Urteil des LSG Sachsen vom 16.12.2010

LSG Fss: stationäre behandlung, belastung, berufskrankheit, ärztliches gutachten, mrt, rechtskräftiges urteil, gutachter, wurzel, bandscheibenvorfall, wahrscheinlichkeit

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 16.12.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 5 U 235/03
Sächsisches Landessozialgericht L 2 U 114/06
I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 06.06.2006 aufgehoben
und unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 09.05.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
31.07.2003 festgestellt, dass bei dem Kläger seit dem 01.01.2001 eine Berufskrankheit der Nr. 2108 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung vorliegt.
II. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen trägt die Beklagte.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über das Vorliegen einer Berufskrankheit der Nr. 2108 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung (BK-Nr. 2108 BKV).
Der am geborene Kläger begann nach Abschluss der Schulausbildung im September 1979 eine Lehre als
Zimmermann beim VEB B. P ... Nach Abschluss der Lehre im September 1979 war er beim VEB K. B bis Oktober
1990 als Gerüstbauer beschäftigt. Dazwischen absolvierte er von Mai 1987 bis Oktober 1988 seinen Grundwehrdienst
bei der NVA. Ab Oktober 1990 bis zum 31.12.2000 war der Kläger dann weiter bei der G und M. GmbH N. in B. als
Gerüstbauer und Bauleiter (tatsächlich Vorarbeiter) beschäftigt. Seit 01.01.2001 ist er als Bauleiter für Gerüstbau bei
der Fa. R & M A in G ... tätig.
Anfang August 2002 zeigte der Orthopäde Dipl.-Med. M ... gegenüber der Beklagten den Verdacht einer
Wirbelsäulenberufskrankheit bei dem Kläger an. Die Beklagte holte daraufhin neben dem Sozialversicherungsausweis
mehrere Krankheitsberichte ein. Es handelte sich u. a. um den Bericht des Kreiskrankenhauses W über eine
stationäre Behandlung vom 13.09. bis 24.09.1992 wegen LWS-Beschwerden, einen Bericht der Fachklinik R. zu den
Bandscheibenoperationen im Oktober 1992 und Juni 2000 samt Begleitberichten. Im Erstbefund vom 22.09.1992 des
Krankenhauses R ... ist ausgeführt, dass die LWS flach lordosiert sei, die Vorbeuge eingeschränkt. Der Lasegue links
sei bei 30° positiv. Es sei eine mittelgradige Extensorenschwäche des Großzehenhebers links befundet worden. Am
02.10.1992 sei durch eine Myelografie ein Bandscheibenprolaps L4/5 links festgestellt und am 13.10.1992 eine
Operation durchgeführt worden. Dabei sei eine Bandscheibenruptur L4/5 mit kleinen intradiscalen Sequestern
gefunden worden.
Bei der zweiten Einweisung sei am 21.06.2000 ein Prolaps im Segment L5/S1 längs festgestellt worden. Im MRT sei
eine linksseitige Bandscheibenprotrusion bei L4 bis S1 mit linksseitiger Forameneinengung und Alteration der linken
Nervenwurzeln L4 und L5 gefunden worden. Am 03.07. sei die Fensterungsoperation L4 bis S1 erfolgt, dabei ein
Prolaps im Segment L5/S1 operiert worden. Die Beklagte holte auch Berichte über Reha-Behandlungen ein. Aus der
stationären Behandlung vom 27.07. – 24.08.2000 in der K ...klinik B ... Sch ... wurde er arbeitsunfähig entlassen.
Bereits hier ist ausgeführt, dass schweres Heben und Tragen und Arbeiten auf Gerüsten nicht mehr möglich sein
werden. Der Bericht über einen Aufenthalt im Sächsischen Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie G vom 05.06.
– 26.06.2001 beschreibt Minderung der Kraft in beiden Beinen. Es fielen narbige Veränderungen mit Alteration der
Wurzeln L 5 und S1 auf. Nachdem der AMD der Beklagten keine weiteren Ermittlungen für nötig erachtet hatte, wurde
die Sache im März 2003 der Gewerbeärztin in P vorgelegt. Diese empfahl eine Belastungsberechnung durch den TAD
und, falls die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt seien, eine orthopädische Begutachtung. Im Anschluss
daran lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 09.05.2003 die Entschädigung wegen einer Berufskrankheit nach Nr.
2108 der Anlage zur BKV ab. Die medizinischen Erhebungen würden gegen das Vorliegen der
Anspruchsvoraussetzungen sprechen, da die Schäden von unten nach oben zunehmen würden. Der Widerspruch
wurde mit Bescheid vom 31.07.2003 zurückgewiesen, der am 18.08.2003 zur Post gegeben wurde. Mit am 03.09.2003
beim SG Dresden eingegangenem Schriftsatz erhob der Kläger Klage gegen den Widerspruchsbescheid mit dem Ziel,
Leistungen wegen einer Berufskrankheit zu erhalten. Auf Anforderung des Gerichts legte die Beklagte schließlich eine
Berechnung des TAD vor, in der dieser für die Zeit von 1979 bis September 1992 abzüglich der Armeezeit eine
Belastung nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) von 21,75 x 106 Nh angab. Nach Hinweis des Klägers
wurde ermittelt, dass dieser auch nach der ersten Operation als Vorarbeiter/Bauleiter in nicht unerheblichem Umfang
weiterhin als Gerüstbauer gearbeitet hat. Weiterhin wurden die originalen Operationsberichte über die beiden
Bandscheibenoperationen eingeholt. In dem Bericht über die Operation vom 13.10.1992 führt der Orthopäde Dr. B an,
dass sich eine Bandscheibenruptur L4/5 mit kleinem intradiscalen Sequester gefunden habe. Ein extradiscaler
Sequester habe nicht nachgewiesen werden können. Der Abgang der Nervenwurzel sei unbedrängt gewesen. Er habe
nach Fensterung eine Bandscheibenausräumung L4/5 links vorgenommen.
