Urteil des LSG Saarland vom 17.11.2004

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LSG Saarbrücken Urteil vom 17.11.2004, L 2 U 178/02
Arbeitsunfall - innerer Zusammenhang - eigenwirtschaftliche Tätigkeit - Händewaschen
nach Nahrungsaufnahme - beendetes Kundengespräch eines Versicherungsvertreters
Leitsätze
Ein Arbeitsunfall im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB VII ist nicht gegeben, wenn ein
Versicherungsvertreter am Ende eines Gesprächs beim Kunden dessen Badezimmer
betritt, um sich vor Verlassen der Kundenwohnung die Hände nach Verzehr von
Schokoladengebäck zu reinigen.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland
vom 18.10.2002 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob es sich bei dem Ereignis vom 01.02.2002 um einen
Arbeitsunfall des Klägers handelt.
Der 1957 geborene Kläger ist seit 01.10.2001 bei der V.-Versicherung in S. als
Versicherungsangestellter beschäftigt. Nach Berichten von Dres. B. und F. vom April 2002
ist der Kläger am 01.02.2002 im Rahmen eines Kundengesprächs im Bad des Zeugen P.
in S. ausgerutscht, hat sich den linken Ellenbogen angeschlagen, aber anschließend
weitergearbeitet. Die erste Behandlung der Verletzung datiert am 26.03.2002. Die Ärzte
diagnostizierten eine Ellenbogenluxation links, eine Fraktur Processus Coronoideus sowie
ein Streckdefizit des linken Ellenbogens. Der Kläger habe sich im Januar 2002 noch in der
Probezeit befunden, weshalb er keine Arbeitsunfähigkeit habe riskieren wollen. Den
luxierten Ellenbogen habe er spontan reponiert. Der klinische und radiologische Befund im
Zusammenhang mit der Anamnese passten zu dem Ereignis einer Luxation.
Arbeitsunfähigkeit bestand bis 03.05.2002.
Nach einem Nachschaubericht von Dr. L. vom 26.04.2002 zeigten die Röntgenbilder
degenerative Veränderungen insbesondere auf der ulnaren Seite des Ellenbogengelenks
und am Processus Coronoideus, aber keine Zeichen für eine Luxation oder Subluxation. Er
diagnostizierte ein Funktionsdefizit des linken Ellenbogengelenks nach schwerer Kontusion
mit Riss-Quetschwunde.
Durch Bescheid vom 08.05.2002 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen aus Anlass
des Ereignisses vom 01.02.2002 ab. Das Aufsuchen der Toilette beim Kunden sei der
Privatsphäre des Klägers zuzuordnen und dem Unternehmen nicht dienlich gewesen. Den
Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 11.07.2002
zurück. Lediglich Wege zum Verrichten der Notdurft seien versichert, nicht aber der
Aufenthalt im Toilettenraum.
Im anschließenden Klageverfahren trug der Kläger vor, er habe nicht die Notdurft verrichten
wollen. Zweck des Aufenthalts im Bad sei die Reinigung der Hände gewesen. Diese seien
durch den Genuss kleiner Speisen, die während des Kundengesprächs gereicht worden
seien, verschmutzt gewesen. Während des Aufenthalts im Bad habe die Tür offen
gestanden und das Kundengespräch sei während des Vorgangs fortgesetzt worden. Es
bestehe ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Kundenbesuch und dem
Aufenthalt im Bad.
Nach entsprechender Ankündigung erließ das Sozialgericht für das Saarland (SG) am
18.10.2002 einen Gerichtsbescheid, mit dem es die Klage abwies. Die Verrichtung des
Klägers sei eindeutig der privaten Sphäre zuzuordnen, auch wenn er die Toilette
aufgesucht habe, um sich die Hände zu waschen.
Der Kläger hat gegen den am 24.10.2002 zugestellten Gerichtsbescheid am 18.11.2002
im Wesentlichen unter Wiederholung der Argumente im Klageverfahren Berufung eingelegt.
