Urteil des LSG Sachsen vom 10.03.2010

LSG Fss: beendigung, firma, geschäftsführer, rücknahme der klage, eintragung im handelsregister, ex tunc, zahlungsunfähigkeit, adäquate gegenleistung, geschäftsführender gesellschafter, arbeitsentgelt

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 10.03.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 27 AL 1085/05
Sächsisches Landessozialgericht L 1 AL 242/07
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 14. September 2007 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten noch über die Gewährung von Insolvenzgeld (Insg) für die Zeit vom 01.04.2003 bis 29.05.2003.
Der am 1946 geborene Kläger war ab 14.03.1994 als Straßenbauer bei der Firma S. E. GmbH (im Folgenden: die
Arbeitgeberin), Z.straße 8, G. , Ortsteil E. , sozialversicherungspflichtig beschäftigt und machte für den hier noch
streitigen Zeitraum – und auch für spätere Zeiträume – Arbeitsentgeltansprüche gegen die Arbeitgeberin geltend.
Die Arbeitgeberin wurde am 08.04.1994 in das Handelsregister des Amtgerichts (AG) Dresden eingetragen. Das
Stammkapital betrug 50.000 DM. Gegenstand des Unternehmens war: "Neubau sowie Instandsetzung von
Verkehrsflächen und Straßen". Gesellschafter waren ursprünglich D. M. , A. M1. und A. T ... Unmittelbar vor der
Übertragung sämtlicher Geschäftsanteile auf den Zeugen H.-V. am 28.04.2003 (notariell beurkundete Übertragung,
Urkundenrolle Nr. 388/2003 des Notars M. Sch. in B. ) waren Gesellschafter der Arbeitgeberin: K.-D. M. , A. M1 , die
S. E. GmbH und die W. W.L ... Im Verlauf der Übertragung sämtlicher Geschäftsanteile auf den Zeugen H.-V. zum
Preis von 1 EUR – was maßgeblich durch die mit 8.000 EUR aus den Reihen der bisherigen Gesellschafter finanzierte
Vermittlung der S. GmbH zustande gekommen war – wurde am selben Tag durch Beschluss der
Gesellschafterversammlung die Arbeitgeberin in S. s. GmbH umfirmiert (Handelsregistereintragung vom 14.07.2003).
Als Unternehmensgegenstand wurde nunmehr der Handel mit Baustoffen bezeichnet. D. M., der ab 1995
Mitgeschäftsführer und seit 1998 Alleingeschäftsführer war, wurde am 28.04.2003 durch den Zeugen H.-V. als
alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer abgelöst. Am 12.06.2003 unterzeichnete der Zeuge H.-V. ein
Übergabeprotokoll, wonach er von der S. GmbH die dort aufgeführten Geschäftsunterlagen der Arbeitgeberin
übernommen habe. Der Zeuge H.-V. erhielt für seine Tätigkeit von der S. GmbH 500,00 EUR als Vergütung. Die
Arbeitgeberin wurde vom Zeugen H.-V. an J. N. für 1 EUR weiterveräußert, der – angeblich – seinen Wohnsitz in E.,
Spanien, hatte. Der Zeuge H.-V. wurde am 16.07.2003 durch J. N. als alleinvertretungsberechtigter Gesellschafter
abgelöst (Handelsregistereintragung vom 17.11.2003). Aus den Reihen der bisherigen Gesellschafter wurde für diese
Weiterveräußerung eine zweite Vermittlungsprovision in unbekannter Höhe gezahlt.
Die Arbeitgeberin kündigte dem Kläger unter der alten Firma mit Schreiben vom 27.05.2003 das mit ihm bestehende
Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen außerordentlich zum 31.05.2003; das Schreiben trägt die Unterschrift
von D. M ... Der Kläger meldete sich arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld. Die Gewerbeabmeldung vom 04.06.2003
weist als Datum der Betriebsaufgabe den 30.05.2003 aus. Die Arbeitgeberin kündigte auch ihren übrigen
Arbeitnehmern zum 31.05.2003. Danach habe "keine werbliche Tätigkeit mehr" stattgefunden, Mitarbeiter seien nicht
mehr beschäftigt worden, die Gesellschaft sei nur noch abgewickelt worden (Schreiben des Zeugen H.-V. vom
26.06.2007).
Am 08.07.2003 wurde die Firma GSB G.- und St. GmbH, welche aus der R. Vermögensverwaltungs GmbH mit Sitz in
M. hervorgegangen war und die Hälfte der Arbeitnehmerschaft der St. E. GmbH übernommen haben soll, in das
Handelsregister eingetragen. Die Gewerbeanmeldung vom 02.09.2003 weist als Beginn der Tätigkeit der Firma "G.-
und St. GmbH" den 01.06.2003 aus. Sitz des Betriebes ist ebenfalls Z.straße 8, G ... Geschäftsführer wurde D. M.
und ist dies auch seither (siehe auch www.gsb-e ...de).
Mit Schreiben vom 26.06.2003 stellte das Finanzamt Bautzen wegen Abgabenrückständen von 25.916,22 EUR beim
AG Dresden – Insolvenzgericht – am 30.06.2003 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das
Vermögen der Arbeitgeberin (531 IN 1657/03). Bisher ausgebrachte Forderungspfändungen seien bis auf geringe
Zahlungen erfolglos geblieben. Auch freiwillige Zahlungen der Arbeitgeberin deckten selbst die laufenden
Steuerrückstände nur teilweise ab. Sie stünden jedoch in keinem Verhältnis zur Höhe der Steuerschuld. Ausweislich
der vom Finanzamt Bautzen vorgelegten Übersicht resultierte die Steuerschuld im Wesentlichen aus dem Zeitraum
von Dezember 2002 bis März 2003. Dem Antrag war eine im Rahmen der fruchtlosen Pfändung vom
Vollziehungsbeamten des Finanzamtes am 07.05.2003 erstellte "Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse des
Vollstreckungsschuldners" beigefügt. Danach standen nach Auskunft von D. M. Forderungen der Arbeitgeberin in
Höhe von insgesamt circa 202.000 EUR Schulden in Höhe von circa 500.000 EUR gegenüber. Grundstücke stünden
nicht in ihrem Eigentum, die Kraftfahrzeuge seien finanziert oder geleast. Die Lohnkosten für Februar sollten nach
Angaben des Geschäftsführers D. M. vom 07.05.2003 an 22 Arbeitnehmer "diese Woche" noch überwiesen werden.
Mit Beschluss vom 03.07.2003 bestellte das AG Dresden Rechtsanwalt Sch. zum vorläufigen Insolvenzverwalter.
Insolvenzeröffnungsanträge stellten auch die Gmünder Ersatzkasse (GEK) mit Schreiben vom 04.07.2003 (531 IN
1707/03) wegen Beitragsforderungen in Höhe von 1.179 EUR, nachdem ein durchgeführter Pfändungsversuch
erfolglos geblieben war (Eingang beim AG Dresden am 07.07.2003), und die IKK Sachsen mit Schreiben vom
21.07.2003 (531 IN 1905/03) wegen Beitragsforderungen in Höhe von 3.772,54 EUR (Eingang beim AG Dresden am
24.07.2003). Beide Antragsverfahren wurden mit dem führenden Antragsverfahren 531 IN 1657/03 verbunden. Der
Zeuge H.-V. fügte einem an das AG Görlitz gerichteten Schreiben vom 19.04.2005 einen an das AG Dresden –
Insolvenzgericht – adressierten "Insolvenz-Eigenantrag" der Arbeitgeberin vom 02.07.2003 als Anlage bei; dessen
Eingang ist nicht dokumentiert. Eine Prüfung durch eine Wirtschaftsberatungsgesellschaft habe die "zwingende
Notwendigkeit" ergeben, den Gewerbebetrieb abzumelden, bestehende Arbeitsverhältnisse aufzulösen und die
angemieteten Räumlichkeiten aufzugeben.
Nachdem die Commerzbank AG von der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters Kenntnis erlangt hatte,
kündigte sie mit Schreiben vom 18.07.2003 den Überziehungskredit bezüglich des laufenden Kontos der Arbeitgeberin
in Höhe von 2.625,29 EUR sowie zwei Darlehen in Höhe von 472.221,52 EUR und in Höhe von 203.818,83 EUR.
