Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 05.03.2008

LSG NRW: verwaltungsverfahren, kov, auflage, arbeitslosigkeit, sachliche zuständigkeit, geeignete stelle, juristische person, historische auslegung, gewöhnlicher aufenthalt, begriff

Landessozialgericht NRW, L 10 V 9/05
Datum:
05.03.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 10 V 9/05
Vorinstanz:
Sozialgericht Detmold, S 12 V 20/01
Sachgebiet:
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts
Detmold vom 20.01.2005 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Kosten haben die Beteiligten einander in beiden Rechtszügen nicht zu
erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Streitig ist ein Anspruch auf Berufsschadensausgleich (BSA) wegen vorzeitigen
Ausscheidens aus dem Erwerbsleben.
2
Der am 00.00.1925 geborene Kläger, der von 1932 bis 1940 die Volksschule besuchte,
begann in der Zeit vom 01.04.1942 bis zum 31.08.1943 eine Lehre zum
Fernmeldehandwerker bei der Reichspost, welche am 01.10.1943 mit der Einziehung
zum Wehrdienst vorzeitig beendet wurde. Nach seinem Dienst bei der Deutschen
Wehrmacht von 1943 bis zum 30.03.1948 befand sich der Kläger in russischer
Kriegsgefangenschaft. Wegen deren Auswirkungen wurde bei ihm zuletzt nach dem
Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit Bescheid vom 01.02.1963 eine
Lungentuberkulose als Schädigungsfolge mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit
(MdE) - jetzt: Grad der Schädigungsfolgen (GdS) - von 40 vom Hundert (v.H.) anerkannt.
3
Nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft arbeitete der Kläger seit dem
12.07.1948, unterbrochen durch eine Rentenbezugszeit vom 01.08.1953 bis
31.05.1955, als Hilfsarbeiter und technischer Angestellter bei der Firma Kochs-Adler
AG. Das Beschäftigungsverhältnis wurde von ihm durch Eigenkündigung zum
31.08.1984 beendet. Seit dem 01.09.1984 war der Kläger arbeitslos. Als solches war er
auch beim zuständigen Arbeitsamt gemeldet, erhielt aber zunächst keine Leistungen der
Arbeitsverwaltung. Seit dem 27.10.1984 bezog er Arbeitslosengeld.
4
Mit Bescheid vom 09.02.1984 nach dem damaligen Schwerbehindertengesetz
(SchwbG) wurde bei ihm eine seinerzeit so bezeichnete Gesamt-MdE von 50
festgestellt. Dem lagen zu Grunde:
5
1. inaktives Lungenleiden, Rippenfellschwarten (MdE 40) 2. rückfälliges
Wirbelsäulensyndrom (MdE 20) 3. Vorsteherdrüsenleiden (MdE 10) 4. neuro-vegetative
Fehlsteuerung mit Magenleiden (MdE 10).
6
Seit dem 01.09.1985 erhält der Kläger Altersrente bzw. Altersruhegeld als anerkannter
Schwerbehinderter.
7
Seinen Antrag vom 09.08.1985 auf u.a. BSA hat das Versorgungsamt C mit Bescheid
vom 17.09.1985 abgelehnt. Ein evtl. Einkommensverlust sei nicht ursächlich auf die
anerkannte Schädigungsfolge zurückzuführen; nach telefonischer Auskunft des
Arbeitsamts C habe der Kläger das bestehende Arbeitsverhältnis 1984 aus
gesundheitlichen Gründen selbst gekündigt; diese Kündigung sei nach Auskunft des
Arbeitsamtes jedoch nicht gerechtfertigt gewesen; BSA stehe demnach nicht zu.
8
Am 13.09.1999 hat der Kläger erneut BSA beantragt. Er sei mit dem 60. Lebensjahr aus
dem Erwerbsleben ausgeschieden. Dies sei ihm deswegen möglich gewesen, weil er
wegen seiner Schwerbehinderung die Bedingungen für die Altersrente erfüllt habe. Sein
Renteneinkommen sei gemindert. In der Zeit vom 25.09.1951 bis zum 31.05.1955 habe
er infolge schädigungsbedingter Arbeitsunfähigkeitszeiten keine Arbeitsleistung
erbringen können. Ihm seien daher geringere Lohnersatzleistungen gezahlt worden.
9
Die Versorgungsverwaltung hat es mit Bescheid vom 30.06.2000 und
Widerspruchsbescheid vom 05.01.2001 abgelehnt, den Bescheid vom 17.09.1985 nach
§ 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) zu ändern und dem Kläger
BSA zu bewilligen. Der Kläger habe sein Arbeitsverhältnis mit 59 Jahren aus eigenem
Antrieb gekündigt; gesundheitliche Gründe seien hierfür nicht maßgebend gewesen.
10
Diese Entscheidung hat der Kläger mit einer am 05.02.2001 zum Sozialgericht (SG)
Detmold erhobenen Klage angegriffen. Er habe von 1950 bis 1955, also seit dem
Aufflackern der Tuberkulose, einen erheblichen beruflichen "Knick" mit
Minderverdiensten, einem Rentenbezug vom 01.08.1953 bis 31.05.1955 und
langfristigen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit hinnehmen müssen. Dies habe zu einem
schädigungsbedingt erheblichen Rentenverlust geführt. Er sei schädigungsbedingt
vorzeitig, nämlich unter Inanspruchnahme einer Altersrente für Schwerbehinderte aus
dem Erwerbsleben ausgeschieden. Aus schädigungsunabhängigen Gründen hätte er
nicht ausscheiden können, Voraussetzung hierfür für eine Altersrente wegen
Arbeitslosigkeit wäre eine einjährige Arbeitslosigkeit gewesen. Diese habe im Zeitpunkt
der Inanspruchnahme des Altersruhegeldes wegen schädigungsbedingter
Schwerbehinderung nicht vorgelegen.
11
Der Kläger hat während des Klageverfahrens sein Begehren nur noch auf die
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum schädigungsbedingten
vorzeitigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gestützt und im Verhandlungstermin
vor dem SG seinen Klageantrag dahingehend eingeschränkt,
12
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 30.06.2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 05.01.2001 zu verurteilen, den Bescheid vom 17.09.1985
zurückzunehmen und ab Januar 1995 Berufsschadensausgleich nach Maßgabe der
gesetzlichen Vorschriften wegen eines schädigungsbedingten Ausscheidens aus dem
Erwerbsleben zu gewähren.
13
Der vormalige Beklagte, das Land Nordrhein-Westfalen (NRW), hat beantragt,
14
die Klage abzuweisen.
15
Die angefochtenen Bescheide seien nicht zu beanstanden. Der Kläger habe sein
Arbeitsverhältnis mit 59 Jahren aufgelöst und sei aus schädigungsfremden Gründen aus
dem Erwerbsleben ausgeschieden.
16
Das SG hat eine Auskunft der Nachfolgegesellschaft des ehemaligen Arbeitgebers des
Klägers, der Dürrkopf-Adler AG eingeholt. Diese hat mitgeteilt, dass der Kläger bis zum
31.08.1884 bei der Vorgängerfirma beschäftigt gewesen sei und seit dem 01.09.1984
eine Werksrente beziehe.
17
Das SG hat mit Urteil vom 20.01.2005 das Land NRW unter Aufhebung der Bescheide
vom 30.06.2000 und 05.01.2001 antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat es im
Wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte habe es mit den angegriffenen Bescheiden zu
Unrecht abgelehnt, den Bescheid vom 17.09.1985 zurückzunehmen und BSA wegen
schädigungsbedingten Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu gewähren. Nach der
ständigen Rechtsprechung des BSG könnten Beschädigte, die nur wegen ihrer
schädigungsbedingten Schwerbehinderung aus dem Arbeitsleben ausscheiden, wegen
der dadurch eingetretenen Einkommensminderung einen Anspruch auf BSA haben.
