Urteil des LSG Sachsen vom 22.11.2001

LSG Fss: anhörung, gefahr im verzug, grobe fahrlässigkeit, rechtliches gehör, erlass, wechsel, verwaltungsverfahren, unterrichtung, mitteilungspflicht, einkünfte

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 22.11.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 12 KG 15/98
Sächsisches Landessozialgericht L 3 KG 1/00
I. Auf die Berufung werden das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 20. Juni 2000 und der Bescheid vom
18.05.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.07.1998 aufgehoben. II. Die Beklagte hat der
Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Verfahrensinstanzen zu erstatten. III. Die Revision wird
nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit einer rückwirkenden Aufhebung der Bewilligung von Kindergeld für
die Zeit zwischen Oktober 1994 und Dezember 1995 sowie Kindergeldzuschlag für die Zeit zwischen Oktober und
Dezember 1994 und einer darauf gestützten Erstattungsforderung in Höhe von 2.145,00 DM streitig.
Die am ...geborene, verwitwete Klägerin ist Mutter der ehelichen Kinder J ... (geboren ..., im Folgenden: J.) und M ...
(geboren ..., im Folgenden: M.). Auf ihren Antrag vom 19.01.1994, mit welchem sie u.a. für J. eine
Studienbescheinigung der Hochschule für Technik und Wirtschaft Zwickau (FH Z) über dessen Immatrikulation für den
Studiengang "Wirtschaftsingenieur" im Wintersemester 1993/1994 vorlegte, bewilligte ihr die Beklagte Kindergeld für
zwei Kinder in der jeweils gesetzlichen Höhe. Auf Grund von Anforderungen der Beklagten vom 29.03.1994 reichte die
Klägerin im März 1994 eine von ihr und J. unterschriebene "Erklärung zu den Einkünften eines über 16 Jahre alten
Kindes" sowie eine Ablichtung eines Bescheides über die Bewilligung einer Ausbildungsförderung auf Grund des
Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) vom 31.08.1993 in Höhe von 208,00 DM monatlich ein. Weitere
Einkünfte des J. wurden verneint. Aus den Leistungsunterlagen der Beklagten ist für die Folgezeit lediglich die
Vorlage weiterer Studienbescheinigungen der FH Zwickau für das 4. Fachsemester (ab 01.03.1994) im März 1994
sowie für das 5. Fachsemester (ab 01.09.1994) im Juli 1994 ersichtlich. Hinweise auf irgendwelche Änderungen in den
Ausbildungs- und Einkommensverhältnissen des J. sind diesen Unterlagen hingegen nicht zu entnehmen.
Auf Antrag vom 27.02.1996, mit welchem die Klägerin eine Ablichtung ihres Einkommenssteuerbescheides für das
Jahr 1994 einreichte, aber keine Angaben zu eigenen Einkünften der Kinder, insbesondere des J., machte, bewilligte
ihr die Beklagte mit Bescheid vom 11.03.1996 für die Zeit von Januar bis Dezember 1994 Kindergeldzuschlag in
Gesamthöhe von 1.560,00 DM.
