Urteil des LSG Saarland vom 04.08.2006

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LSG Saarbrücken Urteil vom 4.8.2006, L 7 RJ 42/04
Fremdrentenrecht - polnische Beitragszeit - Glaubhaftmachung - Nachweis - Beweiswert
einer Arbeitgeberbescheinigung - Bekanntgabe von Widerspruchsbescheiden -
sozialgerichtliches Verfahren
Leitsätze
Widerspruchsbescheide sind nach der seit 01.05.98 geltenden Fassung des § 85 III 1 SGG
nur noch bekannt zu geben und nicht mehr zuzustellen. Zweifel hinsichtlich des
Bekanntgabedatums wirken sich gem. § 37 II letzter Hs SGB X zu Lasten der Behörde aus.
Artikel 38 RÜG stellt eine Sonderregelung zu den allgemeinen Verfahrensvorschriften über
die Aufhebbarkeit von Feststellungsbescheiden dar. Seit dem 01.01.92 werden gem. § 22
As. 3 FRG bei Beitrags- und Beschäftigungszeiten, die nicht nachgewiesen sind, die
ermittelten Entgeltpunkte um 1/6 gekürzt. Grund für diese pauschale Kürzung ist, dass bei
einem fehlenden Nachweis von Beitragszeiten in diese Zeiten auch Zeiten einer
Arbeitsunfähigkeit oder sonstigen Arbeitsunterbrechung fallen können, für die der
Arbeitgeber keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichten musste. Die gesetzliche
Regelung geht hierbei von der Erfahrung aus, dass Beschäftigungszeiten im Durchschnitt
nur 5/6 mit Beiträgen belegt sind. Eine Anrechnung zu 6/6 kommt daher nur unter der
Voraussetzung in Betracht, dass das Gericht zu der
Überzeugung gelangt, dass im Einzelfall eine höhere Beitrags- oder Beschäftigungsdichte
erreicht ist. Diese Feststellung lässt sich erst dann treffen, wenn konkrete und
glaubwürdige Angaben über den Umfang der Beschäftigungszeiten und die dazwischen
liegenden Arbeitsunterberechungen vorliegen und letztere keinen Umfang von 1/6
erreichen. Der Nachweis der 6/6-Belegung kann nicht durch eine Bescheinigung eines
polnischen Arbeitgebers geührt werden, dass der Versicherte in dem streitigen Zeitraum in
vollem Umfang beschäftigt gewesen sei.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland
vom 27.04.2004 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die volle Anerkennung von in Polen zurückgelegten
Versicherungszeiten.
Die 1936 geborene Klägerin ist anerkannte Vertriebene. Mit Bescheid vom 08.08.1986
hatte die Beklagte den Versicherungsverlauf der Klägerin für die Zeit ab dem 25.01.1952
festgestellt. Mit Bescheid vom 21.01.1994 wurde der Klägerin eine
Erwerbsunfähigkeitsrente ab dem 01.04.1993 bewilligt. Hierbei wurden die
Beschäftigungszeiten in Polen vom 25.01.1952 bis 04.01.1975 nur zu 5/6 berücksichtigt.
Der Bescheid enthielt insoweit folgenden Hinweis:
Nachdem die Klägerin das am 12.04.1960 ausgestellte polnische Sozialversicherungsbuch
vorgelegt hatte, in dem für die Zeit ab dem 12.04.1960 sämtliche Zeiten der
Arbeitsunfähigkeit, Krankenhausaufenthalte, stationäre Heilbehandlungsmaßnahmen und
Kuraufenthalte aufgeführt waren, korrigierte die Beklagte mit Bescheid vom 05.07.1994
den Rentenbescheid dahingehend, dass die Zeit vom 12.04.1960 bis 04.01.1975 in
vollem Umfang (6/6) berücksichtigt wurde; hinsichtlich der davor liegenden
Beschäftigungszeiten verblieb es bei der Anrechnung zu 5/6.
Mit Bescheid vom 31.07.2001 wurde der Klägerin anstelle der bis dahin bezogenen
Erwerbsunfähigkeitsrente Regelaltersrente ab dem 01.11.2001 bewilligt, wobei die Zeiten
vom 25.01.1952 bis 11.04.1960 nach wie vor nur zu 5/6 berücksichtigt wurden.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein; im Widerspruchsverfahren
reichte sie eine Bescheinigung ihres früheren polnischen Arbeitgebers vom 22.10.2001 ein,
die eine Beschäftigungszeit vom 25.01.1952 bis 24.12.1965 auswies.
