Urteil des LSG Saarland vom 16.11.2005

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LSG Saarbrücken Urteil vom 16.11.2005, L 2 U 182/02
Gesetzliche Unfallversicherung - Übergangsleistung - Nachteilsausgleich - Anrechnung einer
privaten Berufsunfähigkeitsrente
Leitsätze
Bei der Berechnung einer Übergangsleistung nach § 3 Abs 2 BKV ist eine
Berufsunfähigkeitsrente aus einer privaten Versicherung auf die durch die Berufsaufgabe
entstandenen wirtschaftlichen Nachteile schadenmindernd anzurechnen, wenn sie
aufgrund derselben Erkrankung gewährt wird, die zum Arbeitsplatzverlust geführt hat.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland
vom 24.10.2002 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen eine Entscheidung der Beklagten, wonach er keinen
Anspruch auf Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 der Berufskrankheitenverordnung (BKV)
hat und zur Rückzahlung eines Vorschusses in Höhe von 4.345,98 EUR verpflichtet ist.
Der 1951 geborene Kläger gab seine Tätigkeit als selbständiger mitarbeitender
Betriebsleiter am 08. April 1994 wegen seiner Atemwegserkrankung auf. Seit dem 16.
April 1994 bezieht er eine Rente wegen einer Berufskrankheit nach der Nummer 4302 der
Anlage zur BKV. Die MdE betrug zunächst bis zum 16. Juni 1997 50 v. H., anschließend 60
v. H. und ab dem 09. September 1999 50 v. H. (Bescheid vom 13. April 2000). Die
Versicherungssumme betrug bei Tätigkeitsaufgabe 84.000,-- DM.
Am 08. Mai 2000 begann die Südwestliche Bau-BG (im Folgenden: BG), deren
Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, von Amts wegen zu prüfen, ob der Kläger Anspruch
auf Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 BKV hat, und holte zu diesem Zweck eine Reihe
von Auskünften bei dem Kläger sowie seinem Steuerberater ein. Es wurde ein Schreiben
der R + V Versicherung des Klägers vom 07. Juni 1996 vorgelegt, wonach dieser Anspruch
auf folgende Leistungen hat:
"a) 13.894,-- DM ¼ jährliche Berufsunfähigkeitsrente ab 01.08.1995
b) Beitragsbefreiung ab 01.08.1995".
Mit Bescheid vom 13. November 2001 bewilligte die BG dem Kläger einen Vorschuss in
Höhe von 8.500,-- DM. In dem Bescheid wurde ausgeführt, der Anspruch auf
Übergangsleistungen gemäß § 3 Abs. 2 BKV könne noch nicht abschließend festgestellt
werden, weil die Höhe der privaten Berufsunfähigkeitsrente für den Anspruchszeitraum
(08. April 1994 bis 07. April 1999) noch nicht abschließend mitgeteilt worden sei. Von der
R + V Versicherung werde die genaue Höhe der Rente und des jeweiligen Betrags der
Beitragsbefreiung im Anspruchszeitraum benötigt. Auf Grundlage der bisherigen Daten sei
eine überschlägige Berechnung durchgeführt worden, wonach sich für den gesamten
Zeitraum eine Übergangsleistung von circa 17.300,-- DM ergebe. Bei dieser Berechnung
sei die jährliche BU-Rente in Höhe von 13.894,-- DM, also ohne Anpassungen,
berücksichtigt worden. Nicht berücksichtigt worden sei der Geldwertvorteil aus der
Beitragsbefreiung. Die Vorschusszahlung erfolge vorbehaltlich der Bewilligung der Leistung.
Der Vorschuss sei auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit er diese übersteige,
sei er zu erstatten (§ 42 SGB I).
Im Januar 2002 wurde ein Schreiben der R + V Versicherung vom 11. Dezember 2001
vorgelegt, wonach der Kläger im Zeitraum 01. August 1995 bis 31. März 1999
Berufsunfähigkeitsrente von insgesamt 221.564,66 DM erhalten habe.
