Urteil des LSG Saarland vom 25.03.1997

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Landessozialgericht für das Saarland
Urteil vom 25.03.1997 (rechtskräftig)
Sozialgericht für das Saarland S 1 K 16/95
Landessozialgericht für das Saarland L 2 K 15/96
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland vom 31. Mai 1996 wird
zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten einer von Dr. K. in der Ukraine durchgeführten
manualtherapeutischen Behandlung.
Die am xx geborene Klägerin ist über ihre Mutter bei der Beklagten familienversichert. Sie leidet infolge eines
frühkindlichen Hirnschadens an einer Tetraspastik und Oligoepilepsie.
Mit Schreiben vom 11.08.1994 teilte die Mutter der Klägerin der Beklagten mit, sie habe die Klägerin zu einer
manualtherapeutischen Therapie bei Dr. K. in der Ukraine angemeldet. Da in Deutschland alle Therapieformen
ausgeschöpft und keine weiteren Erfolge zu erwarten seien, bitte sie um Übernahme der Kosten für die Behandlung
bei Dr. K ... Die Behandlungsdauer betrage 14 Tage im Abstand von jeweils einem halben Jahr. Die Kosten für eine
Behandlung beliefen sich auf etwa 8.000,- DM. Sie hoffe, bei der Klägerin mit drei Behandlungszyklen auszukommen.
Die Beklagte holte ein sozialmedizinisches Gutachten (vom 23.09.1994) beim Medizinischen Dienst der
Krankenversicherung im Saarland (MDK) ein, der feststellte, daß eine manualtherapeutische Behandlung unter
ambulanten und stationären Bedingungen auch in Deutschland, in der Theresienklinik Bad Krozingen, möglich sei.
Diese Therapie sei der vorgeschlagenen Therapie in der Ukraine aus medizinischer Sicht eindeutig vorzuziehen und
sei von den Medizinischen Diensten in ähnlich gelagerten Fällen bereits mehrfach befürwortet worden.
Mit Bescheid vom 04.11.1994, der an die Mutter der Klägerin gerichtet war, lehnte die Beklagte eine Kostenbeteiligung
an der geplanten Behandlung bei Dr. K. ab. Da mit der Ukraine kein Abkommen bestehe, werde für Behandlungen in
diesem Land die Ruhensbestimmung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung
(SGB V) wirksam. Der MDK befürworte eine Behandlung in der Theresienklinik Bad Krozingen, die aus medizinischer
Sicht der Behandlung in der Ukraine eindeutig vorzuziehen sei. Sie - die Beklagte - sei deshalb bereit, die Kosten der
ambulanten Behandlung in der Theresienklinik Bad Krozingen zu übernehmen. Weiterhin erkläre sie sich bereit, die
Kosten einer Unterbringung mit einem Betrag von bis zu 53,- DM pro Tag für längstens 4 Wochen sowie die
entstehenden Verpflegungskosten pro Person mit einem Betrag von 33,- DM zu übernehmen. Auch die Fahrtkosten
nach Bad Krozingen könnten erstattet werden. Da die Mutter für die geplante Maßnahme unbezahlten Urlaub nehmen
wolle, werde der entstehende Verdienstausfall von der Beklagten als ergänzende Leistung zur Behandlung
übernommen, allerdings nur bei der Inanspruchnahme der Leistungen in Bad Krozingen. Sofern die Klägerin den
Termin in der Ukraine wahrnehme, scheide auch eine Kostenübernahme des Verdienstausfalles aus.
Der gegen diesen Bescheid erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.01.1995
zurückgewiesen. Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ukraine bestehe kein
Sozialversicherungsabkommen, so daß für Behandlungen in der Ukraine die Ruhensbestimmung des § 16 Abs. 1 Nr.
1 SGB V für den Leistungsanspruch wirksam werde. Auch aus § 18 Abs. 1 SGB V lasse sich ein Leistungsanspruch
nicht herleiten, da der MDK in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gelangt sei, daß eine manualtherapeutische
Behandlung unter ambulanten und stationären Bedingungen auch in Deutschland in der Theresienklinik Bad Krozingen
möglich und der in der Ukraine durchgeführten Behandlung aus medizinischer Sicht eindeutig vorzuziehen sei.