Im Operationsbericht vom 03.07.2000 beschreibt der Orthopäde Dr. B , dass beim Austasten mit der Pinzette diese
durch das hintere Längsband direkt an die Bandscheibe gefahren sei, so dass eine Bandscheibenruptur im Bereich
L5/S1 vorliege. Nach Schnitterweiterung der Ruptur habe man reichlich degeneriertes Bandscheibengewebe
ausgeräumt. Bei der Präparation im Narbenbereich zwischen der ehemaligen Fenestration L4/5 zeige sich, dass die
knöchernen Anteile unregelmäßig begrenzt seien, besonders beim Bogen L4, dort eine weitgehende Verengung
vorliege. Bei der weiteren Präparation habe man ein allgemein ausgeprägtes hypertrophes Wirbelgelenk L4/5
gefunden, das die im Segment L4 abgehende Wurzel erheblich bedrängte. Das Gelenk sei partiell reseziert worden,
wodurch man eine sichtbare Befreiung der Wurzel erreicht habe. Es sei ein subligamentärer Bandscheibenprolaps
L5/S1 links ausgeräumt worden. Das SG Dresden holte daraufhin ein orthopädisches Gutachten bei Chefarzt Dr. med.
Roland Linke von der Orthopädischen Klinik C ... ein. In seiner Beurteilung der vorgelegten Röntgenaufnahmen von
1992 stellt er eine beginnende Bandscheibendegeneration L4/L5 und L5/S1 fest. Außerdem sei ein Verdacht auf
Bandscheibenprolaps L4/5 mit Einengung der Kontrastmittelsäule und Nervenwurzelabbruch zu befunden. Bei den
Aufnahmen vom 19.06.2000 sei eine mittelgradige Bandscheibendegeneration L4/5, eine geringgradige Degeneration
L5/S1 und eine beginnende Spondylosis deformans L4/5 zu finden. Bei der Myelografie der LWS sei eine Zunahme
der Einengung der Kontrastmittelsäule L4/5 beidseits festzustellen, Abbruch der Nervenwurzel L4/5 links. Im MRT der
LWS sei Bandscheibendegeneration L4 bis S1 mit Verschmälerung der Intervertebralräume festzustellen, außerdem
Bandscheibenprotrusionen links L4/5 und L5/S1 mit linksseitiger Foraminaeinengung. Es sei ein rezidivierendes
lumbales Schmerzsyndrom, teilweise Pseudoradikulärsyndrom links, bei Zustand nach Bandscheibenprolaps und
Bandscheibenoperation L4/5 links 1992 und L5/S1 links 2000 und eine leichte Funktionseinschränkung der
Lendenwirbelsäule zu finden. Dies sei als bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule anzusehen. Unter
Hinweis auf die weiter nach 1992 ausgeführten Gerüstbautätigkeiten geht der Gutachter davon aus, dass die
berufliche Exposition innerhalb von 20 Jahren über dem Grenzwert von 25 x 106 Nh gelegen habe. Er ist der Meinung,
dass die beruflichen Einwirkungen als wesentliche Ursache für die Erkrankung anzusehen seien. Die Minderung der
Erwerbsfähigkeit sei in Höhe von 10 v. H. anzunehmen. Der Beratungsarzt der Beklagten Dr. med. Springer führt in
der Stellungnahme der Beklagten aus, dass der geforderte Zeitraum von mindestens 10 Jahren zwischen Beginn der
beruflichen Belastung und Verursachung der Bandscheibenerkrankung nicht eingehalten sei. Der Versicherte habe
bereits 1987 über ischiasähnliche Beschwerden und danach ständige Schmerzen im linken Bein berichtet. Dies sei
typisch für eine radikuläre Symptomatik. Der Beginn der Bandscheibenerkrankung sei deshalb auf spätestens 1987
anzusetzen. Eine berufliche Verursachung sei nicht anzunehmen, da nur ein monosegmentaler Bandscheibenvorfall
L5/S1 festgestellt sei. Nennenswerte Höhenminderungen der Segmente L5/S1 und L4/5 seien nicht feststellbar. Auf
der anderen Seite könne eine MdE von 10 v. H. bei zweimaliger Bandscheibenoperation nicht zutreffend sein, wenn
von einer beruflichen Verursachung ausgegangen werde.
Mit Gerichtsbescheid vom 06.06.2006 wies das SG Dresden die Klage ab. Bei der Beurteilung der festgestellten
Bandscheibenschäden geht das Gericht von den Konsensempfehlungen der vom Hauptverband der gewerblichen
Berufsgenossenschaften eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe zu den neuesten medizinischen
Erkenntnissen zum Zusammenhang bandscheibenbedingter Erkrankungen der Wirbelsäule mit der beruflichen
Tätigkeit aus (Trauma und Berufskrankheit, Ausgabe 3 und 4/205). Es führt hier aus, dass die Verursachung der
beruflichen Erkrankung durch die Belastung nicht genügend wahrscheinlich sei. Hierbei spiele vor allem eine Rolle,
dass eine Begleitspondylose sich nicht habe feststellen lassen. Bei Auftreten der ersten Störungen sei der Kläger 26
Jahre alt gewesen und auch nicht mindestens 10 Jahre einer beruflichen Belastung im Sinne der BK-Nr. 2108
ausgesetzt gewesen. Außerdem sei die Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule nur mäßig eingeschränkt. Auch im
Bereich der HWS zeige sich eine Bandscheibendegeneration. Es lasse sich daher nicht wahrscheinlich machen, dass
Art und Ausmaß der Erkrankung durch die berufliche Belastung ausgelöst worden sei.
Gegen den am 19.06.2006 an die anwaltliche Vertreterin zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 17.07.2006
Berufung beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegt. Es wurde vorgetragen, dass die Sache unzureichend
aufgeklärt sei, die Erkrankung auf die berufliche Belastung zurückzuführen sei.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 02.04.2007 eine neuerliche Berechnung des TAD vorgelegt. Sie hat sich darauf
gestützt, dass für die Tätigkeit von 1992 bis 2000 beim Kläger der Tagesdosiswert von 5500 Nh nicht überschritten
worden sei. Dies gelte auch für die Zeit der Lehrausbildung. Auf den Hinweis, dass die Tagesdosis zu halbieren sei,
errechnete der TAD am 08.05.2007 für die Zeit vom 01.02.1993 bis 31.12.2000 eine Gesamtbelastung von 6 x 106 Nh
nach Abzug der Krankentage.
Der Senat holte daraufhin ein ärztliches Gutachten bei Dr. med. U ... W ... ein, das dieser am 16.06.2008 erstattete.