Dies sei der Regelfall, denn die Vorschriften, die es den schwerbehinderten
Arbeitnehmern ermöglicht, mit 60 Jahren allein durch ihren Antrag und die Vorlage ihres
Schwerbehindertenausweises den Versicherungsfall herbeizuführen, ließen es nicht zu,
dass der entsprechende kriegsopferrechtliche Versorgungsfall von Ermittlungen über
den Gesundheitszustand und seine Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit abhängig
gemacht werde. Dies gelte allerdings dann nicht, wenn der Beschädigte auch aus
einem anderen Grund sozial gesichert vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden
könne. Der Kläger habe jedoch zum 01.09.1985 noch keinen Anspruch auf
Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit gehabt. Voraussetzung hierfür sei nach der
seinerzeit geltenden Regelung des § 25 Abs. 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG)
u.a. einer Arbeitslosigkeit von mindestens 52 Wochen innerhalb der letzten anderthalb
Jahre gewesen. Diese Voraussetzung habe der Kläger am 01.09.1985 nicht erfüllt, denn
er sei erst seit dem 27.10.1984 arbeitslos gewesen.
18
Das Land NRW hat gegen das am 23.03.2005 zugestellte Urteil am 20.04.2005
Berufung eingelegt und vorgetragen: Für die Frage, ob ein schädigungsbedingtes
vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben vorliege, sei nicht darauf abzustellen,
ob der Betroffene zu diesem Zeitpunkt sozial abgesichert auch aus anderen Gründen
als dem der Kriegsbeschädigung vorzeitig aus dem Erwerbsleben habe ausscheiden
können. Das BSG stelle in seiner Rechtsprechung nur auf das vorzeitige, nicht auf das
gleichzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ab. Die Arbeitslosigkeit des Klägers
als schädigungsunabhängiger Faktor für die Inanspruchnahme einer vorzeitigen
Altersrente habe bereits zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben
vorgelegen.
19
Der Beklagte beantragt,
20
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 20.01.2005 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
21
Der Kläger beantragt,
22
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
23
Er sieht das angegriffene Urteil als zutreffend an.
24
Der Senat hat versucht, die den Kläger betreffenden Unterlagen des Arbeitsamts C
(jetzt: Agentur für Arbeit C) beizuziehen; dies war nicht möglich, weil entsprechende
Unterlagen nicht mehr existieren.
25
Wegen der weiteren Einzelheit des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und
derjenigen der DRV-Bund, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug
genommen.
26
Entscheidungsgründe:
27
Die statthafte und im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.
28
A. Prozessuale Rechtslage I. Der Kläger hat seine Klage zutreffend zunächst gegen das
Land NRW gerichtet. Das dem Kläger günstige Urteil des SG Detmold hat das Land
NRW mit der Berufung angegriffen. Berufungsführer war mithin das Land NRW. Infolge
von Artikel 1 des Gesetzes zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine
Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen (Eingliederungsgesetz), das Teil des
Zweiten Gesetzes zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen
(Straffungsgesetz) vom 30.10.2007 ist (GV. NRW S. 482), ist ein Beteiligtenwechsel kraft
Gesetzes eingetreten. Berufungsführer ist seit dem 01.01.2008 nicht mehr das Land
NRW sondern der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL).
29
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG und des Bundesverwaltungsgerichts
(BVerwG) führt ein Wechsel der Behördenzuständigkeit in laufenden Gerichtsverfahren
zu einem Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes, wenn es sich - wie hier - um Behörden
verschiedener Rechtsträger handelt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB
2/07 R - ; BSG, Beschluss vom 08.05.2007 - B 12 SF 3/07 S - juris Rdn. 4; zur
vergleichbaren Rechtslage vor dem 01.01.1976 vgl. BSGE 27, 200, 203 = SozR Nr. 3 zu
§ 71 SGG; BSGE 62, 269, 270 = SozR 1200 § 48 Nr. 14 S. 72; BVerwGE 120, 33 ff. ; für
Fälle der Funktionsnachfolge ebenso BVerwGE 44, 148, 150). Soweit das BSG für die
Zeit nach dem 01.01.1976 und vor dem 01.07.2001 einen Beteiligtenwechsel verneint
hat (BSG SozR 3-3100 § 89 Nr. 4 S. 12), beruht dies darauf, dass zwischenzeitlich § 3
Abs. 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VfG-
KOV) geändert worden ist (BSG, Beschluss vom 25.10.2004 - B 7 SF 20/04 S - juris
Rdn. 8 f).
30
a) Für die Entscheidung, ob der Kläger einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich
nach § 30 Abs. 3 BVG hat, waren bis zum 31.12.2007 die nach Maßgabe des Gesetzes
zur Errichtung der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung (Errichtungsgesetz
(ErrG)) vom 12.03.1951 (BGBl I, S. 169), zuletzt geändert durch das Zweite
Zuständigkeitslockerungsgesetz vom 03.05.2000 (BGBl I S. 632, 635), errichteten
Versorgungsämter zuständig. Der angefochtene Bescheid vom 30.06.2000 wurde
dementsprechend vom Versorgungsamt C, der Widerspruchsbescheid vom 05.01.2001
von der Bezirksregierung Münster, Abteilung 10 - Soziales und Arbeit,
31
Landesversorgungsamt - erlassen. Bei den Versorgungsämtern handelte es sich um
vom Land errichtete (besondere) untere Verwaltungsbehörden (§ 9 Abs. 2
Landesorganisationsgesetz NRW (LOG NRW) in der bis zum 31.12.2007 gültigen
Fassung des Artikel 10 des. 2. ModernG vom 09.05.2000 (GV. NRW. S. 462)), mithin um
Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmende Stellen und damit um Behörden
im Sinne des § 1 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) (zum Behördenbegriff
eingehend BSG, Urteil vom 16.10.2007 - B 8/9b SO 8/06 R -). Mittels §§ 1 und 4 des
Eingliederungsgesetzes hat das Land NRW mit Wirkung zum 01.01.2008 die
Versorgungsämter aufgelöst und die Aufgaben des Sozialen Entschädigungsrechts
(SER) auf die Landschaftsverbände übertragen. Auch diese sind Behörden im Sinn des
§ 1 Abs. 2 SGB X. Es handelt sich dabei um öffentlich-rechtliche Körperschaften mit
dem Recht der Selbstverwaltung (§ 2 der Landschaftsverbandsordnung für das Land
Nordrhein-Westfalen (LVerbO NRW) in der Fassung der Bekanntmachung vom
14.07.1994 (GV. NRW. S. 657), zuletzt geändert durch Gesetz vom 05.04.2005 (GV.
NRW. S. 306)), die durch die in ihrem Zuständigkeitsbereich belegenen Kreise und
kreisfreien Städte gebildet werden (§ 1 LVerbO NRW). Die Landschaftsverbände
erfüllen als Kommunalverbände die ihnen nach § 5 LVerbO NRW zugewiesenen
(öffentlichen) Aufgaben. Sie sind zwar einerseits Teil des Landes NRW, andererseits
aber auch Träger eigener Selbstverwaltungsrechte (Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz (GG)).
Hierzu heißt es in Art. 78 Landesverfassung (LV) NRW:
(1) Die Gemeinden und Gemeindeverbände sind Gebietskörperschaften mit dem Recht
der Selbstverwaltung durch ihre gewählten Organe. (2) Die Gemeinden und
Gemeindeverbände sind in ihrem Gebiet die alleinigen Träger der öffentlichen
Verwaltung, soweit die Gesetze nichts anderes vorschreiben. (3) ...
32
b) Der durch das Eingliederungsgesetz bewirkten Aufgabenübertragung liegt eine
Rechtsträgernachfolge zugrunde. Soweit in derartigen Fällen gemeinhin eine Rechts-
oder Funktionsnachfolge angenommen wird, erachtet der Senat dies als unzutreffend.
