Urteil des LSG Saarland vom 11.08.2005

LSG Saarbrücken: bfa, wohnung, rente, erlass, umzug, nachzahlung, aufenthalt, rechtsschutz, auflage, krankheit

LSG Saarbrücken Beschluß vom 11.8.2005, L 9 B 4/05 AS
Einstweilige Anordnung - bestandskräftiger Bescheid
Leitsätze
Ein Antrag nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG wird unzulässig, wenn der ablehnende Bescheid
bestandskräftig wird.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts für das
Saarland vom 13. Juni 2005 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch im Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung von der Antragsgegnerin
Leistungen (Umzugskosten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts) nach dem II.
Buch des Sozialgesetzbuchs - Grundsicherung für die Arbeitsuchende – (SGB II).
Der Antragsteller bezieht – entsprechend einem Antrag vom 29. September 2004 - von
der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) für die Zeit vom 01. Oktober 2004
bis 31. März 2007 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Für die Zeit ab 01. Juni
2005 werden dem Antragsteller monatlich von der BfA 718,61 EUR ausgezahlt; Laut
Bescheid vom 27. April 2005 betrug die Nachzahlung für die Zeit vom 01. Oktober 2004
bis 31. Mai 2005 5.755,55 EUR. Nachdem die Antragsgegnerin einen Erstattungsanspruch
geltend gemacht hatte, wurden an den Antragsteller 3.593,05 EUR zur Auszahlung
gebracht.
Der Antragsteller bezieht überdies monatlich eine Rente, möglicherweise eine
Verletztenrente, in Höhe von 255,-- EUR.
Die Antragsgegnerin bewilligte dem am 27. August 1975 geborenen Antragsteller gemäß
Bescheid vom 17. Dezember 2004 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
(Arbeitslosengeld (Alg) II) für die Zeit 01. Januar bis 30. Juni 2005. Er bewohnte mit seiner
Bekannten, der Frau A.H., eine Wohnung in der P.S. Nachdem Frau A.H. ausgezogen war,
beabsichtigte der Antragsteller, zum 01. Juni 2005 umzuziehen, und beantragte am 24.
März 2005 bei der Antragsgegnerin die Erstattung der Umzugskosten sowie der Kosten für
die Ausstattung der neuen Wohnung und für Bekleidung. Er begründete seinen Antrag
damit, im Moment in finanziellen Nöten zu sein. Er gab zunächst an, eine Wohnung in der
H.S. mieten zu wollen. Er versprach, einen Mietvertrag und eine Vermieterbescheinigung
vorzulegen. Dem kam er nie nach.
Mit Bescheid vom 25. Mai 2005 wies die Antragsgegnerin den Antrag vom 24. März 2005
mit der Begründung zurück, aufgrund seiner Einkommensverhältnisse sei ein laufender
Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ab dem 01. Juni 2005 nicht mehr gegeben. Die
Notwendigkeit für einen Umzug aus Sicht des SGB II liege außerdem nicht vor.
Hiergegen richtete sich der Widerspruch vom 26. Mai 2005, mit dem der Antragsteller u.a.
geltend machte, zur Zeit der Antragstellung habe er nicht mit einem positiven Bescheid der
BfA rechnen können. Wegen seiner gesundheitlichen Verfassung könne er einen Umzug
nicht durchführen. Bis zum 01. Juni 2005 sei ein angemessener Lebensunterhalt nicht
gewährleistet.
Am 27. Mai 2005 hat der Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung beim Sozialgericht für das Saarland (SG) mit dem Inhalt gestellt, den Bescheid
vom 25. Mai 2005 aufzuheben, ihm sofort Leistungen nach den §§ 20 bis 23 SGB II zu
gewähren und ihm spätestens am 01. Juni 2005 Umzugskosten in Höhe von 2.000,-- EUR
sowie Hilfe zum Lebensunterhalt zu zahlen. Der Antragsteller hat ausgeführt, es sei ihm
nicht zuzumuten, das Widerspruchsverfahren abzuwarten. Sein Vermieter habe ihm am
01. Juni 2005 gekündigt und er wolle zum 01. Juni 2005 auch umziehen.
Die Antragsgegnerin hat die Auffassung vertreten, ein Anspruch auf Leistungen der
Grundsicherung habe unter anderem nur der, der erwerbsfähig im Sinne des § 8 Abs. 1
SGB II sei. Das sei beim Antragsteller nicht der Fall, so dass sie, die Antragsgegnerin, nicht
mehr zuständig sei. Überdies seien die Voraussetzungen des § 22 SGB II nicht erfüllt.
Am 01. Juni 2005 ist der Antragsteller in eine Wohnung im S.S. gezogen. Mit Beschluss
vom 13. Juni 2005 hat das SG nach mündlicher Verhandlung den Antrag des Antragstellers
zurückgewiesen. Es bestünden, so das SG, schon ernstliche Zweifel an der Eilbedürftigkeit.
Die Antragsgegnerin sei für den Antragsteller nicht mehr zuständig, da dieser unstreitig seit
dem 01. Juni 2005 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehe. Überdies seien die
Voraussetzungen des § 22 Abs. 2 SGB II nicht erfüllt.
Dieser Beschluss ist dem Antragsteller am 23. Juni 2005 zugestellt worden. Am 28. Juni
2005 hat die Antragsgegnerin den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid
vom 25. Mai 2005 zurückgewiesen.