Im Zusammenhang mit einer Überprüfung der Leistungsvoraussetzungen für die Zeit ab Januar 1996 reichte die
Klägerin mit Schreiben vom 10.10.1997 eine Ablichtung des Einkommenssteuerbescheides 1996 für J. (datiert vom
08.10.1997) ein, aus welchem sich u.a. Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit in Höhe von 19.484,00 DM brutto
(nach Abzug der Werbungskosten zu versteuerndes Einkommen: 7.346,00 DM) ergaben. Auf dieser Ablichtung befand
sich gleichzeitig eine Ablichtung eines Studienausweises der Fachhochschule der Sächsischen Verwaltung Meißen
über die Einschreibung des J. als Student des Fachbereiches Steuer- und Staatsfinanzverwaltung in der Zeit vom
01.10.1994 bis 30.11.1997. Auf weiteres Anforderungsschreiben der Beklagten vom 18.11.1997 reichte J. selbst im
Dezember 1997 Bescheinigungen des Landesamtes für Finanzen vom 11.12.1997 über das Ende seiner
Berufsausbildung im Oktober bzw. November 1997 sowie die aus dem Ausbildungsverhältnis als Finanzanwärter
erzielte Ausbildungsvergütung in Höhe von 1.353,00 DM monatlich ab Januar 1997 und 1.369,00 DM monatlich ab
September 1997 ein. Mit Schreiben vom 16.02.1998 und 06.04.1998 forderte die Beklagte daraufhin von der Klägerin
unter Hinweis auf den ihr erst nachträglich bekanntgewordenen Wechsel der Ausbildung des J. die Vorlage von
Nachweisen über dessen Einkommen während der Ausbildung an, damit über den Anspruch auf Kindergeld für
Oktober 1994 bis Dezember 1995 abschließend entschieden werden könne. Mit Schreiben vom 20.04.1998 teilte die
Klägerin daraufhin (u.a.) mit, sie habe die seinerzeit zuständige Kindergeldkasse des Arbeitsamtes Zwickau über die
Änderung der Ausbildungsstätte des J. bereits im März 1995 unterrichtet. Auf Grund eines Anrufes eines Mitarbeiters
des Arbeitsamtes bei ihr habe sie mitgeteilt, dass ihr Sohn J. die Ausbildung gewechselt habe. Daraufhin sei vom
Gesprächspartner geäußert worden, dass die Änderung notiert werde und die Angelegenheit in Ordnung gehe. Bei
dieser Sachlage sei es die Familienkasse, die ihrer Pflicht zu weiteren Ermittlungen nicht nachgekommen sei und
Einkommensnachweise nicht (sofort) gefordert habe.
Mit Bescheid vom 18.05.1998 hob die Beklagte die Bewilligung von Kindergeld für die Zeit zwischen Oktober 1994
und Dezember 1995 sowie von Kindergeldzuschlag für die Zeit von Oktober 1994 bis Dezember 1994 rückwirkend
wieder auf. Die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung lägen ab Oktober 1994 nicht mehr vor, weil J. ab diesem
Zeitpunkt eine Ausbildungsvergütung von wenigstens 750,00 DM brutto monatlich erhalten habe. Dadurch hätten sich
die für den Kindergeldanspruch wesentlichen Verhältnisse geändert (§ 48 Abs. 1 Nr. 2 SGB X). Zur Begründung des
hiergegen am 05.06.1998 eingelegten Widerspruchs machte die Klägerin geltend, ihr könne eine vorsätzliche oder
grob fahrlässige Nichtbefolgung ihrer Pflicht zur Mitteilung der Änderung der Verhältnisse nicht vorgeworfen werden,
vielmehr habe sie bereits im März 1995 die Änderung der Verhältnisse angezeigt. Sie habe in die Rechtmäßigkeit der
weiterhin erfolgten Kindergeldzahlungen vertrauen dürfen. Eine Aufhebung der Bewilligungsentscheidung hätte daher
allenfalls mit Wirkung für die Zukunft, nicht jedoch für die Vergangenheit erfolgen dürfen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.07.1998 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. In den
Entscheidungsgründen dieses Bescheides führte sie aus, die Klägerin sei durch das ihr bei Antragstellung
ausgehändigte Merkblatt über das Kindergeld auf ihre Verpflichtung hingewiesen worden, die Kindergeldkasse u.a.
umgehend zu benachrichtigen, wenn das Kind seine Schul- oder Berufsausbildung beende oder unterbreche. Dazu
gehöre auch, wenn sich das Kind bei fortbestehender Immatrikulation beurlauben oder von der Belegpflicht befreien
lasse. Bei J. sei eine wesentliche Änderung eingetreten, nachdem er - möglicherweise bei weiterer Immatrikulation an
der HTW Zwickau - seit dem 04.10.1994 eine Ausbildung als Finanzanwärter aufgenommen und daraus eine
Ausbildungvergütung in Höhe von 1.145,29 DM im Oktober 1994 und ab 01.11.1994 von 1.268,00 DM monatlich
erzielt habe. Dadurch sei die für den Leistungsanspruch von über 16 Jahre alten Kinder maßgebliche
Einkommensgrenze von 750,00 DM brutto monatlich überschritten worden. Der Mitteilungspflicht zur Anzeige des
Wechsels der Ausbildungsstätte des Sohnes sei die Klägerin nicht nachgekommen. Die von ihr behauptete
telefonische Unterrichtung der Kindergeldkasse sei nicht nachvollziehbar. Das Verhalten der Klägerin sei zumindest
als grob fahrlässig zu werten und die Beklagte daher zur Aufhebung der Bewilligung der Leistung gemäß § 48 Abs. 1
Satz 2 Nr. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) berechtigt gewesen. Die Erstattungspflicht der Klägerin beruhe
auf § 50 Abs. 1 SGB X.