Eine Rechtsnachfolge tritt nur dann ein, wenn ein Rechtsträger aufgelöst wird und in
einen anderen Rechtsträger aufgeht. So ist beispielsweise mit dem Zeitpunkt der
Wirksamkeit der Vereinigung von Krankenkassen die neue Krankenkasse entstanden (§
146 Abs. 1 5. Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)). Gleichzeitig sind die bisherigen
Krankenkassen geschlossen (§ 146 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Die neue Krankenkasse tritt -
gleichsam automatisch - mit dem Wirksamwerden der Vereinigung in die Rechte und
Pflichten der bisherigen Krankenkassen ein (§ 146 Abs. 3 Satz 2 SGB V), wird also zu
diesem Zeitpunkt deren generelle Rechtsnachfolgerin. Eine solche Rechtsnachfolge
bezieht sich insbesondere auf die Rechte und Pflichten aus den Versicherungs-, den
Vermögens- und den Beschäftigungsverhältnissen. Soweit es die Auflösung der
Versorgungsämter (§ 1 Abs. 3 Eingliederungsgesetz) anlangt, liegt eine solche
Konstellation nicht vor, denn die sie bzw. den Rechtsträger (Land NRW) treffenden
Rechte und Pflichten im vorgenannten Sinn sind nicht auf einen anderen Rechtsträger
(Landschaftsverband) übergegangen. Vielmehr hat der Landesgesetzgeber in einem
zweiten Schritt (nur) die den Versorgungsämtern obliegenden Aufgaben auf die neuen
Rechtsträger übertragen (§ 1 Abs. 1 Eingliederungsgesetz) und flankierend hierzu in §§
9 ff. Eingliederungsgesetz angeordnet, dass die mit den übergangenen Aufgaben
betrauten Beschäftigten auf den neuen Rechträger übergehen. Eine Rechtsnachfolge
dergestalt, dass die Landschaftsverbände mit der Auflösung der Versorgungsämter
unmittelbar in die Rechte und Pflichten des bisherigen Rechtsträgers (Land NRW)
eintreten, ist damit nicht gegeben.
33
Auch das Rechtsinstitut einer Funktionsnachfolge (vgl. BSGE 58, 283, 285 = SozR 1200
§ 14 Nr. 20) erfasst den maßgebenden Sachverhalt nicht. Diese Konstruktion hat durch
die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) seit langem eine feststehende
Bedeutung im Sinn einer generellen Funktionsnachfolge erfahren. Im Rahmen der
Haftung neuer Rechtsträger für Verbindlichkeiten aus der Zeit der DDR hat der BGH auf
dieses von Rechtsprechung und Literatur nach dem Zusammenbruch des Deutschen
Reiches entwickelte Institut zurückgegriffen und entscheidend darauf abgestellt, ob der
neue Rechtsträger die gleiche oder doch überwiegend gleiche Funktion wie die frühere
Einrichtung ausübe (so BVerwGE 102, 223 ff m.w.N.; vgl. auch LSG Niedersachsen in
Breithaupt 1959, 1049, 1052). Demgemäss ist hiermit grundsätzlich eine nur
tatsächliche Übernahme von Kompetenzen eines weggefallenen oder auch
handlungsunfähigen Trägers auf den neuen Träger gemeint (so im Ergebnis auch BSG,
Urteil vom 05.09.2006 - B 2 U 27/05 R -; vgl. Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 10.
Auflage, 1994, § 41 Rdn. 17; Zeihe, SGG, 8. Auflage, vor § 54 Anm. 2 A VIII).
Voraussetzung ist, dass eine Rechtsnachfolge nicht eingetreten ist (Wolff/Bachof, a.a.O.,
m.w.N.; einschränkend BVerwG NVwZ-RR 1992, 428), denn das Institut der
Funktionsnachfolge dient gerade dazu, eine Rechtsnachfolge zwecks Haftung zu
begründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.1999 - 3 C 12/98 -; BGHZ 128, 140 ff; vgl.
auch BSG, Urteil vom 12.06.1989 - 2 RU 53/87- sowie BSG, Urteil vom 14.12.1995 - 2
RU 40/94 -; OLG Rostock, Urteil vom 13.05.1993 - 1 U 247/92 -). Darum geht es hier
nicht. Vielmehr will das Eingliederungsgesetz erreichen, dass infolge der
Aufgabenübertragung von den Versorgungsämtern auf die Landschaftsverbände die -
aufgabenbezogene - Rechtsträgerschaft übergehen. Der Senat versteht daher das
Verhältnis des übernehmenden Rechtsträgers (hier: LWL) zum übertragenden
Rechtsträger (hier: Land NRW) als Rechtsträgernachfolge.
34
c) Die Rechtsträgernachfolge führt prozessual zu einem Beteiligtenwechsel kraft
Gesetzes. Uneingeschränkt gilt dies allerdings nur bei kombinierten Anfechtungs- und
Verpflichtungsklagen. Denn mit hierdurch wird i.d.R. ein auch in die Zukunft gerichtetes
Begehren verfolgt; maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und
Rechtslage ist in diesen Fällen die letzte mündliche Verhandlung (st. Rspr. BSGE 41,
38, 40 = SozR 2200 § 1418 Nr. 2 S. 2; BSGE 43, 1, 5 = SozR 2200 § 690 Nr. 4 S. 16 f. =
SGb 1977, 547; BSGE 87, 14, 17 = SozR 3-2500 § 40 Nr. 3 S. 6 = Breith. 2000, 1004,
1006 = SGb 2001, 632, 634 = NZS 2001, 357, 358; BSGE 89, 294, 296 = SozR 3-2500 §
111 Nr. 3 S. 16 f. = Breith. 2003, 14, 16; Jung in: Jansen, SGG, 2. Auflage, 2005, § 54
Rdn. 33). Zu diesem Zeitpunkt kann allein der im Laufe des Verfahrens zuständig
gewordene Träger (hier: LWL) die begehrten Rechte gewähren. Da der Kläger seinen
Anspruch auf Berufschadensausgleich im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und
Verpflichtungsklage geltend macht, ist zum 01.01.2008 ein Beteiligtenwechsel vom
Land NRW auf den LWL in analoger Anwendung der §§ 239 ff Zivilprozessordnung
(ZPO) eingetreten (vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 19.04.2007 - 6 B 2649/06 -).
35
c) Das Berufungsverfahren wird durch den Beteiligtenwechsel nicht unterbrochen und
muss auch nicht ausgesetzt werden (vgl. LSG NRW, Urteil vom 21.11.2003 - L 4 (2) U
55/01 -; OVG NRW, Beschluss vom 19.04.2007 - 6 B 2649/06 -; LSG Baden-
Württemberg, Urteil vom 25.01.2007 - L 10 R 739/04 -).
36
2. Soweit es die Durchführung des SER anlangt, ist das Eingliederungsgesetz
ungeachtet dessen zur Überzeugung des Senats verfassungswidrig; es verstößt gegen
das ErrG. Von dessen Vorgaben darf das Land bis zum 31.12.2008 nur nach Maßgabe
des Art. 125b Abs. 2 Grundgesetz (GG) abweichen. Die Voraussetzungen dieser
37
Vorschrift sind nicht erfüllt. Sofern das BVG der Bundesauftragsverwaltung (Art. 85 GG)
zugeordnet wird, besteht ohnehin, d.h. losgelöst von Art. 125b Abs. 2 GG, keinerlei
Befugnis des Landes, vom ErrG abzuweichen. Für Gesetze im formellen Sinn hat der
Senat allerdings keine Verwerfungskompetenz. Diese steht hinsichtlich der Frage, ob
Landesrecht wegen Verstoßes gegen Bundesrecht verfassungswidrig ist, nur dem
Bundesverfassungsgericht zu. An einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG sieht sich der
Senat aus prozessualen Gründen gehindert. Bis zu einer gegenläufigen Feststellung
des BVerfG ist mithin von einem Beteiligtenwechsel auszugehen.