Der eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2002 als
unbegründet zurückgewiesen.
Gegen den am 11.01.2002 abgesandten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am
15.02.2002 Klage erhoben.
Zur Begründung hat sie u.a. vorgetragen, dass ein nicht unerheblicher Teil ihrer beruflichen
Tätigkeit in Polen erfolgt sei, wobei für die Zeit vom 14.04.1960 ein
Sozialversicherungsbuch existiert habe; ihre Tätigkeit habe jedoch bereits am 25.01.1952
begonnen. Die Beklagte hätte durch eine Anfrage bei der polnischen Versicherungsanstalt
in O. ohne weiteres klären können, inwieweit die Beschäftigungszeiten durch
Krankheitszeiten unterbrochen gewesen seien.
Das Sozialgericht für das Saarland (SG) hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit
Gerichtsbescheid vom 27.04.2004 abgewiesen.
Es hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass Bescheide, die außerhalb
einer Rentenbewilligung aufgrund der VuVO oder des Fremdrentenrechts Feststellungen
getroffen hätten, zu überprüfen seien, ob sie mit den zum Zeitpunkt des Rentenbeginns
geltenden Vorschriften des 6. Buches des Sozialgesetzbuchs, Gesetzliche
Rentenversicherung (SGB VI) übereinstimmten. Beginne eine Rente nach dem
31.07.1991, sei die für diese Rente nach diesem Zeitpunkt maßgebende Fassung des SGB
VI und des Fremdrentenrechts von ihrem Beginn an auch dann anzuwenden, wenn der
Feststellungsbescheid nach Satz 1 noch nicht durch einen neuen Feststellungsbescheid
ersetzt sei; der Feststellungsbescheid sei im Rentenbescheid mit Wirkung für die
Vergangenheit ohne Rücksicht auf die Voraussetzungen der §§ 24 und 48 des 10. Buches
des Sozialgesetzbuchs, Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X)
aufzuheben. Die Sätze 1 und 2 seien entsprechend auf Feststellungsbescheide
anzuwenden, die aufgrund des Gesetzes vom 12.03.1976 zu dem Abkommen vom
09.10.1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über
Renten- und Unfallversicherung nebst der Vereinbarung hierzu vom 09.10.1975 (BGBl
1976 II Seite 393), geändert durch Art. 20 des Rentenreformgesetzes 1992 vom
18.12.1989 (BGBl I Seite 2261; 1990 I Seite 1.337), ergangen seien (Art. 38
Rentenüberleitungsgesetz - RÜG). Nach § 22 Abs. 3 FRG würden für Beitrags- oder
Beschäftigungszeiten, die nicht nachgewiesen seien, die ermittelten Entgeltpunkte um 1/6
gekürzt. Zum Nachweis sei es erforderlich, dass aus den Unterlagen auch hervorgehe, ob
diese Zeiten eventuell durch Krankheitszeiten unterbrochen worden seien. Ein solcher
Nachweis liege erst am 12.04.1960 (Ausstellungsdatum des polnischen
Legitimationsbuches) vor. Die Kürzung um 1/6 vom 25.01.1952 bis 11.04.1960 sei zu
Recht erfolgt, da die vorgelegte Bescheinigung vom 22.10.2001 den gesetzlich normierten
Voraussetzungen nicht entspreche.
Gegen den am 04.05.2004 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 04.06.2004
bei Gericht eingegangene Berufung.
Zur Begründung trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, dass sowohl die Beklagte als auch
das SG im Rahmen ihrer Aufklärungspflicht verpflichtet gewesen seien, die entsprechenden
Auskünfte bei der polnischen Versicherungsanstalt in O. einzuholen. Der polnische
Versicherer habe auch die Zeit vom 25.01.1952 bis 30.09.1960 als Beitragszeit bestätigt,
wobei in dieser Zeit in vollem Umfang versicherungspflichtig gearbeitet worden sei ohne
irgendwelche mit Pflichtversicherungsbeiträgen unbelegten Zeiten. Das ergebe sich auch
aus der Bescheinigung vom 27.07.2004, wobei das darin enthaltene Wort „ wymiarze “
„in vollem Umfang“ bedeute. Die Bescheinigung besage auch eindeutig, dass nicht
bestätigte Zeiten nicht vorgelegen hätten.
Die Klägerin beantragt,
1. den Gerichtsbescheid des SG vom 27.04.2004 aufzuheben sowie den
Bescheid der Beklagten vom 31.07.2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 09.01.2002 abzuändern,
2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Regelaltersrente unter voller
Berücksichtigung der nur mit 5/6 angerechneten Beitrags- bzw.
