Urteil des LSG Sachsen vom 18.10.2001

LSG Fss: berufskrankheit, akte, ddr, diabetes mellitus, anerkennung, bahnhof, belastung, chefarzt, coxarthrose, adipositas

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 18.10.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Leipzig S 7 U 209/98
Sächsisches Landessozialgericht L 2 U 196/99
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 08.11.1999 wird
zurückgewiesen. II. Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten. III. Die
Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin an einer berufsbedingten Wirbelsäulenerkrankung leidet und Anspruch
auf eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat.
Die am ... geborene Klägerin absolvierte vom 1.9.1966 bis 14.7.1968 eine Lehre als Betriebs- und
Verkehrsfacharbeiterin. In den folgenden Jahren war sie im Bahnhof C ... wie folgt beschäftigt:
15.7.1968 - 31.1.1969 Handweichenwärterin 1.2.1969 - 31.8.1974 Frachtenrechnerin 1.9.1974 - 24.10.1980
Weichenwärterin/Fahrdienstleiterin 25.10.1980 - 31.12.1980 Expedientin 1.1.1981 - 9.12.1981 Weichenwärterin
10.12.1981 - 13.6.1995 Fahrdienstleiterin
Der Personenzugverkehr wurde 1978 eingestellt. 1982/83 erfolgte der Umbau der Sicherungsanlagen vom
mechanischen auf den elektromechanischen Betrieb, der Ende 1983 mit einer damit einhergehenden
Arbeitserleichterung abgeschlossen war. Eine Überprüfung durch das Reichsbahnamt L ... W ... ergab ausweislich des
Protokolls vom 24.5.1984, dass noch zwei übermäßig schwergängige Gleissperren und eine übermäßig
schwergängige Weiche (Weiche 4) vorhanden waren, die im Handbetrieb bedient werden mussten. Deswegen sei das
Stellwerk für den Fraueneinsatz nicht geeignet. Eine Weiterbeschäftigung der bereits auf dem Stellwerk tätigen Frauen
sei jedoch aufgrund einer zentralen Ausnahmegenehmigung möglich. Auch sei eine Reduzierung des bisher
erforderlichen Kraftaufwandes durch Maßnahmen des Bahnhofs möglich. Der erforderliche Kraftaufwand beim
Umstellen der vorhandenen Handweichen betrage 28 kp. Auch hier würden die Normative der ASAO überschritten. Die
Einhaltung der ASAO 5 könne jedoch durch andere Maßnahmen erfolgen (Blatt 63 der LSG-Akte).
Die Klägerin führt ihre Wirbelsäulenbeschwerden auf die Bedienung des mechanischen Stellwerks im Bahnhof C ...- B
... zurück. Sie ist der Auffassung, dass sie durch ihre Tätigkeit eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur
Berufskrankheiten-Verordnung (BKV; im Folgenden: Nr. 2108 BKV) erlitten habe.
Die 168 cm große und rund 95 kg (1997) schwere Klägerin gab an, ab 1980 unter Rückenschmerzen gelitten zu
haben. In einem Arztbrief des Kreiskrankenhauses/Poliklinik W ... vom 5.4.1993 wurde sogar über schon seit 1976
bestehende radikuläre Beschwerden bei degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule berichtet (Blatt 50 der
Beklagtenakte). Unter dem 4.9.1980 erstattete der Orthopäde D ..., Medizinischer Dienst des Verkehrswesens der
DDR, ein Attest, wonach die Klägerin wegen Verschleißerscheinungen der Schultergelenke und des Rückens infolge
langjähriger Tätigkeit auf einem für Frauen nicht zugelassenen Stellwerk nunmehr umzusetzen sei. Zur Vermeidung
einer drohenden Berufserkrankung sei dies erforderlich. Der Gesundheitszustand der Klägerin sei aber noch so
beschaffen, dass sie in der Güterabfertigung und als Handweichenwärterin eingesetzt werden könne. Das Ergebnis
einer am 30.10.1980 von dem Leiter des Bahnhofs C ...- B ... beim Medizinischen Dienst des Verkehrswesens der
DDR in Auftrag gegebenen Sonderuntersuchung lautete grundsätzlich auf tauglich (Blatt 67 der Beklagtenakte).