Mit Bescheid vom 10. Januar 2002 teilte die BG mit, dass ein Anspruch auf
Übergangsleistungen für den gesamten Fünf-Jahreszeitraum nicht bestehe. Zur
Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die BU-Rente der R + V Versicherung
habe anfänglich (ab 01. August 1995) ¼-jährlich 13.894,-- DM betragen. Die
Dynamisierung der BU-Rente sei nicht bekannt. Der Einfachheit halber sei deshalb nur der
Anfangsbetrag berücksichtigt worden. Daraus ergebe sich folgende Berechnung:
1.
Abrechnung für die Zeit vom 08. April 1994 bis 07. April 1995
Nettoentgelt (fiktiv)
DM 64.703,13
./. Nettoentgelt (tatsächlich)
DM 64.703,13
Minderverdienst somit
DM -,--
2.
Abrechnung für die Zeit vom 08. April 1995 bis 07. April 1996
Nettoentgelt (fiktiv)
DM 62.411,06
./. Nettoentgelt (tatsächlich)
DM 54.740,66
./. Rente von R + V Versicherung (1)
DM 37.050,67
Minderverdienst somit
DM -,--
3.
Abrechnung für die Zeit vom 08.April 1996 bis 07. April 1997
Nettoentgelt (fiktiv)
DM 63.026,94
./. Nettoentgelt (tatsächlich)
DM 34.554,95
./. Rente von R + V Versicherung (2)
DM 55.576,--
Minderverdienst somit
DM -,--
4.
Abrechnung für die Zeit vom 08.April 1997 bis 07. April 1998
Nettoentgelt (fiktiv)
DM 63.113,47
./. Nettoentgelt (tatsächlich)
DM 34.724,45
./. Rente von R + V Versicherung (2)
DM 55.576,--
Minderverdienst somit
DM -,--
5.
Abrechnung für die Zeit vom 08.April 1998 bis 07. April 1999
Nettoentgelt (fiktiv)
DM 63.176,94
./. Nettoentgelt (tatsächlich)
DM 35.375,15
./. Rente von R + V Versicherung (2)
DM 55.576,--
Minderverdienst somit
DM -,--
Der mit Schreiben vom 13. November 2001 bewilligte Vorschuss in Höhe von 8.500,-- DM
(= 4.345,98 EUR) sei deshalb gemäß § 42 SGB I zu erstatten.
Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 2002,
abgesandt am selben Tag, zurückgewiesen.
Der Kläger hat am 17. Juni 2002, einem Montag, Klage erhoben und sich auf Entreicherung
berufen.
Mit Gerichtsbescheid vom 24. Oktober 2002 hat das Sozialgericht für das Saarland (SG)
die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die
Voraussetzungen für das Rückforderungsbegehren der BG nach §§ 42 Abs. 2 S. 2, 50 Abs.
4 SGB I seien erfüllt. Der Einwand des Klägers, dass die Sach- und Rechtslage zum
Zeitpunkt der Vorschussbewilligung die gleiche gewesen sei wie zum Zeitpunkt der
Rückforderung, sei nicht zutreffend, denn zum Zeitpunkt der Vorschussbewilligung habe die
Auskunft der R + V Versicherung über die Rentenhöhe noch ausgestanden. Der Kläger
könne sich auch nicht auf Entreicherung berufen, denn er genieße im Hinblick darauf, dass
in dem Vorschussbewilligungsbescheid ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, dass
die Leistung zurückgefordert werden könne, keinen Vertrauensschutz.
Gegen den ihm am 30. Oktober 2002 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am
Montag, dem 02. Dezember 2002 Berufung eingelegt.
Zur Begründung trägt er vor, die BG sei allein dreimal bei seinem Steuerberater vorstellig
geworden und habe alle anrechenbaren Einkünfte eruiert, bevor der Leistungsbescheid
erlassen worden sei. In Kenntnis der Einkünfte habe sich die BG zur Auszahlung
verpflichtet. An diese Entscheidung und Vorgehensweise sei sie gebunden. Sie habe damit
einen Vertrauenstatbestand geschaffen. Im Vertrauen darauf habe er die Leistungen
verbraucht. Die Leistung sei sogar als Vorschuss deklariert worden, so dass allenfalls eine
Anrechnung bei der Auskehrung der endgültigen Leistung hätte erfolgen und erwartet
werden können, allerdings nicht eine Rückforderung. Außerdem habe die BG Einkommen
berücksichtigt, das bei der Bemessung des Minderverdienstes nicht zu berücksichtigen
gewesen sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland vom 24. Oktober 2002 sowie
den Bescheid vom 10. Januar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.