Gegenüber dem AG Dresden – Insolvenzgericht – gab der Zeuge H.-V. am 12.08.2003 an, die Löhne für April und Mai
2003 seien nicht gezahlt worden, es bestehe Zahlungsunfähigkeit. Mit Schreiben vom 05.08.2003 und vom
15.08.2003 (jeweils zu 531 IN 1653/03) teilte der Zeuge H.-V. dem AG Dresden mit, im Zuge des
Geschäftsführerwechsels seien alle Geschäftsunterlagen vollständig übergeben worden. Der Betrieb sei geschlossen,
die Unterlagen befänden sich bei J. N ...
Fast zeitgleich zu den Insolvenzeröffnungsanträgen stellte der Kläger am 30.06.2003 bei der Beklagten einen Antrag
auf Insg. Dabei gab er an, der Tag der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit sei der 30.05.2003 gewesen.
Für die Zeit vom 01.04.2003 bis 30.04.2003 stehe ihm noch ein Netto-Arbeitsentgelt von 1.049,28 EUR und für die
Zeit vom 01.05.2003 bis 31.05.2003 ein solches von 1.086,09 EUR zu. Ferner begehrte er Insg für den gesamten Juni
2003 aus einem Brutto-Arbeitsentgelt von 1.470 EUR. Auf Antrag des Klägers erließ das Arbeitsgericht Bautzen
gegenüber der Arbeitgeberin ("vertr. durch d. Geschäftsführer J. H.-V. ") am 23.10.2003 ein Versäumnisurteil (2 Ca
2284/03), in dem festgestellt wurde, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers erst mit Ablauf des 30.06.2003 beendet
gewesen sei.
Im Auftrag der Firma "H. H. GmbH Maschinen-Mietservice" mit Sitz in F. stellte deren Verfahrensbevollmächtigter am
07.06.2004 bei der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Bautzen einen Strafantrag gegen "die Verantwortlichen
der Firma S. GmbH, ehemals St. E. GmbH, und der Firma GSB G.- und St. GmbH, Z.str. 8, G. ", insbesondere gegen
die Geschäftsführer D. M. , J. H.-V. und J. N ... Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt: "Der Sachverhalt
legt die Vermutung nahe, dass sämtliches Anlagevermögen der S. GmbH, ehemals St. E. GmbH, nach Feststellung
deren Überschuldung ohne adäquate Gegenleistung auf die GSB G.- und St. GmbH übertragen wurde. Hierdurch
wurden die Gläubiger der erstgenannten Firma massiv geschädigt, da sie mit ihren Forderungen vollständig
auszufallen drohen. Zudem wurde die Frist zur Insolvenzantragstellung missachtet. Sämtliche Geschäftsunterlagen,
die Aufschluss über mögliche Gegenwerte aus dem Unternehmensverkauf und deren Verbleib geben könnten, sind in
Spanien verschollen und werden vermutlich nie wieder auftauchen. Der vorläufige Insolvenzverwalter sieht sich
aufgrund des vollständigen Fehlens von Geschäftsunterlagen außerstande, das Insolvenzverfahren voranzutreiben.
Alle Geschäftsführer schweigen beharrlich zu den Vorgängen."
Mit Beschluss vom 23.05.2005 hob das AG Dresden – Insolvenzgericht – die mit Beschluss vom 03.07.2003
angeordnete vorläufige Insolvenzverwaltung und Vollstreckungssperre auf. Außerdem wies es – nach Rücknahme der
übrigen Anträge – (nur noch) den Antrag der IKK Sachsen auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen
der S. GmbH (Schuldnerin) als unbegründet zurück, weil die Aufklärungsmöglichkeiten des Insolvenzgerichts zur
Frage des Insolvenzgrundes und der Verfahrenskostendeckung erschöpft und die bisherigen Ermittlungen ergebnislos
geblieben seien. Die Angaben des früheren Geschäftsführers D.M. seien unergiebig. Dessen Nachfolger, der Zeuge
H.-V. , der nur kurzfristig geschäftsführender Gesellschafter gewesen sei und der dem Gericht im Übrigen – wie auch
der letzte geschäftsführende Gesellschafter N. – aus mehreren Verfahren im Zusammenhang mit
"Firmenbestattungen" bekannt sei, könne "naturgemäß" zu den Verhältnissen der Schuldnerin nichts Wesentliches
aussagen. Die Geschäftsunterlagen der Schuldnerin seien für das Gericht nicht greifbar. Die erneute Einholung eines
internationalen Rechtshilfeersuchens (im Hinblick auf den Aufenthalt des Gesellschafters N. ) verspreche keinen
Erfolg. Das Risiko, dass sich die Frage des Insolvenzgrundes und der Verfahrenskostendeckung nicht aufklären
lasse, gehe zulasten der Antragstellerin.
Mit Anklageschrift vom 22.03.2005 erhob die Staatsanwaltschaft Görlitz beim Amtsgericht Görlitz gegen D. M., den
Zeugen H.-V. und J. N. Anklage wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung, vorsätzlichem Bankrott, Betrug und
Untreue (310 Js 11774/03). Das beim AG Görlitz eröffnete Verfahren wurden gegenüber allen drei Angeklagten mit
Rücksicht auf bereits erfolgte Verurteilungen in anderen Verfahren durch Beschluss des AG Görlitz vom 22.09.2008
nach § 154 Abs. 1 Strafprozessordnung vorläufig eingestellt.
Mit Bescheid vom 21.06.2005 lehnte die Beklagte den Insg-Antrag des Klägers unter Bezugnahme auf den Beschluss
des AG Dresden – Insolvenzgericht – vom 23.05.2005 ab. Den hiergegen am 27.06.2005 eingelegten Widerspruch des
Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 26.08.2005 zurück. Die Voraussetzungen von § 183
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) lägen nicht vor. Zwar bewirke der Beschluss des
AG Dresden vom 23.05.2005, dass kein Insolvenzantrag gestellt worden sei. Jedoch liege kein Insolvenzereignis im
Sinne von § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III vor. Denn es fehle insoweit an einer nachgewiesenen
Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers zum Zeitpunkt der Betriebseinstellung. Gegen die Annahme der
Zahlungsunfähigkeit spreche, dass kein Insolvenzverfahren beantragt worden sei. Auch andere Anhaltspunkte für eine
Betriebseinstellung wegen Zahlungsunfähigkeit seien nicht bekannt und könnten wegen Unerreichbarkeit des
Geschäftsführers zudem nicht festgestellt werden, so dass davon auszugehen sei, dass keine eindeutige Insolvenz
vorliege.
Dagegen hat der Kläger am 22.09.2005 Klage beim Sozialgericht Dresden (SG) erhoben und zunächst beantragt, die
Beklagte zur Zahlung von Insg für die Monate April bis Juni 2003 zu verurteilen. Er hat vorgetragen, seine
Arbeitgeberin habe ihren Geschäftsbetrieb zum 31.05.2003 eingestellt und sei postalisch zunächst nur noch unter der
Anschrift des Zeugen H.-V. in B. erreichbar gewesen. Zahlungen seien nicht mehr geleistet worden. Zum Zeitpunkt
der Betriebseinstellung sei die Arbeitgeberin zahlungsunfähig und vermögenslos gewesen. Die Voraussetzungen des
§ 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III lägen vor. Es genüge, wenn für einen unvoreingenommenen Betrachter alle
äußeren Tatsachen für die Masseunzulänglichkeit sprächen, was vorliegend der Fall sei. Die Arbeitgeberin habe weder
Forderungen des Finanzamts beglichen noch Beiträge für ihre Arbeitnehmer an die Krankenkassen entrichtet. Auch
die Löhne ihrer Arbeitnehmer habe sie nicht mehr gezahlt. Im Hinblick auf die finanziellen Verhältnisse der
Arbeitgeberin fehle jeder Anhaltspunkt dafür, dass der letzte Geschäftsführer Vermögen der GmbH ins Ausland
transferiert habe. Die Beklagte hat an ihrer bisherigen Auffassung festgehalten.
Mit Urteil vom 14.09.2007 ist das SG im Wesentlichen der Argumentation des Klägers gefolgt und hat nach
Rücknahme der Klage im Übrigen dessen Antrag, den Bescheid vom 21.06.2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 26.08.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für April und Mai 2003
Insg zu zahlen, stattgegeben. Der Kläger habe gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III einen Anspruch auf Insg für
die Zeit vom 01.04.2003 bis 31.05.2003. Über den 30.05.2003 hinaus seien keine Arbeitnehmer beschäftigt worden.
