Urteil des LSG Sachsen vom 16.12.2010

LSG Fss: wohl des kindes, unfallversicherung, begriff, unternehmen, versicherungsschutz, tagesmutter, kinderbetreuung, abgabenordnung, tagespflege, fürsorge

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 16.12.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Leipzig S 23 U 52/07
Sächsisches Landessozialgericht L 2 U 67/09
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 10.02.2009 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 15.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte die als Tagesmutter tätige Klägerin ab 01.01.2005 zu Recht veranlagt hat.
Die Klägerin ist seit 2003 als selbständige Tagesmutter tätig. Sie betreut jeweils fünf Kinder aus verschiedenen
Familien. Mit Bescheid vom 16.06.2006 veranlagte die Beklagte die Klägerin ab 01.01.2005 in der Gefahrklasse 2,10.
Mit Beitragsbescheid vom selben Tag forderte sie für das Jahr 2005 einen Beitrag in Höhe von 66,15 EUR. Den
Widerspruch der Klägerin vom 10.07.2006 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.02.2007 zurück. Das
von der Klägerin betriebene Unternehmen gehöre mit Wirkung zum 01.01.2005 der gesetzlichen Unfallversicherung an.
Die Kinderbetreuung durch eine Tagespflegeperson diene dem Wohl des Kindes und sichere seine soziale,
emotionale, körperliche und geistige Entwicklung. Die Betreuung von schutzbedürftigen Menschen, zu denen außer
kranken, behinderten und alten Menschen auch Kinder zählten, sei eine Tätigkeit in der Wohlfahrtspflege im Sinne
des § 2 Abs. 1 Nr. 9 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Wegen der bis Ende 2004 bestehenden
Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Versicherungs- und Beitragspflicht von Tagespflegepersonen und der erst mit dem
Inkrafttreten des Tagesbetreuungsausbaugesetzes (TAG) zum 01.01.2005 beseitigten Rechtsunsicherheit sei als
Versicherungsbeginn der 01.01.2005 festzustellen.
Die Klägerin hat ihr Begehren mit der am 02.04.2007 zum Sozialgericht Leipzig (SG) erhobenen Klage weiter verfolgt.
Kindern stellten keinesfalls gesundheitlich, sittlich oder wirtschaftlich gefährdete Menschen dar. Daher sei
Kinderbetreuung nicht unter den Begriff der Wohlfahrtspflege zu subsumieren. Auch habe die Klägerin durch den
Abschluss einer privaten Unfallversicherung bereits hinreichend Vorsorge getroffen. Aus dem TAG und § 23 Abs. 2
Satz 1 Nr. 3 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) lasse sich nicht schlussfolgern, dass eine
Versicherungspflicht bestehe, da in der genannten Vorschrift von einer Erstattungsfähigkeit der Beiträge zu "einer"
Unfallversicherung die Rede sei, mithin ein Rückschluss auf die Versicherung gerade in der gesetzlichen
Unfallversicherung nicht möglich sei.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 10.02.2009 abgewiesen. Nach § 136 Abs. 1 SGB VII stelle der
Unfallversicherungsträger Beginn und Ende einer Zuständigkeit für ein Unternehmen durch schriftlichen Bescheid
gegenüber dem Unternehmer fest. Die Beklagte sei gemäß §§ 121, 122 SGB VII i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ihrer Satzung
für Unternehmen im Gesundheits- und Veterinärwesen sowie für Unternehmen in der Wohlfahrtspflege zuständig,
soweit sich nicht die Zuständigkeit eines Unfallversicherungsträgers der öffentlichen Hand ergebe. Die Beitragspflicht
der Mitgliedsunternehmen folge aus §§ 150 ff. SGB VII. Die Klägerin sei aufgrund ihrer selbständigen Tätigkeit als
Tagespflegeperson selbständig in der Wohlfahrtspflege nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII tätig, so dass ihr Unternehmen
in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten falle. Der Begriff der Wohlfahrtspflege werde in verschiedenen Gesetzen
verwendet, ohne einheitlich definiert zu sein. Etymologisch gehe das Wort auf das mittelhochdeutsche "wol varn" (=
Wohlergehen) zurück, woraus sich für den Begriff "Wohlfahrtspflege" im 20. Jahrhundert die Bedeutung "Fördern des
Wohlergehens (der Allgemeinheit)" entwickelt habe (Köbler, Deutsches Etymologisches Wörterbuch, 1995).