Mai 2002 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Gerichtsbescheid und trägt ergänzend vor, dass sie zum
einen fälschlicherweise von einer Jahresrente in Höhe von 13.894,-- DM ausgegangen sei;
insoweit habe es sich lediglich um die ¼-jährliche Rente gehandelt. Außerdem müsse
gegebenenfalls die Beitragsbefreiung ab dem 01. August 1995 als wirtschaftlicher Vorteil
angerechnet werden. Auch dieser Umstand sei zum Zeitpunkt der Vorschusszahlung nicht
bekannt gewesen.
Im Berufungsverfahren hat der Kläger ein Schreiben der R + V Versicherung vom 29.
August 2005 vorgelegt, wonach er seit dem 01. August 1995 Berufsunfähigkeitsleistungen
aufgrund der bei ihm bestehenden Erkrankung „allergisches Asthma bronchiale" erhält.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden
erklärt.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der
Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Mit Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung durch
Urteil entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Nachdem die Beklagte zum 01.05.2005 auf Grund einer Fusion der sieben regionalen Bau-
Berufsgenossenschaften und der Tiefbau-BG Rechtsnachfolgerin der Südwestlichen Bau-
Berufsgenossenschaft geworden ist, ist auf Beklagtenseite ein Beteiligtenwechsel kraft
Gesetz eingetreten (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., 2005, § 99 Rn 6a).
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 42 Abs. 2 S. 2 SGB I. Danach sind
Vorschüsse, soweit sie die zustehende Leistung übersteigen, vom Empfänger zu erstatten.
Zutreffend sind das SG und die Beklagte davon ausgegangen, dass der Kläger keinen
Anspruch auf Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 BKV hat. Nach dieser Vorschrift haben
Versicherte, die die gefährdende Tätigkeit unterlassen, weil die Gefahr fortbesteht, zum
Ausgleich hierdurch verursachter Minderungen des Verdienstes oder sonstiger
wirtschaftlicher Nachteile gegen den Unfallversicherungsträger Anspruch auf
Übergangsleistungen. Als Übergangsleistung wird
1. ein einmaliger Betrag bis zur Höhe der Vollrente oder
2. eine monatlich wiederkehrende Zahlung bis zur Höhe eines Zwölftels der Vollrente
längstens für die Dauer von 5 Jahren gezahlt (S. 2).
Durch § 3 Abs. 2 BKV sollen wirtschaftliche Nachteile ausgeglichen werden, die der
Berufswechsel verursacht. Zur Ermittlung dieser Nachteile ist die gesamte wirtschaftliche
Lage des Versicherten vor dem schadenbringenden Ereignis mit der danach bestehenden
Situation zu vergleichen. Daher sind alle Umstände des konkreten Einzelfalles, die sich auf
die wirtschaftliche Lage auswirken, bei diesem Vergleich zu berücksichtigen. Der Ausgleich
der wirtschaftlichen Nachteile stellt einen echten Schadensersatz dar. Ist aber ein Schaden
zu ersetzen, der durch ein bestimmtes Ereignis entstanden ist, so sind grundsätzlich bei
der Ermittlung der konkreten Höhe dieses Schadens auch die Vorteile zu berücksichtigen,
die durch dieses Ereignis eingetreten sind (ständige Rechtsprechung des BSG, z. B. Urteil
vom 02. Februar 1999 – B 2 U 4/98 R m.w.N.).