Dieser kam nach genauer Untersuchung des Klägers und Auswertung der vorliegenden radiologischen Befunde zu
folgenden Diagnosen:
- chronischer wirbelsäulenbezogener pseudoradikulärer Schmerz der Lendenwirbelsäule mit wiederholter
Nervenwurzelreizung, vor allem L5 und S1 links, bei mäßiger Bandscheibenabnutzung L4/5 und L5/S1 -
Postnukleotomiesyndrom nach Bandscheibenoperation L4/5 links 1992 und Wirbelsäulenoperation im Bereich der
unteren zwei LWS-Segmente 2000 - gelegentlicher wirbelsäulenbezogener lokaler Schmerz der Brustwirbelsäule bei
leichter Spondylose der unteren BWS-Segmente - Funktionsstörungen der Halswirbelsäule ohne beklagten Schmerz
bei mäßiger Osteochondrose und Unkovertebralarthrose im Segment C6/7, leichter Osteochondrose C4/5 und C5/6
sowie leichter Spondylose C3/4 bei Haltungsstörung der Halswirbelsäule.
Im Bereich der Lendenwirbelsäule seien auf den MRT-Aufnahmen von 2000 für die Segmente L5/S1 und L4/5
degenerativ veränderte und auch höhengeminderte Bandscheiben festzustellen. Die in den Unterlagen beschriebenen
funktionellen Störungen ließen sich sicher auf diese bandscheibenbedingten Veränderungen zurückführen. Bei den
gefundenen Veränderungen der BWS und HWS sei mangels klinischer Zeichen nicht von einer
bandscheibenbedingten Erkrankung auszugehen. Auf den Röntgen-Bildern von 2005 sei für die Bandscheibe L 5/S1
eine Chondrose Grad I und für die Bandscheibe L4/5 eine Chondrose Grad II festzustellen. Die Bandscheiben seien
damit bei dem damals 44-jährigen Kläger altersuntypisch höhengemindert. Diese Aufnahmen von 2005 würden
weitgehend dem MRT-Befund von 2000 entsprechen. Diese Bilder seien nicht ausgewertet worden, weil die Kleinheit
eine solide Messung nicht erlaubt habe. Eine Begleitspondylose sei nicht festzustellen. Der Kläger sei auch einer
erheblichen Belastung ausgesetzt gewesen. Nach dem aktuellen TAD-Gutachten ergebe sich eine Belastung von
1979 bis 2000 von insgesamt 29,25 MNh. Es fehle die Bewertung für die Jahre 1977 bis 1979 hinsichtlich der
Belastungen mit einer Tagesdosis ab 2750 Nh. Zu beachten sei, dass der Kläger 1977 erst 16 Jahre alt war, hier noch
andere Belastungshöchstgrenzen bestünden. Es könne aber auf eine weitere Stellungnahme verzichtet werden, wenn
anerkannt werde, dass die Belastung bereits 1977 begann. Damit sei der Kläger bis 1987 10 Jahre exponiert gewesen.
Der Kläger habe auch im Jahr 2000 aufgrund der Erkrankung alle Tätigkeiten einstellen müssen, die mit schwerem
Heben und Tragen verbunden waren. Der ungünstige postoperative Verlauf mit Arbeitsunfähigkeit von über 18
Monaten habe dazu geführt, dass eine Tätigkeit als Gerüstbauer nicht mehr aufgenommen werden konnte. In
Anwendung der Konsensempfehlungen sei von einer Konstellation der Gruppe B auszugehen, da die
bandscheibenbedingte Erkrankung L5/S1 und L4/5 betreffe. Da bei den erfüllten Grundvoraussetzungen keine
Begleitspondylose bestehe, müsse eines der folgenden Kriterien erfüllt sein:
- Bei L4/5 und L5/S1 sei eine Höhenminderung festzustellen. Es fehle jedoch der Verschleiß einer zusätzlichen
Bandscheibe. - Eine besonders intensive Belastung läge auch nicht vor, da der Kläger in den Jahren 1977 bis 1987
sicher nicht den Grenzwert für die BK 2108 erreicht habe. - Hinweise auf Gefährdung durch hohe Belastungsspitzen
ergeben sich nicht.
Insgesamt kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, dass nach den Konsensempfehlungen die Konstellation B3
vorläge, bei der er keine Wahrscheinlichkeit der Verursachung durch schwere Belastung annehme. Er könne aber
auch keine konkurrierenden Ursachen erkennen.
Auf Antrag des Klägers wurde anschließend gemäß § 109 SGG ein Gutachten des Chefarztes Dr. T ... M ...er
Orthopädischen Klinik R ... eingeholt. Dieser kam nach Untersuchung des Klägers zu folgenden Diagnosen:
- chronisch lumbales pseudoradikuläres Schmerzsyndrom mit rezidivierender Nervenwurzelreizung L4/5, L5/S1 links -
Postnukleotomiesyndrom im Zustand nach Fensterungsoperation L4/5 links von 1992 - Zustand nach
Hemilaminektomie L5 Fensterungsoperation L5/S1 links, Radikolyse im Oktober 2000 - Funktionseinschränkung der
Halswirbelsäule bei Osteochondrose und Unkonvertebralarthrose im Segment C6/7, geringer ausgeprägte
Osteochondrose in den Segmenten C4/5, C5/6 - beginnende Coxarthrose links mehr als rechts
Der Sachverständige hat weiterhin eine Chondrose Grad I im Segment L4/5 festgestellt. Eine Chondrose im Segment
L5/S1 könne in den Aufnahmen vom 19.06.2000 nicht gefunden werden. Im MRT vom 26.06.2000 seien aber auch
eine Erniedrigung des Zwischenwirbelraums L5/S1 und ein Wasserverlust in L4/5 und L5/S1 nachweisbar. Aufgrund
der festgestellten Tatsachen sei eine bandscheibenbedingte Wirbelsäulenerkrankung nachgewiesen. Eine
Begleitspondylose liege nicht vor. Im Bereich der Halswirbelsäule bestehe keine Erkrankung, da sich keine klinischen
Zeichen zeigen würden. Der Sachverständige geht weiter davon aus, dass der Kläger im Jahre 1987 nach einem
Verhebetrauma drei Wochen stationär wegen Ischialgie behandelt worden sei. Er meint deshalb, dass bis zum ersten
Auftreten der Wirbelsäulenerkrankung nach Abschluss der Lehre erst acht Jahre vergangen seien. Wenn die Beklagte
anerkenne, dass auch während der Lehrzeit entsprechende Belastungen vorgelegen hätten, sei der 10-Jahres-
Zeitraum bis zum Auftreten der Erkrankung erfüllt. Der Kläger habe aber im Jahre 2000 seine Tätigkeit als
Gerüstbauer krankheitsbedingt aufgeben müssen. Angesichts der errechneten Belastungen geht aber der Gutachter
davon aus, dass die Grundvoraussetzungen für die ausreichende berufliche Belastung erfüllt seien. Auch Dr. M ...