Insbesondere nach dem 1. Weltkrieg seien in rascher Abfolge Sozialgesetze, Wohlfahrtsgesetze, entstanden, mit
denen Sonderfürsorgebereiche für bestimmte Gruppen ausgebaut worden seien. Darunter habe sich auch das
Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922, aus dem 1953 das Jugendwohlfahrtsgesetz und schließlich (ab 1991) das
SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe – hervorgegangen seien, befunden. Diesem weiten begrifflichen Vorverständnis
folgend habe auch das Bundesverfassungsgericht für den Begriff der "öffentlichen Fürsorge" in Artikel 74 Abs. 1 Nr. 7
Grundgesetz entschieden, dass hierunter u. a. der gesamte Bereich der Jugendwohlfahrt einschließlich der Förderung
des körperlichen, geistigen und sittlichen Wohls aller Jugendlichen falle, ohne dass eine Gefährdung im Einzelfall
vorzulegen brauche (Beschluss vom 18.07.1967 – 2 BvF 3/62 u. a. – BVerfGE 22, 180, 212 ff.). Auf den ersten Blick
enger habe das BSG unter dem Begriff der Wohlfahrtspflege die planmäßige, zum Wohle der Allgemeinheit und nicht
des Erwerbs wegen ausgeübte, vorbeugende und abhelfende Hilfeleistung für gesundheitlich, sittlich oder
wirtschaftlich notleitende und gefährdete Menschen verstanden (vgl. etwa BSG, Urteil vom 26.09.1961 – 2 RU 31/60 -,
BSGE 15, 116 ff.; Urteil vom 25.10.1957 – 2 RU 122/54 – BSGE 6, 74, 77). Die genannten Entscheidungen seien
zum Berufskrankheitenrecht ergangen und knüpften an die Definition der Schiedsstelle beim Verband der Deutschen
Berufsgenossenschaften aus dem Jahre 1931 sowie des Reichsversicherungsamts in einer Entscheidung aus dem
Jahre 1929 an (vgl. Nachweise bei BSG, Urteil vom 26.06.1985 – 2 RU 79/84 -, zitiert nach Juris, Rdnr. 13).
Zutreffend habe das BSG jedoch im Urteil vom 26.06.1985 (a.a.O.), das die Auslegung der Vorgängervorschrift zu § 2
Abs. 1 Nr. 9 SGB II betroffen habe (§ 539 Abs. 1 Nr. 7 RVO), darauf hingewiesen, dass in diesem Zusammenhang
der Begriff der Wohlfahrtspflege allgemeiner auszulegen sei und nicht den durch das Berufskrankheitenrecht und den
dort in der Nr. 3101 der Anlage I zur Berufskrankheitenverordnung vorgegebenen Einengungen und Vorprägungen
unterliege. Im konkret zu entscheidenden Fall habe das BSG darauf hingewiesen, dass die Aufgaben der allgemeinen
Wohlfahrtspflege in den letzten Jahren vor allem durch das Bundessozialhilfegesetz umschrieben worden seien und
dem bei der Auslegung des § 539 Abs. 1 Nr. 7 RVO Rechnung zu tragen sei. Aus diesen Gründen, insbesondere
angesichts der geschichtlichen Entwicklung des Be-griffs Wohlfahrtspflege, gehe das SG davon aus, dass hierunter
auch die Tagesbetreuung von Kindern als Teil der Jugendwohlfahrt falle. Diese Sichtweise habe auch der
Gesetzgeber des TAG geteilt, durch das die Förderung der Tagespflege u. a. in § 23 SGB VIII neu geregelt worden
sei. Nach § 23 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII werde die Kindertagespflege durch laufende Geldleistungen auch in Form der
Erstattung nachgewiesener Aufträge für Beiträge zu einer Unfallversicherung gefördert. Der Klägerin sei zuzugeben,
dass hiermit nicht explizit die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung angesprochen seien. Wären die
Tagesmütter vom Gesetzgeber jedoch als abhängig Beschäftigte des Privathaushaltes oder als "Wie-Beschäftigte"