Gegen diese Bescheide hat die Klägerin am 10.08.1998 Klage erhoben und in der Begründung sinngemäß eine grob
fahrlässige Verletzung ihrer Mitteilungspflichten gegenüber der Beklagten bestritten. Zwar habe J. zum 01.10.1994 ein
neues Studium an der FH in Meißen aufgenommen, er habe sich bei der HTW Zwickau aber erst "Ende
Februar/Anfang März" exmatrikuliert. Im Zeitraum zwischen September 1992 bis Februar 1995 seien halbjährliche
Immatrikulationsbescheinigungen der HTW Zwickau der Beklagten stets pünktlich zugesandt worden. Wegen der
fehlenden Immatrikulationsbescheinigungen ab März 1995 habe sich dann ein Mitarbeiter der Beklagten am
13.03.1995 telefonisch bei der Klägerin erkundigt. Dabei sei ihm der Wechsel der Ausbildung mitgeteilt worden. In
einer Stellungnahme vom 01.11.1998 hat J. als Bevollmächtigter der Klägerin ergänzend vorgetragen, es sei nicht von
der Klägerin zu vertreten, dass die genannte telefonische Mitteilung an die Beklagte nicht aktenkundig gemacht
worden sei. Ein Merkblatt über das Kindergeld mit entsprechenden Hinweisen befinde sich nicht in den Unterlagen der
Klägerin.
Mit Urteil vom 20.06.2000 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten
seien rechtmäßig. Infolge der von J. erzielten monatlichen Ausbildungsvergütung von über 1.000,00 DM habe der
Klägerin ab Oktober 1994 unstreitig und objektiv kein Anspruch auf Kindergeld mehr zugestanden. Durch die Erzielung
eines solchen anspruchsschädlichen Einkommens ab Oktober 1994 sei eine wesentliche Änderung in den
Verhältnissen der Klägerin im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X eingetreten. Auf dieser Grundlage sei die
Beklagte ohne die Prüfung von Fahrlässigkeitsgesichtspunkten berechtigt gewesen, die rückwirkende Aufhebung der
Bewilligung vorzunehmen. Eine atypische Fallgestaltung im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei
aus den Akten nicht ersichtlich, so dass sich auch eine Ermessensprüfung bei dieser Entscheidung erübrigt habe. Zu
einer davon abweichenden rechtlichen Würdigung führe auch nicht, dass die Beklagte im Aufhebungs- und
Erstattungsbescheid abweichend davon als Rechtsgrundlage ihrer Entscheidung § 48 Abs. 1 Nr. 2 SGB X angegeben
habe. Selbst wenn die Klägerin ihrer Mitteilungspflicht hinsichtlich des Ausbildungswechsels nachgekommen sei,
hätte sie auf Grund des Merkblattes wissen müssen, dass ihr kein Kindergeld mehr zugestanden habe. Ihr habe daher
gegebenenfalls eine wiederholte Mitteilungspflicht oblegen. Zu beachten sei auch, dass der Sohn J. der Klägerin,
welcher im Wesentlichen die das Kindergeld anbetreffenden Geschäfte der Klägerin erledigt habe, eine einschlägige
Berufsausbildung absolviert habe. Auch verfahrensrechtlich seien die Bescheide nicht zu beanstanden. Zwar sei
zunächst die vorgeschriebene Anhörung der Klägerin unterblieben, eine solche sei dann aber insoweit entbehrlich
geworden, als der Sohn der Klägerin, welcher das Widerspruchsschreiben verfasst habe, auf alle
entscheidungserheblichen Tatsachen, insbesondere die grobe Fahrlässigkeit bzw. die Kenntnis der
Anspruchsgrundlagen, eingegangen sei. Damit sei die fehlerhafte Nichtanhörung geheilt worden.