Zweifel an der Betriebseinstellung bestünden daher nicht. Auch der Zeuge H.-V. habe bestätigt, dass nach diesem
Zeitpunkt die Arbeitgeberin nicht mehr gewerblich tätig gewesen sei. Der danach noch erfolgte
Geschäftsführerwechsel sei insoweit bedeutungslos gewesen. Es liege ausgehend von den Grundsätzen des Urteils
des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23.11.1981 (10/8b RAr 6/80) auch die Voraussetzung der offensichtlichen
Masselosigkeit bei vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland vor. Für April und Mai seien keine
Arbeitsentgeltzahlungen mehr erfolgt. Pfändungsversuche seien erfolglos geblieben. Schon im Februar sei auf einen
zugunsten der J. H. GmbH ausgestellten Scheck keine Zahlung erfolgt. Die Arbeitgeberin habe Schulden von weit
über 700.000 EUR gehabt. Auf dem Geschäftskonto hätten sich im Mai 2003 noch etwa 2.000 EUR befunden. Auch
die Umstände der Übertragung der Gesellschaftsanteile sprächen dafür, dass bereits im April 2003 bei der
Arbeitgeberin Zahlungsunfähigkeit vorgelegen habe. Dem stehe nicht entgegen, dass nach den Ermittlungen der
Staatsanwaltschaft D. M. am 22.12.2003 10.250,00 EUR auf das Konto der GBB B. GmbH und 600,00 EUR auf das
Konto seiner Ehefrau überweisen habe. Hierbei habe es sich um innere, von außen nicht erkennbare Vorgänge
gehandelt.
Gegen das ihr am 25.10.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 22.11.2007 Berufung eingelegt.
Die Beklagte trägt vor, die Voraussetzungen des § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III lägen nicht vor. Es werde darauf
hingewiesen, dass am Firmensitz der Arbeitgeberin bereits mehrere Bauunternehmen mit D. M. als Inhaber ihren Sitz
gehabt hätten. Zwar habe die Arbeitgeberin nach ihrer Umfirmierung und der Entlassung aller Arbeitnehmer keine
gewerbliche Bautätigkeit mehr ausgeführt, jedoch habe der faktische Geschäftsführer, D. M. , neben der Einleitung
der so genannten "Firmenbestattung" bereits parallel an der Neuerrichtung des nächsten Bauunternehmens am alten
Betriebssitz gearbeitet. Die GSB G.- und St. GmbH habe nahezu nahtlos an die Geschäftstätigkeit der Arbeitgeberin
anknüpfen können. Es sei bislang nicht bekannt, ob die GSB G.- und St. GmbH Betriebsmittel der Arbeitgeberin vor
bzw. nach der Umfirmierung übernommen habe bzw. wie sich die finanziellen Verhältnisse dieser Firmen zuletzt
gestaltet hätten. Zur Nichterweislichkeit der tatsächlichen Umstände habe die Nichtauffindbarkeit der
Geschäftsunterlagen maßgeblich beigetragen. Die Zahlung der Löhne sei nicht unter Hinweis auf die
Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin unterblieben. D. M. habe noch in der mündlichen Verhandlung vor dem AG
Görlitz am 20.04.2007 ausgeführt, das allgemeine Geschäft sei normal gelaufen, aber die Zahlungsflüsse hätten sich
schwierig gestaltet. Weiterhin habe der Zeuge H.-V. erst am 02.07.2003 einen eigenen Insolvenzantrag gestellt. Da
die Commerzbank AG erst mit Schreiben vom 18.07.2003 die Kredite und Darlehen der Arbeitgeberin gekündigt und
zur sofortigen Rückzahlung fällig gestellt habe, sei davon auszugehen, dass die Arbeitgeberin bis zu diesem
Zeitpunkt ihre Kreditwürdigkeit noch nicht verloren gehabt habe. Der vom SG als weiteres Indiz herangezogene
"geplatzte Scheck" vom Februar 2003 gebe keinen Hinweis auf die behauptete Masselosigkeit zum Zeitpunkt der
Betriebseinstellung am 31.05.2003. Auch die von den Gesellschaftern der Arbeitgeberin aufgebrachte
Vermittlungsgebühr in Höhe von 8.000,00 EUR an die Firma S.GmbH stelle kein eindeutiges Indiz für offensichtliche
Masselosigkeit zum Zeitpunkt der Betriebseinstellung dar. Sie spreche eher dafür, dass die Gesellschafter einen Weg
gesucht hätten, ohne ordentliche Abwicklung eines Insolvenzverfahrens aus der Geschäftstätigkeit der Arbeitgeberin
auszusteigen und gleichzeitig eine neue schuldenfreie Firma mit demselben Geschäftszweck aufzubauen. Nach der
Rechtsprechung des BSG erfordere der Insg-Tatbestand des § 183 Abs.1 Satz 1 Nr. 3 SGB III, dass die
Masselosigkeit im Zeitpunkt der Betriebseinstellung vorliege, also vorher oder gleichzeitig eingetreten sein müsse.
Dies sei zum 31.05.2003 nicht nachgewiesen. Die Indizien sprächen eher dafür, dass Masselosigkeit erst zu einem
späteren Zeitpunkt eingetreten sei, nämlich mit der Kündigung der Darlehen und Kredite durch die Hausbank am
18.07.2003. Offensichtliche Masselosigkeit könne dann nicht bejaht werden, wenn dem schuldnerischen Unternehmen
Ersatzansprüche dafür zustünden, dass die Geschäftsführung oder Gesellschafter dem Unternehmen
kompensationslos Vermögenswerte entzogen hätten. Entsprechendes gelte für Fälle so genannter
"Firmenbestattungen". Ein Insolvenzverfahren habe im Übrigen schon deshalb nicht eröffnet werden können, weil der
Schuldner unbekannten Aufenthalts sei und ein inländischer Gerichtsstand nicht ermittelt werden könne. Die
Geschäftskonten der Arbeitgeberin hätten noch lange über den 31.05.2003 hinaus bestanden; für alle Konten sei D.
M. verfügungsberechtigt gewesen. Es hätten auch Kontenbewegungen stattgefunden. Einige Konten hätten Ende Mai
2003 beachtliche Guthaben aufgewiesen. Es sei somit nicht bewiesen, dass die Arbeitgeberin im
streitgegenständlichen Zeitraum ihren wirtschaftlichen Verpflichtungen überhaupt nicht mehr nachgekommen sei.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 10.03.2010 hat der Kläger seine Klage zurückgenommen,
soweit er Insg für den 30. und 31.05.2003 begehrt hat.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 14. September 2007 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Es müsse beachtet werden, dass die Arbeitgeberin rechtlich
selbstständig gewesen sei. Die Argumentation der Beklagten, D. M. sei auch Geschäftsführer der GSB G. und St.
GmbH, verfange deshalb nicht. Es dürfe ihm, dem Kläger, nicht zum Nachteil gereichen, wenn D. M. in betrügerischer
Absicht eine Insolvenzverschleppung begehe und somit der Zeitpunkt der Vermögenslosigkeit nicht eindeutig
festzustellen sei. Der Eintritt der Masselosigkeit – vor oder gleichzeitig mit der vollständigen Einstellung der
Betriebstätigkeit – sei bereits dann anzunehmen, wenn alle äußeren Tatsachen und insofern der Anschein für die
Masseunzulänglichkeit sprächen. Masselosigkeit sei aus der Sicht eines unbefangenen Beobachters in der Regel zu
bejahen, wenn unter Hinweis auf die Zahlungsunfähigkeit kein Arbeitsentgelt mehr gezahlt, die Betriebstätigkeit
eingestellt und kein Insolvenzantrag gestellt werde. Indiz für Masselosigkeit seien vor allem ausgebliebene
Lohnzahlungen in Verbindung mit arbeitsgerichtlichen Versäumnisurteilen. Diese Voraussetzungen lägen vor.
Der Senat hat den Zeugen H.-V. zu den näheren Umständen der Veräußerung der früheren Arbeitgeberin im Termin
zur mündlichen Verhandlung am 10.03.2010 befragt. Bezüglich des Inhalts seiner Aussage wird auf die
Sitzungsniederschrift verwiesen.
