Urteil des LSG Saarland vom 07.12.2004

LSG Saarbrücken: diabetes mellitus, verkehrsmittel, behinderung, soziale sicherheit, mukoviszidose, anerkennung, beschränkung, gesundheit, gefahr, unverzüglich

LSG Saarbrücken Urteil vom 7.12.2004, L 5 SB 100/03
Schwerbehindertenrecht - Merkzeichen B - Kind - Mukoviszidose
Leitsätze
Bei der Vergabe des Merkzeichens " B " an Kinder sind die selben Kriterien wie bei
Erwachsenen mit den gleichen Gesundheitsstörungen maßgebend. Bei einem
schwerbehinderten Kind, bei dem bereits die Voraussetzungen für das Merkzeichen " H "
vorliegen und das an Mukovisidose leidet, ist die Vergabe des Mekzeichens " B " deshalb
gerechtfertigt, da das Kind an unkontrolliert auftretenden Hustenattacken, auch mit
Blaufärbung, leidet und deshalb bei der Benutzung - vergleiche mit einer Anfallskranken -
von öffentlichen Verkehrsmitteln auf fremde Hilfe angewiesen ist.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 21.
Juli 2003 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin auch die im Berufungsverfahren angefallenen
außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren noch darüber, ob bei der Klägerin die
medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" gegeben sind.
Die am 1999 geborene Klägerin leidet an Mukoviszidose.
Am 04. September 2001 beantragte die Klägerin die Anerkennung einer Behinderung. Der
ehemalige Beklagte, das Saarland, vertreten durch den Direktor des Landesamtes für
Jugend, Soziales und Versorgung, forderte einen Befundbericht der Ärztin für
Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Dr. L.S., N., vom 19. September 2001 an, dem ein
Kurzbrief des Prof. Dr. D., Universitätskliniken des Saarlandes, Klinik für Kinder- und
Jugendmedizin, Mukoviszidose(CF-) Zentrum H., beigefügt war.
Mit Bescheid vom 07. November 2001 stellte der damalige Beklagte bei der Klägerin einen
Grad der Behinderung (GdB) von 50 sowie die Voraussetzungen des Merkzeichens "H"
fest.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 20. November 2001 Widerspruch ein mit der
Begründung, ihr stehe das Merkzeichen "B" zu. Die Klägerin reichte einen weiteren
Befundbericht der Ärztin Dr. L.S. vom 20. November 2001 zu den Akten. Der um
Stellungnahme gebetene ärztliche Dienst des damaligen Beklagten vertrat am 10.
Dezember 2001 die Auffassung, bereits rechtliche Gesichtspunkte legten fest, dass Kinder,
die das vierte Lebensjahr noch nicht vollendet hätten, alleine öffentliche Verkehrsmittel
nicht benutzen dürften. Schon deshalb sei die Anerkennung des Merkzeichens "B" bei dem
erst zwei Jahre alten Kind nicht möglich. Aber auch aus medizinischer Sicht lägen keine
spezifischen Funktionsstörungen vor (Orientierungsstörung, Verlust beider Hände oder
großer Teile der oberen Extremitäten).
Mit Bescheid vom 08. April 2002 wies der damalige Beklagte den Widerspruch der Klägerin
als unbegründet zurück. Zur Begründung war ausgeführt, dass auch bei Säuglingen und
Kleinkindern bei der Beurteilung der Notwendigkeit ständiger Begleitung dieselben Kriterien
maßgebend seien wie bei Erwachsenen mit gleichen gesundheitlichen
Gesundheitsstörungen. Dementsprechend sei zu beachten, ob bei Benutzung öffentlicher
Verkehrsmittel regelmäßig fremde Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt
des Verkehrsmittels notwendig sei oder bereit sein müsse und ob Hilfen zum Ausgleich von
Orientierungsstörungen erforderlich seien. Aus medizinischer Sicht seien keine spezifischen
Funktionsstörungen gegeben, die die Vergabe des Merkzeichens "B" rechtfertigten.