Bei diesem Vorteilsausgleich können im Rahmen des § 3 Abs. 2 BKV den auf der
Berufskrankheit beruhenden Nachteilen nur solche Vorteile gegenübergestellt werden, die
ihrerseits in einem wesentlichen inneren Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis –
dem berufskrankheitsbedingten Berufswechsel bzw. der Tätigkeitsaufgabe – stehen. Da
der Vorteilsausgleich, d. h. die schadenmindernde Berücksichtigung mit dem
Schadenseintritt verbundener wirtschaftlicher Vorteile, ein Grundelement des
Schadensersatzrechts darstellt, bedarf es hierfür keiner ausdrücklichen gesetzlichen
Regelung. Die Berücksichtigung wirtschaftlicher Vorteile beschränkt sich nicht auf
Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern erfasst Vorteile unabhängig
von ihrem Zustandekommen, also etwa auch Versicherungsleistungen aufgrund eigener
Beitragsentrichtung (BSG a.a.O.).
Danach handelt es sich bei der Berufsunfähigkeitsrente des Klägers aus der R + V
Versicherung um einen wirtschaftlichen Vorteil, der bei der Ermittlung des durch die
Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit eingetretenen Schadens zu beachten ist. Besteht
nämlich der durch ein bestimmtes Ereignis eingetretene wirtschaftliche Nachteil in einem
Ausfall oder Minderung des Lohn- bzw. Erwerbseinkommens, so sind als diesen
möglicherweise ganz oder teilweise kompensierende Vorteile insbesondere Ansprüche auf
Gewährung solcher Leistungen in Ansatz zu bringen, die prinzipiell eine Lohnersatzfunktion
haben (vgl. BSG a.a.O.). In diesem Zusammenhang hat das BSG (a.a.O.). entschieden,
dass eine BU-Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als wirtschaftlicher Vorteil
anzurechnen ist. Nichts anderes kann nach Auffassung des Senats für eine
Berufsunfähigkeitsrente aus einer privaten Versicherung gelten. Diese hat ebenso wie die
Berufsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung den Zweck, das wegen
einer Minderung der Erwerbsfähigkeit ausfallende Lohn- bzw. Erwerbseinkommen zu
ersetzen.
Der Bezug der Berufsunfähigkeitsrente aus der R + V Versicherung steht auch in einem
wesentlichen inneren Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis. Die R + V
Versicherung hat mit Schreiben vom 29. August 2005 mitgeteilt, dass der Kläger
Berufsunfähigkeitsleistungen aufgrund der bei ihm bestehenden Erkrankung „allergisches
Asthma bronchiale" bezieht. Wegen dieser Erkrankung musste der Kläger auch seine
berufliche Tätigkeit als mitarbeitender Betriebsleiter aufgeben, so dass Identität zwischen
der zur Aufgabe und der zur Gewährung der BU-Rente führenden Gesundheitsstörung
bestand.
Unter Berücksichtigung der Berufsunfähigkeitsrente kam die Beklagte im angefochtenen
Bescheid zu dem Ergebnis, dass ein Anspruch auf Übergangsleistungen nicht besteht. Die
Berechnung der Beklagten wird vom Kläger nicht angegriffen und ist auch nicht zu
beanstanden.
Da ein Anspruch auf Übergangsleistungen nicht besteht, sieht § 42 Abs. 2 S. 2 SGB I
zwingend die Rückzahlung des Vorschusses vor. Auf Vertrauensschutz kann sich der Kläger
dabei nicht berufen. Der Vorschuss ist eine eigenständige vorläufige Leistung und nicht
etwa ein Teil der beanspruchten Leistung. Die spätere endgültige Entscheidung wird durch
den Vorschussbescheid inhaltlich nicht präjudiziert. Der Vorschussbescheid verliert seine
Wirkung mit dem endgültigen Bescheid. Er entfaltet nur für einen begrenzten Zeitraum
Bindungswirkungen, und zwar höchstens bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens.
Deshalb können derartige Regelungen bei dem Bescheidempfänger schutzwürdiges
Vertrauen grundsätzlich nur bis zum Erlass des abschließenden Verwaltungsaktes
begründen (BSG, Urteil vom 16. Juni 1999 – B 9 V 13/98 R m.w.N.). Dies gilt hier
insbesondere auch vor dem Hintergrund, als in dem Bescheid vom 13. November 2001
ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass der Anspruch auf Übergangsleistungen
noch nicht habe abschließend festgestellt werden können und der Vorschuss
gegebenenfalls zu erstatten sei, soweit er die zustehende Leistung übersteige.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.