der Jugendämter anzusehen und damit aus diesen Grund gesetzlich unfallversichert gewesen, so hätte die
Erstattungsregelung keinen Sinn ergeben. Aus diesem Grunde könne mittelbar aus der betroffenen Neuregelung
geschlossen werden, dass Tagesmütter als gesetzlich Unfallversicherte im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII
angesehen würden. Das von der Klägerin betriebene Unternehmen falle daher in den Zuständigkeitsbereich der
Beklagten, die von der Klägerin nach Grund und Höhe zu Recht Beiträge erhoben habe. Die Kostenentscheidung folge
aus § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Gegen das den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 06.03.2009 zugestellte Urteil haben diese am 31.03.2009
Berufung beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegt. Entgegen den Ausführungen des SG lasse sich die
Tätigkeit der Tagesmutter nicht dem Bereich der Wohlfahrtspflege zuordnen. Das BSG verstehe unter dem Begriff der
Wohlfahrtspflege die planmäßige, zum Wohle der Allgemeinheit und nicht des Erwerbs wegen ausgeübte vorbeugende
und abhelfende unmittelbare Betreuung von gesundheitlich, sittlich und wirtschaftlich gefährdeten Menschen (BSGE
15, S. 116). Hierunter falle die Klägerin nicht. Soweit das Erstgericht darauf hinweise, dass die hier verwandte
Definition des Be-griffs der Wohlfahrtspflege aus einer Entscheidung des BSG aus dem Jahre 1957 stamme und
insoweit zu eng sei, so werde auf die Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen vom 21.05.2003 – L 17 U 54/02 –
verwiesen. Auch in dieser Entscheidung werde dieselbe Definition verwandt. Für einen Versicherungsschutz spreche
auch nicht die Regelung des § 23 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII, weil darin lediglich die Erstattung von Beiträgen zu "einer"
Unfallversicherung gefördert werde.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 10.02.2009 sowie den Veranlagungsbescheid der Beklagten vom
16.06.2006 und den Widerspruchsbescheid vom 28.02.2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erachtet das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Dem Senat liegen die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Beklagten vor. Ihr Inhalt war
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG mit Urteil vom 10.02.2009 die Klage
abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 16.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
28.02.2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten.
1. Streitgegenstand des Verfahrens ist der Veranlagungsbescheid vom 16.06.2006 i.d.G. des
Widerspruchsbescheides vom 28.02.2007. Der Beitragsbescheid vom 16.06.2006 ist sowohl nach dem
Verfügungssatz als auch der Begründung des Widerspruchsbescheides nicht Gegenstand desselben (BSG, Urteil
vom 05.07.2005 – B 2 U 32/03 R -, zitiert nach Juris, Rdnrn. 19 f.; BSG, Urteil vom 24.06.03 – B 2 U 21/02 R -, zitiert
nach Juris, Rdnr. 16). Der Beitragsbescheid erfüllt auch nicht die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil er den Veranlagungsbescheid weder abändert noch ergänzt (BSG, Urteil vom
05.07.2005 – B 2 U 32/03 R -, zitiert nach Juris, Rdnrn. 19 f.; BSG, Urteil vom 24.06.03 – B 2 U 21/02 R -, zitiert nach
Juris, Rdnr. 17).