In einem Erörterungstermin im November 2003 gab der Kläger an, der Termin bei dem
Kunden habe etwa drei Stunden gedauert. Während dessen habe der Kunde Gebäck mit
Schokolade angeboten. Als nach ca. 2 Stunden das Ausfüllen der Vertragsformulare
bevorgestanden habe, habe er sich die Hände waschen und die Finger von der Schokolade
reinigen wollen. Unmittelbar beim Betreten des Bades sei er ausgerutscht und gestürzt.
Am Ellenbogen habe sich eine gerötete Stelle befunden, die nur wie bei einem "Ratzer"
geblutet habe. Der Ellenbogen sei in einer "komischen" Stellung gewesen. Er habe auf die
Stelle gedrückt und dann habe wieder alles ziemlich normal ausgesehen. Er habe aber
unmittelbar danach keine Schmerzen gehabt. Sodann habe er sich die Hände gewaschen
und die Formulare ausgefüllt. Bevor er den Kunden verlassen habe, habe er noch eine
Schmerztablette genommen. Vor Ort sei der Arm mit einer Binde umwickelt worden.
Schmerztabletten habe er auch noch bis zum erstmaligen Besuch des Arztes genommen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland vom 18.10.2002 sowie den
Bescheid vom 08.05.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2002
aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 01.02.2002 ein Arbeitsunfall war.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erkennt Widersprüche zwischen den Angaben des Klägers und der Unfallschilderung des
Durchgangsarztes. Eine Luxation des Ellenbogens stelle ein sehr schweres Unfallereignis
dar, welches auf Grund der obligatorischen Bandverletzungen erhebliche Probleme
verursache. Eine Reponierung solle nur unter Vollnarkose vorgenommen werden.
Bandverletzungen seien jedoch nicht festgestellt worden.
Der Senat hat von Dr. F. einen Befundbericht eingeholt. Zudem hat er Beweis erhoben
durch Vernehmung des Zeugen A. P., des Kunden des Klägers. Wegen des Inhalts der
Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 17.11.2004 verwiesen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird zudem auf den Inhalt der Gerichtsakten und der
beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der
mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
Die statthafte und auch ansonsten zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg, da die
Beklagte unabhängig davon, welche Verletzungen der Kläger sich am 01.02.2002
zugezogen hat, das Ereignis vom 01.02.2002 zu Recht nicht als Arbeitsunfall im Sinne von
§ 8 SGB VII anerkannt hat.
Nach § 8 Abs.1 Satz 1 SGB VII liegt ein Arbeitsunfall dann vor, wenn sich der Unfall infolge
einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte
Tätigkeit) ereignet hat.
Voraussetzung hierfür ist, dass das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat,
einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, und dass diese Tätigkeit andererseits
den Unfall herbeigeführt hat. Zunächst muss also eine sachliche Verbindung mit der im
Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der sogenannte innere
Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit
zuzurechnen. Ein rechtlich wesentlicher innerer Zusammenhang zwischen der versicherten
Tätigkeit und dem Unfall ist gegeben, wenn die der versicherten Tätigkeit innewohnenden
Risiken die wesentliche Bedeutung für den Eintritt des Unfalls haben und nicht die
persönlichen Risiken des Versicherten. Ein rein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang einer
Handlung mit der versicherten Arbeit kann den erforderlichen inneren Zusammenhang
allein nicht begründen. Kein Versicherungsschutz besteht für sogenannte
eigenwirtschaftliche Tätigkeiten, die rechtlich wesentlich von der Verfolgung persönlicher,
privater Belange des Versicherten geprägt und deshalb nicht versichert sind. Dies sind alle
Tätigkeiten, die üblicherweise auch ohne Bestehen des versicherten
Beschäftigtenverhältnisses im täglichen Leben anfallen.
Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung auch die Verrichtung der Notdurft (BSG,
Urteil vom 06.12.1989, 2 RU 5/89; LSG Bayern, Urteil vom 06.05.2003, L 3 U 323/01)
sowie bei natürlicher Betrachtungsweise auch das regelmäßig erfolgende Händewaschen
sowie ein eventuelles "Frischmachen", Kämmen der Haare oder Ordnen der Kleidung, das
vielfach mit dem Besuch der Toilette oder des Bades verbunden ist (LSG Rheinland-Pfalz,
Urteil vom 11.08.1998, L 3 U 323/97). All dies ist grundsätzlich dem unversicherten
privaten Bereich zuzurechnen.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung entfällt aber der Unfallversicherungsschutz
für die genannten Tätigkeiten nur während des Aufenthalts im Toilettenraum. Hingegen hat
die Rechtsprechung auf den Wegen zu einem Ort auf der Betriebsstätte selbst, an dem die
Notdurft oder die Körperreinigung verrichtet werden soll, Versicherungsschutz
angenommen, weil ein Versicherter durch die Anwesenheit auf einer Betriebsstätte
gezwungen ist, seine Notdurft und die damit verbundene Körperreinigung an einem
anderen Ort zu verrichten, als er dies von seinem häuslichen Bereich aus getan haben
würde (vgl. BSG vom 06.12.1989, 2 RU 5/89, LSG Bayern, Urteil vom 06.05.2003, L 3 U
323/01). Entsprechendes gilt auch für die Rückwege von der Toilette auf dem
Betriebsgelände. Da das Aufsuchen der Toilette einen einheitlichen Vorgang bildet, endet
somit der Versicherungsschutz grundsätzlich mit dem Betreten der zur Toilette zählenden
Räumlichkeiten und lebt mit deren Verlassen wieder auf. Diese Grundsätze gelten in der
Regel auch für entsprechende Verrichtungen, die der Versicherte betriebsbezogen
außerhalb der eigentlichen Betriebsräume auf Geschäftsreisen oder im Außendienst
wahrnimmt (BSG, Urteil vom 06.12.1989 a. a. O. und Urteil vom 11.08.1998, B 2 U
17/97 R).
Legt man allein dies zugrunde, bestand für den Kläger kein Versicherungsschutz, denn der
Unfall geschah nicht auf dem Weg oder Rückweg zum oder vom Bad des Kunden, des
Zeugen P., sondern im Badezimmer selbst.
Demgegenüber steht aber eine körperliche Reinigung in einem Badezimmer während der
Arbeit nach der Rechtsprechung des BSG dann im inneren Zusammenhang mit der
versicherten Tätigkeit, wenn im Einzelfall die vom Versicherten geleistete Betriebstätigkeit
sein Bedürfnis nach körperlicher Reinigung während der Arbeit zumindest wesentlich
mitbestimmt hat (BSG, Urteil vom 04.06.2002, B 2 U 21/01 R m. w. N).
Zwar sind überwiegend private und nicht wesentlich betriebsbedingte Interessen i.d.R. für
eine körperliche Reinigung ausschlaggebend, sofern sie nicht am Arbeitsplatz, sondern erst
zu Hause vorgenommen wird. Dies findet seine Begründung darin, dass das körperliche
Wohlbefinden, wozu neben der körperlichen Reinigung z.B. auch die Nahrungsaufnahme
und die Nachtruhe gehören, nicht deshalb herbeigeführt wird, weil die betreffende Person
Mitarbeiter eines bestimmten Unternehmens ist und dadurch beabsichtigt, dem
betrieblichen Zweck wesentlich zu dienen, sondern weil hierzu ein im Selbsterhaltungswillen
gründendes natürliches Bedürfnis des Menschen besteht. Dass letztlich jede Stärkung des
körperlichen Wohlbefindens ebenso, zumindest mittelbar, dem Betrieb zu Gute kommt,
bewirkt noch nicht deren Einordnung in den versicherten Bereich; eine Abgrenzung
zwischen betriebsbezogener und eigenwirtschaftlicher Betätigung wäre in diesem Fall auch
kaum mehr möglich (BSG a. a. O.).