Dem Senat haben die Verwaltungsakten der Beklagten (Insg-Akte und Betriebsakte) sowie die Gerichtsakten beider
Rechtszüge vorgelegen, ferner die Akten des AG Dresden – Insolvenzgericht – mit dem Aktenzeichen 531 IN 1657/03
und die Akten des AG Görlitz mit dem Aktenzeichen 310 Js 11774/03.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist unter Berücksichtigung der in der mündlichen Verhandlung am 10.03.2010 erklärten
Klagerücknahme unbegründet, soweit noch die Zeit vom 01.04. bis 29.05.2003 im Streit geblieben ist.
Das Urteil des SG vom 14.09.2007 ist insoweit zu Recht ergangen. Der Bescheid der Beklagten vom 21.06.2005 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.08.2005 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Gewährung von Insg für die Zeit vom 01.04.2003 bis 29.05.2003 zu.
Gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insg, wenn sie im Inland beschäftigt waren
und bei 1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, 2. Abweisung des Antrags auf
Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder 3. vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland,
wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren
offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt, (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des
Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Nach § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist Insg innerhalb
einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen.
1. Da über das Vermögen der Arbeitgeberin weder ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde noch eine Abweisung des
Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse stattfand, scheiden die Tatbestände der Nr. 1 und 2
des § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III als Insolvenzereignisse aus. Allerdings liegen die Voraussetzungen des in § 183
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III genannten Insolvenzereignisses vor.
Von den zunächst gestellten Anträgen auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht mit Wirkung für § 183 Abs. 1 Satz
1 Nr. 3 SGB III keine Sperrwirkung aus (a). Die Arbeitgeberin stellte ihre Betriebstätigkeit im Inland am 30.05.2003
vollständig ein (b). Am 30.05.2003 kam ein Insolvenzverfahren aus Sicht eines objektiven Dritten nach dem äußeren
Anschein offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht (c). Der Insg-Antrag wurde rechtzeitig gestellt (d).
a) Die IKK Sachsen hat ihren Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufrechterhalten. Er ist durch Beschluss
des AG Dresden – Insolvenzgericht – vom 23.05.2005 (531 IN 1657/03) als unbegründet zurückgewiesen worden.
Dieser als unbegründet zurückgewiesene Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die zunächst vom
Finanzamt Bautzen und der GEK gestellten, später aber zurückgenommenen Anträge auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens entfalteten zu keiner Zeit eine Sperrwirkung für das Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 Satz 1
Nr. 3 SGB III, weil die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland bei offensichtlicher Masselosigkeit ein
gleichberechtigtes Insolvenzereignis neben der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der Abweisung mangels
Masse ist. Allein maßgeblich ist der zuerst erfolgte Eintritt eines der drei Insolvenzereignisse. Eine Sperrwirkung des
Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann sich für § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III nur ergeben, wenn
eines der beiden anderen Insolvenzereignisse eintritt und der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor der
vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit des masselosen Unternehmens im Inland gestellt worden ist. Hier ist
das Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III vor der Antragstellung des Finanzamtes Bautzen
(30.06.2003), der GEK (07.07.2003) und der IKK Sachsen (24.07.2003) am 30.05.2003 (dazu sogleich unter (b))
eingetreten (zur Sperrwirkung siehe BSG, Urteil vom 30.10.1991 – 10 RAr 3/91 – BSGE 70, 9, 11 f. = SozR 3-4100 §
141b Nr. 3; Urteil vom 08.02.2001 – B 11 AL 27/00 R – juris Rn. 16). Im Übrigen wäre die Sperrwirkung auch dann
entfallen, wenn die Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor der vollständigen Beendigung der
Betriebstätigkeit im Inland gestellt worden wären, weil weder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gerichtlich
angeordnet noch mangels Masse abgelehnt, sondern – nachdem die übrigen Anträge schon zurückgenommen waren
– lediglich der Antrag der IKK Sachsen als unbegründet zurückgewiesen worden ist (zum ex tunc wirkenden Wegfall
der Sperrwirkung bei Zurückweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus anderen Gründen als der
Masselosigkeit: BSG, Urteil vom 30.10.1991 – 10 RAr 3/91 – BSGE 70, 9, 13 = SozR 3-4100 § 141b Nr. 3; Urteil vom
22.09.1993 - 10 RAr 9/91 - SozR 3-4100 § 141b Nr. 7 S. 30 und 31).
b) Nicht jede Beendigung einer Betriebstätigkeit ist rechtserheblich. Erforderlich ist die vollständige Beendigung jeder
dem Betriebszweck dienenden Tätigkeit (Arbeit). Nur solche dem Betriebszweck dienenden Tätigkeiten (Arbeiten) sind
"Betriebstätigkeiten". Daher sind Arbeiten innerhalb eines Betriebes, die seinem Zweck nicht dienen, keine solchen
Betriebstätigkeiten. Das sind insbesondere die der Auflösung, der reinen Abwicklung oder lediglich der Erhaltung von
Betriebsanlagen dienenden Arbeiten. Wann die Betriebstätigkeit vollständig beendet ist, richtet sich insbesondere
nach der Art des Betriebes (BSG, Urteil vom 05.06.1981 – 10/8b RAr 3/80 – BSGE 52, 40, 41 = SozR 4100 § 141b
Nr. 19; Urteil vom 08.02.2001 – B 11 AL 27/00 R – juris Rn. 17). Bei Betrieben, die nur produzieren, ist die endgültige
Beendigung der Produktion maßgebend. Werden – wie hier – Werkleistungen im Bausektor erbracht, liegt die
Einstellung der Betriebstätigkeit jedenfalls dann vor, wenn überhaupt keine baulichen Tätigkeiten auf den Baustellen
und keine diese Tätigkeiten vor- oder nachbereitenden Arbeiten handwerklicher Art auf der Betriebsstätte mehr
ausgeführt werden. Zwar ist der Zweck der Arbeitgeberin im Rahmen der Übertragung der Geschäftsanteile der
Arbeitgeberin auf den Zeugen H.-V. von letzterem dahin geändert worden, dass die in S. GmbH umfirmierte
Arbeitgeberin nunmehr den Handel mit Baustoffen als Unternehmensgegenstand haben solle. Die Arbeitgeberin ist
jedoch weder unter ihrer bisherigen Firma noch unter der Firma S. GmbH mit dem neuen Unternehmensgegenstand
am Markt aufgetreten. Die Arbeitgeberin stellte jegliche Betriebstätigkeit im Inland am 30.05.2003 vollständig ein.
Keine der vorgenannten Betriebstätigkeiten wurden über den 30.05.2003 hinaus ausgeführt. Sämtlichen Arbeitnehmern
wurde zum 31.05.2003 gekündigt. Das ergibt sich sowohl aus den Angaben des Zeugen H.-V. (Schreiben vom
26.06.2007) als auch aus den bei der Beklagten eingegangenen Insg-Anträgen der anderen Arbeitnehmer. Die
Gewerbe-Abmeldung vom 04.06.2003 weist als Datum der Betriebsaufgabe den 30.05.2003 aus. Dies deckt sich mit
der Angabe des Zeugen H-V. (Schreiben vom 26.06.2007: ab 31.05.2003 "keine werbliche Tätigkeit mehr"). Auch der
Kläger hat in seinem Antrag auf Insg vom 30.06.2003 angegeben, der Tag der vollständigen Beendigung der
Betriebstätigkeit sei der 30.05.2003 gewesen. Da es sich beim 30.05.2003 um einen Freitag gehandelt hat, die
Kündigung der Arbeitnehmer zum 31.05.2003 ausgesprochen wurde, die GSB G.- und St. GmbH am 01.06.2003 ihren
Betrieb aufnahm und der Zeuge H.-V. sowie der Kläger und 28 weitere Arbeitnehmer als Tag der vollständigen
Beendigung der Betriebstätigkeit den 30.05.2003 angegeben haben, geht der Senat davon aus, dass im Laufe des
besagten Freitags die Arbeitgeberin ihre betriebliche Tätigkeit eingestellt hat. Demgegenüber misst der Senat der
Angabe des früheren Geschäftsführers und wohl bis zuletzt faktischen Betriebsleiters D. M. (Vernehmung als
Beschuldigter am 03.03.2004), wonach die gewerbliche Tätigkeit am 31.05.2003 eingestellt worden sei, keine
Bedeutung zu. Daher hat der Kläger auf Anraten des Senats seine Klage auf die Zeit vor dem Eintritt des auf den
30.05.2003 zu legenden Insolvenzereignisses der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland
beschränkt.