kommt zum Ergebnis, dass die Konstellation B3 nach den Konsensempfehlungen vorliege. Die Konstellation B2
scheide aus, denn es sei keine Höhenminderung oder Prolaps an mehreren Bandscheiben feststellbar. Die
Bandscheibe L3/4 weise keine Höhenminderung aus. Ebenso sei der Richtwert für die Lebensdosis in weniger als 10
Jahren nicht erreicht. Insgesamt sei daher keine Wahrscheinlichkeit für eine berufliche Verursachung anzunehmen.
Konkurrierende Ursachen seien ebenfalls nicht erkennbar.
Danach legte die Beklagte eine neue Arbeitsplatzanalyse und Berechnung des TAD vom 25.08.2009 vor. Dies ergab
eine Belastung des Klägers für die Lehrzeit von 1,3 x 106 Nh. Für die Zeit vom 10.09.1979 bis 30.09.1990 wurden
16,6 x 106 Nh errechnet. Für die Folgezeit vom 01.10.1990 bis 31.12.2000 ergaben sich 9,2 x 106 Nh. Außerdem
wurden zwei Stellungnahmen von Prof. Dr. med. B ...-A ...aus anderen Verfahren in dieses Verfahren eingeführt. In
einem Schreiben vom 02.02.2009 führt dieser aus, dass bei der Konstellation B2, 1. Anstrich, der krankheitsbedingte
Befall von mindestens zwei Bandscheiben gemeint sein muss. Wenn eine Erkrankung von mindestens drei
Bandscheiben zur Wahrscheinlichkeit der beruflichen Verursachung gefordert würde, hätte die Konsensarbeitsgruppe
den bisegmentalen Befall nicht geregelt. In einem weiteren Schreiben vom 27.02.2009 führt er aus, dass nach der
grundlegenden Entscheidung des BSG auch in der Konstellation B2 für die besonders intensive Belastung von einem
Richtwert von 12,5 x 106 Nh ausgegangen werden müsse.
In einer ergänzenden Stellungnahme nach Kenntnis der Expositionsanalyse kommt der Gutachter Dr. M ...zu dem
Ergebnis, dass bei dem Kläger die Fallkonstellation B2 erfüllt sei, weil eine bisegmentale Schädigung vorliege und bis
1987 innerhalb von 10 Jahren die Lebensdosis überschritten sei. Bis zu diesem Zeitpunkt sei eine Gesamtdosis von
13,37 x 106 Nh festzustellen.
Auf Anregung der Beklagten wurden schließlich ein radiologisches und ein neurologisches Zusatzgutachten
angefordert. In dem radiologischen Zusatzgutachten vom 03.05.2010 führt Dr. med. T , Facharzt für Diagnostische
Radiologie, aus, dass sich in den Segmenten L4/5 und L5/S1 jeweils eine Chondrose I. Grades finde, die bei einem
Patienten des Alters des Klägers als altersuntypisch anzusehen sei. Es finde sich bei dem Kläger eine
bandscheibenbedingte Erkrankung der Segmente L4/5 und L5/S1. Im MRT vom Juni 2000 finde sich ein
altersuntypischer Protrusionsbefund im Segment L4/5. Im Segment L5/S1 finde sich ein altersuntypischer
zweitgradiger Prolapsbefund. Konkurrierende Ursachen seien nicht erkennbar. Eine Begleitspondylose liege nicht vor.
Eine black disc finde sich nicht. Die Fachärztin für Neurologie Dr. S kommt in ihrem Gutachten vom 02.09.2010 zu
dem Ergebnis, dass bei dem Kläger ein chronisches lumbales Schmerzsyndrom vorliege. Sie habe eine
Wurzelschädigung hauptsächlich im Areal L5 mit entsprechender Schmerzausstrahlung, sensiblen Störungen und
daraus resultierenden funktionellen Störungen gefunden. Aus neurologischer Sicht habe der Kläger nach der zweiten
Operation im Jahre 2000 die belastende Tätigkeit aufgeben müssen.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 28.09.2010 schließt sich der Radiologe Dr. T der Einschätzung der
Beklagten an, dass sich bei dem Kläger eine sechsgliedrige Lendenwirbelsäule finde. Es finde sich aber kein
Nachweis eines asymmetrischen Übergangswirbels. Damit sei das zweite befallene Segment mit L5/6 zu bezeichnen.
Auf die Zuordnung der Nervenwurzeln habe dies keine Auswirkungen. Auf den Aufnahmen vom 19.06.2000 sei das
lumbosakrale Übergangssegment seitlich nicht einsehbar. Auf den Aufnahmen vom 11.04.2005 lasse sich für die
Segmente L4/5 und L5/6 jeweils eine Chondrose I. Grades ermitteln. Im MRT vom 26.06.2000 sein ein bis 3mm
messender Protrusionsbefund im Segment L4/5 festzustellen, weiter eine Einengung des Neuroforamen links mit
möglicher Bedrängung der Nervenwurzel L4. Im Segment L 5/6 sei ein 5 mm messender Prolaps mit deutlicher
Bedrängung der Wurzel L5 festzustellen. Der Senat hat schließlich darauf hingewiesen, dass auf der Grundlage des
Gutachtens Dr. W ... eine Erkrankung der Wirbelsäule im Bereich L4-6 nachgewiesen sei. In Anwendung der
Konsensempfehlungen sei von einer Konstellation B2 auszugehen, denn sowohl an dem Segment L4/5 als auch an
L5/6 sei ein Bandscheibenprolaps nachgewiesen. Außerdem ist die gefährdende Belastung nach dem MDD erheblich
überschritten. Zudem sei vor Feststellung einer Wirbelsäulenerkrankung eine Belastungszeit von 15 Jahren
anzunehmen, da lediglich die klinische Feststellung von Schmerzen im Wirbelsäulenbereich für den Nachweis einer
bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne der Konsensempfehlungen nicht ausreicht.