Gegen die der Klägerin am 31.06.2000 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 31.07.2000 zum Sächsischen
Landessozialgericht eingelegte Berufung, zu deren Begründung nochmals der im Klageverfahren vorgetragene
Sachverhalt wiederholt und im Übrigen ein Anhörungsfehler der Beklagten im Verwaltungsverfahren gerügt wird. Eine
Heilung dieses Anhörungsmangels durch die Einlassungen der Klägerin bzw. ihres Bevollmächtigten sei nicht
möglich. Das Sozialgericht sei auch zu Unrecht von besonderen Kenntnissen des Bevollmächtigten der Klägerin
ausgegangen, da dieser sich erst nach Erlass des Bescheides vom 18.05.1998 dieser Angelegenheit für die Klägerin
angenommen habe. Er habe auch keine Ausbildung im Sozial- oder Verwaltungsrecht, sondern auf dem Gebiet des
Steuerrechts absolviert.
Die Beklagte hat sich in ihrer Berufungserwiderung vom 16.10.2000 dem angefochtenen Urteil im Ergebnis
angeschlossen und vorgetragen, eine ausreichende Anhörung der Klägerin sei dadurch erfolgt, dass diese selbst sich
vor Erlass des angefochtenen Aufhebungsbescheides mit Schreiben vom 20.04. und 04.06.1998 dazu geäußert und
erklärt habe, sie sei ihren Mitwirkungspflichten nachgekommen, weshalb eine rückwirkende Aufhebung unzulässig sei.
Auch die Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X sei eingehalten worden.
Mit weiteren Stellungnahmen vom 13.12.2000 seitens des Bevollmächtigten der Klägerin sowie vom 21.02.2001 und
27.03.2001 seitens der Beklagten haben die Beteiligten ihre jeweiligen Rechtsstandpunkte nochmals dargelegt.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 22.11.2001 wurde die Klägerin ergänzend zu ihrer Berufsausbildung
befragt und die gesamte Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten eingehend erörtert.
Die Klägerin hat beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 20.06.2000 sowie den Bescheid vom 18.05.1998 und den
Widerspruchsbescheid vom 15.07.1998 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der zum Verfahren beigezogenen Leistungsunterlagen der
Beklagten sowie der Verfahrensakten aus beiden Rechtszügen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig. Gesetzliche Ausschlussgründe
gemäß §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) stehen ihr nicht entgegen.
Das SG hat fehlerfrei den Rechtsweg zu den Sozialgerichten bejaht (§ 51 Abs. 1 SGG i. V. m. § 27 Abs. 1 des
Bundeskindergeldgesetzes - BKGG - in der bis 31.12.1995 geltenden Fassung). Für Ansprüche bis 31.12.1995 ist
eine Änderung der Zuständigkeit der Sozialgerichte durch die Rechtsänderung des Jahressteuergesetzes 1996 (BGBl.
I 1250) nicht eingetreten (vgl. dazu BSG SozR 3-1500 § 51 Nr. 21).
Die Berufung ist in der Sache begründet. Das Sozialgericht hat die Klage gegen die Bescheide der Beklagten zu
Unrecht als unbegründet abgewiesen. Entgegen der vom Erstgericht vertretenen Auffassung sind die streitigen
Bescheide unter Verletzung verfahrungsrechtlicher Bestimmungen erlassen worden und erweisen sich deshalb als
formell rechtswidrig. Ungeachtet der Erfüllung der weiteren Voraussetzungen für eine Aufhebung der Bewilligung von
Kindergeld (KG) und KG-Zulage für den streitigen Zeitraum waren sie deshalb aufzuheben.