Einschränkungen ergaben sich aus der Tätigkeit als Handweichenwärterin. Jedoch hielt der Medizinische Dienst des
Verkehrswesens der DDR am 14.11.1980, am 19.6.1981 und am 22.12.1981 einen Einsatz der Klägerin als
Handweichenwärterin (nur) auf dem Bahnhof B ...-C ... für möglich, weil im ungünstigsten Falle nur 30-mal die Hebel
zu bedienen seien und nicht alle Hebel schwergängig seien bzw. weil die Häufigkeit der Bedienung gering sei (Blatt
67, 69, 71 der Beklagtenakte). Mit Schreiben vom 6.12.1982 teilte der Direktionsarzt der Direktion Halle,
Medizinischer Dienst des Verkehrswesens der DDR, der Klägerin mit, dass die Klägerin wegen nachgewiesener
degenerativer Veränderungen im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule auf dem mechanischen Stellwerk in C ...-B
... nicht weiter arbeiten könne. Im Zusammenhang mit der Tätigkeit auf diesem Stellwerk könnten sich über viele
Jahre gesehen die Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule zum Nachteil entwickeln und daraus eine
Berufskrankheit entstehen. Daher sei ein Arbeitsplatzwechsel bis 31.3.1983 durchzuführen. Für leichte körperliche
Arbeit sei die Klägerin weiterhin tauglich. Mit Schreiben vom 8.3.1983 erklärte sich der Direktionsarzt damit
einverstanden, dass die Klägerin vorläufig bis einschließlich 31.10.1983 auf ihrem bisherigen Arbeitsplatz als
Fahrdienstleiterin verbleiben könne, weil der Leiter des Bahnhofs mitgeteilt habe, dass zwischenzeitlich durch die
Umstellung von bislang mechanisch betriebenen Sicherungsanlagen auf elektrischen Betrieb eine Reduzierung der
Schwerarbeit erfolgt sei. Ob es zu der vom Direktionsarzt geforderten Überprüfung der Arbeitsschwere durch die
Verkehrshygieneinspektion kam, ist unklar.
1993 wurde eine Röntgenaufnahme der Lendenwirbelsäule wie folgt interpretiert: linkskonvexe LWS-Skoliose 1.
Grades, Assimilationsstörung L5/S1 links, keine wesentlichen Bandscheibendegenerationen (Blatt 49 der
Beklagtenakte). Röntgenbilder der Lendenwirbelsäule zeigten nach Aussage des Chefarztes des Sächsischen
Krankenhauses H ... vom 8.12.1994 eine deutliche linkskonvexe lumbale Seitabweichung mit Rotation der
Wirbelkörper, eine Hyperlordosierung und eine angedeutete Zwischenwirbelraumerniedrigung bei L4/5 und L1/S1.
Diagnostiziert wurde eine linkskonvexe Lumbalskoliose mit sekundären degenerativen Veränderungen (Blatt 52 der
Beklagtenakte). Ausdrücklich wurde von Chefarzt Dr. L ... vermerkt, er habe die Klägerin darauf aufmerksam
gemacht, dass die Anerkennung einer Berufskrankheit relativ unwahrscheinlich sei (Blatt 53 der Beklagtenakte). 1996
diagnostizierte Dr. B ... bei der Klägerin u.a. ein sensomotorisches Wurzelreiz- und ausfallsyndrom bei C5-7 links, C6-
7 rechts und L3-4 beidseits. Die Ärztin führte die degenerativen lumbalen und cervikalen Veränderungen auf die
erhebliche Coxarthrose zurück (Blatt 58 der Beklagtenakte; ferner Blatt 91 f. der Beklagtenakte). Die Interpretation
einer Computertomographie der Zwischenwirbelräume L3/4, L4/5 und L5/S1 vom 5.1.1996 ergab eine Protrusion bei
L4/5 und ein zentrales Vakuumphänomen der Bandscheibe mit allseitiger geringer Protrusion bei L5/S1 (Blatt 86 der
Beklagtenakte). In einem Gutachten des Medizinischen Dienstes vom 13.5.1996 wurde mitgeteilt, die Klägerin habe
sich seit dem 24. Lebensjahr wegen ihrer Hüftbeschwerden in Behandlung befunden. Außerdem seien rezidivierende
Rückenbeschwerden aufgetreten, die ab 1982/83 zu Tauglichkeitsproblemen geführt hätten. Diagnostiziert wurde ein
chronisches therapieresistentes Zervikal- und Lumbalsyndrom, ein Zustand nach Hüft-TEP bei Dysplasiecoxarthrose,
Adipositas und eine chronifizierte neurotische Depression (Blatt 87 f. der Beklagtenakte).
