Urteil des LSG Sachsen vom 06.05.2010

LSG Fss: wiedereinsetzung in den vorigen stand, ablauf der frist, faires verfahren, zustellung, berufungsfrist, fax, berufungsschrift, entschuldigung, zahl, offenkundig

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 06.05.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Leipzig S 23 AS 4798/08
Sächsisches Landessozialgericht L 3 AS 588/09
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 5. August 2009 wird als
unzulässig verworfen.
II. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wandte sich gegen die Aufhebung von zuvor bewilligten Leistungen nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) und eine hieran anknüpfende Erstattungsforderung
der Beklagten im Bescheid vom 25. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember
2008.
Das Sozialgericht Leipzig hat mit Gerichtsbescheid vom 5. August 2009 die Klage abgewiesen.
Gegen den am 11. August 2009 dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellten Gerichtsbescheid ist mit
Anwaltsschriftsatz vom 11. September 2009 per Telefax unter der Telefaxnummer des Sozialgerichtes Chemnitz
Berufung eingelegt worden. Dieses Telefax ist am 11. September 2009 beim Sozialgericht Chemnitz eingegangen,
von dort weitergeleitet worden und am 14. September 2009 beim Sächsischen Landessozialgericht eingegangen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig und den Bescheid der Beklagten vom 25. Februar 2008 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember 2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen.
Die Berufung sei nicht zulässig, weil sie nicht fristgerecht erhoben worden sei. Der angefochtene Gerichtsbescheid sei
am 11. August 2009 zugestellt worden. Die Berufung sei zwar am 11. September 2009 per Fax beim Sozialgericht
Chemnitz eingegangen. Allerdings genüge dies nach § 151 Abs. 1 und Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)
nicht zur Fristwahrung. Als die Berufung am 14. September 2009 beim Sächsischen Landessozialgericht eingegangen
sei, sei die Berufungsfrist bereits abgelaufen gewesen.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die
Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Gericht konnte über die Berufung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Gemäß § 158 Satz 1 SGG ist die Berufung, wenn sie unter anderem nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt worden
ist, als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann gemäß § 158 Satz 2 SGG durch Beschluss ergehen. Nach
dem Urteil des 1. Senates des Bundessozialgericht vom 8. November 2005 (vgl. BSG, Urteil vom 8. November 2005
– B 1 KR 76/05 B – SozR 4-1500 § 158 Nr. 2 = JURIS-Dokument Rdnr. 7 ff.) ist allerdings dann, wenn das
Sozialgericht über die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid (vgl. § 105 SGG) entschieden hat,
über die Berufung unter Beachtung des Prozessgrundrechts auf ein faires Verfahren, zur Wahrung des rechtlichen
Gehörs und unter Beachtung von Artikel 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten nicht durch Beschluss zu entscheiden, sondern nur aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil
unter Einbeziehung der ehrenamtlichen Richter. Diese prozessrechtlichen Grundsätze gebieten jedoch nicht, gegen
den Willen der Beteiligten eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Da für eine Berufung gegen einen
Gerichtsbescheid nicht von Gesetzes wegen eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, verbleibt es für die
Beteiligten bei der Möglichkeit, gemäß § 124 Abs. 2 SGG ihr Einverständnis zu einer Entscheidung des
Berufungsgerichtes ohne mündliche Verhandlung durch Urteil zu erklären. Von dieser Möglichkeit haben die
Beteiligten vorliegend Gebrauch gemacht.
II. Die Berufung ist nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt worden und daher gemäß § 158 Satz 1 SGG als
unzulässig zu verwerfen.
Gemäß § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Diese Frist ist nicht gewahrt.
Der mit einer vollständigen und zutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
Leipzig vom 5. August 2009 ist dem Bevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 11. August 2009
zugestellt worden. Diese Zustellung wirkte gegen den Kläger (vgl. § 73 Abs. 6 Satz 5 SGG). Die einmonatige Frist zur
Einlegung der Berufung begann gemäß § 64 Abs. 1 SGG mit dem Tag nach der Zustellung, das heißt am 12. August
2009. Eine nach Monaten bestimmte Frist endet gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 SGG mit dem Ablauf desjenigen Tages
des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt
fällt. Die einmonatige Berufungsfrist endete somit einen Monat nach dem Tag der Zustellung des Beschlusses, mithin
am 11. September 2009, einem Freitag. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers übersandte die Berufungsschrift
vom 11. September 2009 am selben Tag per Telefax an das Sozialgericht Chemnitz. Die Einlegung der Berufung hat
jedoch gemäß § 151 Abs. 1 SGG beim Landessozialgericht schriftlich zu erfolgen.
Zwar ist nach § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG die Berufungsfrist auch mit Einreichung bei dem Sozialgericht gewahrt.
Sozialgericht im Sinne des § 151 Abs. 2 SGG ist jedoch nur das Sozialgericht, dessen Entscheidung angefochten
wird, nicht ein anderes Sozialgericht (Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [9. Aufl.,
2008], § 151 Rdnr. 2, m. w. N.). Die Einlegung bei einem anderen Gericht wahrt die Frist nicht (vgl. BSG, Urteil vom
31. März 2005 – B 11a/11 AL 229/04 B – JURIS-Dokument Rdnr. 11; Leitherer, a. a. O., § 151 Rdnr. 2a). Die
Berufung ist dann nur zulässig, wenn sie innerhalb der Frist an das Landessozialgericht gelangt, wobei das Gericht
grundsätzlich nicht verpflichtet ist, die Beteiligten innerhalb der Frist telefonisch oder durch Fax auf die Unzulässigkeit
hinzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15. August 2002 – B 3 P 14/02 B – JURIS-Dokument Rdnr. 4). Vorliegend ging der
Berufungsschriftsatz jedoch erst am 14. September 2009, also nach Ablauf der Frist, beim Sächsischen
Landessozialgericht ein.
Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht gestellt worden. Auch sind die Voraussetzungen für
eine Wiedereinsetzung von Amts wegen (vgl. § 67 Abs. 2 Satz 4 SGG) nicht gegeben. Denn es wäre erforderlich
gewesen, dass ein Wiedereinsetzungsgrund erkennbar gemacht oder offenkundig ist. Dies ist aber nicht der Fall. Zur
Entschuldigung der verspäteten Berufungseinlegung wurde von Klägerseite nichts vorgetragen, obgleich mit Schreiben
vom 23. September 2009 darauf hingewiesen worden war, dass die Berufung erst am 14. September 2009
eingegangen ist. Die Beklagte wies mit Schreiben vom 12. November 2009 ebenfalls auf die Versäumung der
Berufungsfrist hin. Schließlich wurde der Prozessbevollmächtigte des Klägers auf den bereits erwähnten Beschluss
des Bundessozialgerichts vom 31. März 2005 (B 11a/11 AL 229/04 B) hingewiesen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
IV. Die Revision war nicht zuzulassen, da Revisionszulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben
waren.