2. Ein Versicherungsschutz gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII besteht zwar nicht, weil die Klägerin als Tagesmutter nicht
lediglich Kinder eines Auftraggebers (einer Familie), sondern Kinder aus verschiedenen Familien betreut (BSG, Urteil
vom 17.02.1998 – B 2 U 3/97 R -, zitiert nach Juris).
3. Die Klägerin gehört jedoch zu dem nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII versicherten Personenkreis, weil sie als
Tagesmutter eine Tätigkeit der Wohlfahrtspflege ausübt. Nach der genannten Norm sind kraft Gesetzes Personen
versichert, die selbständig oder unentgeltlich (insbesondere ehrenamtlich) im Gesundheitsdienst oder in der
Wohlfahrtspflege tätig sind.
a) Das BSG definiert zwar den Begriff der Wohlfahrtspflege im Berufskrankheitenrecht als "eine planmäßige, zum
Wohle der Allgemeinheit und nicht des Erwerbs wegen ausgeübte vorbeugende oder abhelfende unmittelbare
Betreuung von gesundheitlich, sittlich oder wirtschaftlich gefährdeten Menschen" (BSG, Urteil vom 25.10.1957 – 2 RU
122/54 -, BSGE 6, 74, 77; BSG, Urteil vom 26.09.1961 – 2 RU 31/60 -, BSGE 15, 116, 117; ebenso LSG Nordrhein-
Westfalen, Urteil vom 21.05.2003 – L 17 U 54/02 -, zitiert nach Juris, Rdnr. 18; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil
vom 21.06.2007 – L 9 U 315/04 -, zitiert nach Juris, Rdnr. 20).
Der Begriff der "Wohlfahrtspflege" in § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII ist jedoch – wie vom SG zutreffend ausgeführt – weiter
(Bereiter/Hahn, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand: 10/2010, § 2 Ziff. 20.18; Kruschinsky, in:
Becker/Borchert/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung – Kommentar, Bd. I, Stand: 9/2010, Rdnrn.
539 ff.; Grube, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, Stand: 6/2010, § 23, Rdnr. 36). Die Begriffsbestimmungen in anderen
Gesetzen sind zur Auslegung ergänzend heranzuziehen. Nach § 66 Abs. 2 Abgabenordnung ist Wohlfahrtspflege "die
planmäßige, zum Wohle der Allgemeinheit und nicht des Erwerbs wegen ausgeübte Sorge für notleidende oder
gefährdete Mitmenschen. Die Sorge kann sich auf das gesundheitliche, sittliche, erzieherische oder wirtschaftliche
Wohl erstrecken und Vorbeugung oder Abhilfe bezwecken".
Ausweislich der Kommentierung zu § 66 Abgabenordnung benennt § 68 Abgabenordnung als Einrichtungen der
Wohlfahrtspflege (vgl. Klein, AO, 10. Auflage, § 66 Rdnr. 2) u.a. Alten-, Altenwohn- und Pflegeheime, Kindergärten,
Werkstätten für behinderte Menschen, Einrichtungen der Beschäftigungs- und Arbeitstherapie für behinderte
Menschen, Einrichtungen der Blinden- und Körperbehindertenfürsorge sowie Einrichtungen der Fürsorgeerziehung und
der freiwilligen Erziehungshilfe. Dass danach Kindergärten, deren Zweck in der Betreuung und Erziehung von Kindern
besteht, Einrichtungen der Wohlfahrtspflege darstellen, spricht dafür, auch die Tätigkeit von Tagespflegepersonen,
deren Tätigkeit denselben Zweck verfolgt, der Wohlfahrtspflege zuzuordnen.
b) Auch das Wesen der Kindertagespflege rechtfertigt es, diese zur Wohlfahrtspflege zu rechnen. Bei ihr steht – wie
bei der Berufsbetreuung, die zur Wohlfahrtspfege zählt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.05.2003, a.a.O.,
Rdnr. 21) – das Wohl der aufgrund ihrer Schutzbedürftigkeit zu Betreuenden im Vordergrund. Die Beklagte hat in ihrem
Widerspruchsbescheid zu Recht ausgeführt, die Kinderbetreuung durch Tagespflegepersonen dient dem Wohl der
Kinder und sichert ihre soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung.