Mit Bescheid des Amtes für Familie und Soziales Leipzig Versorgungsamt - vom 9.6.1996 wurden als Behinderungen
festgestellt: 1. Kunstgelenkersatz der Hüfte links. Statische Fußbeschwerden. 2. Funktionsbehinderung der
Wirbelsäule mit Nerven- und Muskelreizerscheinungen.
Der Grad der Behinderung wurde mit 40 eingeschätzt.
Am 10.1.1997 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Anerkennung einer Berufskrankheit. Im März
1997 erstattete die Deutsche Bahn AG eine "Berufserkrankungsanzeige" unter Hinweis auf die seit 1979 bei der
Klägerin bestehenden Rückenschmerzen. In der von Dr. L ..., Facharzt für Chirurgie, erstatteten ärztlichen Anzeige
über eine Berufskrankheit wurde mitgeteilt, dass die Klägerin über Schmerzen in den Gelenken des gesamten Körpers
klage. Als Berufskrankheit wurde Rheumatismus genannt. Angegeben wurden degenerative Veränderungen der
gesamten Wirbelsäule mit Verdrehung und Verbiegung der Lendenwirbelsäule sowie eine schwere Coxarthrose (Blatt
14 der Beklagtenakte). Ferner verwies er auf seinen früheren Durchgangsarztbericht vom 11.10.1994 (Blatt 15 der
Beklagtenakte). Allerdings konnte vom Kreiskrankenhaus/Poliklinik Wurzen im Jahre 1993 kein sicherer Anhaltspunkt
für eine Erkrankung des rheumatischen Formenkreises gefunden werden, festgestellt wurde jedoch eine
Hypercholesterinämie (Hyperlipidämie). Diese Einschätzung teilte Dr. Teich in einem Arztbrief vom 10.1.1997 (Blatt 94
der Beklagtenakte), der an anderer Stelle u.a. darauf hinwies, dass degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit
Stoffwechselstörungen (Adipositas, Hyperlipidämien, Hyperurikämie und Diabetes mellitus) korrelieren würden (Blatt
96 der Beklagtenakte). Eine im Mai 1997 im Sächsischen Krankenhaus Hubertusburg durchgeführte Röntgenkontrolle
der Lendenwirbelsäule ergab eine linkskonvexe lumbale Skoliose mit degenerativen Veränderungen, eine
Zwischenwirbelraumerniedrigung bei L4/5, eine Segmentlockerung bei L5/S1 und einen Zustand nach Morbus
Scheuermann im oberen LWS-Bereich (Blatt 95 der Beklagtenakte).
Im Befundbericht vom 22.10.1997 teilte die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr K ... mit (Blatt 81 der Beklagtenakte),
die Klägerin habe seit dem 19. Lebensjahr Beschwerden im Hüftbereich, die seit dem 24. Lebensjahr behandelt
würden. Zusätzlich würden seit dieser Zeit chronisch-rezidivierende Schmerzen im gesamten Rückenbereich
auftreten. Diagnostiziert wurden u.a. degenerative Veränderungen des gesamten Bewegungsapparates und eine
linkskonvexe Lumbalskoliose mit degenerativen Veränderungen. Ferner wird auf den ausführlichen Befundbericht von
Chefarzt Dr. Leff vom 12.12.1997 mit diversen Anlagen verwiesen (Blatt 106 bis 114 der Beklagtenakte).
In der ersten Stellungnahme zur Ermittlung der Arbeitsbelastung gab die Klägerin an, sie habe von 1968 bis 1984 in
einer Schicht die Weichen, Signale, Vorsignale und sonstigen Gleisanlagen 20 bis 30 mal und mehr bedient. Wegen
der Einzelheiten dieser ersten Angaben wird auf Blatt 26 - 29 der Beklagtenakte verwiesen. Wegen der bei der Arbeit
der Klägerin anfallenden körperlichen Belastungen wird ferner auf die Ausführungen des Technischen
Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten (Blatt 99 - 108 der Beklagtenakte) verwiesen.