Eine derartige Unterscheidung zwischen einer unter Versicherungsschutz stehenden
körperlichen Reinigung und einer solchen in der privaten Sphäre ist grundsätzlich auch auf
die besondere Situation eines berufsbedingten Aufenthalts in einer fremden Wohnung zu
betrieblichen Zwecken übertragbar, so dass ebenfalls danach zu differenzieren ist, ob das
betreffende Handeln lediglich seinen Grund in der Befriedigung allgemeiner menschlicher
Bedürfnisse findet und damit unversichert ist, oder ob wesentliche betriebliche Interessen
für die Vornahme der Körperreinigung während der dienstlich bedingten Anwesenheit beim
Kunden ausschlaggebend sind.
Führt eine Bewertung der tatbestandlichen Fakten unter Beachtung der dargelegten
Aspekte zu dem Ergebnis, dass die Körperreinigung am Ort der Dienstreise eindeutig der
privaten Sphäre zuzurechnen ist, kann sie aber zur betrieblichen Tätigkeit ausnahmsweise
nur dann noch zugeordnet werden, wenn sich im Verlauf der betreffenden Handlung
besondere Gefahrenmomente im Bereich des auswärtigen Ortes realisieren und dadurch
der Unfall ausgelöst wird (vgl. BSG a. a. O. m. w. N.). Besondere Gefahrenmomente in
diesem Sinne sind solche Umstände, die in ihrer besonderen Eigenart dem Beschäftigten
während seines normalen Verweilens am Wohn- oder Betriebsort nicht begegnet wären.
Von diesen Grundsätzen ausgehend war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme das
Händewaschen des Klägers im Bad des Kunden der privaten Sphäre zuzurechnen. Der
Kläger stand bei Erreichen des Bades zum Zweck des Händewaschens im Toilettenraum
nicht unter Versicherungsschutz. Der zum Körperschaden führende Vorgang unmittelbar
vor dem Reinigen der Hände ist als eigenwirtschaftlicher Akt anzusehen, der keinen inneren
Zusammenhang mit der an sich versicherten Arbeitstätigkeit aufweist, weil die Reinigung
der Hände des Klägers nicht betrieblichen Interessen seines Arbeitgebers und daher
überwiegend privaten Interessen zu dienen bestimmt war. Dabei ist das Gericht nach dem
Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Reinigung der Hände nicht vor
dem Ausfüllen der Vertragsformulare stattgefunden hat. Der Zeuge P. hat hierzu klar und
deutlich bekundet, dass der Besuch des Klägers auf der Toilette erst am Ende des
Kundenbesuchs stattgefunden hat und anschließend kein Versicherungsvertrag ausgefüllt
oder sonstige Versicherungsgeschäfte besprochen wurden. Diese Zeugenaussage
unterscheidet sich zwar von den Angaben des Klägers im Erörterungstermin, er habe sich
die mit Schokolade verunreinigten Hände waschen müssen, um anschließend den
Versicherungsvertrag sauber ausfüllen zu können. Der Senat hat aber keinen Zweifel, den
Angaben des Zeugen zu glauben, der auf mehrfaches Nachfragen bestätigt hat, sich genau
an diese Situation erinnern zu können. Es ging bei der den Unfall verursachenden Tätigkeit
des Klägers somit allein darum, Körperpflege oder –reinigung ihrer selbst willen zu
betreiben und hierzu das Bad zu nutzen. Zweck war es damit gerade nicht, die
körperlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, einen Versicherungsvertrag auf einem
Formular sauber und ordentlich abzuschließen. Ein spezieller dienstlicher Grund, eine
Körperreinigung vornehmen zu müssen, um unmittelbar sich anschließende dienstliche
Belange überhaupt wahrnehmen zu können, lag damit nicht vor. Damit bestand kein
gesetzlicher Unfallversicherungsschutz und das Ereignis vom 01.02.2002 war kein
Arbeitsunfall im Sinne von § 8 SGB VII.
Die Berufung hat daher keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.