Unbeachtlich ist, dass auch nach dem 30.05.2003 auf den Konten der Arbeitgeberin, über die der frühere
Geschäftsführer D. M. weiterhin Kontovollmacht hatte (oder sich eine solche aufgrund Rechtsscheins anmaßte), D.
M. in nicht unerheblichem Umfang Überweisungen und Abhebungen ausführte (näher dazu unten c) aa) ). Derartige
Zahlungsvorgänge sind keine dem Betriebszweck dienende Betriebstätigkeiten eines Bauunternehmens, das über
keine Arbeitnehmer mehr verfügt. Dies gilt umso mehr, als es sich bei den hier in Rede stehenden Zahlungsvorgängen
um strafrechtlich relevante Vorgänge handelte, die der Arbeitgeberin Vermögen entzogen haben.
Der Umstand, dass die ausweislich der Gewerbe-Anmeldung vom 02.09.2003 ab 01.06.2003 tätige GSB G.- und St.
GmbH die Hälfte der Arbeitnehmer der Arbeitgeberin übernommen haben soll – so die Mitteilung der Richterin am
Arbeitsgericht D. (Arbeitsgericht Bautzen) vom 02.07.2003 gegenüber der Staatsanwaltschaft Görlitz – und diese neue
Firma als Geschäftsführer D. M. und den gleichen Betriebssitz wie die Arbeitgeberin hatte (und noch hat), ändert
nichts daran, dass die Arbeitgeberin ihre Betriebstätigkeit zum 30.05.2003 vollständig einstellte. Denn insoweit ist auf
das jeweilige als Unternehmensträger fungierende Rechtssubjekt abzustellen. Selbst wenn der bisherige Inhaber eines
Betriebes, der in eine Krise geraten ist, eine neue Firma mit den wesentlichen sachlichen Betriebsmitteln und den
bisherigen Arbeitnehmern des alten Betriebes betreibt, tritt ein Arbeitgeberwechsel ein. Dass die Gesellschafter der
neu gegründeten Gesellschaft mit den Gesellschaftern der alten Gesellschaft ganz oder teilweise identisch sind,
schließt einen Betriebsinhaberwechsel nicht aus.
Einer rein wirtschaftlichen Betrachtungsweise steht schon die Systematik der Insg-Versicherung entgegen (BSG,
Urteil vom 28.06.1983 – 10 RAr 26/81 – BSGE 55, 195, 197 f. = SozR 4100 § 141b Nr. 27). Denn zum einen muss die
Insg-Versicherung bezüglich der Frage, wer Arbeitgeber ist, an die vorgefundenen privatautonomen arbeitsrechtlichen
Rechtsgestaltungen anknüpfen. Wie im Sozialversicherungsrecht allgemein anerkannt ist, werden derartige
Rechtsgestaltungen nicht durch die sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen eingeschränkt, sondern die
sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche knüpfen an die zivilrechtlich (bzw. arbeitsrechtlich) wirksam zustande
gekommenen Regelungen und Gestaltungen an, soweit nicht eine diesen entgegenstehende tatsächliche Handhabung
vorliegt. Aber auch für das Insolvenzrecht gilt nichts anderes. Nach § 183 Abs. 1 SGB III lösen nämlich nur
bestimmte insolvenzrechtliche Tatbestände einen Versicherungsschutz aus. Anspruchsbegründende Tatbestände
sind danach nur bestimmte insolvenzrechtliche Ereignisse, in erster Linie die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über
"das Vermögen seines Arbeitgebers", daneben die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
mangels Masse. Damit knüpft das Insg-Recht eng an die Vorschriften der Insolvenzordnung (InsO) an bzw. baut auf
diesen auf. Die InsO bestimmt nicht nur den Zeitpunkt, zu dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des
Anspruchs vorliegen müssen, sondern verweist hinsichtlich der Identität des Arbeitgebers auch auf die
gesellschaftsrechtlichen Gestaltungen, an die die InsO ihrerseits anknüpft. Bei rechtlich selbständigen Rechtsträgern
findet insolvenzrechtlich über jeden von ihnen bzw. über sein jeweiliges Vermögen ein selbständiges
Insolvenzverfahren statt. Die darin liegende Interdependenz zwischen Arbeits-, Gesellschafts- und Insolvenzrecht
wirkt sich auch auf das Insg-Recht und den dort verwandten Begriff des Arbeitgebers aus. Dort aber werden die
jeweiligen Rechtsträger des Unternehmens grundsätzlich jeweils eigenständig behandelt (siehe insbesondere § 11
Abs. 1 Satz 1 InsO: "Ein Insolvenzverfahren kann über das Vermögen jeder natürlichen und jeder juristischen Person
eröffnet werden.").
Auch der Schutzzweck der Insg-Versicherung lässt eine Abweichung von diesen im Arbeits- und Insolvenzrecht
vorgefundenen rechtlichen Anknüpfungen im Sinne einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise und Definition des
Arbeitgebers nicht zu (BSG, Urteil vom 28.06.1983 – 10 RAr 26/81 – BSGE 55, 195, 199 und 201 = SozR 4100 §
141b Nr. 27). Der Arbeitnehmer muss grundsätzlich vorleisten und wird darin für die Dauer von drei Monaten durch die
Insg-Versicherung geschützt. Tritt ein Wechsel des Betriebsinhabers ein, ist der Arbeitnehmer regelmäßig nicht in der
Lage, die wirtschaftlichen Verhältnisse des neuen Arbeitgebers zu überblicken und ist deshalb von Anfang an dem
Risiko ausgesetzt, vorleisten zu müssen, ohne vom neuen Arbeitgeber Sicherheit fordern zu können. Diese
Überlegungen sind auch hier maßgeblich. Auch wenn im vorliegenden Rechtsstreit es – anders als im Sachverhalt
des oben wiedergegebenen Urteils des BSG – nicht darum geht, ob der Kläger in einem weiteren Arbeitsverhältnis bei
einem wirtschaftlichen Nachfolger der Arbeitgeberin unter dem Schutz der Insg-Versicherung steht, würde eine
wirtschaftliche Betrachtungsweise bei der Bestimmung des Arbeitgebers den Schutzzweck der Insg-Versicherung
beeinträchtigten. Ansonsten hätte der Kläger einerseits gegenüber der später insolventen Arbeitgeberin vorleisten
müssen, die allein er dann auch arbeitsrechtlich hätte in Anspruch nehmen können. Andererseits könnte sich die
Beklagte dann auf den Standpunkt stellen, dass die neue Arbeitgeberin zugleich die alte sei und deswegen kein
Insolvenzereignis eingetreten sei, obwohl der Kläger arbeitsrechtlich keinen Anspruch gegen die Firma GSB G.- und
St. GmbH aufgrund seiner Beschäftigung bei der bisherigen Arbeitgeberin (St. E. GmbH, umfirmiert zur S. GmbH) hat.
Diese Entwertung des Schutzes der Insg-Versicherung ist nicht hinnehmbar. Hätte der Kläger mit der Firma GSB G.-
und St. GmbH ein Arbeitsverhältnis begründet, hätte er nach der wiedergegebenen und zutreffenden Rechtsprechung
des BSG dort erneut (für eine Dauer von maximal weiteren drei Monaten) unter dem Schutz der Insg-Versicherung
gestanden. Dass es zu einem "Anschlussarbeitsverhältnis" beim wirtschaftlich zumindest teilidentischen neuen
Arbeitgeber nicht gekommen ist, bedeutet hingegen nicht, dass dann der Insg-Versicherungsschutz im bisherigen
Arbeitsverhältnis entfällt.
c) Ein Insolvenzverfahren kam am 30.05.2003 aus Sicht eines objektiven Dritten dem äußeren Anschein nach
mangels einer die Kosten des Insolvenzverfahrens deckenden Masse nicht in Betracht.
Masselosigkeit liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die Kosten
des Verfahrens im Sinne von § 26 Abs. 1 Satz 1 InsO zu decken. Sie muss vor oder gleichzeitig mit der vollständigen
Beendigung der Betriebstätigkeit eintreten.