Der Kläger beantragt auf Grund der Ermittlungsergebnisse,
dass der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 15.06.2006 aufgehoben wird; den Bescheid der Beklagten
vom 09.05.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.07.2003 aufzuheben und festzustellen, dass eine
Berufskrankheit nach der Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung seit 01.01.2001 vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die vollständige medizinische Sachaufklärung vor einer Entscheidung
entsprechend der Anregung im Schriftsatz vom 10.12.2010 durchzuführen.
Sie ist weiterhin der Ansicht, dass eine Verursachung der Erkrankung durch die berufliche Belastung nicht
wahrscheinlich sei. Das Gutachten von Dr. W sei sehr kritisch und auf Grund der Konsensempfehlungen erstellt. Ihm
könne in vollem Umfang gefolgt werden. Dem Gutachten von Dr. M ...könne nicht gefolgt werden. Für das Segment
L4/5 sei nur Chondrose I. Grades festgestellt, für das Segment L5/S1 keine Chondrose. Erforderlich sei aber die
Feststellung einer Chondrose II. Grades in beiden Segmenten. Nach Anhörung des beratenden Arztes wurde
eingewandt, dass bei dem Kläger auf sämtlichen Röntgenbildern eine 6-gliedrige Lendenwirbelsäule zu sehen sei.
Damit könne ein Bandscheibenvorfall L5/6 ein S1-Syndrom hervorrufen. Aus diesem Grund müsse die Begutachtung
vollkommen neu aufgearbeitet werden. Außerdem sei die Auswertung des MRT vom 20.06.2000 unterschiedlich.
Während Dr. W einen Wasserverlust beschreibe, habe Dr. M ...bei den betroffenen Bandscheiben eine black disc
beschrieben. Außerdem könne der Messung der Bandscheibenhöhen von Dr. M ... nicht gefolgt werden. Dieser habe
auf Bildern von 19.06.2000 das unterste Segment ausgemessen, obwohl dieser Bereich total verschattet sei. Es
müssten deshalb die Bilder vom 21.06. vermessen werden. Trotz Verschattung müsste hier eine Höhenmessung
möglich sein. Zu dem ergänzten Gutachten von Dr. T ... meint die Beklagte, gestützt auf die Ausführungen des
beratenden Arztes, dass das radiologische Gutachten nochmals nachzubessern sei. Der beratende Arzt wendet ein,
dass bei der sechsgliedrigen Lendenwirbelsäule der Protrusionsbefund im Segment L4/5 zu einer möglichen
Bedrängung der linken L5-Wurzel führen würde. Der Prolaps im Bereich L5/6 würde zu einem S1-Syndorm führen.
Beigefügt ist eine Abbildung aus Krämer, Bandscheibenbedingte Erkrankungen, 5. Auflage 2006, die die
Nervenwurzeln bei 4-, 5- und 6-gliedrigen Lendenwirbelsäulen zeigt. Der beratende Arzt kritisiert außerdem die
Ermittlung des Chondrosegrades durch Dr. T. Vor allem wird bemängelt, dass bei Auswertung der Röntgenbilder vom
19.06.2000 keine Höhe für L5/6 eingegeben sei. Da immer das Segment mit der höchsten Bandscheibenhöhe das
Referenzsegment sei, sei die Beurteilung ohne dieses Segment zu unsicher. Nach dem gerichtlichen Hinweis hat die
Beklagte ausgeführt, dass keine Bandscheibenerkrankung im Sinne der Konsensempfehlungen im Vollbeweis
nachgewiesen sei, für die besonders intensive Belastung nicht von einem Wert von 12,5 MNh ausgegangen werden
könne. Eine Entscheidung ohne weitere medizinische Sachaufklärung würde sowohl auf einer kollektiven
Fehldiagnose wie auch auf einer Privatmeinung (Prof. Dr. B ...-A zu besonders intensiver Belastung) beruhen. Durch
die numerische Variation der Bandscheibe sei auch von einer anderen Zuordnung der Nervenwurzeln auszugehen. Die
Protrusion bedränge die Nervenwurzel L5. Eine Protrusion sei aber keine genügende Ursache für die Annahme einer
Erkrankung nach den Konsensempfehlungen. Der Prolaps bei L5/6 müsse die Wurzel S1 bedrängen. Ein
entsprechendes Syndrom sei nicht festgestellt. Im Übrigen würde auch die Annahme eines Wertes von 12,5 MNh für
die besonders intensive Belastung dem von den Experten getroffenen Konsens widersprechen. Diese hätten die
kritische Dosis für die Belastung im Berufsleben auf 25 MNh festgesetzt. Damit dürfe man den vom BSG
festgesetzten Richtwert für diese intensive Belastung nicht verwenden. Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der
Akten und insbesondere die darin befindlichen medizinischen Befundberichte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Daher sind der Gerichtsbescheid des SG Dresden vom 06.06.2006
und der Bescheid der Beklagten vom 09.05.2003 sowie der Widerspruchsbescheid vom 31.07.2003 aufzuheben. Es
war festzustellen, dass beim Kläger seit 01.01.2001 eine BK-Nr. 2108 BKV vorliegt.
I.
Beim Kläger ist jedenfalls seit 01.01.2001 der Versicherungsfall einer BK-Nr. 2108 BKV gegeben.
1. Vorliegend ist die BK-Nr. 2108 BKV i. V. m. § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) maßgeblich, weil
der Versicherungsfall am 01.01.2001, mithin nach dem 01.01.1997, eingetreten ist. Der Kläger hat die gefährdende
Tätigkeit spätestens am 31.12.2000 völlig aufgegeben. Zum 01.01.2001 hat er eine neue Tätigkeit nur als Bauleiter
aufgenommen. Nach diesem Zeitpunkt hat der Kläger auch nicht wieder eine maßgebliche die Wirbelsäule belastende
Tätigkeit ausgeübt, so dass als Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls nur der 01.01.2001 sicher in Betracht
kommt. Nach der schlüssigen Einschätzung von Dr. med. U ...W ... in seinem Gutachten und auch der weiteren
Gutachter sind bei den vom Kläger hiernach ausgeübten Tätigkeiten als Bauleiter maßgebliche
Wirbelsäulenbelastungen nicht mehr aufgetreten.