Beschäftigungszeiten vom 25.01.1952 bis 11.04.1960 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
wobei sie zur Begründung im Wesentlichen vorträgt, dass die von dem polnischen
Versicherungsträger zur Verfügung gestellte Arbeitsbescheinigung inhaltlich identisch
bereits im Rentenverfahren zur Vorlage gekommen sei. Nach wie vor lasse diese Unterlage
nicht zweifelsfrei erkennen, dass und in welchem Umfang die Versicherungszeit,
insbesondere die streitgegenständliche Zeit, wegen Arbeitsunfähigkeit oder sonstiger
Fehlzeiten unterbrochen worden sei. Dies sei allerdings für einen vollständigen Nachweis
mit einer Anrechnung zu 6/6 unabdingbar.
Der Senat hat Anfragen gerichtet an den früheren polnischen Arbeitgeber der Klägerin und
den polnischen Versicherungsträger. Zu der Anfrage vom 17.02.2006 hat sich nur der
Arbeitgeber (mit Schreiben vom 09.03.2006) geäußert.
In dem am 10.02.2006 durchgeführten Termin zur mündlichen Verhandlung haben sich die
Beteiligten mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den weiteren
Akteninhalt sowie auf die Rentenakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung konnte im Einverständnis mit den Beteiligten ohne weitere mündliche
Verhandlung ergehen (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ).
Die von der Klägerin eingelegte Berufung, gegen deren Zulässigkeit keine Bedenken
bestehen, ist nicht begründet.
Die Klageabweisung durch das SG ist nicht schon deshalb als rechtmäßig anzusehen, weil
die Klagefrist von einem Monat nicht eingehalten worden wäre.
Gemäß § 87 Abs. 1 SGG in der seit 02.01.2002 geltenden Fassung ist die Klage binnen
eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Hat ein Vorverfahren
stattgefunden, so beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides (§
87 Abs. 2 SGG in der seit 01.01.2000 geltenden Fassung).
Im vorliegenden Fall ist der Widerspruchsbescheid vom 09.01.2002 nicht nach den
Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG - vgl. § 63 Abs. 2 SGG in der bis
30.06.2002 geltenden Fassung bzw. § 85 Abs. 3 Satz 2 SGG in der ab 01.07.2002
geltenden Fassung) zugestellt, sondern lediglich mit einfachem Brief durch die Post
versandt worden. Dies entsprach der mit Wirkung ab dem 01.05.1998 (vgl. Art. 4 Abs. 2
des 5. Gesetzes zur Änderung des SGG vom 30.03.1998, BGBl I Seite 638) geänderten
Fassung des § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG, wonach ein Widerspruchsbescheid nicht mehr den
Beteiligten zuzustellen, sondern nur noch bekannt zu geben ist.
Gemäß § 37 Abs. 2 SGB X gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der - wie im vorliegenden
Fall - durch die Post im Inland übermittelt wird, mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur
Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt
zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den
Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.
Ausweislich des darauf enthaltenen Abgangsvermerkes ist der Widerspruchsbescheid vom
09.01.2002 am 11.01.2002 an die Bevollmächtigten der Klägerin abgesandt worden,
sodass er gemäß § 37 Abs. 2 SGB X als am 14.01.2002 (Montag) bekannt gegeben gilt.
Nach dem nicht zu widerlegenden Vortrag der Klägerbevollmächtigten in der Klageschrift
vom 15.02.2002 ist der Widerspruchsbescheid aber erst am 15.01.2002 zugegangen;
gem. § 37 Abs. 2 letzter Halbsatz SGB X muss daher zugunsten der Klägerin von diesem
Datum ausgegangen werden.
Gemäß § 64 Abs. 1 SGG beginnt der Lauf einer Frist, soweit nichts anderes bestimmt ist,
mit dem Tag nach der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit dem Tag
nach der Eröffnung oder Verkündung. Eine nach Tagen bestimmte Frist endet mit dem
Ablauf ihres letzten Tages, eine nach Wochen oder Monaten bestimmte Frist mit dem
Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher nach
Benennung oder Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt (§
64 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Nach diesen Vorschriften endete die Monatsfrist des § 87 SGG im vorliegenden Fall mit
Ablauf des Freitag, des 15.02.2002; die am Nachmittag dieses Tages per Telefax
eingereichte Klage war folglich noch rechtzeitig.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist allerdings, wie das SG zu Recht entschieden
hat, nicht zu beanstanden.