Zur Frage der "Offensichtlichkeit" ist darauf abzustellen, ob sich für einen unvoreingenommenen objektiven Betrachter
aus äußeren Tatsachen der Eindruck (und insofern der Anschein) ergibt, dass ein Insolvenzverfahren mangels Masse
nicht in Betracht kommen wird. Nur so ist eine dem Zweck des Insg entsprechende Bewilligungspraxis möglich: Dem
Arbeitnehmer soll möglichst schnell die seinen Lebensunterhalt sichernde Leistung – gegebenenfalls durch Vorschuss
gemäß § 186 SGB III – bewilligt werden. Zweifel an der Masseunzulänglichkeit berechtigen die Beklagte nicht dazu,
einen Antrag auf Insg abzulehnen. Dies steht im Einklang mit dem Umstand, dass die Beklagte nicht geschädigt ist,
wenn sich später herausstellen sollte, dass die Masse entgegen ihrer Annahme tatsächlich dennoch zulänglich war.
Die Beklagte wird insoweit durch die Cessio legis des § 187 Satz 1 SGB III geschützt: Die Ansprüche der
Arbeitnehmer auf Arbeitsentgelt, die einen Anspruch auf Insg begründen, gehen mit dem Antrag auf Insg auf sie über.
Sie kann dann entscheiden, ob sie im Wege der Einzelvollstreckung oder des Antrags auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens vorgeht, um sich für ihre Leistung schadlos zu halten (zum Ganzen BSG, Urteil vom 23.11.1981
– 10/8 b RAr 6/80 – BSGE 53, 1, 3 = SozR 4100 § 141b Nr. 21; Urteil vom 22.09.1993 – 10 RAr 9/91 – SozR 3-4100 §
141 b Nr. 7 S. 32; Urteil vom 04.03.1999 – B 11/10 AL 3/98 R – juris Rn. 14). Mithin meint das Tatbestandsmerkmal
der Offensichtlichkeit der Masselosigkeit keinen gesteigerten Grad an Evidenz und Richtigkeit – etwa im Sinne einer
an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit –, sondern in der am Schutzzweck orientierten Auslegung des BSG
gerade einen abgeschwächten Maßstab der Wahrscheinlichkeit. Es muss sich lediglich aufgrund äußerer,
tatsächlicher Umstände für den Dritten der plausible Anschein der Masselosigkeit ergeben.
Die äußeren Tatsachen erweckten am 30.05.2003 für einen unvoreingenommenen objektiven Betrachter den Eindruck
der offensichtlichen Masselosigkeit der Arbeitgeberin. Es bestand der Anschein, dass tatsächlich kein Vermögen
mehr vorhanden war. Die unter (aa) genannten Umstände dokumentieren hinlänglich die Insolvenz der Arbeitgeberin,
wenn auch noch nicht deren Masselosigkeit. Die im Rahmen eines publizitätswirksamen, weil notariell beurkundeten
und zur Eintragung im Handelsregister vorgesehenen Rechtsgeschäfts erfolgte "Firmenbestattung" hatte jedoch aus
der Sicht eines unvoreingenommenen Beobachters zur Folge, dass die gegebenenfalls noch vorhandenen und
möglicherweise die Kosten eines Insolvenzverfahrens deckenden Vermögenswerte der Arbeitgeberin vor der
vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit auf Dritte übertragen wurden, um sie dauerhaft dem Zugriff der
Gläubiger zu entziehen und ihre Rückholbarkeit durch Vernichtung der Firmenunterlagen maximal zu erschweren.
Deswegen war erwartungsgemäß auch niemand bereit, die Kosten eines Insolvenzverfahrens vorzufinanzieren (§ 26
Abs. 1 Satz 2 InsO), um eventuell rechtwidrig übertragene Vermögenswerte zugunsten der Masse geltend zu machen.
Infolgedessen war am 30.05.2003 jedenfalls dem Anschein nach weder greifbares oder alsbald realisierbares
Vermögen vorhanden noch ein von Gläubigerseite bereitzustellender Geldbetrag zu erwarten, um die Kosten des
Insolvenzverfahrens zu decken (bb). Dem steht nicht entgegen, dass die Arbeitgeberin im Zeitpunkt der vollständigen
Beendigung der Betriebstätigkeit und auch geraume Zeit danach noch über erhebliche Guthaben auf verschiedenen
Konten verfügte und diese auch unter Verletzung der Ansprüche der Gläubiger transferiert bzw. ausgezahlt wurden
(cc).
aa) Die für die Arbeitgeberin bei der Commerzbank AG geführten Kontokorrentkonten Nr. 8303536661-00 und Nr.
8303536661-02 existierten bis 15.07.2003. Das Kontokorrentkonto Nr. 8303536661-06, eröffnet am 08.10.2002 und
geführt auf dem Namen der Arbeitgeberin existierte jedenfalls im September 2004 noch. Im Zeitpunkt der
vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit befanden sich noch 10.250,00 EUR auf dem Konto, die am 19.12.2003
auf ein Konto der GBB B. GmbH überwiesen wurden. Eine am selben Tag von einem Dritten überwiesener Betrag von
445,41 EUR wurde am 19.02.2004 ebenfalls auf ein Konto der GBB B. GmbH transferiert. Das Konto der Arbeitgeberin
bei der Volksbank Bautzen eG (Konto-Nr. 3013010900) wies am 31.05.2003 einen Saldo von 0 EUR auf. Auf ihrem
Konto bei der Kreissparkasse Bautzen (Konto-Nr. 1000081423) war am 30.05.2003 ein Guthaben von 17.921,21 EUR
vorhanden, das größtenteils zu Beginn des Juni 2003 abgehoben wurde. Das Konto war jedenfalls auch noch im Jahr
2004 aktiv. Es wies jedoch immer weniger als 1.000 EUR Guthaben auf. Auf dem Depot-Konto bei der Deka-Bank mit
der Konto-Nr. 0120704150 befand sich am 31.12.2003, (vorher konstante Geldmarktfondsanteile) ein Guthaben von
1.738,76 EUR (am 31.12.2004: 1.746,34 EUR). Bei der Dresdner Bank AG hatte die Arbeitgeberin ein Konto mit der
Nr. 270/02795000-00, das am 28.05.2003 ein Guthaben von 31.232,78 EUR aufwies. Dieses Konto bestand bis
Januar 2005 und wies in der Folgezeit wechselnde Kontostände auf; am 19.06.2003 ein Guthaben von 200,79 EUR,
am 16.07.2003 ein Guthaben von 14.283,42 EUR, am 26.08.2003 ein Guthaben von 16.238,22 EUR. Bis Oktober
2004 veränderte sich der Kontostand bei ganz geringen Umsätzen nur unwesentlich. Am 01.10.2004 erfolgte eine
Überweisung von 3.170,01 EUR. Im weiteren Verlauf wies das Konto beständig ein Guthaben von etwas mehr als
12.800 EUR auf. Die Arbeitgeberin verfügte bei der Dresdner Bank AG ferner über ein seit November 2002
bestehendes Depot-Konto mit der Nr ...-06, dessen Guthaben von 11.394,75 EUR am 16.07.2003 dem Konto mit der
Nr. -00 gutgeschrieben wurde. Hiernach verfügte die Arbeitgeberin im Zeitpunkt der vollständigen Beendigung der
Betriebstätigkeit noch über rund 75.000 EUR liquides Vermögen.