Gegen diesen Bescheid hat die Mutter der Klägerin Klage erhoben. Im Laufe des Klageverfahrens ist die Klage
dahingehend geändert worden, daß die Tochter als Klägerin an die Stelle ihrer Mutter getreten ist.
Das Sozialgericht für das Saarland (SG) hat die auf Übernahme der Kosten für die Behandlungen bei Dr. K. in den
Zeiten vom 04. bis 18.12.1994 und 30.07. bis 06.08.1995 gerichtete Klage mit Gerichtsbescheid vom 31.05.1996
abgewiesen. In den Gründen hat es ausgeführt, die vorgenommene Klageänderung in Form des Klägerwechsels sei
gem. § 99 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sachdienlich gewesen und damit zulässig. Die Einbeziehung der
Behandlung vom 30.07. bis 06.08.1995, die erst nach Klageerhebung durchgeführt worden sei, sei als Klageänderung
im Sinne einer Klageerweiterung gem. § 99 SGG anzusehen, die zulässig sei, da das Gericht sie für sachdienlich
halte. Einschlägige Bestimmungen für die Übernahme von im Ausland entstandenen Behandlungskosten seien die §§
16, 18 SGB V, wobei vorliegend lediglich eine Kostenerstattung nach § 18 SGB V in Betracht komme. Ein
Kostenerstattungsanspruch setze zunächst voraus, daß die Behandlung der Klägerin in der Ukraine bei Dr. K.
notwendig gewesen sei. Nur dann, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Kenntnisse
entsprechende Behandlung im Inland nicht bzw. nicht rechtzeitig möglich und die Behandlung im Ausland geboten sei,
komme ein Erstattungsanspruch in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom
05.07.1995 - 1 RK 6/95) sei für eine Kostenerstattung auch Voraussetzung, daß die Erprobung der betreffenden
Behandlung abgeschlossen sei und über Qualität und Wirkungsweise der neuen Behandlungsmethode
wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden könnten und keine durchgreifenden Bedenken bestünden.
Aufgrund von in Parallelverfahren erstatteten Gutachten des Prof. Dr. H. und des Dr. E. bestünden erhebliche
Bedenken gegen die Manualtherapie des Dr. K., und zwar auch hinsichtlich ihrer Wirksamkeit. Weiterhin sei zu
berücksichtigen, daß dem Bundesausschuß für Ärzte und Krankenkassen, dem vom Gesetzgeber die Kompetenz zur
Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens neuer Methoden übertragen worden sei, bislang
keinerlei Erkenntnisse bezüglich dieser Manualtherapie vorlägen. Die Frage der Behandlungserfolge im Inland und
auch der Erfolg der Behandlungen in der Ukraine sei nicht entscheidungserheblich, so daß eine allgemeine
Begutachtung über die Behandlungsmethode Dr. K. nicht geboten gewesen sei. Auch eine Erstattung aufgrund eines
Härtefalles komme nicht in Betracht, da die einschlägigen Vorschriften eine Härtefallregelung nicht vorsähen.
Gegen diesen ihr am 12.06.1996 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin mit einem am 02.07.1996
eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt.
Sie trägt vor, in der Zeit vom 22.07. bis 04.08.1996 habe sie auf eigene Kosten eine weitere Behandlung bei Dr. K.
durchgeführt. Das SG habe sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob im Inland anerkannte
Behandungsmethoden zur Verfügung stünden, die noch nicht ausgeschöpft gewesen seien. Sie - die Klägerin - sei im
Inland ohne Erfolg therapiert worden. Demgegenüber habe die von Dr. K. durchgeführte Behandlung einen
Behandlungserfolg erbracht. Die Wirkungsweise und die Qualität der Behandlungsmethode des Dr. K. seien
wissenschaftlich nachprüfbar, was ein medizinisches Sachverständigengutachten, dessen Einholung sie für
erforderlich halte, bestätigen werde.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat sie noch vorgebracht, die Behandlung in Bad Krozingen habe sie
abgelehnt, da Behandlungen nach B. und V. bereits erfolglos durchgeführt worden seien.