Der Widerspruchsbescheid trägt einen Vermerk „ab 28. Juni 2005". Am 07. Juli 2005 hat
der Antragsteller „Widerspruch" gegen den Beschluss vom 13. Juni 2005 eingelegt. Er hat
unter anderem ausgeführt, dass er bis zum 01. Juni 2005 nicht habe wissen können, ob er
eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehe. Deshalb sei die Antragsgegnerin nach
wie vor zuständig gewesen.
Das SG hat der Beschwerde mit Verfügung vom 12. Juli 2005 nicht abgeholfen und sie
dem Landessozialgericht für das Saarland (LSG) zur Entscheidung vorgelegt.
Der Antragsteller begehrt sinngemäß, 1. den Beschluss des SG vom 13. Juni 2005 sowie
den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. Mai 2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 28. Juni 2005 aufzuheben, 2. die Antragsgegnerin zu
verurteilen, ihm, dem Antragsteller, Leistungen nach dem SGB II, insbesondere
Umzugskosten und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie stützt sich auf die Ausführungen des angefochtenen Beschlusses.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der
Verwaltungsakte mit der Stamm-Nr. X Bezug genommen.
Nach Auskunft der Geschäftsstelle des SG ist bis einschließlich 08. August 2005 keine
Klage gegen den Bescheid vom 25. Mai 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
28. Juni 2005 eingegangen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Sie ist
insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.
Sie bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz
2 SGG im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Dieser ist nämlich schon unzulässig, da der
Bescheid vom 25. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Juni 2005
bestandskräftig geworden ist.
Nach § 86 Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines
vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine
solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Da kein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt und der Antragsteller eine einstweilige Regelung
in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis wünscht, begehrt er eine Regelungsanordnung
nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG.
Dieser Antrag ist aber unzulässig, da er nicht geltend gemacht werden kann, wenn
feststeht, dass der Antragsteller keinen durchsetzbaren Hauptanspruch besitzt.
So liegt der Fall aber hier. Wie eine Nachfrage beim SG ergeben hat, hat der Antragsteller
gegen den Bescheid vom 25. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
28. Juni 2005 keine Klage erhoben. Damit ist dieser Bescheid bestandskräftig. In einem
solchen Fall ist aber ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2
S. 2 SGG, der zwar vor und auch während des Hauptsacheverfahrens gestellt werden
kann, nicht mehr statthaft (vgl. zur Problematik: Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur
Sozialgerichtsbarkeit, Stand September 2004, § 86b SGG, Rdnr. 81; Kopp/Schenke,
Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Auflage, § 123 VwGO, Rdnr.
18).
Selbst wenn der Antrag zulässig wäre, müsste ihm in der Sache die Erfolgsaussicht
deshalb versagt werden, weil es sowohl an einem Anordnungsanspruch als auch an einem
Anordnungsgrund fehlt.
Anordnungsanspruch ist der im Hauptsacheverfahren geltend gemachte oder geltend zu
machende materiellrechtliche Anspruch, zu dessen vorläufiger Sicherung oder Regelung der
einstweilige Rechtsschutz begehrt wird (vgl. zur Problematik: Peters-Sautter-Wolff, a.a.O.,
§ 86b SGG, Rdnr. 86). Ein solcher Anspruch steht dem Antragsteller nicht zu, da er nicht
zu dem Personenkreis gehört, der zu Leistungen nach dem SGB II berechtigt ist. Nach § 7
Abs. 1 SGB II erhalten nämlich Leistungen nach diesem Buch Personen, die
1. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 2.
erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der
Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähig Hilfebedürftige).
Nach § 8 Abs. 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf
absehbare Zeit außer Stande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen
Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Diese Voraussetzung liegt beim Kläger nicht vor, weil dieser voll erwerbsgemindert im
Sinne des § 43 Abs. 2 S. 2 des 6. Buchs des Sozialgesetzbuchs - gesetzliche
Rentenversicherung – ist. Es fehlt überdies aber auch am Anordnungsgrund. Der
Anordnungsgrund bei einer einstweiligen Anordnung besteht in der Dringlichkeit, die die
Bewahrung des „Status Quo" oder die Abwendung wesentlicher Nachteile durch
Verhinderung der Vereitelung oder Erschwerung der Rechtsverwirklichung zur Sicherung
des Anordnungsanspruchs für den Antragsteller hat. Sie liegt vor, wenn dem Antragsteller
unter Abwägung seiner und der öffentlichen Interessen und gegebenenfalls der Interessen
auch anderer Personen das Abwarten der Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren nicht
zumutbar ist (vgl. zur Problematik: Peters-Sautter-Wolff, a.a.O., § 86b SGG, Rdnr. 87). Für
die Beurteilung des Anordnungsgrundes sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung maßgebend.
Zu diesem maßgeblichen Zeitpunkt bedurfte der Antragsteller nicht der Leistungen nach
dem SGB II, da er sowohl die Nachzahlung der BfA als auch die laufende Rentenzahlung
erhalten hatte. Wieso er sich gleichwohl nicht in der Lage sah, seinen Umzug zu finanzieren
und seinen Lebensunterhalt zu sichern, ist nicht nachvollziehbar. Die weiteren
Ausführungen des SG, dass die Voraussetzung für die Übernahme der Umzugskosten nach
§ 22 Abs. 3 SGB II ohnehin nicht gegeben sind, sind in der Sache auch nicht zu
beanstanden.
Der Antrag war deshalb nach alledem zu Recht zurückgewiesen worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.