Dr. N ..., Facharzt für Arbeitsmedizin, führte in seiner gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 21.1.1998 u.a. aus,
medizinisch bestehe kein typisches Schadensbild (Beschwerden in allen Wirbelsäulenabschnitten; linkskonvexe
Lumbalskoliose; Verdacht auf Zustand nach thorakolumbalem Morbus Scheuermann; Dysplasiecoxarthrose, die die
Rückenbeschwerden mit unterhalten bzw. verstärkt habe; erhebliches Übergewicht). Wegen der Ermittlungsergebnisse
des TAD bestünde ohnehin kein begründeter Verdacht auf eine Berufskrankheit.
Mit Bescheid vom 11.2.1998 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit bei der Klägerin unter
Hinweis auf die gewerbeärztliche Stellungnahme ab. Der von der Klägerin dagegen eingelegte, aber nicht begründete
Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21.8.1998 zurückgewiesen.
Mit ihrer dagegen vor dem Sozialgericht Leipzig (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt.
Sie hat vorgetragen, dass ihre Arbeitsbelastung höher gewesen sei als die vom TAD ermittelte. Wegen der
Einzelheiten wird auf Blatt 27 bis 29 der SG-Akte verwiesen. Mit Gerichtsbescheid vom 8.11.1999 hat das SG die
Klage abgewiesen. Das SG hat aufgrund der Befunde und der gewerbeärztlichen Stellungnahme das Vorliegen einer
bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule der Klägerin verneint.
Mit ihrer Berufung trägt die Klägerin zunächst dieselben Argumente wie im Klageverfahren vor. Als neue
Gesichtspunkte kommen hinzu: Schon 1982 habe bei der Klägerin eine Berufskrankheit vorgelegen. Es müsse
angezweifelt werden, dass der Mitarbeiter des TAD zutreffend einen Arbeitsplatz analysiert habe, den es seit 1984
nicht mehr gebe. Der Arbeitsplatz, den die Klägerin innegehabt habe, sei für Frauen ungeeignet gewesen und habe nur
aufgrund einer Ausnahmegenehmigung der zuständigen Reichsbahndirektion durch Frauen besetzt werden dürfen.
Ferner sei der TAD-Analyse entgegenzuhalten, dass der Mitarbeiter seinen Besuch bei der Klägerin nicht angekündigt
habe und diese daher keine Gelegenheit gehabt habe sich vorzubereiten. Von den Bediensteten auf kleineren
Bahnhöfen seien ungeachtet der konkreten Funktionsbezeichnung alle anfallenden Aufgaben umfassend erfüllt
worden. Dies sei auch bei der Klägerin so gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 26 bis 33, Blatt 38
bis 47 und Blatt 52 f. der LSG-Akte verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 8.11.1999 und den Bescheid der Beklagten vom 11.2.1999 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.8.1998 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, ab Antragstellung das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur
Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen und eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um
mindestens 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie meint, die Klägerin habe zwar im Zeitraum zwischen 1968 und 1969 sowie ab September 1974 bis 1984 teilweise
und sporadisch schwere körperliche Arbeiten verrichten müssen (20 bis 30-maliges Umlegen von Handweichen pro
Schicht). Diese Belastungen entsprächen jedoch nicht den Kriterien, die nach dem Merkblatt zu Nr. 2108 BKV zu
fordern seien. Die Bedienung von Vor- und Hauptsignalhebeln erfordere nachweislich im Vergleich zum Umlegen von
Weichenhebeln etwa nur den hälftigen Kraftaufwand. Die von der Klägerin behaupteten Einzelbelastungen von bis zu
70 kp seien nirgends belegt. Im Übrigen weise die Klägerin auch kein zur Berufskrankheit passendes Krankheitsbild
auf. Die Erkrankungen der Klägerin seien schicksalsmäßig entstanden.
Auf Anregung des Gerichts hat die Beklagte nochmals eine TAD- Analyse anfertigen lassen und diese mit Schriftsatz
vom 6.12.2000 dem Gericht vorgelegt. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 58 bis 63 der LSG-Akte verwiesen,
wegen der - zum Teil davon abweichenden - Angaben und Einschätzungen der Klägerin auf Blatt 40 bis 47 der LSG-
Akte.
