Urteil des LSG Saarland vom 18.04.2005

LSG Saarbrücken: konvention, menschenrechte, bedürfnis, verfassungsbeschwerde, untätigkeitsklage, analogie, unverzüglich, belastung, ausnahme, zukunft

LSG Saarbrücken Beschluß vom 18.4.2005, L 2 B 1/05 KR
sozialgerichtliches Verfahren - Statthaftigkeit einer "Untätigkeitsbeschwerde" - keine
analoge Anwendung des § 172 SGG
Leitsätze
Eine Beschwerde gegen das Untätigbleiben eines Sozialgerichts (sog.
Untätigkeitsbeschwerde) ist nicht statthaft.
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin vom 27.12.2004 wegen Untätigkeit des Sozialgerichts für
das Saarland wird als unstatthaft verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Tatbestand
In der am 22.12.2003 erhobenen Klage geht es um die Erstattung eines gesetzlichen
Rabattes nach dem Beitragssatzsicherungsgesetz zugunsten der gesetzlichen
Krankenkassen aus dem Verkauf von rezeptpflichtigen Arzneimitteln.
Am 26.11.2004 beantragte die Klägerin, einen Termin zur mündlichen Verhandlung
anzuberaumen. Das Sozialgericht für das Saarland (SG) wies mit Schreiben vom
13.12.2004 darauf hin, dass auf Grund der Geschäftslage eine Terminierung in naher
Zukunft nicht erfolgen könne. Im Übrigen beständen durchaus Bedenken bezüglich der
Verfassungsgemäßheit des § 130a SGB V. Da dies zur Zeit bereits von dem
Bundesverfassungsgericht auf Grund von Normenkontrollverfahren überprüft werde,
erscheine ein Abwarten bis zur Entscheidung auch sinnvoll.
Am 27.12.2004 hat die Klägerin Beschwerde erhoben. Zur Begründung hat sie im
Wesentlichen ausgeführt, die Ablehnung einer Terminsbestimmung oder die
Nichtentscheidung über den Antrag auf Terminsbestimmung oder Anberaumung auf einen
unzumutbar späten Zeitpunkt, die einer Rechtsschutzverweigerung gleichkomme, könne
selbständig mit der Beschwerde angefochten werden. Es entspreche ständiger
Rechtsprechung, dass die erhebliche Verzögerung der Terminsbestimmung sachlich nicht
gerechtfertigt werden könne, wenn sie auf einem allgemein ordnungswidrigen
Geschäftsablauf beruhe, so zum Beispiel wegen Überlastung des Gerichtes. Der
Geschäftsablauf eines Gerichtes müsse so organisiert sein, dass zeitnah ein Termin zur
mündlichen Verhandlung anberaumt werden könne. Eine jetzt schon absehbare
Verfahrensdauer von ungefähr drei Jahren sei sachlich nicht gerechtfertigt und verletze die
Klägerin in ihren Rechten.
Die Klägerin beantragt,
unverzüglich einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen.
Die Beklagte hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und auf die hohe Belastung der Kammer
sowie des SG im Allgemeinen hingewiesen. Zudem sei das vorliegende Verfahren mit
bereits über 530 Seiten äußerst umfangreich und rechtlich nicht einfach gelagert. Auch
werde die genaue Erfassung des Sachverhaltes dadurch erschwert, dass der
Klägervertreter unter Hinweis auf eine Vielzahl gleichartiger Verfahren seinen Sachvortrag
nicht speziell und ausdrücklich auf das hier anhängige Verfahren ausgerichtet habe. Da für
die Entscheidung des Rechtsstreites verfassungsrechtliche Fragen von besonderer
Bedeutung seien, erscheine eine Terminierung und Entscheidung vor Abschluss des bereits
beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Normenkontrollverfahrens wenig sinnvoll. Im
Übrigen sei die Klage erst am 22.12.2003 bei Gericht eingegangen und es lägen daher
keine Anhaltspunkte dafür vor, dass von einer absehbaren Verfahrensdauer von ungefähr
drei Jahren auszugehen sei.
Entscheidungsgründe
Die Untätigkeitsbeschwerde der Klägerin ist nicht statthaft.
Nach § 172 Abs. 1 SGG findet gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme
der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte die Beschwerde an
das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist.
An einer solchen beschwerdefähigen Entscheidung des SG fehlt es hier. Das Schreiben des
SG vom 13.12.2004 enthält lediglich eine formlose, verfahrensbezogene Mitteilung an den
Kläger, die wie auch sonstige prozessleitende Verfügungen nicht beschwerdefähig ist (§
172 Abs. 2 SGG; vgl. VGH Baden Württemberg, Beschluss vom 20.03.2003 – 12 S
228/03).