Rechtsgrundlage für die Korrektur des Feststellungsbescheides vom 08.08.1986 war
Artikel 38 Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) vom 25.07.1991 (BGBl I 1991, 1606),
nunmehr in der durch das Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz (Rü-ErgG) vom 24. Juni
1993 (BGBl I 1993, 1038) geänderten Fassung. Danach sind Bescheide, die außerhalb
einer Rentenbewilligung aufgrund der Versicherungsunterlagen-Verordnung oder des
Fremdrentenrechts Feststellungen getroffen haben, zu überprüfen, ob sie mit den zum
Zeitpunkt des Rentenbeginns geltenden Vorschriften des SGB VI und des
Fremdrentenrechts übereinstimmen. Beginnt eine Rente nach dem 31.07.1991, so ist
gemäß Artikel 38 Satz 2 RÜG die für diese Rente nach diesem Zeitpunkt maßgebende
Fassung des SGB VI und des Fremdrentenrechts von ihrem Beginn an auch dann
anzuwenden, wenn der Feststellungsbescheid noch nicht durch einen neuen
Feststellungsbescheid ersetzt ist. Dies gilt entsprechend für Feststellungsbescheide, die
aufgrund des Gesetzes vom 12.03.1976 zu dem Abkommen vom 09.10.1975 zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und
Unfallversicherung nebst der Vereinbarung hierzu vom 09.10.1975 (BGBl 1976 II Seite
393), geändert durch Art. 20 des Rentenreformgesetzes 1992 vom 18.12.1989 (BGBl I
Seite 2261; 1990 I Seite 1.337), ergangen sind. Der Feststellungsbescheid ist hierbei im
Rentenbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit ohne Rücksicht auf die
Voraussetzungen der §§ 24 und 48 des 10. Buches des Sozialgesetzbuchs,
Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) aufzuheben. Artikel 38 RÜG
stellt damit eine Sonderregelung zu den allgemeinen Verfahrensvorschriften über die
Aufhebbarkeit von Herstellungsbescheiden dar. Dabei wurde durch das Rü-ErgG in einer
Ergänzung (BGBl I 1993, S. 1052) klargestellt, dass es bei der Aufhebung der früheren
Bescheide im Rentenverfahren keiner Anhörung bedarf und dass die Aufhebung unabhängig
vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 SGB X für die Vergangenheit möglich ist (vgl.
Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 28.03.2003, Az.: L 13 RJ 591/00).
Der Feststellungsbescheid vom 08.08.1986 ist mit dem Bescheid vom 21.01.1994 und
dem angefochtenen Bescheid vom 31.07.2001 auch insoweit zu Recht korrigiert worden,
als die streitbefangenen Versicherungszeiten vom 25.01.1952 bis 11.04.1960 nur mit 5/6
anerkannt worden sind.
Zwar stehen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 FRG in Verbindung mit § 1 lit. a) FRG bei einem
anerkannten Vertriebenen - wie der Klägerin - Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen
Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht
zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Für die Feststellung derartiger Beitragszeiten genügt
es gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 FRG grundsätzlich auch, dass sie glaubhaft gemacht werden.
Wie sich aus § 4 Abs. 1 Satz 2 FRG ergibt, ist eine Tatsache glaubhaft gemacht, wenn ihr
Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren
Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Für die Glaubhaftmachung
ist es demgemäß ausreichend, wenn bei Würdigung aller Gesamtumstände die gute
Möglichkeit besteht, dass sich der Vorgang so, wie es behauptet wird, zugetragen hat, und
wenn für das Vorliegen dieser Möglichkeit trotz verbleibender begründeter Zweifel letztlich
mehr spricht als dagegen. Der vollständige Beweis (Nachweis) ist demgegenüber
regelmäßig erst dann geführt, wenn für das Vorliegen der behaupteten rechtserheblichen
Tatsachen ein derart hoher, an Gewissheit grenzender Grad von Wahrscheinlichkeit spricht,
dass kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt
(vgl. Hessisches LSG vom 28.03.2003 a.a.O.).