Im Einzelnen:
38
a) Maßgebende Rechtsgrundlage zur Regelung von Verwaltungszuständigkeiten und -
verfahren bei der Durchführung der KOV waren in NRW bis zum 31.12.2007 das ErrG
und das Gesetz über das Verwaltungsverfahren in der Kriegsopferversorgung (VfG-
KOV) vom 02.05.1955 (BGBl I S. 2022) i.d.F. vom 19.06.2001 (BGBl I S. 1046). Hiervon
weicht das Eingliederungsgesetz in mehrfacher Hinsicht ab (aa). Das Land wäre auf
Dauer gehindert, von den Vorgaben des ErrG abzuweichen, wenn das BVG der
Bundesauftragsverwaltung (Art. 85 GG) zuzuordnen wäre (bb). Jedenfalls aber ist es
dem Land verwehrt, bis zum Ablauf des 31.12.2008 von bundesrechtlichen Vorgaben
betreffend das Verwaltungsverfahren abzuweichen (cc).
39
aa) § 1 ErrG bestimmt, dass Kriegsopfer durch Versorgungsämter und
Landesversorgungsämter zu versorgen sind. Nach § 3 ErrG müssen die
Versorgungsämter den Landesversorgungsämtern und diese ihrerseits den für die
Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörden unterstehen. Für die Zeit
bis zum Inkrafttreten der Föderalismusreform am 01.09.2006 hat das BSG im Urteil vom
12.06.2001 - B 9 V 5/00 R - ausgeführt, dass die für die Kriegsopferversorgung
zuständigen Behörden nicht gänzlich nach dem Ermessen der Länder errichtet werden
dürften; vielmehr sei zu berücksichtigen, dass die Neufassung des § 1 ErrG, wie sich
aus der Entstehungsgeschichte ergebe, ein Kompromiss zwischen den Interessen des
Bundes und der Länder im Hinblick auf die Kompetenzabgrenzung des Art. 84 Abs. 1
GG darstelle; im Bericht des Innenausschusses werde klargestellt, dass neben der
Fachaufsicht auch die Dienstaufsicht bei der obersten Landesbehörde, dem
Sozialministerium, verbleiben und die Versorgungsämter als kompetente, fachlich
eigenständige Sozialbehörden bestehen bleiben müssten (hierzu Hinweis auf BT-
Drucks. 14/2797, Seite 14); aus der Formulierung in § 3 ErrG, dass die
Versorgungsämter den Landesversorgungsämtern und diese der zuständigen obersten
Landesbehörde "unterstehen" müssen sowie aus der Entstehungsgeschichte des ErrG
ergebe sich, dass die mit der Kriegsopferversorgung betraute oberste Landesbehörde
sowohl die Fach- als auch die Dienstaufsicht über das Landesversorgungsamt
innehaben müsse.
40
(1) Das Eingliederungsgesetz verstößt insoweit gegen § 3 ErrG, als das Land NRW zum
01.01.2008 die Durchführung des SER auf die Landschaftsverbände als kommunale
Selbstverwaltungsträger übertragen hat. Nunmehr es ist der nächsthöheren Behörde,
dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS), verwehrt,
Dienstaufsichtsrechte auszuüben (vgl. auch BVerfG, Urteil vom 20.12.2007 - 2 BvR
2433/04 -).
41
(2) Auch soweit die Fachaufsicht betroffen ist, genügt das Eingliederungsgesetz nicht
den Vorgaben des § 3 ErrG. § 4 Abs. 2 Satz 1 Eingliederungsgesetz bestimmt, dass die
42
Landschaftsverbände die SER-Aufgaben als Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach
Weisung wahrnehmen. Die Aufsicht führt die fachlich zuständige oberste
Landesbehörde (Satz 2). Diese kann allgemeine und besondere Weisungen erteilen,
um die gesetzmäßige Erfüllung der Aufgaben zu sichern (Satz 3). Zur zweckmäßigen
Durchführung der Aufgaben kann die Aufsichtsbehörde allerdings ausschließlich
allgemeine Weisungen erteilen, um die gleichmäßige Durchsetzung zu sichern (Satz 4),
nicht aber - wie bisher - besondere Weisungen zur zweckmäßigen Regelung eines
Einzelfalls. Hätte der Landesgesetzgeber dem MAGS auch ein Einzelfallweisungsrecht
eingeräumt, wäre es angesichts der in Artikel 28 GG und Artikel 78 LV NRW
verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltung ohnehin fraglich, ob das MAGS von
einem solchen Weisungsrecht ohne besonderen Anlass und ohne vorangegangene
Weisungen des Bundes Gebrauch machen dürfte. Festzuhalten bleibt wiederum: Die
Kommunalisierung der SER-Aufgaben kollidiert mit den bundesrechtlichen Vorgaben
des § 3 ErrG.
(3) Die Kommunalisierung der SER-Aufgaben verstößt auch insofern gegen § 3 ErrG,
als diese Vorschrift einen dreizügigen Aufbau der Versorgungsverwaltung vorsieht
(Versorgungsamt, Landesversorgungsamt, zuständige oberste Landesbehörde). Diese
Dreizügigkeit wird vom Eingliederungsgesetz nicht nachvollzogen, denn den
Landschaftsverbänden wird das SER als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung
übertragen (1. Stufe), als (Sonder-) Aufsichtsbehörde sieht § 4 Abs. 2 S. 1
Eingliederungsgesetz lediglich die "fachlich zuständige oberste Landesbehörde" - das
MAGS - vor (2. Stufe).
43
(4) § 4 ErrG bestimmt, dass Beamte und Angestellte der Versorgungsverwaltung für die
ihnen übertragenen Aufgaben "besonders geeignet" sein müssen (vgl. auch BVerwGE
2, 329 ff - juris Rdn. 36 zum Begriff der "besonderen Eignung" i.S.d. § 26 Abs. 1 Nr. 2
des Deutschen Beamtengesetzes vom 26.01.1937 (RGBl ... I S. 39)). Näheres regelt das
Gesetz nicht. Das BSG hat hierzu im Urteil vom 12.06.2001 - B 9 V 5/00 R - drei
Faktoren herausgearbeitet, nämlich 1. die Übernahme der Mitarbeiter des (Landes-)
Versorgungsamtes durch die Abteilung 10 der Bezirksregierung Münster, 2. Struktur und
Gefüge der Behörde und 3. die zumindest wesentlich beim Fachministerium (MAGS)
liegende Dienstaufsicht, die diesem ausreichenden Einfluss auf die Bestellung des
Personals, auch der Leitungsebene, einräumt. Diese Voraussetzungen müssen im
Zeitpunkt des Aufgabenübergangs vorhanden sein. Etwaige "Nachqualifikationen"
genügen nicht; unzureichend ist es ferner, wenn sich die mit dem SER betrauten
Beschäftigen des LWL die "besondere Eignung" nicht mittels einer speziellen
Ausbildung sondern nur infolge einer kontinuierlichen verwaltungsmäßigen Befassung
mit der Rechtsmaterie als Erfahrungswissen aneignen (vgl. auch BVerwG a.a.O.).
44
Der Landesgesetzgeber hat mit dem Prinzip "das Personal folgt den Aufgaben" (§§ 9 ff.
Eingliederungsgesetz), wonach die Mitarbeiter der Versorgungsämter auf die
kommunalen Rechtsträger übergehen, zumindest versucht sicherzustellen, dass das
bisherige "besondere" Qualitätsniveau erhalten bleibt. Der Berufungsführer (LWL) hat
hierzu im Schriftsatz vom 20.02.2008 mitgeteilt, dass ausschließlich übergegangene
Mitarbeiter der früheren Versorgungsämter C, Dortmund, Gelsenkirchen, Münster und
Soest mit dem SER betraut seien. Erst zum 01.09.2008 würden voraussichtlich weitere
Beamte, die derzeit die Ausbildung für Beamte des gehobenen Dienstes der
Versorgungsverwaltung an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW
durchlaufen, im SER-Bereich eingesetzt. Diese Fachhochschulausbildung werde
zukünftig nicht mehr angeboten. Von den übernommenen 119 Beamten hätten sich 11
45
und von den übernommenen 43 Angestellten sowie 31 Assistenzkräften hätten sich 14
gerichtlich zur Wehr gesetzt.