Dem Gericht liegen die Verfahrensakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte der Beklagten vor.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann durch den Berichterstatter als Einzelrichter (§ 155 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz ) ohne
mündliche Verhandlung (§ 153 Abs. 1 i.V.m. 124 Abs 2 SGG) entscheiden, weil sich die Beteiligten im
Erörterungstermin am 26.6.2001 mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt haben.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das von der Klägerin als Leistungsklage formulierte Begehren auf Anerkennung ihrer Wirbelsäulenerkrankung als
Berufskrankheit ist als Feststellungsklage auszulegen. Zur "Leistung" der Anerkennung kann nicht verurteilt werden,
sondern nur zur Verpflichtung, einen entsprechenden Verwaltungsakt zu erlassen. Für eine Verpflichtungsklage
besteht jedoch kein Rechtsschutzbedürfnis, wenn die begehrte Feststellung wie hier schon unmittelbar durch eine
Feststellungsklage erreicht werden kann.
Die kombinierte Anfechtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage (letztere auf die Gewährung einer Verletztenrente
gerichtet) ist jedoch unbegründet. Denn die Beklagte hat zu Recht die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr.
2108 BKV verneint.
Nach Maßgabe der Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nr. 4 zum Einigungsvertrag findet auf den
vorliegenden Sachverhalt die seit dem 1.1.1992 im Beitrittsgebiet geltende bundesdeutsche BKV Anwendung. Nicht
ausdrücklich geregelt ist in Nr. 2108 BKV, wann eine Unterlassung aller potentiell schädigenden Tätigkeiten vorliegt.
Insoweit sind die vom BSG für Nr. 2108 BKV entwickelten Grundsätze anzuwenden (Urteil vom 22.8.2000 - B 2 U
34/99 R - SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2). Eine Tätigkeit, auf die Wirbelsäulenschäden im Sinne einer
Berufskrankheit zurückgeführt werden, ist danach erst dann aufgegeben worden, wenn sämtliche Tätigkeiten in vollem
Umfang unterlassen werden, die eine mögliche Gefährdung beinhalten, selbst wenn eine Schädigung hierdurch nicht
wahrscheinlich ist. Unterstellt man aber, dass das nicht elektromechanisch unterstützte Weichenstellen, Signalgeben
und Gleissperrenbedienen geeignet gewesen sei, Wirbelsäulenschäden im Sinne einer Berufskrankheit auszulösen,
lagen einzelne dieser Tätigkeiten noch in einer Zeit nach dem 31.12.1991. Denn nach den Ermittlungen des TAD,
deren Richtigkeit das Gericht nicht anzweifelt, musste die Klägerin infolge Personalmangels bis Anfang der 90er Jahre
häufig ohne Handweichenwärter ihren Dienst als Fahrdienstleiterin verrichten. Auch ist der Bahnhof C ...-B ... vor dem
01.01.1992 nicht ein zweites Mal grundlegend modernisiert worden. Daher musste die Klägerin die ortsbedienten, nicht
elektromechanisch gesteuerten Weichen selbst einstellen. Infolgedessen geht das Gericht davon aus, dass die
Klägerin zumindest vereinzelt entsprechende Stellvorgänge auch noch nach dem 31.12.1991 ausgeführt hat. Somit ist
der Versicherungsfall erst nach dem 31.12.1991 unter Geltung des Rechts der BKV eingetreten.
Würde man hingegen die Aufgabe der schädigenden Tätigkeit auf den Zeitpunkt der Einführung der Gleisbildtechnik
legen (Ende 1983/Anfang 1984), hätte die Klägerin schon aus Rechtsgründen keinen Anspruch auf Leistungen, weil
der Versicherungsfall (vgl. dazu BSG, Urteil vom 4.7.1995 - 2 RU 42/94 - SozR 3-5679 Art. 3 Nr. 2) dann allenfalls vor
dem (rückwirkenden) Inkrafttreten der Nr. 2108 BKV zum 1.4.1988 eingetreten wäre, also nach bundesdeutschem
Recht nicht entschädigungspflichtig wäre, und ein Bestandsschutz nach DDR-Recht ohnehin ausgeschlossen ist, da
der Beklagten erst nach dem 31.12.1993 der Verdacht einer Berufskrankheit angezeigt wurde (§ 1150 Abs. 2 Satz 2
Nr. 1 RVO).