Hiergegen hat sich die Klage vom 07. Mai 2002, beim Sozialgericht für das Saarland (SG)
am 10. Mai 2002 eingegangen, gerichtet. Die Klägerin hat ursprünglich die Feststellung
begehrt, dass bei ihr ein GdB von 100 sowie die Voraussetzungen für die Vergabe des
Merkzeichens "B" vorliegen. Sie hat dazu geltend gemacht, es widerspreche der Logik,
wenn ihr, der Klägerin, das Merkzeichen "B" verweigert werde. Aufgrund ihrer Hilflosigkeit
sei sie unabhängig von ihrem Alter bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zur
Vermeidung erheblicher Gefahren auf fremde Hilfe angewiesen. Sie müsse aufgrund ihrer
Erkrankung ohnehin bis zur Vollendung ihres vierten Lebensjahres unentgeltliche
Beförderung im öffentlichen Nahverkehr in Anspruch nehmen. Zu diesen
krankheitsbedingten Terminen müsse sie von einem Elternteil begleitet werden. Ihre Eltern
besäßen keinen PKW und seien auf die Inanspruchnahme des öffentlichen Nahverkehrs
angewiesen. Eine ständige behinderungsbedingte Begleitung sei erforderlich, da nur
dadurch gewährleistet werden könne, dass bei einem jederzeit möglichen Hustenanfall
unverzüglich sachgerecht reagiert werden könne. Ohne die Begleitung von erwachsenen
Personen sei sie einer erheblichen Gesundheitsgefährdung ausgesetzt. Im Übrigen liege
neben der Mukoviszidose noch eine Fütter- und Gedeihstörung vor, die einen GdB von 100
rechtfertige.
Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Prof. Dr. D., H., vom
16. Januar 2003, das durch die am 05. März 2003 eingegangene Stellungnahme ergänzt
worden ist. Der Sachverständige Prof. Dr. D. hat die Auffassung vertreten, dass ein GdB
von 50 angemessen sei, aber auch das Merkzeichen "B" vergeben werden müsse. Es
komme seiner Meinung nach darauf an, dass die sozialen Nachteilsausgleiche für die
Klägerin so gestaltet seien, dass alle notwendigen Besuche von Therapieeinrichtungen
ermöglicht werden könnten.
Mit Urteil vom 21. Juli 2003 hat das SG unter Abänderung des Bescheides vom 07.
November 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08. April 2002 den
Beklagten verpflichtet, der Klägerin das Merkzeichen "B" zuzuerkennen. Im Übrigen wurde
die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass der Sachverständige
Prof. Dr. D. in seinem Gutachten die Höhe des GdB bestätigt habe. Das Gutachten sei
allerdings wenig hilfreich, soweit es um die Vergabe des Merkzeichens "B" gehe. Gleichwohl
sei dieses Merkzeichen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des
Landessozialgerichts für das Saarland (LSG) zuzuerkennen. Der insbesondere vom
Bayerischen Landessozialgericht (Bay.LSG) in seinem Urteil vom 14. August 1990 (AZ: L
15 Vs 144/89) vertretenen Auffassung, bei einem zweijährigen Kind könnten die
Voraussetzungen für das Merkmal "B" nicht vorliegen, sei das LSG nicht gefolgt. Während
das Bay. LSG die Auffassung vertrete, dass ein Kleinkind allein aufgrund seines
Lebensalters bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe
angewiesen sei, habe das LSG den Standpunkt vertreten, das Merkzeichen "B" könne allein
wegen der atypischen, dem Lebensalter nicht naturgemäß zuzuordnenden
Beeinträchtigung zuerkannt werden. Es müsse abgestellt werden auf die Angewiesenheit
des Schwerbehinderten auf regelmäßig fremde Hilfe bezogen auf die Benutzung
öffentlicher Verkehrsmittel. Dabei sei zu beachten, ob bei der Benutzung von öffentlichen
Verkehrsmitteln regelmäßig fremde Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt
des Verkehrsmittels notwendig sei oder bereit sein müsse oder ob Hilfe zum Ausgleich von
Orientierungsstörungen erforderlichen sei. Diese Voraussetzungen habe das LSG bei einem
fünfjährigen Kind mit Diabetes mellitus juvenilis als erfüllt angesehen. Dieses Kind bedürfe
wegen der Gefahr eines hypoglykämischen Schocks und zur Dosierung des Insulins zur
Vermeidung einer Über- und Unterzuckerung der ständigen Überwachung. Der gleiche
Überwachungsbedarf bestehe aber, so das SG, auch bei der Klägerin, weil dadurch
gewährleistet werden könne, dass bei dem jederzeit möglichen plötzlichen Auftreten von
akuten Krankheitssymptomen unverzüglich Hilfe geleistet werde.