Ob und inwieweit der beabsichtigte Personalübergang letztlich gelingt, ist derzeit
zumindest sehr fraglich. In den bisher hiergegen geführten Eilverfahren hat das
Verwaltungsgericht (VG) Münster erhebliche Bedenken an der Verfassungsgemäßheit
des Eingliederungsgesetzes geäußert (z.B. Beschluss vom 21.12.2007 - 4 L 684/07 -)
und das VG Düsseldorf sogar einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche
Bestimmtheitsgebot angenommen (z.B. Beschluss vom 21.12.2007 - 13 L 1824/07 -). Im
Beschwerdeverfahren hat das OVG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 25.02.2008 -
6 B 2104/07 -) auf mehrere Aspekte hingewiesen, denen zufolge die
Verfassungsmäßigkeit des Eingliederungsgesetzes als fraglich erscheint. Das OVG
meint, es bestünden Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz des Landes, da das
Statusrecht der Beamten geändert werde. Hierfür habe der Bund heute noch
fortgeltende Regelungen im Beamtenrechtsrahmengesetz erlassen. Außerdem sei
unklar, welche Beamten der Bezirksregierung auf die Landschaftsverbände übergehen
sollten. Es sei auch nicht eindeutig, auf welchen Landschaftsverband der Übergang
erfolge. Das Gesetz sehe einen Übergang nur vor, soweit er für die Aufgabenerfüllung
erforderlich sei. Wann diese Voraussetzung vorliege, lege aber weder das Gesetz fest,
noch komme dem Zuordnungsplan die Funktion zu, dies festzustellen.
46
Auch die mit den Rechtsstreitigkeiten befassten Arbeitsgerichte haben offenbar
erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen den im Eingliederungsgesetz
geregelten Übergang von Mitarbeitern der früheren Versorgungsämter auf die
Landschaftsverbände. So hat das ArbG Gelsenkirchen die Versetzungen zweier
Mitarbeiter von Gelsenkirchen nach Münster als grundgesetzwidrig und auch als nicht
mit dem Europäischen Recht vereinbar erklärt (Beschlüsse vom 24.02.2008 - 5 Ca
11/08 - und - 5 Ca 2552/07 - ).
47
Danach ist zumindest zweifelhaft, ob durch den angeordneten Personalübergang das
Qualitätsniveau der früheren Versorgungsämter aufrechterhalten werden kann. Das
hängt u.a. vom Ausgang der genannten Rechtsstreitigkeiten und der künftigen
Ausbildung der Beamten und tariflich Beschäftigten ab. Zudem haben bislang weder der
LWL noch das beigeladene Land Regelungen getroffen, um die bisherige Qualität der
mit den Aufgaben des SER betrauten Beschäftigten der Versorgungsämter auch künftig
sicherzustellen. Tendenziell wird ohnehin eine Qualitätsminderung eintreten, denn die
SER-bezogene spezifische Fachhochschulausbildung wird nicht mehr angeboten.
Überdies liegt beim Fachministerium (MAGS) keine Dienstaufsicht mehr, die diesem
entsprechend der Rechtsprechung des BSG die Möglichkeit gibt, auf die Bestellung des
Personals, einschließlich der Leitungsebene, Einfluss zu nehmen.
48
Der Senat räumt ein, dass aus dem Urteil des BSG vom 12.06.2001 - B 9 V 5/00 R -
kaum konkrete, sich auf die Beschäftigten der Versorgungsämter beziehende,
Qualitätskriterien herzuleiten sind. Ungeachtet dessen ist dem Urteil des BSG a.a.O. zu
entnehmen, dass das seinerzeit vorhandene Qualitätsniveau fortzuschreiben und
sicherzustellen ist. Daran fehlt es aus den dargelegten Gründen. Auch insoweit liegt ein
Verstoß gegen die Vorgaben des ErrG vor.
49
bb) Das Land NRW wäre - zeitlich unbefristet - nicht ermächtigt vom ErrG abzuweichen,
wenn das BVG von den Ländern als Bundesauftragsverwaltung (Art. 85 GG) ausgeführt
wird. Dann wäre das (landesrechtliche) Eingliederungsgesetz nicht an Art 84 i.V.m. Art
50
125b Abs. 2 GG sondern an Art. 85 GG zu messen und jede der vorstehend dargelegten
Abweichungen von den (bundesrechtlichen) Vorgaben des ErrG dauerhaft unzulässig
(Art. 31 GG).
Ob das BVG dem Art. 84 GG oder Art. 85 GG unterfällt, ist umstritten. Für letztgenannte
Variante spricht Art. 104a Abs. 3 GG. Diese Vorschrift ist durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes
v. 12.05.1969 (BGBl. I S. 359) mit Wirkung vom 01.01.1970 in das GG eingefügt worden.
Sie bestimmt, dass Bundesgesetze, bei denen der Bund die Hälfte der Ausgaben oder
mehr trägt, im Auftrag des Bundes auszuführen sind. Die Kosten der KOV werden gem.
Art. 120 Abs. 1 GG ausschließlich vom Bund getragen und belaufen sich nach den
Angaben des die beigeladene Bundesrepublik Deutschland vertretenen
Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMAS) derzeit auf jährlich rund 2,6
Mrd. EUR. Ausgehend hiervon wird die Auffassung vertreten, dass die Aufgaben des
BVG ab dem 01.01.1970 wegen Art. 104a Abs. 3 GG in Bundesauftragsverwaltung
auszuführen sind (Görg, VersB 1969, 111, 135 sowie Erlass des BMI und BMF vom
16.07.1969, VersB 1970, 2). Hiergegen wird eingewandt, dass sich der
Regelungsgehalt dieser Vorschrift darauf beschränkt, die finanzielle Last zuzuweisen,
während die Zuordnung der Verwaltungskompetenz den allgemeinen Regelungen der
Art. 83 ff. GG unterfällt (Schaefer in: von Münch, GG, 5. Aufl. 2003, Art. 120 Rdn. 7).
Zudem wird darauf hingewiesen, dass Art. 104a Abs. 3 GG ausweislich des Wortlautes
allein Geldleistungen "gewährende" Bundesgesetze betrifft. Voraussetzung hierfür sei,
dass es der freiwilligen Entscheidung des Gesetzgebers unterliege, eine Geldleistung
zu regeln oder dies zu unterlassen (vgl. Pieroth in: Jarass/Pieroth, GG, 9. Auflage, 2007,
Art. 104a Rdn. 6). Die KOV hingegen beruhe - ebenso wie die grundgesetzlich
vorgeschriebene Enteignungsentschädigung (Art. 14 GG) bzw. die Amtshaftung (Art. 34
GG) - nicht auf einer freiwilligen Entscheidung, sondern sei eine aus übergeordneter
verfassungsrechtlicher Maßgabe resultierende Verpflichtung (Maunz in: Maunz/Dürig,
Kommentar zum GG, Art. 104a Rdn. 34 m.w.N.). Dementsprechend lasse die mit Art.
104a Abs. 3 GG getroffene Neuregelung den Anwendungsbereich der KOV unberührt
(Schaefer in: von Münch, a.a.O. Art. 120 Rdn. 7; Siekmann in: Sachs, GG, 4. Auflage
2007, Art. 120 Rdn 29). Art. 120 GG sei wegen der dort getroffenen besonderen
Regelung lex specialis zu Art. 104a Abs. 3 GG (Siekmann in: Sachs, a.a.O., Art. 120
Rdn. 5, 29; Maunz/Dürig, Art. 104a GG Rdn. 37; Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 11. Aufl.
2008, Art. 104a Rdn. 13 und Art. 120 Rdn. 7). Demzufolge unterfiele die Durchführung
des BVG dem Art. 84 GG (in diesem Sinne etwa BT-Drucks. 16/518; BSG, Urteil vom
12.06.2001 - B 9 V 5/00 R -).