Da die Klägerin vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) endgültig ihre Tätigkeit im
Stellwerk aufgegeben hat und damit der eventuelle Versicherungsfall nur vor dem 1.1.1997 eingetreten sein kann,
findet auf den vorliegenden Sachverhalt noch die Reichsversicherungsordnung (RVO) i.V.m. der BKV Anwendung (§
212 SGB VII).
Nach § 551 Abs. 1 RVO gilt eine Berufskrankheit als Arbeitsunfall. Berufskrankheiten sind die Krankheiten, welche
die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter
insbesondere bei der in § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO genannten Tätigkeit als Arbeitnehmer erleidet. Hier kommt nur Nr.
2108 BKV in Betracht, die bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule zur Berufskrankheit erklärt,
wenn die bandscheibenbedingten Erkrankungen durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch
langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verursacht worden sind und zur Unterlassung aller Tätigkeiten
gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich
waren oder sein können.
Entgegen der Auffassung des SG scheitert der Anspruch der Klägerin nicht schon daran, dass die Kausalität
zwischen Arbeitsbelastung und bandscheibenbedingter Erkrankung der Lendenwirbelsäule ausgeschlossen werden
kann. Zwar gibt es zahlreiche und deutliche Hinweise, dass die Lendenwirbelsäulenbeschwerden der Klägerin, auch
soweit sie als bandscheibenbedingte Erkrankungen angesehen werden können, berufsunabhängiger Natur sind. So
wurde bei der Klägerin eine Lumbalskoliose mit sekundären degenerativen Veränderungen festgestellt. Auch die
Hyperlordosierung, der Morbus Scheuermann, die Assimilationsstörung bei L5/S1 links und die Adipositas sowie
gegebenenfalls auch die Coxarthrose, die bei der Klägerin bestehenden Stoffwechselstörungen und der eventuell sehr
frühe Beschwerdebeginn sind Umstände, die nachhaltig gegen eine berufsabhängige Genese der Beschwerden der
Klägerin sprechen. Alle diese Umstände sind aber keine zwingenden Ausschlussgründe. Die "gewerbeärztliche
Kurzstellungnahme" vermag kein wissenschaftlich begründetes ärztliches Zusammenhangsgutachten in einem
Bereich zu ersetzen, der nach wie vor durch erhebliche Unsicherheiten bei der Formulierung medizinischer
Erfahrungssätze geprägt ist. Dies gilt erst recht für die nicht näher begründete Auffassung von Chefarzt Dr. Leff, dass
die Anerkennung einer Berufskrankheit - gemeint ist wohl: aus medizinischen Gründen - relativ unwahrscheinlich sei.
Der Anspruch der Klägerin scheitert jedoch schon daran, dass die Klägerin nicht in erforderlichem Maße schwere
Lasten gehoben und getragen hat.
Auch wenn Nr. 2108 BKV keine festen Grenzwerte vorsieht, macht das Adjektiv "schwer" in Nr. 2108 BKV zumindest
erforderlich, dass sich die Durchschnittsbelastung je Schicht nicht auf wenige Minuten beschränken darf, es sei denn,
dass regelmäßig nur wenige, aber ganz außerordentliche Belastungen zu verzeichnen sind. Würde man das
Tatbestandsmerkmal "schwer" nicht im Sinne einer Mindestdosisbelastung je Schicht begreifen, würde es überhaupt
keinen Inhalt mehr haben. Die Klägerin hat je Schicht nur jeweils wenige Minuten Tätigkeiten verrichtet, die mit dem
Heben und Tragen schwerer Lasten nur bis zu einem gewissen Grad ("annähernd") vergleichbar sind. Extreme
Belastungen sind allenfalls sehr selten aufgetreten.