Gegen dieses Urteil, das dem ehemaligen Beklagten am 20. August 2003 zugestellt
worden ist, hat dieser mit Schriftsatz vom 01. September 2003, am 03. September 2003
beim LSG eingegangen, Berufung eingelegt.
Der ehemalige Beklagte hat vorgetragen:
Der Beurteilung des SG, in vorliegendem Fall sei der Klägerin das Merkzeichen "B"
zuzubilligen, könne nicht gefolgt werden. Zu Recht sei zwar das SG der Auffassung des
Bay. LSG in dessen Urteil vom 14. August 1990 nicht gefolgt. Die darin vertretene Meinung
werde weder von dem dortigen Ministerium noch von dem Bundesministerium für Arbeit
und Sozialordnung oder von dem hiesigen Ministerium für Frauen, Arbeit, Gesundheit und
Soziales geteilt (vgl. Rundschreiben vom 08. Oktober 1991, VIb 5/55490 (-2) und
Schreiben vom 28. Oktober 1991, CV/2/7100.3/7100.14/91). Obwohl das Merkzeichen
"G" bei der Klägerin nicht vorliege, gehöre diese nach der Neufassung der Anhaltspunkte für
die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem
Schwerbehindertenrecht, herausgegeben vom Bundesministerium für Gesundheit und
Soziale Sicherung, jetzt: Rechtsstand 2004, (AHP), zum möglichen Personenkreis, da das
Merkmal "H" anerkannt worden sei. Voraussetzung für die Anerkennung des Merkzeichens
"B" bei Kleinkindern sei also ausschließlich die entsprechende gesundheitliche
Einschränkung. Das im erstinstanzlichen Verfahren erstellte, äußerst kurz gehaltene
Gutachten von Prof. Dr. D. sei in diesem Zusammenhang, wie bereits das SG in seinem
Urteil ausgeführt habe, wenig hilfreich. Die Auffassung, es liege ein vergleichbarer Fall wie
bei einem fünfjährigen Kind mit Diabetes mellitus juvenilis vor, könne nicht geteilt werden.
Die Gewährung des Merkzeichens "B" bei drohender Hypoglykämie sei ein medizinischer
Sachverhalt, der plötzlich und unerwartet bei einem labilen Diabetes mellitus auftreten
könne. Dann bestehe selbstverständlich ein schneller Hilfebedarf und gegebenenfalls auch
eine Orientierungslosigkeit der betroffenen kranken Person. Der Hilfebedarf bei
Mukoviszidose sei allerdings durch andere Lebensumstände gekennzeichnet. Eine
besondere Zuwendung sei in regelmäßiger Folge des Tagesablaufes durch Inhalation und
Durchführung bestimmter Massageübungen erforderlich. Diese Hilfsmaßnahmen würden
aber nicht während eines Transportes durchgeführt und seien dann auch nicht notwendig.
Es bestehe bei Kleinkindern nicht die Gefahr einer plötzlichen Orientierungslosigkeit durch
eintretenden Bewusstseinsverlust, wie er bei labilen Diabetikern eintreten könne.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 21. Juli 2003 zu ändern und die Klage
abzuweisen.