Eine Beschwerde ist auch nicht im Hinblick auf die nach Auffassung der Klägerin vorliegende
Untätigkeit des SG als sogenannte Untätigkeitsbeschwerde in entsprechender Anwendung
des § 172 SGG statthaft (LSG Baden Württemberg, Beschluss vom 05.03.2003 – L 2 RJ
4399/02 mit ausführlicher Begründung und weiteren Nachweisen; vgl. auch BVerwG,
Beschluss vom 30.01.2003 – 3 B 8/03; VGH Baden Württemberg a.a.O.; BFH, Beschlüsse
vom 28.10.1992 – X B 68/92 – und vom 30.06.2000 – VII K 1/00; anderer Auffassung:
LSG Rheinland-Pfalz, Beschlüsse vom 12.04.2000 – L 1 B 49/00 – und vom 16.08.2001 –
L 1 B 88/01; Bayerisches LSG, Beschluss vom 08.02.2000 – L 12 B 447/99 KA; LSG
Hamburg, Beschluss vom 25.11.1997 – III ANBs 136/97; LSG Nordrhein-Westfalen,
Beschluss vom 20.03.2002 – L 10 B 29/01 SB).
Einer analogen Anwendung des § 172 SGG steht entgegen, dass es an einer planwidrigen
Regelungslücke fehlt (vgl. LSG Baden Württemberg a.a.O.; VGH Baden Württemberg
a.a.O.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 07.03.2002 – IX ZB 11/02 zur Zulässigkeit einer
außerordentlichen Beschwerde im Wege der Analogie zum Revisionsrecht (§ 544 ZPO
n.F.)). Die Regelung der Untätigkeitsklage in § 88 SGG zeigt, dass dem Gesetzgeber
durchaus bewusst war, dass der Bürger eines Schutzes gegenüber staatlicher Untätigkeit
bedarf. Dennoch hat der Gesetzgeber von einer entsprechenden Regelung bei Untätigkeit
eines Gerichtes abgesehen.
Abgesehen davon ist auch nicht ersichtlich, wie eine solche Lücke zu schließen wäre. Es ist
nicht möglich, wie von der Klägerin beantragt, das SG zur unverzüglichen Anberaumung
eines Termins zu verurteilen, um so eine Entscheidung des SG zu erzwingen. Allerdings hat
das LSG Rheinland-Pfalz in seinem Beschluss vom 12.04.2000 (a.a.O.) entschieden, dass
das Sozialgericht binnen zwei Wochen nach Wiedereingang der Gerichtsakten zu
entscheiden habe. Dieser Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden. In keiner
Gerichtsverfahrensordnung gibt es eine Regelung, der der Rechtsgedanke entnommen
werden könnte, einem gemäß Artikel 97 GG unabhängigen Richter eine Frist zur
Überzeugungsbildung beziehungsweise zur Entscheidung setzen zu können (so zutreffend
LSG Baden Württemberg a.a.O.). Abgesehen davon wäre eine solche Regelung
unpraktikabel, da das Beschwerdegericht nicht nur die Besonderheiten des Falles (wie zum
Beispiel Schwierigkeitsgrad), sondern auch die Arbeitsbelastung der zuständigen Kammer
beim SG ermitteln und berücksichtigen müsste. Zudem ist auch nicht ersichtlich, wie die
Verpflichtung des SG, innerhalb einer bestimmten Frist zu entscheiden, vollstreckt werden
könnte.
Auch Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten (MRK), der einen Anspruch auf eine Verhandlung in angemessener Frist
begründet, und das Gebot des wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG)
erfordern es nicht, dass ein außerordentliches und in der einschlägigen Prozessordnung
nicht vorgesehenes Rechtsmittel eingeräumt wird. Hierfür besteht kein Bedürfnis, da bei
unzumutbaren Verzögerungen die Möglichkeit besteht, gerichtlichen Eilrechtsschutz zu
beantragen; gegebenenfalls kommt nach Erschöpfung des Rechtsweges die Erhebung
einer Verfassungsbeschwerde in Betracht. Außerdem besteht die Möglichkeit, die
Untätigkeit eines Rechtsprechungskörpers im Wege der Dienstaufsichtsbeschwerde zu
beanstanden.
Die Beschwerde ist daher als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a Abs. 1 SGG, 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung eines Streitwertes ist nicht erforderlich, da sich die Gerichtsgebühren nicht
nach dem Streitwert richten, sondern nach der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG Teil 7 Nr.
7504 50,00 EUR betragen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).