Mit dem SG ist der Senat im Ergebnis der Auffassung, dass nach dem im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren
ermittelten Sachverhalt die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufhebung der vorausgegangenen Bewilligung von
Kindergeld für den streitigen Zeitraum gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 des Sozialgesetzbuches -
Verwaltungsverfahren - (SGB X) vorliegen. Den Inhalt dieser für seine Entscheidung herangezogenen Bestimmung hat
das SG in dem angefochtenen Urteil zutreffend wiedergegeben. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf
die Entscheidungsgründe dieses Urteil Bezug genommen. Fehlerfrei hat das SG aufgrund der von ihm getroffenen
tatsächlichen Feststellungen für die Zeit ab Oktober 1994 eine für den Leistungsanspruch der Klägerin wesentliche
Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen angenommen. Ab diesem Zeitpunkt erzielte ihr Sohn J. unstreitig
aufgrund der zu diesem Zeitpunkt aufgenommenen Ausbildung als Finanzanwärter ein anspruchsschädliches
Einkommen in Höhe von über 750,00 DM brutto monatlich. Auf die Bedeutung der Einkünfte eines sich in Ausbildung
befindenden, über 16 Jahre alten Kindes für den Anspruch auf Kindergeld ist die Klägerin in dem "Merkblatt über
Kindergeld", dessen Erhalt und Kenntnisnahme anlässlich der Antragstellung sie unterschriftlich bestätigt hat, ganz
allgemein darüber hinaus aber auch noch individuell und konkret durch das Anforderungsschreiben der Beklagten vom
29.03.1994 unterrichtet worden. Zum Zwecke der Feststellung dieser gesetzlichen Voraussetzungen des
Leistungsanspruchs hat sie auch gemeinsam mit ihrem Sohn J. noch am 28.02.1994 eine Erklärung über dessen
Einkünfte abgegeben, welche zum damaligen Zeitpunkt allein aus der Förderung nach dem BAföG in Höhe von 208,00
DM monatlich bestanden. In diesen Einkommensverhältnissen des J. sind - ganz unabhängig von der möglicherweise
weiter bestehenden Immatrikulationen an der HTW in Zwickau - mit dem Beginn der Zahlung von
Ausbildungsvergütungen aufgrund der Ausbildung als Finanzanwärter in Höhe von 1.145,29 DM für Oktober 1994 und
ab 01.11.1994 in Höhe von 1.268,00 DM monatlich wesentliche Änderungen eingetreten. Diese waren nach
Überzeugung des Senats für die Klägerin als Leistungsempfängerin aufgrund der ihr erteilten Informationen auch ohne
weiteres als anspruchsschädlich zu erkennen. Im Hinblick auf die der Klägerin bekannt gegebene, offensichtliche
Bedeutung des Einkommens des J. für den KG-Anspruch konnte auch der Hinweis der Klägerin, sie habe der
Beklagten bereits im März 1995 den Wechsel der Ausbildung des J. mitgeteilt, ein mindestens grob fahrlässiges
Fehlverhalten im Sinne von § 48 Abs. 1 Nr. 2 SGB X nicht ausschließen. Abgesehen davon, dass diese Unterrichtung
der Beklagten nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin nicht bereits bei Beginn der neuen Ausbildung im Oktober
1994 sondern erst im März 1995 erfolgt sein kann damit entgegen ihrer gesetzlichen Verpflichtung nicht mehr als
unverzüglich angesehen werden kann, beinhaltete diese Unterrichtung der Beklagten nach der eigenen Darstellung der
Klägerin eben nicht auch die mit dem Wechsel der Ausbildung verbundene erhebliche Erhöhung des laufenden
Einkommens des J. Ein bloßer Wechsel der Ausbildungsstätte musste aber - anders als die hier erfolgte Erhöhung
des monatlichen Einkommens des J. - nicht auf jeden Fall einen Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen bedeuten
und die Beklagte ohne weiteres zur Einleitung entsprechender Nachforschungen veranlassen. Das SG hat somit auch
nach Auffassung des Senats mit der Beklagten zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen der
Bewilligungsaufhebung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X angenommen.
Ungeachtet der Rechtswidrigkeit der der Klägerin ab dem Oktober 1994 gewährten KG-Zahlung sowie der damit
ebenfalls rechtswidrigen Bewilligung von KG-Zuschlag für die Zeit zwischen Oktober und Dezember 1994 konnten die
hier angefochtenen Bescheide der Beklagten über die Aufhebung der Bewilligung und die Rückforderung der
ausgezahlten Leistungen nicht bestehen bleiben, weil die Beklagte bei ihrem Erlass gegen das hierbei gesetzlich
vorgeschriebene Anhörungsgebot verstoßen hat. Gemäß § 24 Abs. 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen
wird, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung
erheblichen Tatsachen zu äußern. Diese der Beachtung des rechtsstaatlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör im
Verwaltungsverfahren dienende Bestimmung soll sicherstellen, dass dem Betroffenen Gelegenheit gegeben wird, auf
das Verfahren der Sozialverwaltung und deren - ihn belastende - Entscheidung Einfluss zu nehmen. Er darf nicht
bloßes Objekt eines solchen Verwaltungsverfahrens werden. Nach der ausdrücklichen gesetzlichen
Zweckbestimmung soll damit gleichzeitig das Vertrauensverhältnis zwischen der Verwaltung und dem Bürger,
insbesondere durch den Schutz des Letzteren vor Überraschungsentscheidungen gestärkt und gesichert werden (vgl.