Die bis zum 31.12.1991 geltende Vorschrift des § 19 Abs. 2 FRG, wonach die Zeit einer
ununterbrochenen Beschäftigung von mindestens 10 Jahren bei demselben Arbeitgeber in
vollem Umfang anzurechnen war, ist aber auf Versicherungsfälle ab dem 01.01.1992 nicht
mehr anzuwenden. Seither gilt gem. § 22 Abs. 3 FRG in der Fassung des RÜG, dass für
Beitrags- und Beschäftigungszeiten, die nicht nachgewiesen sind, die ermittelten
Entgeltpunkte um 1/6 gekürzt werden. Grund für diese pauschale Kürzung ist, dass bei
einem fehlenden Nachweis von Beitragszeiten in diese Zeiten auch Zeiten einer
Arbeitsunfähigkeit oder sonstigen Arbeitsunterbrechung fallen können, für die der
Arbeitgeber keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichten musste. Die gesetzliche
Regelung geht hierbei von der Erfahrung aus, dass Beschäftigungszeiten im Durchschnitt
nur zu 5/6 mit Beiträgen belegt sind (vgl. Urteil des LSG Baden-Württemberg vom
11.12.2000, Az.: L 9 RJ 2551/98). Eine Anrechnung zu 6/6 kommt daher nur unter der
Voraussetzung in Betracht, dass das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass im
Einzelfall eine höhere Beitrags- oder Beschäftigungsdichte erreicht ist. Diese Feststellung
lässt sich erst dann treffen, wenn konkrete und glaubwürdige Angaben über den Umfang
der Beschäftigungszeiten und die dazwischen liegenden Arbeitsunterbrechungen vorliegen
und letztere keinen Umfang von 1/6 erreichen (vgl. beispielsweise Urteil des LSG Baden-
Württemberg vom 11.12.2000, Az.: L 9 RJ 2551/98; BSG-Urteil vom 20.08.1974, Az.: 4
RJ 241/73 = BSGE 38, 80; BSG-Urteil vom 09.11.1982, Az.: 11 RA 64/81 = SozR 5050 §
15 Nr. 23). Hierbei reichen die alleinigen Bekundungen des jeweiligen Versicherten nicht
aus, um einen derartigen Nachweis erbringen zu können.
Auch im vorliegenden Fall ist ein Nachweis einer über die 5/6-Belegung hinausgehenden
Belegung mit Beitragszeiten hinsichtlich des streitbefangenen Zeitraums nicht erbracht.
Das vorgelegte Sozialversicherungsbuch enthält lediglich hinsichtlich des Zeitraums ab dem
12.04.1960 einen lückenlosen Nachweis über Zeiten der Arbeitsunterbrechung; nach dem
eigenen Vortrag der Klägerin ist in der Zeit davor kein Sozialversicherungsbuch geführt
worden. Auch durch die nunmehr im Berufungsverfahren vorgelegte Bescheinigung des
polnischen Rentenversicherungsträgers ist kein Nachweis einer über 5/6 hinausgehenden
Belegung erbracht worden, da hierin lediglich die Gesamtbeschäftigungszeiten
ausgewiesen sind, ohne dass erkennbar wäre, in welchem zeitlichen Umfang
Arbeitsunterbrechungen aufgetreten waren. Gleiches gilt für die bereits im
Verwaltungsverfahren vorgelegte Bescheinigung vom 22.10.2001, die inhaltsgleich
nunmehr nochmals als Bescheinigung vom 27.07.2004 eingereicht worden ist. Hierbei
vermag auch die Bestätigung, dass in der Zeit vom 25.01.1952 bis 24.12.1965 eine
Beschäftigung „in vollem Ausmaß“ (polnisch: w pełnym wymiarze ) ausgeübt worden ist,
nicht den für die Anerkennung einer 6/6-Belegung erforderlichen Nachweis zu liefern, ob
und gegebenenfalls in welchem Umfang Arbeitsunterbrechungen eingetreten sind. Auch die
ergänzend an den früheren Arbeitgeber und den polnischen Versicherungsträger gerichtete
Anfrage hat insoweit keine weitergehenden Erkenntnisse erbracht. Die mit Schreiben vom
09.03.2006 vom früheren Arbeitgeber übersandte Arbeitsbescheinigung mit dem Datum
09.03.2006 ist identisch mit der bereits im Klageverfahren vorgelegten Bescheinigung;
dass darin keine Angaben über Unterbrechungszeiten enthalten sind, rechtfertigt nicht den
Schluss, dass derartige Zeiten tatsächlich niemals aufgetreten sind. Der polnische
Versicherungsträger hat sich zu der Anfrage des Senats nicht geäußert; dies ist auch
nachvollziehbar im Hinblick darauf, dass die Arbeitsbescheinigung und das Schreiben des
Arbeitgebers vom 09.03.2006 ausweislich des Inhalts dieses Schreibens an die
Versicherungsanstalt in O. zur Kenntnisnahme weitergeleitet worden ist.
Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) lagen nicht vor.