Aufgrund der untergegangenen Geschäftsunterlagen der Arbeitgeberin kann nicht mehr der Umfang der Schulden der
Arbeitgeberin verlässlich ermittelt werden. Allerdings hat D. M. selbst gegenüber dem Vollstreckungsbeamten des
Finanzamtes Bautzen am 07.05.2003, und damit wenige Tage nach der Übertragung der Geschäftsanteile der
Arbeitgeberin auf den Zeugen H.-V., eingeräumt, dass die Arbeitgeberin Schulden von 500.000 EUR habe, denen nur
Forderungen von 200.000 EUR gegenüberstünden – ohne dass deren Werthaltigkeit bekannt war oder seither bekannt
geworden ist. Aufgrund des Geschäftsgebarens der Arbeitgeberin auch schon bei der Nichterfüllung kleinerer Beträge
kann jedoch darauf geschlossen werden, dass die Arbeitgeberin schon vor dem 31.05.2003 wegen
Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und Überschuldung (§ 19 InsO) insolvent war:
Die Firma J. H. GmbH erstellte am 23.01.2003 eine an die Arbeitgeberin gerichtete Rechnung über einen Betrag von
5.404,13 EUR (bei Zahlung bis 06.02.2003) bzw. von 5.500,72 EUR (bei Zahlung bis 22.02.2003). Über den zuerst
genannten Betrag stellte D. M. für die Arbeitgeberin einen Verrechnungsscheck aus, der von der Volksbank Bautzen
eG an den Einreicher am 17.02.2003 rückbelastet wurde. Ausweislich der Drittschuldnererklärung der Volksbank
Bautzen eG vom 13.06.2003 wurden dort keine Konten mehr für die Arbeitgeberin geführt. Hinsichtlich des Betrages
von 5.500,72 EUR erließ das Landgericht (LG) Bautzen das Versäumnisurteil vom 04.08.2003 mit dem Aktenzeichen
1 KfH O 467/03. Eine weitere Rechnung der Firma J. H. GmbH vom 03.02.2003 über einen Betrag von 5.302,16 EUR
blieb nach Angaben der Firma J. H. GmbH ebenfalls unbezahlt. Insoweit erging das Versäumnisurteil des LG Bautzen
vom 13.06.2003 mit dem Aktenzeichen 1 KfH O 464/03. Ein Scheck über 5,60 EUR zugunsten der s. GmbH wurde im
April 2003 rückgebucht. Die am 07.05.2003 durchgeführte Pfändung durch den Vollziehungsbeamten des Finanzamts
blieb im Hinblick auf Abgabenrückstände in Höhe von 25.916,22 EUR erfolglos. Gegenüber der GEK waren bis April
2003, gegenüber der IKK Sachsen von Januar bis Mai 2003 Beitragsrückstände aufgelaufen. Auch kleinere gegen die
Arbeitgeberin bestehende Forderungen wurden nicht bezahlt (Urteil des AG Bautzen vom 18.12.2002 – 1 C 1199/02 –
betreffend 417,07 EUR; Mahnbescheid des AG Bautzen – B 1060/03 – betreffend 240,19 EUR). Die die Arbeitgeberin
in den Jahren 1997 bis 2000 beratende und deren Bilanzen erstellende Steuerberatungsgesellschaft B., Dr. R. & Sch.
GmbH erwirkte im Mai 2003 beim AG Bautzen einen Mahnbescheid über 5.202,77 EUR für Tätigkeiten, die das Jahr
2001 betrafen (B 1000/03). Der Obergerichtsvollzieher M. A. gab folgende nicht ausführbare Pfändungsaufträge an:
Pfändungsauftrag der Tiefbau Berufsgenossenschaft über 6.453,00 EUR (11.11.2002 mit Ratenzahlung bis April 2003)
und über 5.297,06 EUR (05.05.2003), der Gebühreneinzugszentrale der Rundfunkanstalten über 115,96 EUR
(12.11.2002), der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVaG 12.180,92 EUR (18.12.2002 mit einer
Ratenzahlung), der Deutschen BP AG über 2.151,90 EUR (20.03.2003), der V. A. GmbH über 205,66 EUR
(11.04.2003), von L. R. über 1.948,53 EUR (12.04.2003), der TÜV S. B. und B. GmbH über 2.233,74 EUR
(30.04.2003), der H.kammer D. über 280,00 EUR (05.05.2003), der V. A. GmbH über 244,77 EUR (05.05.2003). Nach
der Einstellung der Betriebstätigkeit sind noch folgende Pfändungsaufträge für Geschäfte aus der Zeit davor erteilt
worden: Pfändungsauftrag von M. P. über 645,02 EUR (17.06.2003), der T. GmbH Spezialschweißtechnik über 642,37
EUR (17.06.2003), des T.-V. Sachsen über 659,27 EUR (23.06.2003). Ebenfalls sind folgende weitere Außenstände
von der Staatsanwaltschaft ermittelt worden: Forderungen der K. S. GmbH über 1.049,56 EUR. Im Laufe des
Verfahrens über den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens meldeten sich weitere Gläubiger: I. GmbH, M. G.
GmbH, Landkreis Bautzen, D. GmbH & Co. KG, P. Reifendienste Ost GmbH. M. GmbH, T. BKK, Baustoffe F. GmbH
& Co. KG, (Sächsisches) Landesamt für Finanzen, T. T. & D. Sanitärsysteme GmbH, T. -TECHNIK GmbH.
Letztmalig wurde am 28.11.2001 für das Jahr 2000 ein Jahresabschluss erstellt. Dabei wurden die Buchführung, die
Unterlagen und die Wertansätze auftragsgemäß nur eingeschränkt überprüft und ein Jahresüberschuss von 24.489,35
EUR ermittelt. Eine geordnete Buchführung war danach nicht mehr erkennbar. Die bei der R. G. bau GmbH und später
bei der GBB B. GmbH beschäftigte A. K. , die angeblich die weiteren Jahresabschlüsse erstellen sollte, erklärte
gegenüber dem AG Görlitz mit Schreiben vom 19.12.2007, dass die Buchhaltung und Bilanzierung bei der
Arbeitgeberin nie zu ihrem Aufgabenbereich gehört habe.
Sämtliche Arbeitsverhältnisse sollten zum 31.05.2003 durch außerordentliche Kündigung beendet werden. Die
Arbeitsentgelte für April 2003 wurden überwiegend nicht und für Mai 2003 überhaupt nicht mehr gezahlt. Es ergingen
eine Reihe von Urteilen, vornehmlich Versäumnisurteile, des Arbeitsgerichts Bautzen, die Kündigungsschutz- und
Zahlungsklagen betrafen. Von den entlassenen Arbeitnehmern wurden einige wieder bei der neuen Firma GSB G.- und
St. GmbH beschäftigt (Schreiben der Richterin am Arbeitsgericht D. vom 02.07.2003 an die Staatsanwaltschaft beim
LG Görlitz unter Schilderung des äußeren Ablaufs der "Firmenbestattung").
Schon danach war die Arbeitgeberin insolvent. Zusätzlich und maßgeblich spricht für die Insolvenz, dass die
Arbeitgeberin einer strafrechtlich relevanten "Firmenbestattung" zugeführt wurde, um ihre Vermögensverhältnisse zu
verschleiern und ein geordnetes Insolvenzverfahren zu verhindern. Der an die S. GmbH gezahlte Betrag von 8.000,00
EUR spricht dafür, dass die Arbeitgeberin einer "Firmenbestattung" zugeführt werden sollte. Da deren Einleitung
bereits mit der Veräußerung an den – nach seiner eigenen glaubhaften Angaben als "Strohmann" fungierenden –
Zeugen H.-V. am 28.04.2003 begann, war für einen objektiven Betrachter klar, dass bis zum 30.05.2003 auch keine
Vermögenswerte bei der Arbeitgeberin mehr verbleiben würden. Für den Einsatz des Zeugen H.-V. als "Strohmann"
spricht schon der Umstand, dass er weder über betriebswirtschaftliche noch über juristische Kenntnisse verfügte und
stets den Anweisungen der S. GmbH folgte. Die Einleitung der "Firmenbestattung" mit der ersten Veräußerung am
28.04.2003 wird durch die dem Senat ebenfalls glaubhaft erscheinenden Angaben des Zeugen H.-V. bestätigt, wonach
D. M. ihm gegenüber geäußert habe, die Arbeitgeberin sei zahlungsunfähig. Dies sich deckt mit dem Umstand, dass
der Zeuge H.-V den "Insolvenz-Eigenantrag" vom 02.07.2003 gestellt haben will. Die mit der Veräußerung am
28.04.2003 vorgenommene Änderung des Unternehmensgegenstands erfolgte ebenfalls nur pro forma. Denn
tatsächlich entfaltete die insolvent gebliebene S. GmbH keinerlei Tätigkeit im Bereich des Baustoffhandels. Sowohl D.
M. als auch der Zeuge H.-V. bezweckten mit der zweifachen Veräußerung der Arbeitgeberin zum jeweils
symbolischen Preis von 1,00 EUR deren "Bestattung". Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass der Zeuge H.-V.
glaubhaft und anhand der beigezogenen Akten nachvollziehbar eingeräumt hat, alle 50 von ihm an J. N. veräußerten
Firmen seien zahlungsunfähig gewesen und abgewickelt worden. Zwar verursachte die Weiterveräußerung der S.