2. Die beim Kläger festgestellte Erkrankung erfüllt die Voraussetzungen einer BK-Nr. 2108 BKV. Eine Berufskrankheit
nach BK-Nr. 2108 BKV liegt vor, wenn der Versicherte an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS leidet,
die durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer
Rumpfbeugehaltung verursacht worden ist, und der Versicherte durch die Erkrankung gezwungen wird, alle Tätigkeiten
zu unterlassen, die ursächlich für die Entstehung oder die Verschlimmerung dieser Erkrankung waren oder noch
ursächlich sein können.
Für das Vorliegen des Tatbestandes der Berufskrankheit ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der
versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (so genannte haftungsbegründende Kausalität) und
zwischen der schädigenden Tätigkeit und der Erkrankung andererseits (so genannte haftungsausfüllende Kausalität)
erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden
Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der
Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu
bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht
(vgl. BSG, Urteil vom 22.08.2000 - B 2 U 34/99 R -). Zur Beurteilung sind vor allem die so genannten
Konsensempfehlungen (Bolm-Audorff u. a., Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten
Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule – Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf
Anregung des HVBG eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe, Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 211, 214)
heranzuziehen. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des BSG bei der Beurteilung des Vorliegens einer BK-Nr.
2108 BKV (BSG, Urteil vom 27.10.2009 – B 2 U 16/08 R –, Rdnr. 15; BSG, Urteil vom 27.06.2006 – B 2 U 13/05 R –,
Rdnr. 14).
a) Die Feststellungen des TAD der Beklagten haben ergeben, dass der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit als
Versicherter im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII einer ausreichenden beruflichen Gesamtbelastungsdosis im
Sinne der Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 30.10.2007 – B 2 U 4/06 R -, Rdnr. 25, und 18.11.2008 – B 2 U
14/07 R –, Rdnr. 31, sowie – B 2 U 14/08 R -, Rdnr. 30) ausgesetzt war. Nach den Berechnungen liegt die
Gesamtdosis bei 27,1 MNh, also über dem ursprünglich angesetzten Wert des MDD.
b) Beim Kläger liegt eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vor. Nach den
Konsensempfehlungen ist ein bestimmtes Krankheitsbild erforderlich: Das erforderliche Schadensbild wird
beschrieben durch den Vergleich der Veränderungen zwischen Beschäftigten mit hoher Wirbelsäulenbelastung und der
Normalbevölkerung hinsichtlich der Kriterien Lebensalter beim Auftreten der Schädigung und Ausprägungsgrad in
einem bestimmten Alter, Verteilungsmuster der Bandscheibenschäden an der LWS, Lokalisationsunterschiede
zwischen biomechanisch hoch und mäßig belasteten WS-Abschnitten der gleichen Personen sowie Entwicklung einer
Begleitspondylose. Bei den Krankheitsbildern ist zu unterscheiden zwischen einem lokalen Lumbalsyndrom und
einem lumbalen Wurzelsyndrom. Für dieses sollen folgende Kriterien erfüllt sein: • Radiologie: Vorfall oder Chondrose
mit Bandscheibenverschmälerung mit Nervenwurzelbedrängung, ggf. in Verbindung mit Retrospondylose,
Spondylarthrose, Foramenstenose, Recessusstenose und/oder Spinalkanalstenose, im Ausnahmefall bei engem
Spinalkanal auch Protrusion • Neurologie: Zeichen der Reizung bzw. Schädigung der entsprechenden Nervenwurzel(n)
• Typ 1 und 2 kommen häufig auch als Mischform vor. Das Kaudasyndrom ist eine Sonderform des lumbalen
Wurzelsyndroms.
Der Kläger leidet an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS in den Segmenten L4-6. Und zwar handelt es
sich um ein lumbales Radikulärsyndrom links. Das haben zur Überzeugung des Senats übereinstimmend die
Sachverständigen Dr. med. U ...W ..., Dr. med. T ... F ..., Dr. med. M T und Dr. med. B S festgestellt. Dem
widersprechen auch nicht die Einwände der Beklagten. Auf Grund des Bandscheibenvorfalles L5/6 ist zu Recht ein
L5-Syndorm festgestellt worden. Auf welcher Grundlage die Meinung der Beklagten beruht, ist nicht erkennbar. Auf
der der medizinischen Literatur entnommenen Darstellung, die dem Schriftsatz vom 04.11.2010 beigefügt ist, ist zu
ersehen, dass bei einer 6-gliedrigen Lendenwirbelsäule im Bereich der Bandscheibe L5/6 die Nervenwurzel L5 abgeht.