Auf der Grundlage der sehr ausführlichen Stellungnahmen des TAD steht nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts
fest, dass die Klägerin durch ihre Tätigkeit als Weichenwärterin (einschließlich der sonstigen Stellfunktionen) in einer
Weise physikalischen Belastungen ausgesetzt war, dass diese geeignet waren, eine bandscheibenbedingte
Erkrankung zu verursachen. Im Wortsinne hat die Klägerin weder schwer gehoben noch getragen, sondern an einer
Hebelbank Stellhebel nach oben und unten bewegt. Der TAD hat in seiner Stellungnahme vom 20.11.2000
überzeugend begründet, dass allenfalls das Hochziehen des Stellhebels aus der Minusstellung (Bewegung des
Stellhebels von unten nach oben) annähernd als Anheben einer Last bezeichnet werden kann und sich dadurch die
Gesamtzahl der Stellhandlungen bezüglich der verschiedenen Weichen-, Riegel- und Signalhebel an der Hebelbank
um die Hälfte verringert (Blatt 3 der Stellungnahme; Blatt 60 der LSG-Akte). Aber auch bei dieser Verrichtung ist zu
bedenken, dass sie durch ein erhebliches dynamisches Element geprägt ist, das nicht völlig dem Heben und Tragen
gleichgesetzt werden kann, sondern eben nur "annähernd". Auf der Grundlage der Angaben des Medizinischen
Dienstes des Verkehrswesens der DDR aus den Jahren 1980 und 1981, denen das Gericht hier als zeitnächste
Angabe die größte Bedeutung beimisst, muss davon ausgegangen werden, dass die Klägerin jedenfalls ab 1978
(Einstellung des Personenzugverkehrs) bis Ende 1983 durchschnittlich höchstens 30-mal Stellhandlungen
vorgenommen hat, davon höchstens 15 aus der Minusstellung erfolgt sind und nicht alle Stellhebel schwergängig
waren. Angesichts der durchschnittlichen Dauer eines einzelnen Stellvorgangs von allenfalls wenigen Sekunden (vgl.
TAD- Stellungnahme vom 20.11.2000: Blatt 3 der Stellungnahme; Blatt 60 der LSG-Akte) kommt die Klägerin
insgesamt nur auf maximal 2 bis 3 Minuten pro Schicht, während der sie schwer gehoben und getragen hat. Nach
1983 hat sich diese Belastung nochmals in einer zeitmäßig je Schicht kaum mehr quantifizierbaren Weise reduziert
(vgl. TAD-Stellungnahme vom 20.11.2000: Blatt 2 der Stellungnahme; Blatt 59 der LSG-Akte).
Soweit es um die Zeit vor der Einstellung des Personenzugverkehrs im Jahre 1978 geht, hat die Klägerin in ihrer
ersten noch relativ "unbefangenen" und deshalb besonders glaubwürdigen Stellungnahme zu ihrer Arbeitsbelastung
von 1966 bis 1995 schriftlich erklärt: "20 - 30 mal täglich an manchen Tagen noch mehr pro Schicht" bzw. "1968 - 84
wurde in einer Schicht die Weichen, Signale, Vorsign. u. sonstige Gleisanlagen 20 - 30 mal u. mehr bedient" (Blatt 26
und 29 der Beklagtenakte). Nicht folgt das Gericht hingegen den Angaben der Klägerin in der Anlage, die dem
Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 6.9.2000 beigefügt ist, wenn die Klägerin sinngemäß den dort
geschilderten Schichtablauf (Frühschicht und Spätschicht) als durchschnittliche Arbeitsbelastung darzustellen
versucht (z.B. in der Frühschicht rund 130 Stellvorgänge). Ein auch aus anderen Rechtsstreiten dem Gericht nicht
unbekannter, mit dem Fortgang des Verfahrens sich einstellender "Dramatisierungseffekt" ist hier ebenfalls zu
erkennen. Das Gericht vermag nicht nachzuvollziehen, warum der seit Beginn des Verwaltungsverfahrens anwaltlich
vertretenen Klägerin es nicht möglich gewesen sein sollte, ihre Behauptungen schon wesentlich früher in das
Verfahren einzuführen. Soweit die Klägerin vorträgt, sie sei von dem während des Verwaltungsverfahrens
durchgeführten Besuch des TAD- Mitarbeiters überrascht worden und habe sich nicht hinreichend vorbereiten können,
ist dem entgegenzuhalten: Schon im ersten Anhörungsbogen, der ihr zugeschickt worden war, hätte die Klägerin in
aller Ruhe detaillierte Angaben machen können. Darüber hinaus darf davon ausgegangen werden, dass die Klägerin
sehr wohl in der Lage sein müsste, einen über mehr als 15 Jahre ausgeübten Beruf ad hoc zu schildern, zumal sie
selbst das Berufskrankheiten-Feststellungsverfahren veranlasst hat. Im Übrigen bestand auch im
Widerspruchsverfahren und im Verfahren vor dem Sozialgericht ausreichend Gelegenheit, detailliert die beruflichen
Belastungen zu schildern.
