine Kostenübernahme durch die Verwaltung vorgesehen. Vor diesem Zeitpunkt fehlt es daher an einer
gleichgelagerten Interessenlage. Dies ist schon deshalb nicht unbillig, weil auch im sozialgerichtlichen Verfahren eine
Untätigkeitsklage gegen den Sozialverwaltungsträger, der über einen Widerspruch nicht entschieden hat, erst nach
Ablauf von drei Monaten zulässig ist (§ 88 Abs. 2 SGG). Eine Klage gegen die Nichtbescheidung eines Antrags ist
sogar erst sechs Monate nach Antragstellung zulässig (§ 88 Abs. 1 Satz 1 SGG). Dem kann der Beschwerdeführer
nicht entgegenhalten, in seinem Fall sei eine schnelle Bewilligung von Arbeitslosengeld – zumindest vorläufig oder als
Vorschuss – zur Versorgung seiner Familie vonnöten gewesen, so dass die Beauftragung seines Rechtsanwalts
schon vor Erlass eines Verwaltungsaktes erforderlich gewesen sei. Denn gerade für den Fall der Eilbedürftigkeit sieht
der Gesetzgeber in § 86 b SGG die Möglichkeit der Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes durch die Gerichte
vor. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hat das Gericht eine eigenständige Kostenentscheidung zu treffen
(s. nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86 b Rn. 55), die dann auch die Erstattung von
Kosten zur Einschaltung eines Rechtsanwalts einbezieht.
b) Die Voraussetzungen von § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG sind ebenfalls nicht gegeben. Der Beschwerdeführer hat
Entscheidungen des Sächsischen LSG, des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes
oder des Bundesverfassungsgerichts, von welchen das angefochtene Urteil des SG im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 2
SGG abweichen könnte, nicht benannt. Solche sind für den Senat auch nicht ersichtlich. Eine etwaige Abweichung
des SG von einer Entscheidung eines anderen LSG ist in diesem Zusammenhang unbeachtlich (s. nur Leitherer in
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 144 Rn. 30). Der Wortlaut der Vorschrift ist insoweit eindeutig, als er
von einer Entscheidung "des" LSG spricht. Die Beschränkung auf das Berufungsgericht soll den Schwierigkeiten
Rechnung tragen, die sich bei der Ermittlung abweichender Entscheidungen anderer LSGe ergeben können.
c) Ebenso wenig hat der Beschwerdeführer einen wesentlichen Verfahrensmangel geltend gemacht. Ein
Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt (s. Leitherer in
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 144 Rn. 32). Verstöße gegen materielles Recht, die zu einer
inhaltlich unrichtigen Entscheidung führen, gehören nicht hierzu (s. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG,
9. Aufl., § 144 Rn. 32). Bei der Beurteilung, ob ein die Zulassung der Berufung rechtfertigender Verfahrensmangel
unterlaufen ist, muss von der Rechtsauffassung des SG ausgegangen werden (s. Leitherer in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 144 Rn. 32 a). Sofern ein Verfahrensmangel zu bejahen ist, kann er nur
dann zur Zulassung der Berufung führen, wenn die Entscheidung auf ihm beruhen kann, also die Möglichkeit besteht,
dass er die Entscheidung beeinflusst hat (siehe Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 144 Rn.
35).
Das SG hat die Rechtsauffassung vertreten, eine analoge Anwendung von § 63 SGB X sei immer ausgeschlossen.
Ausgehend von diesem Standpunkt war es für das SG entbehrlich, die vom Beschwerdeführer benannte Zeugin X
einzuvernehmen. Denn selbst wenn mehrmalige vorherige Antragstellungen auf eine vorläufige Bewilligung von
Arbeitslosengeld oder auf eine Vorschusszahlung durch die Ehefrau des Beschwerdeführers stattgefunden haben
sollten, wäre die – nach dem SG allein eröffnete – direkte Anwendung von § 63 SGB X auch auf diesen Sachverhalt
ausgeschlossen, weil die Beklagte tatsächlich zu keinem Zeitpunkt einen Bescheid gemäß § 42 SGB I oder einen
solchen gemäß § 328 SGB III erlassen hat und kein für den Beschwerdeführer erfolgreich verlaufenes
Widerspruchsverfahren stattgefunden hat. Dem SG ist daher insoweit kein Verfahrensmangel unterlaufen.
Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang der Einwand des Beschwerdeführers, das SG habe inhaltlich falsch
entschieden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
4. Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).