Für die Wohlfahrtspflege - einschließlich der Kindertagespflege und der Berufsbetreuung - ist typisch, dass Personen
betreut werden, die besonderer Fürsorge bedürfen, weil sie aufgrund ihres hohen oder geringen Alters, wegen
Krankheit oder Gebrechen bzw. Notlagen Hilfe bedürfen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rdnr. 23).
c) In der Literatur wird der Versicherungsschutz für Tagespflegepersonen als selbständig in der Wohlfahrtspflege
Tätige nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII ebenfalls bejaht (Kruschinsky, in: Becker/Borchert/Krasney/Kruschinsky,
Gesetzliche Unfallversicherung – Kommentar, Bd. I, Stand: 9/2010, Rdnr. 540a; Grube, in: Hauck/Noftz, SGB VIII,
Stand: 6/2010, § 23, Rdnr. 36).
d) Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG kommt es für den Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB
VII (bzw. den Vorgängernorm des § 539 Abs. 1 Nr. 7 Reichsversicherungsordnung) nicht auf die organisatorische
Gestaltung, sondern die Zweckbestimmung einer Tätigkeit an (BSG, Urteil vom 26.01.1988 – 2 RU 23/87 –; BSG,
Urteil vom 26.06.1985 – 2 RU 79/84 –, zitiert nach Juris, Rdnr. 14; BSG, Urteil vom 12.03.1974 – 2 RU 1/12 –,
Kruschinsky, a.a.O., Rdnr. 540a).
Auch ist es für den Versicherungsschutz unerheblich, ob die Tätigkeit in der Wohlfahrtspflege gegen Entgelt oder
ehrenamtlich ausgeübt wird (BSG, Urteil vom 26.01.1988, a.a.O.). Der Versicherungsschutz umfasst alle und gerade
die freiberuflich (selbständig) in der Wohlfahrtspflege Tätigen (BSG, Urteil vom 26.01.1988, a.a.O. m.w.N.). Dafür
spricht auch bereits der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII.
Ob die Wohlfahrtspflege als öffentliche oder freie Wohlfahrtspflege ausgeübt wird, ist für den Versicherungsschutz
gem. § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII ebenso ohne Bedeutung (Kruschinsky, a.a.O., Rdnr. 540a).
e) Die Klägerin ist auch nicht gemäß § 4 Abs. 3 SGB VII versicherungsfrei. Sie gehört nicht zu den dort aufgezählten
selbständig tätigen Personen. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.1963 – 2 RU
35/60 -, BSGE 18, 231 ff.) ist die Aufzählung der in § 4 Abs. 3 SGB VII genannten Tätigkeiten abschließend. Eine
entsprechende Anwendung auf Angehörige anderer Berufsgruppen ist nicht möglich (vgl. Urteil des BSG vom
21.01.1997 – 2 RU 3/96 -; BSG, Urteil vom 30.01.1963, a.a.O.).
f) Für den gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 9 pflichtversicherten Personenkreis ist gem. §§ 121, 122 Abs. 1 SGB VII i.V.m. § 3
Abs. 1 Nr. 1 der Satzung der Beklagten die Beklagte der sachlich zuständige Unfallversicherungsträger.
g) Zu Recht hat die Beklagte die Klägerin persönlich als Unternehmerin mit dem Veranlagungsbescheid vom
16.06.2006 veranlagt. Die Einordnung der Klägerin als Unternehmerin der Tagespflege in die Gefahrklasse 2,10 des
Gefahrtarifs der Beklagten ist ebenso wenig zu beanstanden. Im Übrigen hat die Klägerin hiergegen auch nichts
vorgetragen, was zu Zweifeln an dieser Eingruppierung Anlass geben könnte.
h) Im Übrigen wird auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung verwiesen.