Die Klägerin beantragt,
1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland vom 31.05.1996 und den Bescheid der Beklagten vom
04.11.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.01.1995 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, die anläßlich der Behandlungen bei Dr. K. vom 04. bis 18.12.1994, 30.07. bis
06.08.1995 und 22.07. bis 04.08.1996 entstandenen Kosten zu übernehmen,
3. hilfsweise die Zeugin L. sowie den sachverständigen Zeugen Dr. K. dazu zu hören und von Amts wegen ein
Sachverständigengutachten dazu einzuholen, daß Behandlungsmethoden im Inland erschöpft und erfolglos gewesen
seien,
höchst hilfsweise zu der genannten Beweisfrage ein Gutachten nach § 109 SGG durch Prof. V. einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie schließt sich den Ausführungen des Gerichtsbescheides an.
Wegen des Sach- und Streitstandes im übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der
beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten; der Inhalt der Beiakte war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
Zu Recht hat die Beklagte die Kostenübernahme für die Behandlung bei Dr. K. abgelehnt.
Die Klägerin ist vor dem SG an die Stelle ihrer ursprünglich klagenden Mutter getreten. Darin lag ein
Beteiligtenwechsel, der eine Klageänderung darstellt (s. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz mit Erläuterungen, 5.
Auflage 1993, § 99 Rdnr. 6). Die Klageänderung ist zulässig, da die Beklagte eingewilligt hat, indem sie sich, ohne zu
widersprechen, auf die abgeänderte Klage eingelassen hat (§ 99 Abs. 1, Abs. 2 SGG). Auch für die geänderte Klage
sind die Prozeßvoraussetzungen erfüllt (zu diesem Erfordernis siehe BSG vom 29.06.1993 - 12 RK 13/93).
Insbesondere liegt ein Verwaltungsakt vor, der angefochten ist, und ist ein Vorverfahren durchgeführt. Der
Verwaltungsakt war zwar nicht an die Klägerin, sondern an ihre Mutter als Stammversicherte gerichtet. Insofern ist
jedoch von Bedeutung, daß die Mutter auch gesetzliche Vertreterin der Klägerin ist. Ein an die Klägerin gerichteter
Verwaltungsakt hätte daher auch der Mutter bekannt gegeben werden müssen. Der Verwaltungsakt regelt einen
Anspruch aus der Familienversicherung. Deshalb erscheint es - auch im Sinne der Prozeßökonomie - gerechtfertigt,
den angefochtenen Bescheid dahingehend auszulegen, daß mit ihm auch ein Anspruch auf Kostenübernahme der
Klägerin als Familienversicherter abgelehnt wurde. Die Klägerin ist daher nach dem Beteiligtenwechsel berechtigt, den
Bescheid vom 04.11.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.01.1995 anzufechten, ohne daß es
erforderlich wäre, daß die Beklagte ihr gegenüber nochmals einen ablehnenden Bescheid erläßt.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die Beklagte eine Kostenübernahme für die Behandlung bei Dr. K. generell
abgelehnt. Während des Berufungsverfahrens fand vom 22.07. bis 04.08.1996 ein weiterer Behandlungszyklus statt.
Die Klägerin hat daraufhin ihren Leistungsantrag erweitert und begehrt nunmehr auch die Kostenübernahme für diesen
3. Behandlungszyklus. Dies stellt eine Erweiterung des Klageantrages in der Hauptsache dar, die gem. § 99 Abs. 3
Ziff. 2 SGG nicht als Klageänderung anzusehen und daher ohne weitere Voraussetzungen zulässig ist.
Das Begehren der Klägerin auf Kostenübernahme ist jedoch nicht begründet.
Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer
Krankheit nur im Ausland möglich, kann die Krankenkasse gem. § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V die Kosten der
erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen. In diesen Fällen kann die Krankenkasse auch weitere
Kosten für den Versicherten und für eine erforderliche Begleitperson ganz oder teilweise übernehmen (§ 18 Abs. 2
SGB V).