dazu Nehls, NVwZ 1998, S. 494 f.). Eine diesem gesetzlichen Gebot entsprechende Anhörung der Klägerin ist - wie
auch ausdrücklich vom SG festgestellt - vor Erlass des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 18.05.1998
nicht erfolgt. Entgegen der Auffassung des SG ist diese Unterlassung der Beklagten weder rechtlich unbeachtlich,
weil eine Anhörung entbehrlich gewesen wäre, noch ist sie im weiteren Verlauf des Verfahrens geheilt worden. Nach §
24 Abs. 2 SGB X kann von einer Anhörung nur unter den im Gesetz selbst vorgesehenen, abschließend aufgezählten
Gründen abgesehen werden (vgl. hierzu BSGE 44, 207, 209). Danach ist eine Anhörung nicht erforderlich, wenn eine
sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint (Nr. 1), wenn
durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist infrage gestellt würde (Nr. 2) oder
wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat,
nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll (Nr. 3). Diese Voraussetzungen liegen im Falle der Klägerin nicht
vor. Die Fallgestaltungen nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGB X sind bei dem festgestellten Sachverhalt ersichtlich
nicht erfüllt, insbesondere war die Einhaltung der Jahresfrist für die Bewilligungsaufhebung gemäß § 48 Abs. 4 i. V. m.
§ 45 Abs. 4 SGB X nicht gefährdet. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG wird vielmehr gerade der Lauf dieser
Jahresfrist im Regelfall erst durch die zur Prüfung der Voraussetzungen einer Rücknahme- oder
Aufhebungsentscheidung notwendige Anhörung ausgelöst (vgl. BSGE 77, 295, 301 m. w. N.). Entgegen der Ansicht
des SG liegt aber ebenso wenig ein Fall des § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X vor. Diese Regelung dient vor allem der
Verfahrensökonomie und beruht auf dem Gedanken, dass durch die eigenen Angaben des Betroffenen die Anhörung
gewissermaßen schon vorweggenommen worden ist, d. h. der Betroffene sich zu den für die in Betracht kommende
(ihn belastende) Verwaltungsentscheidung wesentlichen Umständen bereits - sachgerecht - geäußert hat. Unter
Berücksichtigung dieser gesetzlichen Zweckbestimmung der Regelung und im Hinblick auf § 20 SGB X ist § 24 Abs.
2 Nr. 3 SGB X aber nur einschränkend auszulegen (vgl. dazu Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Aufl., § 28 Rn.