51
Dem ist entgegenzuhalten, dass das Opferentschädigungsgesetz (OEG) als
Geldleistungsgesetz im Sinn des Art. 104a Abs. 3 GG verstanden wird (Prokisch in:
Bonner Kommentar zum GG, 2003, Art. 104a Rdn. 204), mithin für das BVG schwerlich
etwas anders gelten kann. Schon deswegen könnte es geboten sein, das BVG der
Auftragsverwaltung zuzuordnen. Auch die den Bund treffende erhebliche Kostenlast
könnte dafür sprechen, ihm über das ErrG weiterhin Einflussmöglichkeiten auf die
Landesverwaltung einzuräumen. Zudem hat der Verfassungsgeber die Versorgung der
Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen im Zusammenhang mit der
Föderalismusreform nunmehr der ausschließlichen Bundesgesetzgebung zugeordnet
(Art. 73 Abs. 1 Nr. 13 GG i.d.F. vom 01.09.2006). Weist der Verfassungsgeber diese
Rechtsmaterie angesichts ihrer spezifischen Bedeutung hinsichtlich der Kostenlast und
der Zuständigkeit für die materielle Gesetzgebung dem Bund zu, so deutet dies darauf
hin, dass dieser Bund erhebliche Einflussmöglichkeiten haben soll, mithin die
verwaltungsmäßige Durchführung auf der Grundlage von Art. 85 GG zu erfolgen hat.
52
Hierfür spricht auch, dass die Auffassung des beigeladenen Landes letztlich bedeutet,
die Landesverwaltung nach der Neufassung des Art. 84 GG infolge der
Föderalismusreform völlig frei gestalten zu können, also dem Bund die Möglichkeit
genommen wäre, mittels des fortgeltenden ErrG den Ländern zumindest
qualitätssteuernde Vorgaben zur Durchführung des BVG zu machen.
Dem dürfte indessen der Konfliktregelungsmechanismus des Art. 84 n.F.
entgegenstehen. Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG postuliert den Grundsatz, dass die Länder die
Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren regeln, wenn sie
Bundesgesetze als eigene Angelegenheit ausführen. Um die Interessen des Bundes zu
wahren, werden diesem Rückholkompetenzen (Art. 84 Abs. 1 Satz 4 GG) sowie
Aufsichts- und Kontrollrechte (Art. 84 Abs. 3 bis 5) eingeräumt. Dem Regelungsgefüge
des Art. 84 GG n.F. entnimmt der Senat, dass der Bund nur in Ausnahmefällen (vgl. Art.
84 Abs. 1 Satz 4 GG), in besonderen Einzelfällen (Art. 84 Abs. 5 GG) oder wenn Mängel
festgestellt werden (Art. 84 Abs. 4 GG), tätig werden darf. Das wiederum deutet darauf
hin, dass allein hohe finanzielle Verpflichtungen es nicht rechtfertigen, das BVG
nunmehr der Auftragsverwaltung (Art. 85 GG) zuzuordnen. Der Senat neigt nach
alledem dazu, die Durchführung des BVG der Landeseigenverwaltung (Art. 84 GG)
zuzuordnen. Letztlich kann dies derzeit dahinstehen, denn selbst wenn die
Durchführung des BVG von den Ländern als eigene Angelegenheit (Art. 84 GG)
ausgeführt würde, ist das Land NRW wegen 125b Abs. 2 GG jedenfalls bis zum
31.12.2008 gehindert, von Bundesrecht (hier: ErrG) insoweit abzuweichen, als das
Verwaltungsverfahren betroffen ist.
53
cc) Gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG regeln die Länder die Einrichtung der Behörden
und das Verwaltungsverfahren, wenn sie Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten
ausführen. Sofern Bundesgesetze etwas anders bestimmen, können die Länder davon
abweichende Regelungen treffen (Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG). Ausgehend hiervon
können die Länder aufgrund ihrer Organisationskompetenz eigenverantwortlich die für
den Gesetzesvollzug zuständige Ebene und Stelle bestimmen (Henneke in: Schmidt-
Bleibtreu, GG, 11. Aufl. 2008, Art. 84 Rdn. 20 m.w.N.). Dem Land ist, solange bundes-
und landesverfassungsrechtliche Schranken die Organisationskompetenz nicht
einengen, auch die Entscheidung der Frage überlassen, auf welcher Verwaltungsstufe
die jeweilige Norm ausgeführt wird (Lerche in: Maunz/Düring, GG, Stand Juni 2007, Art.
84 Rdn. 26). Aufgaben können den Gemeinden und Gemeindeverbänden nach der
Föderalismusreform durch Landesrecht, hingegen gemäß Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG
ausdrücklich nicht mehr durch den Bundesgesetzgeber, übertragen werden (vgl. auch
BT-Drucks. 16/813 Nr. 9).
54
(1) Die Aufgabenübertragung auf die Landschaftsverbände durch §§ 1 und 4
Eingliederungsgesetz in Nordrhein-Westfalen unterfällt den in Art. 84 Abs. 1 GG
aufgeführten Regelungsbereichen sowohl der "Einrichtung von Behörden" als auch dem
des "Verwaltungsverfahrens". Vorbehaltlich der vorliegend (noch) nicht
entscheidungserheblichen Frage, ob die Durchführung des BVG
Bundesauftragsverwaltung ist (Art. 85 GG), kann das Land jedenfalls ab dem
01.01.2009 von den Vorgaben des ErrG abweichen. Das ergibt sich wie folgt:
55
Der Begriff "Einrichtung von Behörden" in Art. 84 Abs. 1 GG ist weit zu verstehen (vgl.
Trute in: Mangoldt-Klein-Stark, Bonner Grundgesetz, 4. Auflage 2004, Art. 84 Rdn. 8 ff.;
Pieroth in: Jarass/Pieroth, 9. Aufl. 2007, Art. 84 Rdn. 3 ff.; Lerche in: Maunz/Dürig, a.a.O.,
Art. 84 Rdn. 25). Als "Behörde" in diesem Sinn wird eine in den Organismus der
56
Staatsverwaltung eingeordnete, organisatorische Einheit von Personen und sächlichen
Mitteln verstanden, die zur Erfüllung der ihr übertragenen staatlichen Aufgaben und
Zwecke mit einer gewissen Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit ausgestattet
ist (BSG, Urteil vom 12.06.2001 - B 9 V 5/00 R - m.w.N.; vgl. auch BSG, Urteil v.
16.10.2007 - B 8/9b SO 8/06 R -; von Wulffen, SGB X, 5. Auflage 2005, § 1 Rdn. 9).
Hierunter fallen die unmittelbare und mittelbare Landesverwaltung einschließlich der
selbstständigen Rechtsträger wie Gemeindeverbände (Trute in: Mangoldt-Klein-Stark,
a.a.O., Art. 84 Rdn. 9; BVerfG, Beschluss vom 09.12.1987 - 2 BvL 16/84 - = BVerfGE 77,
299; a. A. Lerche in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Januar 1985, Art. 84 Rdn. 27:
Es handelt sich bei der Aufgabenzuweisung an eine Kommune nicht um die Einrichtung
einer Behörde, sondern um die Frage nach der Festlegung der allgemeinen
Verwaltungsebene). Die Landschaftsverbände sind - wie dargelegt -
Gemeindeverbände und damit "Behörden" i.S.d. Art. 84 GG (vgl. auch OVG NRW, Urteil
vom 30.04.2007 - 1 A 1939/06 -).