Die Nervenwurzel S1 geht bei L6/S1 ab. Bei einer 5-gliedrigen Lendenwirbelsäule geht die Nervenwurzel L5 im
Segment L5/S1 ab. Damit ist die von den Gutachtern geschilderte Bedrängung der Nervenwurzel L5 durch den
Prolaps im Segment L5/6 der medizinischen Literatur entsprechend festgestellt. Die vom Beratungsarzt geäußerte
Meinung findet in der von ihm angeführten Literatur keine Stütze. Krämer weist vielmehr darauf hin, dass ein Prolaps
bei L5/S1 (hier L5/6) sowohl die Nervenwurzel S1 als auch L5 bedrängen könne. Überdies wurde im Bericht des
Sächsischen Fachkrankenhauses für Neurologie G über die stationäre Behandlung im Juni 2001 berichtet, dass im
EMG/ENG wurzelnahe Affektionen im Segment S1 und L5 bestätigt sind. Diese werden auch auf die ausgeprägten
narbigen Veränderungen nach den operativen Eingriffen zurückgeführt, sind damit Folge der Wirbelsäulenerkrankung,
§ 11 Abs. 1 SGB VII. Auch Dr. W beschreibt eine Nervenwurzelreizung L5 und S1 links. Ergänzend ist darauf
hinzuweisen, dass auch die ergebnisorientierte Argumentation, dass bei L4/5 nur eine Protrusion festgestellt sei, die
zur Irritation der Wurzel L5 führe, und die nach den Konsensempfehlungen keine ausreichende Grundlage für eine
belastungsabhängige Erkrankung darstellen könne, nicht zutrifft. In diesem Segment wurde im Oktober 1992 ein
Bandscheibenvorfall operiert, bei dem auch Sequester entfernt wurden. Dieser Vorfall war ebenfalls nach links
entwickelt, also in dem nun als Protrusion bezeichneten Bereich. Aufgrund dieser Operation kam es zu starker
Narbenbildung. Außerdem ist im Operationsbericht vom Juli 2000 beschrieben, dass das die Nervenwurzeln durch
Einengung und knöcherne Unregelmäßigkeiten der früheren Fenestration bedrängt waren. Maßgeblich für die
Feststellung der Erkrankung sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Aufgabe der schädigenden Tätigkeit – hier
01.01.2001 – (B -A u. a., Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der
Lendenwirbelsäule – Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung des HVBG
eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe, Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 211, 214). Zu diesem Zeitpunkt
lagen beim Kläger ausweislich der schlüssigen Gutachten ein Zustand nach Bandscheibenprolaps L4/5 sowie ein
Bandscheibenprolaps L5/6 vor. Aus den Operationsberichten und den Auswertungen der bildgebenden Befunde ergibt
sich auch eine Bedrängung von Nervenwurzeln. Zudem hat zumindest Dr. W in den Segmenten L4/5 und L5/6 eine
Chondrose I. Grades festgestellt. Auf die Kritik der Chondrosemessung kommt es nicht an. Nach der Formulierung
der Konsensempfehlungen müssen eine Chondrose und/oder Bandscheibenvorfälle festgestellt sein. Diese liegen vor,
wie o. dargestellt. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass Dr. M kritisiert wird, weil er auf den Bildern vom 19.06.2000
in einem verschatteten Bereich eine Messung vorgenommen hat, nicht die Röntgenbilder (?) vom 21.06.2000
verwendet hat. Dr. T wird vorgeworfen, dass er in dem Bereich L5/6 auf den Röntgenbildern vom 19.06. nicht
gemessen hat, obwohl er ausführt, dass dieser Bereich auf dem Röntgenbild nicht einsehbar sei. Die Myelografie vom
21.06.2000 hat bei seiner Auswertung ergeben, dass in dem Segment L5/6 auf dieser Aufnahme keine Chondrose
nachzuweisen sei.
3. Die bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS ist wesentlich durch die genannten beruflichen Einwirkungen im
Sinne der BK-Nr. 2108 BKV verursacht. Nach den Konsensempfehlungen ist von einer Konstellation der Gruppe B
auszugehen, denn bei dem Kläger sind Bandscheibenvorfälle in den Segmenten L4/5 und L5/6 nachgewiesen.
a) Entgegen der Auffassung der Beklagten besteht eine plausible zeitliche Korrelation zwischen den beruflichen
Einwirkungen des Klägers und der Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS (Vgl. Bolm-Audorff
u.a., a.a.O., S. 216). Die Konsensempfehlungen fordern, eine ausreichende Exposition muss der Erkrankung
vorausgehen. Das war beim Kläger der Fall. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS im Sinne der
Konsensempfehlungen (in Form eines Bandscheibenvorfalls L 4/5) ist bei ihm erst aufgrund der Myelografie der LWS
vom 02.10.1992 und dem Operationsbericht vom 13.10.1992 im Sinne des Vollbeweises nachweisbar. Vorher ist
keine Erkrankung der unter 2. genannten Art ausreichend feststellbar.
Die Tatsache, dass der seit 1977 als Zimmermannslehrling bzw. Gerüstbauer beschäftigte Kläger seit 1987 über in
das linke Bein ausstrahlende Schmerzen klagte, spricht nicht gegen den Kausalzusammenhang. Behandlungen oder
Krankheitszeiten wegen Rückenschmerzen fanden vor 1992 nicht statt. Die Angaben im Gutachten von Dr. M über
eine 3-wöchige stationäre Behandlung im Jahr 1987 finden in den Unterlagen keine Grundlage. Diese Annahme beruht
offensichtlich auf einer Fehlinterpretation der Angaben des Klägers, der vor der Operation 1992 eine 3-wöchige
konservative Behandlung hinter sich hatte. Dies ergibt sich z.B. daraus, dass im Gutachten von einer stationären
Behandlung im Krankenhaus W vom 23. bis 24.09.1992 ausgegangen ist. Diese stationäre Behandlung dauerte
tatsächlich vom 13. bis 24.09.1992 und endete mit der Verlegung in die orthopädische Klinik R.
Ferner widerspricht die Auffassung der Beklagten der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom
07.09.2004 – B 2 U 34/03 R -, Rdnr. 18). Danach ist für die Anerkennung einer BK-Nr. 2108 BKV kein Zehn-Jahres-
Intervall zwischen Tätigkeitsaufnahme und ersten LWS-Beschwerden erforderlich, das im vorliegenden Fall auch
vorliegen würde. Die Belastung begann, wie in der letzten Berechnung des TAD der Beklagten auch angenommen,
bereits mit der Aufnahme der Lehre am 01.09.1977.
b) Gegen die berufliche Verursachung sprechende konkurrierende Ursachen im Sinne der Konsensempfehlungen
konnten Dr. W , Dr. M und der in 1. Instanz beauftragte Gutachter Dr. L übereinstimmend und für den Senat
nachvollziehbar ausschließen. Auch die übrigen Gutachter haben, soweit sie sich dazu äußern konnten, keinerlei
Anzeichen gefunden.
c) Eine Begleitspondylose (vgl. zur Definition: Bolm-Audorff u. a., a.a.O., S. 216 ff.) lag beim Kläger ausweislich der
insoweit übereinstimmenden Gutachten nicht vor.
d) Der Kläger war einer besonders intensiven Belastung im Sinne der Konstellation B2, 2. Anstrich (Anhalt: Erreichen
des Richtwerts der Lebensdosis in weniger als 10 Jahren), der Konsensempfehlungen ausgesetzt.
aa) Der Senat geht in Übereinstimmung mit der von Prof. Dr. B -A geäußerten Auffassung davon aus, dass
angesichts der vom BSG (Urteile vom 30.10.2007 – B 2 U 4/06 R – und vom 18.11.2008 – B 2 U 14/07 R – sowie – B
2 U 14/08 R –) vorgenommenen Halbierung des Richtwertes für die Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh auf 12,5
MNh dieser Wert auch im Rahmen des zweiten Anstrichs der Konstellation B2 anzusetzen ist (so bereits:
Sächsisches LSG, rechtskräftiges Urteil vom 22.04.2010 – L 2 U 109/07 – und Urteil vom 23.09.2010 -2 U 198/07-).