47). Deshalb kann aufgrund der eigenen Angaben des Betroffenen eine belastende Entscheidung ohne weitere
Anhörung gemäß § 24 SGB X nur dann gerechtfertigt sein, wenn nach Lage des konkreten Falles die Möglichkeit
auszuschließen ist, dass eine dem grundsätzlichen Anhörungsgebot dieser Bestimmung entsprechende Anhörung
neue Gesichtspunkte ergeben könnte, die auch zu einer für den Betroffenen günstigeren Entscheidung führen könnte
(so Kopp, a. a. O., auch Urteil des Senats vom 22.02.2001 - L 3 AL 56/00 - Breithaupt 2001 S. 799 ff.). Hiervon
ausgehend konnte der Auffassung des SG, aufgrund der im Widerspruchsschreiben (vom 05.06.1998) enthaltenen
Ausführungen u. a. zur groben Fahrlässigkeit der Klägerin, sei eine Anhörung entbehrlich gewesen, nicht gefolgt
werden. Insbesondere kann dabei nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte im weiteren
Verwaltungsverfahren und bei Erlass des Widerspruchsbescheides nicht "zu Ungunsten" der Klägerin im Sinne von §
24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X von deren Angaben im Widerspruchsschreiben abgewichen wäre. Ausweislich der Begründung
des Widerspruchsbescheides hat die Beklagte vielmehr gerade die von der Klägerin zur Begründung des
Widerspruchs in den Vordergrund gestellte Behauptung, sie habe die Beklagte bereits im März 1995 über die
Änderung der Ausbildungsverhältnisse des J. unterrichtet und habe deshalb in die Rechtmäßigkeit der ihr weiterhin
gezahlten Leistungen vertraut, nicht als zutreffend akzeptiert, vielmehr diese telefonische Unterrichtung der KG-Kasse
als nicht nachvollziehbar bezeichnet und der Klägerin als grob fahrlässiges, zur Aufhebung der Leistungsbewilligung
berechtigendes, grob fahrlässiges Verhalten nach wie vor eine Verletzung ihrer "Mitteilungspflicht zur Anzeige des
Wechsels der Ausbildungsstätte des Sohnes" vorgehalten. Damit konnten die im Widerspruchsschreiben der Klägerin
enthaltenen Angaben weder zu einer - grundsätzlich die Verhältnisse vor Erlass des Ausgangsbescheides
betreffenden - Entbehrlichkeit der Anhörung noch aber auch zu einer Heilung des Anhörungsfehlers gemäß § 41 Abs.
1 Nr. 3 oder Abs. 2 SGB X führen. Eine Heilung nach diesen Bestimmungen tritt nur ein, wenn der mit dem
Widerspruch angefochtene Bescheid oder ein vor Erlass des Widerspruchsverfahrens erfolgter Anhörungsvorgang alle
Tatsachen umfasst, auf die es nach der Rechtsansicht des Leistungsträgers bei der zu erlassenden, den Bürger
belastenden Entscheidung objektiv ankommt. Bei einer beabsichtigten Aufhebungsentscheidung gemäß § 48 Abs. 1
SGB X hat der Leistungsträger deshalb den Betroffenen nicht nur zu den für die Rechtswidrigkeit des fraglichen
Leistungsbezuges maßgeblichen, sondern auch zu den im § 48 Abs. 1 SGB X geforderten subjektiven
Aufhebungsvoraussetzungen ("innere Tatsachen"), welche den Vorwurf eines vorsätzlichen oder mindestens grob
fahrlässigen Verhaltens begründen können, anzuhören (vgl. dazu Urteil des Senats vom 22.02.2001, a. a. O.). Damit
kann durch eine Abgabe einer Stellungnahme des Betroffenen im Widerspruchsverfahren, in welcher sich dieser ganz
allgemein gegen die im Aufhebungsbescheid ohne substantiierte Darlegungen getroffene Feststellung eines
vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verhaltens wendet, grundsätzlich keine wirksame Nachholung und Heilung der
unterbliebenen Anhörung gemäß § 24 Abs. 1 SGB X gesehen werden. Die bloße Einlegung eines Widerspruchs gegen
den Aufhebungsbescheid ist nach der abschließenden Regelung über die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern in §
41 Abs. 1 SGB X - hier in der maßgeblichen Fassung vor in Krafttreten der geänderten Fassung des § 41 Abs. 2 SGB
X durch das 4. Euro-Einführungsgesetz vom 21.12.2000 (BGBl. I S. 1983) - kein hinreichender Heilungsgrund. Eine
nachträgliche Heilung dieses Verfahrensfehlers nach § 41 Abs. 2 SGB X n. F. kommt mangels einer (wirksamen)
Rückerstreckung dieser Neuregelung auf vor deren Inkrafttreten abgeschlossene Verwaltungsverfahren unstreitig nicht
in Betracht.
Da somit die streitbefangenen Bescheide der Beklagten ungeachtet der Rechtswidrigkeit der Leistungszahlungen ab
Oktober 1994 unter Verletzung verfahrensrechtlich gebotener Anforderungen erlassen wurden und somit die Klägerin
in ihren geschützten Rechtsinteressen verletzt haben, war der Berufung der Klägerin stattzugeben und das damit
angegriffene Urteil und die Bescheide der Beklagten aufzuheben.
Die Entscheidung über die Kosten erfolgt unter Berücksichtigung des Verfahrensausgangs aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.