Die Klägerin, die im April 2004 in den Zuständigkeitsbereich des jetzigen Beklagten
gezogen ist, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Prof. Dr. K.,
ehemaliger Direktor der Landeskinderklinik N.- K., akademisches Lehrkrankenhaus, N., vom
27. April 2004 zu der Frage, ob bei der Klägerin die Voraussetzungen für die Vergabe des
Merkzeichens "B" gegeben sind. Wegen des Ergebnisses des Gutachtens wird auf den
Inhalt der Akte Bezug genommen.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des sonstigen Verfahrensganges
wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Es wird auch Bezug genommen auf den
Inhalt der Verwaltungsakte des Beklagten mit dem AZ: X.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat in dem angegriffenen Urteil vom
21. Juli 2003 zu Recht festgestellt, dass bei der Klägerin die gesundheitlichen
Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "B" vorliegen und deshalb der
angefochtene Bescheid vom 07. November 2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 08. April 2002 insoweit zu ändern ist.
Gegenstand der Berufung ist indes nicht die Frage, ob die ursprünglich erhobene Klage,
soweit sie auf die Feststellung eines höheren GdB gerichtet war, zulässig war. Die
Widerspruchsbegründung gegen den Bescheid vom 07. November 2001 beschränkte sich
auf das Merkzeichen "B". Der Widerspruchsbescheid vom 08. April 2002 wies den
Widerspruch zwar als unbegründet zurück, setzte sich inhaltlich allerdings nur mit den
Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "B" auseinander. Das SG hat aber
gleichwohl in seinem Urteil vom 21. Juli 2003 Feststellungen darüber getroffen, welche
Höhe des GdB angemessen ist. Dies ist auch sachgerecht, da im Zweifel anzunehmen ist,
dass mit der Einlegung des Widerspruchs eine Überprüfung im vollen Umfang gewollt ist.
Selbst die Beschränkung der Begründung auf einzelne Teile ist kein ausreichender Anhalt
für eine Beschränkung des eingelegten Widerspruchs (vgl. zur Problematik:
Bundessozialgericht (BSG), Die soziale Sicherheit (SozSich) 1979, Seite 185).
Dies kann indes offen bleiben, da Gegenstand der Berufung nur ist, ob bei der Klägerin die
Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "B" vorliegen.
Nachdem die Klägerin im April 2004 mit ihren Eltern nach O.M. umgezogen ist, ist nach § 3
des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung ein
Zuständigkeitswechsel bei den Versorgungsämtern eingetreten. Nunmehr zuständig ist das
Land Hessen, vertreten durch den Regierungspräsidenten des Regierungspräsidiums
Gießen.
In der Sache steht nach Einholung des Gutachtens des Prof. Dr. K. zur Überzeugung des
Senates fest, dass bei der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen für die
Feststellung des Merkzeichens "B" vorliegen.
Sind nach § 69 Abs. 4 des 9. Buchs des Sozialgesetzbuchs - Rehabilitation und Teilhabe
behinderter Menschen - (SGB IX) neben dem Vorliegen einer Behinderung weitere
gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von
Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes
(BVG) zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach Absatz 1.
Nach § 69 Abs. 5 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die
Durchführung des BVG zuständigen Behörden aufgrund einer Feststellung der Behinderung
einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie im Falle
des Absatzes 4 über weitere gesundheitliche Merkmale aus.
Ziffer 32 Abs. 1 AHP sieht dazu vor, dass auch bei Säuglingen und Kleinkindern die
gutachtliche Beurteilung der Notwendigkeit ständiger Begleitung erforderlich ist. Für die
Beurteilung sind dieselben Kriterien wie bei Erwachsenen mit gleichen
Gesundheitsstörungen maßgebend. Es ist nicht zu prüfen, ob tatsächlich diesbezüglich
behinderungsbedingte Nachteile vorliegen oder behinderungsbedingte Mehraufwendungen
entstehen.