Der Begriff der "Einrichtung" umfasst sowohl die Errichtung (Gründung) als auch die
Einrichtung und innere Organisation der handelnden Organe (Ausgestaltung),
einschließlich der Übertragung ihrer näheren Aufgabenkreise und Befugnisse (BSG,
Urteil vom 12.06.2001 - B 9 V 5/00 R -; Pieroth in: Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 84 Rdn. 3;
Sachs, GG, 4. Aufl. 2007, Art. 84 Rdn. 7; BVerfG, Beschluss vom 08.04.1987 - 2 BvR
909/82 - = BVerfGE 75, 108, 149 ff.; Urteil vom 17.07.2002 - 1 BvF 1/01 - = BVerfGE 105,
313, 331 ff.). Werden lediglich bereits bestehende Aufgaben vermehrt, d.h. erfolgt allein
eine quantitative, nicht hingegen eine qualitative Veränderung der Aufgaben einer
bestimmten Behörde, so ist dies nicht von dem Begriff der "Einrichtung von Behörden"
i.S.d. Art. 84 GG erfasst (BVerfG, Beschluss vom 08.04.1987 - 2 BvR 909/82 - =
BVerfGE 75, 108 ff.). Vorliegend hat der Landesgesetzgeber die Durchführung des BVG
als neue Aufgabe vollständig auf die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-
Lippe übertragen. Eine (solche) Weiterübertragung bundesrechtlicher Aufgaben durch
die Länder auf die Kommunalverbände wird durch Art. 84 GG n.F. grundsätzlich
ermöglicht (vgl. Henneke in: Schmidt-Bleibtreu, a.a.O., Art. 84 Rdn. 29, 24; a. A. Lerche
in: Maunz/Dürig a.a.O.) und stellt sich insoweit als "Einrichtung von Behörden" dar. Ist
sonach das Land unter Geltung des Art. 84 GG - vorbehaltlich der Anwendung des Art
85 GG - berechtigt, ab dem 01.01.2009 von den Vorgaben des ErrG abzuweichen, gilt
dies bis einschließlich 31.12.2008 nur eingeschränkt.
57
(2) Das Eingliederungsgesetz weicht von den Verfahrensvorschriften des ErrG ab.
Hierzu ist das Land erst ab dem 01.01.2009 berechtigt. Nach Art. 125b Abs. 2 GG i.d.F.
von Art. 1 Nr. 22 des Gesetzes vom 28.08.2006 (BGBl. I S. 2034). können die Länder
zwar abweichende Regelungen von bundesgesetzlichen Regelungen treffen, die auf
Grund des Art. 84 Abs. 1 GG in der vor dem 01.09.2006 geltenden Fassung erlassen
worden sind, von Regelungen des Verwaltungsverfahrens können sie aber bis zum
31.12.2008 nur dann abweichen, wenn seit dem 01.09.2006 in dem jeweiligen
Bundesgesetz Regelungen des Verwaltungsverfahrens geändert worden sind. Letzteres
ist im ErrG nicht der Fall gewesen.
58
(a) Die Begriffe der "Einrichtung von Behörden" einerseits und des
"Verwaltungsverfahrens" andererseits sind nur schwer voneinander abzugrenzen
(Lerche in: Maunz-Dürig, GG, Art. 84 Rdn. 23, 30; vgl. auch Trute in:
Mangoldt/Klein/Starck, a.a.O., Art. 84 Rdn. 12). Maßgebend für die Subsumtion ist dabei
nicht die amtliche Überschrift des jeweiligen Gesetzes, abzustellen ist vielmehr auf den
spezifischen Regelungsgehalt der konkreten Norm. Unerheblich ist auch, ob die
59
jeweiligen Regelungen Bestandteil eines Verfahrens- oder Organisationsgesetzes sind.
Normen stehen nicht selten in einem sachlich-systemwidrigen Zusammenhang mit dem
sie umgebenden Normenkomplex. So bestimmt beispielsweise § 152 SGG, dass die
Geschäftsstelle des LSG unverzüglich, nachdem die Berufungsschrift einreicht ist, die
Prozessakten von der Geschäftsstelle des SG anzufordern hat. Die Vorschrift ist zwar
Teil des SGG, regelt indessen nur einen gerichtsinternen Geschäftsvorgang, gehört
mithin in eine Verwaltungsanordnung und nicht in ein Prozessgesetz (Frehse in:
Jansen, SGG, 2. Auflage, 2005, § 152 Rdn. 1). Auch das Gesetz über das
Verwaltungsverfahren in der Kriegsopferversorgung (VfG-KOV) ist in diesem Sinne
ambivalent. Es enthält entgegen der amtlichen Bezeichnung sowohl
Verfahrensregelungen (z.B. § 15 VfG-KOV) als auch Organisationsnormen (z.B. § 2 Abs.
Satz 1 VfG-KOV).
Als Vorschriften über das Verwaltungsverfahren im Sinne des Art. 84 Abs. 1 GG sind
gesetzliche Bestimmungen anzusehen, die die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden im
Blick auf die Art und Weise der Ausführung des Gesetzes einschließlich ihrer
Handlungsformen, die Form der behördlichen Willensbildung, die Art der Prüfung und
Vorbereitung der Entscheidung, deren Zustandekommen und Durchsetzung sowie
verwaltungsinterne Mitwirkungs- und Kontrollvorgänge in ihrem Ablauf, somit das "Wie"
des Verwaltungsverfahrens regeln (BVerfG, Urteil vom 10.12.1980 - 2 BvF 3/77 - sowie
Urteil vom 13.09.2005 - 2 BvF 2/03 - und BVerfGE 37, 363; vgl. auch Lerche in:
Maunz/Dürig, a.a.O., Art. 84 Rdn. 37) Es gilt ein weiter Verfahrensbegriff, der nicht auf
Regelungen allgemeiner Verfahrensgesetze beschränkt ist (Trute, Föderalismusreform,
Rdn. 166).
60
Die Abgrenzung zwischen "Einrichtung einer Behörde" und "Verwaltungsverfahren"
wird erschwert dadurch, dass eine "Einrichtungsregelung" auch das "Wie" des
Verwaltungshandelns betreffen kann. Das etwa ist dann der Fall, wenn die betreffende
Vorschrift zugleich und zwangsläufig ein hiermit korrespondierendes
verfahrensmäßiges Verhalten der Behörde bewirkt. Dabei wiederum kann danach
differenziert werden, ob die Einrichtungsregelung mit einer bewusst-zielgerichteten
Verfahrensregelung einhergeht oder aber der Verfahrensbezug nur (unbewusster)
Reflex der Behördeneinrichtung ist.
61
(b) § 3 ErrG bestimmt: "Die Versorgungsämter und die nach § 2 zu errichtenden Stellen
unterstehen den Landesversorgungsämtern; diese unterstehen den für die
Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörden." Hieraus ist herzuleiten,
dass die das BVG ausführende Behördenorganisation einen hierarchischen und
dreigliedrigen Aufbau haben muss (BSG, Urteil vom 12.06.2001 - B 9 V 5/00 R -). Die
hierarchische Struktur erfordert dabei nicht nur die Fach-, sondern auch die
Dienstaufsicht der jeweils höheren Fachbehörde (Regierungsbegründung zu § 3 ErrG,
BT-Drucks. 1729 vom 28.12.1950). Das Eingliederungsgesetz weicht hiervon - wie
dargestellt - ab. Danach besteht nur eine eingeschränkte Fachaufsicht, denn
Einzelweisungen aus Zweckmäßigkeitsgründen sind unzulässig. Zudem hat die
nächsthöhere Fachbehörde (das MAGS) keine Dienstaufsichtsbefugnisse gegenüber
dem Landschaftsverband. Diese Abweichungen ordnet der Senat vornehmlich dem
Verwaltungsverfahren zu. Dies ergibt sich aus folgender Überlegung: Fachaufsicht
erstreckt sich auf die rechtmäßige und zweckmäßige Wahrnehmung der Aufgaben (§ 13
LOG NRW). Es handelt sich der Sache nach um eine Kontrolle der Recht- und
Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns (vgl. Oppermann in: von Münch,
Besonderes Verwaltungsrecht, 4. Auflage, Seite 641), mithin um Kontrollvorgänge im
62
Sinne der Rspr. des BVerfG (vgl. BVerfG, Urteile vom 10.12.1980 - 2 BvF 3/77 -; Urteil
vom 13.09.2005 - 2 BvF 2/03 - sowie BVerfGE 37, 363) und damit um Regelungen des
Verwaltungsverfahrens. Der Senat sieht sich hierin dadurch bestätigt, dass selbst
Zustimmungserfordernisse eines Bundesministers das Verwaltungsverfahren betreffen
(BVerfGE 1, 76). Wird ein Zustimmungserfordernis festgelegt (z.B. Kannversorgung
nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG), ist sowohl das "Wer" als auch das "Wie" betroffen. Eine
solche Regelung ist janusköpfig, denn sie betrifft auch den Verfahrensablauf. Nichts
anderes gilt, wenn der höheren Behörde nur eingeschränkte Fachaufsichtsrechte
eingeräumt werden. Beobachtet die Aufsicht das Verwaltungshandeln ohne
einzugreifen, ist dieses bewusste Unterlassen dem Tun (Eingriff) gleichzustellen;
jeweils ist (auch) das Verfahren betroffen. Dem kann nicht entgegengehalten werden,
dass es insoweit nur um behördeninterne Abläufe geht, denn der Begriff des
Verwaltungsverfahrens im Sinne des Art. 84 GG ist nicht auf eine nach außen wirkende
Tätigkeit beschränkt (Pieroth in: Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl. 2007, Art. 84 Rdn. 4). Hinzu
kommt, dass Mitwirkungsrechte im Verfahren der Entscheidungsgewinnung ebenfalls
dem Verwaltungsverfahren zuzuordnen sind (Trute, Föderalismusreform, Rdn.168).