Dies gilt umso mehr als die Verfasser der Konsensempfehlungen in die Konstellation B2, 2. Anstrich, bewusst, anders
als in die Konstellation B2, 3. Anstrich, gerade keinen festen Wert, sondern den jeweils maßgeblichen "Richtwert",
aufgenommen haben. Zudem bezieht sich der 2. Anstrich der Fallkonstellation B2 nicht auf das MDD, um auch bei
einer Überschreitung des Richtwerts der Lebensdosis nach anderen Modellen die Konstellation bejahen zu können.
Die Argumentation der Beklagten bezieht sich nur auf die Ergebnisse des MDD, negiert die Gründe, die zur Halbierung
der Lebensdosis durch das BSG geführt haben. Die Ausführungen von Prof. Dr. B -A ...können nicht als
"Privatmeinung" abgetan werden, da er im Gegensatz zum Beratungsarzt der Beklagten an der Erarbeitung der
Konsensempfehlungen maßgeblich beteiligt war.
Die angeführten Gründe würden dazu führen, dass 12,5 MNh Belastung in einem Berufsleben von 30 oder 35 Jahren
zu einer Erkrankung führen können, die als belastungsbedingt anerkannt wird, wenn an 2 Segmenten der Wirbelsäule
eines über 50-jährigen Chondrose I. Grades festgestellt wird. Ein Bandscheibenvorfall eines in 9 Jahren mit
demselben Wert belasteten 35-jährigen Arbeitnehmers könnte nicht als Folge besonders intensiver Belastung gewertet
werden. Diese Argumentation ist für den entscheidenden Senat auch überraschend, da die Beklagte den Wert von
12,5 MNh als besonders intensive Belastung zur Auslegung der Konsensempfehlungen akzeptiert hat. Die gegen das
Urteil dieses Senats vom 22.04.2010 – L 2 U 109/07 – von der auch in diesem Verfahren Beklagten eingelegte
Revision, bei der es ausschließlich um den Wert des besonders intensiven Belastung ging, hat die Beklagte bereits
nach kurzer Zeit zurückgenommen.
bb) In nun ständiger Rechtsprechung geht der Senat zudem davon aus, dass die Konsensempfehlungen keine
Regelung beinhalten, nach der der maßgebliche Zehn-Jahres-Zeitraum in einem bestimmten Abschnitt des
Erwerbslebens liegen muss. Daher ist jeder Zehn-Jahres-Zeitraum, in dem der Richtwert für die Lebensdosis
überschritten wird, maßgeblich.
Der Kläger war im Zeitraum von September 1982 bis September 1992 einer beruflichen Einwirkung von 15,01 x 106
Nh ausgesetzt. Dies steht zur Überzeugung des Senats aufgrund der schlüssigen Einschätzung des TAD der
Beklagten vom 25.08.2009 fest. Dieser geht von einer Jahresdosis von 1,738 x 106 Nh aus, von der für die Zeit des
Wehrdienstes vom 01.05.1987 – 30.10.1988 2,607 x 106 Nh abzuziehen sind.
e) Zudem liegt beim Kläger nach Überzeugung des Senats die Konstellation B2, 1. Anstrich (1. Alternative), vor. Bei
ihm waren ein Prolaps im Sinne der Konsensempfehlungen und ein weiterer Prolaps an einer weiteren Bandscheibe
gegeben. Außerdem wurde in den 2 maßgeblichen Segmenten der LWS bei dem noch 50-jährigen Kläger eine
altersuntypische Chondrose I. Grades festgestellt. Beim Kläger bestanden – zum Zeitpunkt der Aufgabe der
schädigenden Tätigkeit - ein Bandscheibenvorfall des Segments L4/5 – operiert 1992 - sowie ein Bandscheibenvorfall
des Segments L5/L6. Daher ist beim Kläger nach Ansicht des Senats auch die Konstellation B2, 1. Anstrich, 1.
Alternative, der Konsensempfehlungen gegeben. Die Schädigung eines weiteren Segmentes ist nicht erforderlich.
Überdies ist nach den Feststellungen von Dr. W in beiden Segmenten von einer Chondrose I. Grades auszugehen.
Diese ist nach den Konsensempfehlungen für den 2005 44-jährigen Kläger altersuntypisch. Auch Dr. T kommt zu
einer entsprechenden Beurteilung. Die gegenüber der Auswertung der Röntgenbilder von 2000 erhobenen Einwände
sind unzutreffend. Mit der von Prof. Dr. B -A in seiner Stellungnahme vom 02.02.2009 geäußerten Auffassung, dass
mit Höhenminderung und/oder Prolaps "an mehreren Bandscheiben" im Sinne der Konstellation B2, 1. Anstrich, der
Konsensempfehlungen der Befall von mindestens zwei Bandscheiben gemeint sei, stimmt der Senat überein. Würde
unter Befall von "mehreren Bandscheiben" ein solcher von mindestens drei Bandscheiben verstanden, wäre der
bisegmentale Bandscheibenschaden von der Konsensgruppe nicht geregelt worden. Davon ist nicht auszugehen. Aus
diesem Grund weicht der Senat von der Beurteilung von Dr. W ab, der zur Erfüllung der Konstellation im vorliegenden
Fall neben den beiden Bandscheibenvorfällen das Vorliegen einer Chondrose am Segment L3/4 fordert.
4. Beim Kläger bestand ausweislich der übereinstimmenden Einschätzungen von zum Zeitpunkt der Aufgabe der
schädigenden Tätigkeit ein Zwang zur Aufgabe. Dies ergibt sich aus den überzeugenden Ausführungen in den
Gutachten Dr. W und Dr. S sowie dem Gutachten von Dr. L. Diese Tatsache ergibt sich auch aus dem schlechten
Heilungsverlauf, der bei dem Kläger mehrere Aufenthalte in Reha-Einrichtungen nötig machte. In den
Entlassungsberichten ist ebenfalls ausgeführt, dass schweres Heben und Tragen nicht mehr möglich sein wird.
Nach alledem waren das Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten aufzuheben und es war festzustellen, dass
beim Kläger seit 01.01.2001 eine BK-Nr. 2108 BKV vorliegt.
5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die grundsätzlichen Fragen durch die ständige Rechtsprechung des BSG und
die nicht angegriffene Rechtsprechung des entscheidenden Senats geklärt sind, § 160 Abs. 2 SGG.