Nach Ziffer 32 Abs. 2 Satz 1 AHP und § 146 Abs. 2 SGB IX ist ständige Begleitung bei
schwerbehinderten Menschen (bei denen die Voraussetzungen für die Merkzeichen "G"
oder "H" vorliegen) notwendig, die infolge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren
für sich oder andere bei Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig auf fremde
Hilfe angewiesen sind.
Dementsprechend ist nach Ziffer 32 Abs. 2 Satz 2 AHP zu beachten, ob bei der Benutzung
öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig fremde Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während
der Fahrt des Verkehrsmittels notwendig ist oder bereit sein muss oder ob Hilfen zum
Ausgleich von Orientierungsstörungen (z.B. bei Sehbehinderungen, geistiger Behinderung)
erforderlich sind. Nach Ziffer 32 Abs. 3 AHP ist die Notwendigkeit ständiger Begleitung
anzunehmen bei Querschnittsgelähmten, Ohnhändern, Blinden und den in Nr. 30 Abs. 4
und 5 genannten geistig behinderten Menschen und Anfallskranken, bei denen die
Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr
gerechtfertigt ist.
Nach Durchführung der Beweisaufnahme durch Einholung des Sachverständigengutachtens
Prof. Dr. K. ist der Senat davon überzeugt, dass bei der Klägerin diese Voraussetzungen zu
bejahen sind. Bei der Klägerin, bei der gemäß Ziffer 32 Abs. 2 AHP das Merkzeichen "H"
vorliegt, ist eine ständige Begleitung notwendig, da sie infolge ihrer Behinderung, der
Mukoviszidose, zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere bei Benutzung von
öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen ist.
Auch von dem Beklagten selbst wird nicht mehr die ursprüngliche Argumentation
aufrechterhalten, wie noch vom Bay. LSG im Urteil vom 14. August 1990 vertreten (AZ: L
15 Vs 144/89), dass bei einem Kind unter vier Jahren die Zuerkennung des
Nachteilsausgleichs "B" nicht möglich sei. Wie das BSG in seinem Urteil vom 12. Februar
1997 ausdrücklich klargestellt hat (AZ: 9 RVs 1/95) und was sich auch aus Ziffer 32 AHP
ergibt, hängt die Zuerkennung der Merkzeichen "G", "aG" und "B" nicht von der Vollendung
eines bestimmten Lebensjahres ab. Die Voraussetzungen dieser Nachteilsausgleiche
könnten auch bei behinderten Säuglingen und Kleinkindern vorliegen, und zwar selbst dann,
wenn deren Behinderung nicht zu Nachteilen gegenüber gleichaltrigen gesunden Kindern
führt. Denn Maßstab für diese Merkzeichen sei ausnahmsweise nicht der Vergleich mit
gleichaltrigen Nichtbehinderten. Vielmehr komme es darauf an, ob die festgestellten
Gesundheitsstörungen bei Erwachsenen die Zuerkennung der genannten
Nachteilsausgleiche rechtfertigen würden. Diese Besonderheit stehe im Zusammenhang
mit der Abschaffung der Mindestaltersgrenze von sechs Jahren für den Anspruch auf
unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr, die gesetzlich vorgeschrieben
gewesen sei. Bei der Einbeziehung des Rechts der unentgeltlichen Personenbeförderung in
das Schwerbehindertengesetz habe der Regierungsentwurf zunächst eine Altersgrenze von
vier Jahren vorgesehen. Sie sei jedoch auf Vorschlag des 11. Ausschusses gestrichen
worden (vgl. Bundestagsdrucksache 8/2696, Seite 5 und 17). Diese Rechtsentwicklung
habe dazu geführt, dass bei den mit der Fortbewegung zusammenhängenden Merkzeichen
"G", "aG" und "B" für ausreichend gehalten werde, wenn eine bestimmte
Gesundheitsstörung die entsprechenden Funktionen eines erwachsenen Behinderten im
erforderlichen Ausmaß beeinträchtigen würde. Dieser Maßstab erscheine auch unter dem
Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass bei der Beförderung von behinderten Säuglingen und
Kleinkindern in öffentlichen Verkehrsmitteln behinderungsbedingte Mehraufwendungen
entstehen könnten, ohne dass dies im Einzelfall zutreffen müsse (vgl. zur Problematik so
auch bereits LSG, Urteil vom 25. August 1994, L 1/2 Vs 15/94).