Selbst wenn man die ursprünglichen Angaben der Klägerin zur durchschnittlichen Belastung unter Berücksichtigung
einer Schätztoleranz verdoppelt und zugunsten der Klägerin unterstellt, dass sie in der Zeit von September 1974 bis
ins Jahr 1978 pro Schicht durchschnittlich 60 mal Stellhebel betätigt hat, ergibt dies nur 30 berücksichtigungsfähige
Stellvorgänge aus der Minus- in die Plusstellung. Geht man großzügig bemessend von 15 Sekunden Kraftaufwand je
Stellvorgang aus, kommt man auch hier nur zu möglicherweise 7 ½ Minuten wirbelsäulenbelastender Tätigkeit je
Schicht, die geeignet waren, die Bandscheiben der Wirbelsäule in einer sie schädigenden Weise zu komprimieren. Nur
möglicherweise kann diese Aussage getroffen werden, weil auch hier zusätzlich zu beachten ist, dass zwar etliche,
aber nicht alle diese Stellvorgänge an schwergängigen Weichen, Signalen und Gleissperren ausgeführt wurden. Hinzu
kommt, dass Personalmangel geherrscht haben mag und die Klägerin auch als Fahrdienstleiterin in nicht
unerheblichem Umfang Weichenwärterdienste ausgeübt haben mag. Das Gericht sieht es aber schon nicht als
erwiesen an, dass die Klägerin immer alle Weichenwärterdienste während ihrer Schicht allein ausgeführt hat. Für den
Regelfall ist deswegen davon auszugehen, dass die Durchschnittsbelastung ebenfalls unter 5 Minuten lag.
Das Gericht ist ferner nicht davon überzeugt, dass die Klägerin bei Stellvorgängen regelmäßig Belastungen von
wesentlich mehr als 25 kp ausgesetzt war. Allenfalls kommt eine gelegentlich höhere Belastung in Betracht. Auch
insoweit folgt das Gericht den überzeugenden Ausführungen des TAD, wonach die allgemeine Belastung bei 10 bis 25
kp lag (Stellungnahme vom 28.10.1997: Blatt 3 der Stellungnahme; Blatt 101 der Beklagtenakte; Stellungnahme vom
20.11.2000: Blatt 1, 3 und 5 der Stellungnahme; Blatt 58, 60 und 62 der LSG-Akte).
Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass das Stellwerk im Bahnhof C ...-B ... nur aufgrund einer
Ausnahmegenehmigung für Frauen zugelassen war, folgt daraus keineswegs, dass die durch die
Arbeitsschutzvorschriften der DDR unter präventiven Gesichtspunkten für Frauen vorgegebenen Grenzwerte gerade
dazu dienten, Wirbelsäulenerkrankungen zu vermeiden. So führen Mehrtens/Perlebach (Die
Berufskrankheitenverordnung, M 2108 Rz. 2.1) aus, dass für die präventiv-medizinische Herleitung der Grenzwerte für
das Heben und Tragen schwerer Lasten durch Frauen wesentlich auch gynäkologische Aspekte waren, die eine
deutliche Herabsetzung der Grenzwerte geboten. Es ist nicht bloß nicht auszuschließen, sondern im Gegenteil eher
naheliegend, dass ähnliche Überlegungen auch für die Arbeitsschutzvorschriften der DDR maßgeblich waren.
Jedenfalls kann aus dem Umstand der Ausnahmegenehmigung kein Anscheinsbeweis dahingehend abgeleitet
werden, dass die Tätigkeit der Klägerin im Stellwerk "schwer" im Sinne der Nr. 2108 BKV war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht
vor.