Urteil des LSG Sachsen vom 01.03.2010

LSG Fss: arbeitsentgelt, bemessungszeitraum, härtefall, vergleich, arbeitslosigkeit, missverhältnis, anknüpfung, firma, zahl, dienstanweisung

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 01.03.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 26 AL 575/05
Sächsisches Landessozialgericht L 3 AL 119/09
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 20. Oktober 2005 wird
zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger erstrebt die Verpflichtung der Beklagten, ihm Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines auf 2 Jahre
erweiterten Bemessungszeitraums zu bewilligen.
Der am 1950 geborene Kläger war, zuletzt als Bauleiter, bis 31. Dezember 2004 versicherungspflichtig beschäftigt.
Am 4. Oktober 2004 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Bewilligung von Arbeitslosengeld. Das Formblatt
trägt den schriftlichen Vermerk "Bitte bei Bemessung beachten, dass zwischenzeitlich geringeres Einkommen erzielt
wurde".
Die Arbeitsbescheinigung der Firma MG E St P GmbH vom 5. Januar 2005 weist für die letzen 12 Zeitmonate der
Beschäftigung des Kläger folgende Bruttoarbeitsentgelte aus: 12/02 4.606,00 EUR 01/03 4.452,00 EUR 02/03
4.607,00 EUR 04/03 5.064,00 EUR 05/03 4.846,00 EUR 06/03 5.489,00 EUR 07/03 5.509,00 EUR 08/03 5.629,00
EUR 09/03 5.335,00 EUR 10/03 5.796,00 EUR 11/03 5.691,00 EUR.
Aus der Arbeitsbescheinigung des Bildungszentrums für Schweiß- und Konstruktionstechnik P GmbH vom 14.
Dezember 2004 sind für die letzten 12 Zeitmonate der Beschäftigung des Klägers folgende Bruttoarbeitsentgelte zu
entnehmen:
Januar 2004 4.133,10 EUR Februar 2004 4.133,10 EUR März 2004 4.133,10 EUR April 2004 4.133,10 EUR Oktober
ab 18.10.2004 1.928,78 EUR November 2004 4.133,10 EUR Dezember 2004 4.133,10 EUR.
Für den Zeitraum vom 1. Mai 2004 bis 17. Oktober 2004 ergeben sich nach der Arbeitsbescheinigung der S A und M
GmbH vom 15. Oktober 2004 folgende Bruttoarbeitsentgelte: 01.05. – 31.05.04 2.901,28 EUR 01.06. – 30.06.04
2.901,28 EUR 01.07. – 31.07.04 2.901,28 EUR 01.08. – 31.08.04 2.901,28 EUR 01.09. – 30.09.04 2.901,28 EUR
01.10. – 17.10.04 1.520,38 EUR.
Mit Bescheid vom 8. Februar 2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld ab dem 1. Januar 2005 in
Höhe von täglich 46,73 EUR. Sie legte dabei einen Bemessungsrahmen vom 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2004,
ein Arbeitsentgelt von 42.754,46 EUR bei 366 Kalendertagen und daraus folgend ein tägliches Bemessungsentgelt
von 116,82 EUR zugrunde.
Den vom Kläger am 12. Februar 2002 unter Hinweis auf die Beantragung des erweiterten Bemessungszeitraumes
eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2005 zurück. Der
Bemessungszeitraum umfasse die Entgeltzeiträume von 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2004. Der Sonderfall einer
unbilligen Härte, der eine andere Bemessung möglich mache, liege nicht vor. Das Bemessungsentgelt das auf 2 Jahre
erweiterten Bemessungsrahmens liege nicht um 10 % über dem Bemessungsentgelt aus dem
Regelbemessungszeitraum.
Die Klage vom 21. Juni 2005 hat das Sozialgericht Chemnitz mit Gerichtsbescheid vom 20. Oktober 2005
abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung des vom 1.