Es kommt also vorliegend bei der Prüfung darauf an, ob die festgestellte
Gesundheitsstörung, die Mukoviszidose, bei Erwachsenen die Zuerkennung des genannten
Nachteilsausgleichs rechtfertigen würde. Das ist dann der Fall, wenn auch ein Erwachsener
mit dieser Gesundheitsstörung bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig
auf fremde Hilfe angewiesen wäre oder wenn Hilfen zum Ausgleich von
Orientierungsstörungen erforderlich wären. Die Klägerin fällt zwar nicht unter Regelbeispiele
Querschnittsgelähmter, Ohnhänder oder Blinder nach Ziffer 32 Abs. 3 AHP. Nach den
Feststellungen des Sachverständigen Professor Dr. K. ist die Schlussfolgerung
gerechtfertigt, die Klägerin einer Anfallskranken, bei der die Annahme einer erheblichen
Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr geboten ist, gleichzusetzen.
Der Sachverständige hat in seinem Gutachten festgestellt, dass während der ambulanten
Untersuchung der Klägerin diese von zwei Hustenattacken heimgesucht worden sei,
darunter eine mit neun Hustenstößen und Zyanose. Diese Feststellung rechtfertigt nach
Auffassung des Senats durchaus die Notwendigkeit ständiger Begleitung bei der Benutzung
öffentlicher Verkehrsmittel. Nach dem Zweck der Vorschrift, bei der Benutzung öffentlicher
Verkehrsmittel infolge der Behinderung bestehende Gefahren zu vermeiden, kann die durch
die Gesundheitsstörung begründende Möglichkeit des Eintritts eines schädigenden
Ereignisses, hier etwa der erneute Auftritt einer Hustenattacke, verbunden mit einer
Blaufärbung, durch die Anwesenheit einer Begleitperson ausgeschlossen oder verringert
werden. Selbst bei einer erwachsenen Person mit einer entsprechenden
Gesundheitsstörung würde eine Hustenattacke mit einer Blaufärbung während der
Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu einer Orientierungslosigkeit führen, die eine Hilfe
Dritter erforderlich machen würde.
Zwar ist in der Rechtsprechung zuweilen auch gefordert worden, dass bei der
Notwendigkeit ständiger Begleitung neben dem Element der Regelmäßigkeit als weitere
Voraussetzung auch ein Element der Dauer vorliegt (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17.
Oktober 1996, AZ: L 4 Vs 145/95).
Nach den Erklärungen des Vaters der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ist der Senat
indes davon überzeugt, dass auch diese beiden Voraussetzungen vorliegend zu bejahen
sind. Der Vater der Klägerin hat nämlich ausgeführt, dass die Hustenattacken plötzlich und
nicht anlassbezogen auftreten würden, zuweilen bis zu sechsmal am Tag. Die dann zu
leistende Hilfe müsse individuell eingeschätzt werden, zuweilen genüge Inhalation, im
schlimmsten Falle bedürfe es einer Behandlung im Krankenhaus. Bei dieser Häufigkeit und
mitunter Schwere der Hustenattacken steht für den Senat außer Zweifel, dass sowohl das
Kriterium der Regelmäßigkeit als auch das der Dauer gegeben ist. Es handelt sich gerade
nicht um vereinzelte, mitunter auch vorhersehbare Anfälle, die dem Sachverhalt des Urteils
des LSG Rheinland-Pfalz zugrunde lagen. Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.