4. Der Streitwert war auf 15.000,00 EUR festzusetzen. In sozialgerichtlichen Verfahren, in denen in einem Rechtszug
weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 Sozialgerichtsgesetz (SGG) genannten Personen gehören (vgl.
BSG, Urteil vom 05.03.2008 – B 2 U 353/07 B -, zitiert nach Juris), werden nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG Kosten
nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) erhoben, wenn die Klage nach dem 01.01.2002
rechtshängig geworden ist (BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 24). Da keiner der Beteiligten hier die Voraussetzung des §
183 SGG erfüllt, sind die Kosten nach den Vorschriften des GKG zu erheben (BSG, Urteil vom 05.03.2008 – B 2 U
353/07 B -, zitiert nach Juris, Rdnr. 6).
Nach § 52 Abs. 1 GKG in der ab 01.07.2004 geltenden Fassung des Art. 1 des
Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 05.05.2004 (BGBl. I S. 718), die hier gemäß § 72 Nr. 1 GKG anzuwenden
ist, weil die Berufung nach dem 01.07.2004 eingelegt worden ist, ist in Verfahren vor den Gerichten der
Sozialgerichtsbarkeit der Streitwert, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag des Klägers
für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Betrifft der Antrag eine bezifferte
Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist – bis zur Obergrenze von 2.500.000,00 EUR (§ 52
Abs. 4 GKG) – deren Höhe maßgeblich (§ 52 Abs. 3 GKG). Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des
Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist gemäß § 52 Abs. 2 GKG ein Streitwert von 5.000,00 EUR
("Auffangstreitwert") anzunehmen.
Bei dem Streit über die richtige Veranlagung eines Unternehmens zu den im Gefahrtarif der Berufsgenossenschaft
ausgewiesenen Gefahrklassen geht es um ein Berechnungselement für den während der Tarifzeit von maximal sechs
Jahren zu entrichtenden Unfallversicherungsbeitrag, ohne dass sich das damit verbundene wirtschaftliche Interesse
des beitragspflichtigen Unternehmers beitragsmäßig beziffern ließe. Der Senat orientiert sich der Rechtsprechung des
BSG folgend bei derartigen Grundlagenentscheidungen, die für das Versicherungsverhältnis zwischen den Beteiligten
längerfristige Bedeutung haben, an dem zu erwartenden Jahresbeitrag und der zu erwartenden Beitragsdifferenz und
legt je nach Streitgegenstand diesen Betrag oder ein Mehrfaches davon zu Grunde. Wegen des erheblichen Gewichts
solcher Entscheidungen darf dabei ein Mindestbetrag nicht unterschritten werden, dessen Höhe wiederum abhängig
vom Streitgegenstand zu bestimmen ist. Für die Zuständigkeitsstreitigkeiten, in denen es um die Mitgliedschaft bei
einem bestimmten Unfallversicherungsträger geht, hat das BSG den Streitwert in Anwendung der genannten
Grundsätze auf das Dreifache des bei dem bisherigen Unfallversicherungsträger angefallenen Jahresbeitrags,
mindestens jedoch den vierfachen Auffangstreitwert aus § 52 Abs. 2 GKG (20.000,00 EUR) beziffert (BSG,
Beschluss vom 28.02.2006 – B 2 U 31/02 R –). Der hier zu beurteilende Veranlagungsstreit hat für das betroffene
Unternehmen zwar nicht dieselbe umfassende Bedeutung, ist wirtschaftlich gesehen aber ebenfalls von erheblichem
Gewicht. Das BSG hält deshalb für derartige Fälle einen Streitwert in Höhe des Doppelten der streitigen
Beitragsdifferenz, mindestens jedoch in Höhe des dreifachen Auffangstreitwertes (15.000,00 EUR) für angemessen
(BSG, Beschluss vom 30.11.2006 – B 2 U 410/05 B –). Dieser Rechtsprechung folgend war daher der Streitwert
vorliegend auf 15.000,00 EUR festzusetzen.
Nach alledem war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
5. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.