Januar 2003 bis 31. Dezember 2004 erzielten Arbeitsentgelts. Eine umbillige Härte im Sinne des § 130 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 Sozialgesetzbuch 3. Buch (SGB III) in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung liege nicht vor. Nach dieser
Vorschrift sei der Bemessungsrahmen auf 2 Jahre zu erweitern, wenn es mit Rücksicht auf das Bemessungsentgelt
im erweiterten Bemessungsrahmen unbillig hart wäre, von dem Bemessungsentgelt im Bemessungszeitraum
auszugehen. Dem Charakter als Ausnahmevorschrift entsprechend müsse aber ein deutlicher
Einkommensunterschied feststellbar sein. Die Kammer folge der Auffassung der Beklagten, dass eine unbillige Härte
grundsätzlich erst ab einer Differenz von 10 % zwischen dem (niedrigeren) Bemessungsentgelt aus dem
Regelbemessungsrahmen und dem (höheren) Bemessungsentgelt aus dem erweiterten Bemessungsrahmen in
Betracht komme. Eine solche Mindestdifferenz sei nicht feststellbar, wenngleich der Kläger im Jahr 2004 weniger
Arbeitsentgelt als im Jahr 2003 erzielt habe. Das tägliche Bemessungsentgelt des einjährigen
Regelbemessungsrahmens betrage 116,82 EUR. Ein um 10 % erhöhtes Bemessungsentgelt, also 128,50 EUR, werde
auch im erweiterten Bemessungsrahmen nicht erzielt. Vielmehr betrage das tägliche Bemessungsentgelt im
zweijährigen Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis 31. Dezember 2004 nur 127,68 EUR. Auch wenn der Kläger regelmäßig
mehr Arbeitsentgelt erzielt habe, sei für den Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis 30. November 2003 Arbeitsentgelt nur
bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze (Ost), die bei 4.250,00 EUR monatlich gelegen habe, zu
berücksichtigen. Für den Monat Dezember 2003 sei kein Einkommen nachgewiesen. Im Jahre 2004 sei für 366
Kalendertage ein Arbeitsentgelt von 42.754,46 EUR bestätigt. Rechnerisch ergebe sich bei 89.504,46 EUR dividiert
durch 701 Kalendertage ein tägliches Bemessungsentgelt von 127,68 EUR. Selbst wenn man für den Monat
Dezember 2003 ein weiteres Entgelt in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze von 4.250,00 EUR unterstelle, werde
kein entsprechend hohes Bemessungsentgelt erreicht. Rechnerisch ergebe sich für den Zweijahreszeitraum bei
93.754,46 EUR dividiert durch 736 Kalendertage ein tägliches Bemessungsentgelt von 127,38 EUR.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 25. November 2005. Die vom Sozialgericht geforderte mindestens
10 % ige Abweichung zwischen dem niedrigeren und dem aus dem erweiterten Bemessungsrahmen folgende
Bemessungsentgelt sei willkürlich und finde keinen Rückhalt im Gesetz.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 20. Oktober 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8.
Februar 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem
Kläger Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines vom 1. Januar 2003 bis 31. Dezember 2004 reichenden
Bemessungszeitraums zu bewilligen.
Die Beklagten beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt ihre durch Dienstanweisung vorgegebene Praxis, von einem Härtefall im Sinne von § 130 Abs. 3 SGB III
dann auszugehen, wenn das Bemessungsentgelt aus dem erweiterten Bemessungsrahmen das
Regelbemessungsentgelt um 10 % übersteigt. Dadurch sei eine gleichmäßige Anwendung der Härtevorschrift
gewährleistet.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorganges
sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage des Klägers abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 8. Februar 2005
und der Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2005 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Die Voraussetzungen zur Erweiterung des Bemessungszeitraums auf 2 Jahre liegen nicht vor. Der Senat sieht von
einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und nimmt – mit der nachfolgenden Maßgabe – auf die
Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides Bezug (§ 153 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Die Ausführungen des Sozialgerichts bedürfen hinsichtlich des rechnerischen Ansatzes der Korrektur. Das tägliche
Bemessungsentgelt des einjährigen Regelbemessungsrahmens ist mit 116,82 EUR zutreffend bestimmt. Ein um 10 %
erhöhtes Bemessungsentgelt läge bei 128,50 EUR. Der Monat Dezember 2003 ist in die Vergleichsberechnung
einzubeziehen. Entgegen dem hypothetischen Ansatz des Sozialgerichts aber nicht mit einem Entgelt in Höhe der