GmbH für die vormaligen Geschäftsführer und Gesellschafter nach Aussage des Zeugen H.-V. zusätzliche Kosten für
eine zweite Vermittlungsprovision an die S.a GmbH. Dafür konnten sie freilich sicher sein, eine aus ihrer Sicht
besonders erfolgreiche und undurchsichtige Form der "Firmenbestattung" gewählt zu haben. Denn der zweite
Erwerber, J. N. , konnte sämtliche Firmenunterlagen aufgrund seiner spanischen Anschrift dem Zugriff der Gläubiger
entziehen. Dies war auch der Grund für die Aufhebung der vorläufigen Insolvenzverwaltung durch Beschluss des AG
Dresden –Insolvenzgericht – vom 23.05.2005 – 531 IN 1657/03.
Die Insolvenz ist daher nicht erst dadurch offenbar geworden, dass die Commerzbank AG mit Schreiben vom
18.07.2003 wegen der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung den Überziehungskredit bezüglich des
laufenden Kontokorrentkontos Nr. 8303571643-00 in Höhe von 2.625,29 EUR sowie zwei Darlehen in Höhe von
472.221,52 EUR (Konto-Nr. 8 -20) und in Höhe von 203.818,83 EUR (Konto-Nr ... -21) kündigte. Kontoinhaberin der
drei Konten war die GBB B. GmbH, jedoch waren die beiden Darlehen der Arbeitgeberin, der GBB B. GmbH und der
R. G. GmbH jeweils als Gesamtschuldnern gewährt worden (Darlehensverträge vom 05.07.2000), wofür jeweils D. M.
und K.-D. M. gebürgt haben.
bb) Hinreichende äußere Tatsachen, die den Eindruck (und insofern den Anschein) ergeben, dass ein
Insolvenzverfahren mangels Masse nicht in Betracht kommen wird, liegen jedenfalls dann vor, wenn die Arbeitgeberin
– wie hier – in erheblichem Umfang ihre Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllt, zahlreiche
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen über sich ergehen lässt, zwei Monate vor der vollständigen Beendigung der
Betriebstätigkeit ihren Arbeitnehmern kein Arbeitsentgelt mehr zahlt und im Vorfeld der Beendigung der
Betriebstätigkeit die Geschäftsanteile der Arbeitgeberin in strafrechtlich relevanter Weise auf den Zeugen H.-V.
übertragen wurden, der im Zusammenwirken mit weiteren Personen amtsbekannt als professioneller Firmenbestatter
aufgetreten ist. Zwar kann durch die "Firmenbestattung" der nicht von der Hand zu weisende und sich auch hier
bewahrheitende Verdacht aufkommen, dass noch vorhandene Teile des Vermögens, die eventuell die Kosten des
Insolvenzverfahrens gedeckt haben könnten, beiseite geschafft wurden. Entscheidend ist aber nicht, ob der Masse
Rückforderungsansprüche gegen Dritte zustehen. Vielmehr kommt es darauf an, ob deren Durchsetzung zu erwarten
ist und ob für die dazu notwendige Prozessführung ein Vorschuss auf die Kosten des Insolvenzverfahrens geleistet
werden wird. In Ermangelung besonderer Umstände ist davon auszugehen, dass "Firmenbestattungen" Gegenstand
strafrechtlicher Ermittlungen werden können, aber bei derartigen Sachverhalten grundsätzlich kein Gläubiger bereit
sein wird, noch erhebliche finanzielle Mittel bei wahrscheinlich geringen Quoten aufzuwenden, um
Rückforderungsansprüche durch den Insolvenzverwalter durchsetzen zu lassen. Hierin besteht gerade der
Hauptzweck der "Firmenbestattung": ein geordnetes Insolvenzverfahren unmöglich zu machen und die noch
vorhandene Masse den Gläubigern dauerhaft zu entziehen. Offensichtliche Masselosigkeit liegt danach auch dann
vor, wenn alle Umstände dafür sprechen, dass im Zeitpunkt der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit kein
tatsächlich vorhandenes oder alsbald realisierbares Vermögen mehr vorhanden ist und auch nicht zu erwarten ist,
dass ein Dritter die Kosten der Insolvenzverwaltung mit Blick auf die erforderlich werdende Prozessführung zur
Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen vorzufinanzieren bereit sein wird.
Am 30.05.2003 war anzunehmen, dass aufgrund der strafrechtlich relevanten Machenschaften von D. M. keine
Vermögenswerte bei der Arbeitgeberin (St. E. GmbH, umfirmiert zur S. GmbH) verblieben waren. Vielmehr war davon
auszugehen, dass D. M. als Geschäftsführer das gesamte verwertbare Vermögen der Arbeitgeberin schon vor der
Insolvenzantragstellung auf die GSB G.- und St. GmbH und andere juristische oder natürliche Personen übertragen
hatte. Unter Würdigung dieser gesamten Umstände musste ein neutraler Beobachter bei der Arbeitgeberin am
30.05.2003 dem äußeren Anschein nach von Masselosigkeit ausgehen. Es war nichts dafür ersichtlich, dass ein
Gläubiger bereit gewesen wäre, die Kosten des Insolvenzverfahrens nach § 26 Abs. 1 Satz 2 InsO vorzuschießen. Es
hat sich erwartungsgemäß auch kein Gläubiger gefunden, der bereit gewesen ist, die Verteidigung der Masse zu
seiner eigenen finanziellen Angelegenheit zu machen.
cc) Dem steht nicht entgegen, dass die Arbeitgeberin – wie bereits oben im Einzelnen dargelegt – im Zeitpunkt der
vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit und auch geraume Zeit danach noch über erhebliche Guthaben auf
verschiedenen Konten verfügte und diese auch unter Verletzung der Ansprüche der Gläubiger transferiert bzw.
ausgezahlt wurden. Denn dieser Umstand hat sich erst später herausgestellt und war am 30.05.2003 dem äußeren
Anschein nach nicht zu erkennen. Ziel der "Firmenbestattung" war es auch nach der überzeugenden und glaubhaften
Aussage des Zeugen H.-V. gerade, den Geschäftsführern der zahlungsunfähigen Firmen zu ermöglichen, sich einem
geordneten Insolvenzverfahren entziehen zu können. Das hat aber regelmäßig nur dann einen Sinn, wenn sie den zu
"bestattenden" Firmen sämtliche Vermögenswerte zuvor entziehen konnten. Dies musste zum Zeitpunkt der
vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit verschleiert werden. Insofern waren im Nachhinein noch umfangreiche
Ermittlungen erforderlich, um herausfinden zu können, auf welchen Konten der Arbeitgeberin (unter der Firma St. E.
GmbH) noch Guthaben vorhanden waren. Im Übrigen war nicht zu erwarten, dass überhaupt auf solchen Konten
(vorläufig) noch Guthaben belassen werden würden. Man muss insoweit von einem besonders dreisten Vorgehen
sprechen, das aber dem Kläger ausgehend von dem Maßstab des Anscheins der Masselosigkeit aufgrund objektiver
Umstände nicht entgegengehalten werden kann. Damit war nicht zu rechnen gewesen. Insoweit ist dem
Insolvenzgericht daher auch kein den Insg-Anspruch des Klägers beeinträchtigender Vorwurf zu machen, dass es
nicht intensiver von Amts wegen den Sachverhalt ermittelt hat.
Die Argumentation der Beklagten, der Schuldner sei abgetaucht, und ein inländischer Gerichtsstand sei nicht zu
ermitteln, verfängt aus den unter bb) genannten Gründen ebenfalls nicht.
d) Unter Zugrundelegung eines Insolvenzereignisses am 30.05.2003 hat der Kläger die Antragsfrist von § 324 Abs. 3
Satz 1 SGB III eingehalten. Denn sein Antrag auf Insg datiert vom 30.06.2003.
2. Der Kläger war, was auch im Übrigen nicht streitig ist, in der Zeit vom 01.04. bis 29.05.2003 gegen Arbeitsentgelt
bei der insolventen Arbeitgeberin beschäftigt. Dieser Anspruch wurde vom Arbeitgeber nicht erfüllt. Die Beklagte wird
gemäß dem Grundurteil des SG Dresden unter Berücksichtigung der in der mündlichen Verhandlung am 10.03.2010
erklärten Klagerücknahme die Höhe des Insg zu berechnen und festzusetzen haben. Insoweit bestätigt der Senat das
Grundurteil des SG Dresden, das allerdings in überflüssiger Weise die Beklagte zur Gewährung von Insg "in
gesetzlicher Höhe" verurteilt hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben (§ 160
Abs. 2 SGG).