Die Kostenübernahme für eine Auslandsbehandlung kommt nach dieser Vorschrift nur in Betracht, wenn eine dem
allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung im Inland überhaupt nicht
oder für den Versicherten nicht rechtzeitig, d.h. nicht innerhalb einer nach den Umständen des Einzelfalles
zumutbaren Wartezeit, zur Verfügung gestellt werden kann (s. Noftz in Hauck, SGB V, Gesetzliche
Krankenversicherung, K § 18 Rdnr. 3a). Vor Bewilligung einer Auslandsbehandlung sind zunächst alle in Betracht
kommenden inländischen Behandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen (Kasseler Kommentar - Peters § 18 SGB V
Rdnr. 3).
Diese Voraussetzungen für eine Auslandsbehandlung waren bei der Klägerin nicht erfüllt, da sie auch im Inland mit
anerkannten Behandlungsmethoden hätte behandelt werden können. Dem Senat ist aus mehreren Parallelverfahren
bekannt - auch im vorliegenden Verfahren hat der MDK in seinem im Verwaltungsverfahren erstatteten Gutachten
diese Möglichkeit dargelegt -, daß auch in der Theresienklinik Bad Krozingen manualtherapeutische Behandlungen
durchgeführt werden können. Hierauf hat die Beklagte die Klägerin in dem angefochtenen Bescheid ausdrücklich
hingewiesen und auch bereits zugesagt, die Kosten für diese Behandlung zu übernehmen. Auch wenn die
manualtherapeutische Behandlung in Bad Krozingen mit der Therapiemethode des Dr. K. nicht identisch ist, stellt sie
jedenfalls eine im Inland zur Verfügung stehende manualtherapeutische Behandlungsmethode dar, die die Klägerin
nicht wahrgenommen hat. Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, daß bei ihr Behandlungen nach B. und V.
erfolglos durchgeführt worden seien. Denn bei der Behandlung in Bad Krozingen handelt es sich gerade nicht um die
herkömmliche B.- oder V.-Behandlung, sondern um eine manualtherapeutische Behandlungsmethode, wie sie die
Klägerin im Inland bisher nicht durchgeführt hat. Vor Ausschöpfung aller inländischen Behandlungsmöglichkeiten
kommt aber die Bewilligung einer Auslandsbehandlung nicht in Betracht. Anhaltspunkte dafür, daß diese im Inland
bestehende Behandlungsmöglichkeit für die Klägerin nicht zumutbar gewesen wäre, sind nicht ersichtlich; auch von
der Klägerin wird dies nicht behauptet. Nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 3 - 2500 § 18 Nr. 1) darf zwar eine
Auslandsbehandlung nicht schon dann versagt werden, wenn generell die Möglichkeit einer Behandlung im Inland
besteht, diese aber aus im spezifischen Krankheitsbild liegenden Gründen keinen Erfolg verspricht. Dafür, daß ein
solcher Ausnahmefall hier gegeben wäre, weil die im Inland bestehende Behandlungsmöglichkeit von vornherein
keinen Erfolg versprechen würde, liegen keinerlei Anhaltspunkte vor.
Da somit eine Kostenübernahme bereits daran scheitert, daß im Inland Behandlungsmöglichkeiten bestehen, die noch
nicht erschöpft sind, kann dahinstehen, ob die von Dr. K. angewandte Manualtherapie dem allgemein anerkannten
Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht, was ebenfalls Voraussetzung für die Kostenübernahme einer
Auslandsbehandlung ist.
Die von der Klägerin hilfsweise beantragten Beweiserhebungen zu der Frage, ob die Behandlungsmöglichkeiten im
Inland erschöpft waren, waren entbehrlich, weil dies bereits geklärt ist. Da die Klägerin - was sie nicht bestreitet - die
ihr von der Beklagten empfohlene manualtherapeutische Behandlung in der Theresienklinik Bad Krozingen nicht
durchgeführt hat - hier wäre auch eine Behandlung unter stationären Bedingungen möglich gewesen, die bisher im
Inland noch nicht erfolgt ist -, steht fest, daß die in der Bundesrepublik zur Verfügung stehenden
Behandlungsmöglichkeiten vor der Inanspruchnahme des Dr. K. nicht ausgeschöpft waren. Weitere Ermittlungen
hierzu waren daher nicht erforderlich.
Die Berufung der Klägerin war danach zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.