Beitragsbemessungsgrenze (4.250,00 EUR) sondern mit einem Betrag von 4.133,10 EUR. Nach den Angaben zum
Arbeitsentgelt in der Arbeitsbescheinigung der Bildungszentrum für Schweiß und Konstruktionstechnik P GmbH war
der Kläger dort ab dem 1. Dezember 2003 beschäftigt. Das vereinbarte Bruttoarbeitsentgelt lag für jeden vollen Monat
bei 4.133,10 EUR. Dass in der Rubrik "Angaben zum Arbeitsentgelt" eine Eintragung für den Monat Dezember 2003
nicht vorgenommen wurde, ist darauf zurückzuführen, dass mit dem Formblatt nur die Abrechnungszeiträume der
letzten 12 Zeitmonate des Beschäftigungsverhältnisses abgefragt werden. Das sind hier die Zeiträume Januar 2004
bis Dezember 2004. Es fehlt daher für den Monat Dezember 2003 nicht im Sinne des § 130 Abs. 3 Satz 2 SGB III am
Einkommensnachweis. Vielmehr kann diese Information aus den Angaben in der Arbeitsbescheinigung gewonnen
werden. Anstelle der vom Sozialgericht unter Berücksichtigung des Monats Dezember 2003 angesetzten 736
Kalendertage sind lediglich 731 Kalendertage anzusetzen. 731 Kalendertage sind, wenn nicht ein
Lohnabrechnungszeitraum in den Bemessungsrahmen hineinragt, der längste mögliche Bemessungszeitraum. Soweit
dazu unter Verweis auf §§ 134 Satz 2, 339 Abs. 1 Satz 1 und 341 Abs. 3 Satz 2 SGB III vertreten wird, bei der
Berechnung des täglichen Bemessungsentgeltes sei das Arbeitsentgelt nicht durch die tatsächliche Zahl an
Kalendertagen zu teilen, vielmehr seien 30 Tage im Monat anzusetzen (Landessozialgericht Baden-Württemberg,
Urteil vom 6. März 2009 – L 8 AL 3880/08 – JURIS-Dokument), folgt der Senat dem nicht. Die genannten Vorschriften
vereinfachen im Sinne einer Verstetigung von Zeitabschnitten die Bestimmung der Höhe von Leistungen oder
Beiträgen. Sie setzen damit, einer Rundung ähnlich, am Ende der Berechnung an. Auf den hier zu beurteilenden
Berechnungsvorgang angewandt würde aber keine Vereinfachung der Bestimmung eines Zahlbetrages sondern
lediglich eine mathematische Ungenauigkeit im Rechenweg herbeigeführt werden. Hat es damit beim Ansatz von 731
Kalendertagen mit einem Arbeitsentgelt von 93.637,16 EUR zu verbleiben, ergibt sich im zweijährigen
Bemessungszeitraum ein tägliches Bemessungsentgelt in Höhe von 128,10 EUR. Es unterschreitet, wenn auch nur
geringfügig, das um 10 % erhöhte tägliche Bemessungsentgelt des Regelbemessungsrahmens.
Unterhalb dieser 10 % - Schwelle liegt eine unbillige Härte im Sinne von § 130 Abs. 3 Nr. 2 SGB III nicht vor. Ein
Härtefall ist grundsätzlich nur dann zu bejahen, wenn eine erhebliche Verschlechterung in der Entgeltsituation vorliegt,
welche die Anknüpfung der Bemessung an die allgemeinen Regeln als im Einzelfall unzumutbar erscheinen lässt.
Dabei ist darauf abzustellen, ob eine Vergleichsberechnung ein Missverhältnis zwischen dem im Bemessungsrahmen
nach § 130 Abs. 1 SGB III und im erweiterten Ermessungsrahmen erzielten Bemessungsentgelt ergibt, dass nach
einer Erweiterung verlangt, um die Indizfunktion des Bemessungsentgeltes zu gewährleisten (Landessozialgericht
Baden-Württemberg, Urteil vom 6. März 2009 a.a.O.). Soweit die Gegenauffassung eine unbillige Härte auch bei
einem Unterschied zwischen dem Bemessungsentgelt im Regelbemessungszeitraum und dem Bemessungsentgelt im
erweiterten Bemessungszeitraum zischen 5 und 10 % dann annimmt, wenn besondere Umstände des Einzelfalls mit
besonderem Gewicht – etwa freiwillige Gehaltseinbußen, die der Arbeitnehmer zum Erhalt seines Arbeitsplatzes
hingenommen hat – hinzutreten (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 31. Mai 2006 – L 1 AL 10/06 – JURIS-
Dokument), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Nach der Systematik des § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB III will
die Billigkeitsprüfung alleine einen Vergleich aus Entgelten aus länger zurückliegenden Zeiträumen zwecks
Ausweitung des Bemessungsrahmens ermöglichen, ohne dass es auf die Gründe des Minderverdienstes ankommt.
Dieser Normenzweck lässt die Berücksichtigung anderer Härtegesichtspunkte nicht zu (Landessozialgericht Baden-
Württemberg, Urteil vom 6. März 2009 a.a.o.). Der vom Kläger angeführte Umstand, aus der
Beschäftigungsgesellschaft heraus zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit eine andere Stelle angenommen zu haben,
kann daher keine Berücksichtigung finden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.