Zwar geht es bei der Fachaufsicht nicht ausschließlich darum, jeweils an der konkreten
Entscheidung mitzuwirken. Der Begriff "Aufsicht" wird vielmehr wesentlich durch eine
Beobachtungsfunktion bestimmt, die allerdings mit der Möglichkeit einhergeht, im
Einzelfall einzugreifen. Der Unterschied zur Mitwirkung (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5
SGB X) ist somit nur gradueller Art. Die Mitwirkung setzt voraus, dass der Dritte in den
konkreten Entscheidungsvorgang eingebunden wird und die Möglichkeit hat, jeweils
seine Interessen einzubringen (vgl. auch §§ 69, 73 Landespersonalvertretungsgesetz
(LPVG) NRW). Demgegenüber berechtigt die Fachaufsicht dazu, allgemeine oder
einzelfallbezogene Weisungen zu erteilen, um dem Entscheidungsprozess aus
Gründen der Rechtmäßigkeit oder Zweckmäßigkeit ein bestimmtes Gepräge zu geben
oder aber ihn auf ein von der Aufsicht präferiertes Ergebnis zu lenken. Unterschiedslos
betrifft hiernach sowohl die Mitwirkung als auch die Ausübung der Fachaufsicht das
"Wie" der Entscheidungsgewinnung, mithin das Verwaltungsverfahren. Diesem
Ergebnis vergleichbar ist, wenn Rechtsvorschriften bestimmen, dass die zuständige
Behörde innerhalb des Entscheidungsprozesses das Benehmen mit einer anderen
Behörde herstellen muss (z.B. § 85 Abs. 4 Satz 2 SGB V i.d. bis zum 31.12.2003
geltenden Fassung). Dies setzt voraus, dass die zuständige Behörde die andere
Behörde von der beabsichtigten Maßnahme unterrichtet und ihr die Möglichkeit der
Stellungnahme einräumt (BSG, Urteil vom 09.12.2004 - B 6 KA 40/03 R - ). Wiederum ist
das "Wer" insofern geregelt, als der Adressat des Normbefehls festgelegt wird;
gleichermaßen geht es aber auch um das Verwaltungsverfahren, indem das Gesetz
bestimmt, wie der Entscheidungsprozeß abzulaufen hat, nämlich unter Einbeziehung
von Drittinteressen.
Unerheblich ist danach, dass § 3 ErrG ebenfalls regelt, wer die Fach- und Dienstaufsicht
ausübt. Das ist sogar zwingend, denn wenn eine Verfahrensregelung getroffen wird,
muss stets auch geregelt werden, wer zuständig ist bzw. wer sie zu beachten hat (vgl. §
85 Abs. 4 Satz 2 SGB V a.F.; § 69 LPVG NRW). Unzutreffend ist es, wenn hieraus
hergeleitet wird, dass die Einrichtungsregelung die Verfahrensregelung verdrängt. Das
kann allenfalls dann in Betracht kommen, wenn der Verfahrensbezug sich lediglich als
Reflex der Behördeneinrichtung darstellt. Dann allerdings fehlt es hinsichtlich des
Verfahrens schon an einer Regelung im Sinne eines Willensaktes (vgl. Pieroth in:
Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 84 Rdn. 6; vgl. § 31 Satz 1 SGB X). So liegt es hier nicht. Der
Regelungsgehalt des § 3 ErrG ist ein Zweifacher. Vorgegeben wird einerseits der
hierarchische Behördenaufbau (Versorgungsämter, Landesversorgungsamt, oberste
63
Aufsichtsbehörde) andererseits aber auch gegliederte Aufsichtsebenen ("unterstehen").
Dabei ist Letzterem nach der Konzeption des § 3 ErrG Priorität einzuräumen. Denn
"wer" für die Versorgung des anspruchsberechtigten Personenkreises zuständig ist, folgt
schon aus § 2 VfG-KOV. Die Vorgabe des § 3 ErrG, dass im Behördenzug Fach- und
Dienstaufsichtsrechte vorhanden sein müssen, stellt demnach keine nur
"behördenorganisatorische Regelung" dar, die allein der Behördeneinrichtung
zugeordnet werden könnte, vielmehr steht der Verfahrensbezug im Vordergrund. Im
Übrigen regelt § 3 ErrG nicht allein, wer Aufsichtsrechte ausübt, sondern vornehmlich,
wie sie ausgeübt werden, nämlich als Dienst- und Fachaufsicht. Das hiervon
abweichende Eingliederungsgesetz führt dazu, dass der umfassenden Aufsicht die
rechtliche Grundlage entzogen ist.
Zu keinem anderen Ergebnis führt es, wenn - zutreffend - angenommen wird, dass der
Begriff des Verwaltungsverfahrens in Art. 84 GG nach der Rspr. des BVerfG nicht starr
ist, sondern Wandlungen unterliegt (vgl. BVerfG, Urteil vom 10.12.1980 - 2 BvF 3/77 - in
BVerfGE 55, 274). Dieser Ansatz ändert nichts daran, dass das BVerfG sein bisheriges
Verständnis und die daraus resultierende Definition des Begriffs "Verwaltungsverfahren"
bislang weder aufgegeben noch modifiziert hat. Hierzu besteht zur Überzeugung des
Senats im hier interessierenden Zusammenhang auch kein Bedarf. Naturgemäß lässt
sich angesichts der aufgezeigten, schwierigen Abgrenzungsfrage jederzeit behaupten, §
3 ErrG betreffe im Wesentlichen das "Wer" und nicht das "Wie". Das führt indessen nicht
weiter, denn die Gegenposition kann gleichermaßen unschwer mittels der Behauptung
eingenommen werden, geregelt werde im Wesentlichen, wie und welche Aufsicht
ausgeübt werde und nur als Reflex, wer das zu tun habe. Allerdings belegt die
Beliebigkeit dieses gedanklichen Ansatzes, dass § 3 ErrG zumindest auch und
jedenfalls gleichrangig Regelungen des Verwaltungsverfahrens enthält, von denen das
Land NRW frühestens ab dem 01.01.2009 hätte abweichen dürfen (Art. 125b Abs. 2
GG). Hiermit korrespondiert, dass auch das Eingliederungsgesetz sich nicht darauf
beschränkt zu regeln, wer für die Durchführung des SER zuständig ist. Zwar wird auch
die Zuständigkeit bestimmt (§ 4 Abs. 1), darüber hinaus wird aber auch festgelegt, wie
der Landschaftsverband die Aufgaben auszuführen hat, nämlich als Pflichtaufgaben zur
Erfüllung nach Weisung (§ 4 Abs. 2 Satz 1 ). Diese Regelung bezieht sich nicht auf die
Behördeneinrichtung; betroffen ist insoweit allein das Verwaltungsverfahren. § 4 Abs. 2
Satz 2 ("Die Aufsicht führt die fachlich zuständige oberste Landesbehörde") mag ggf. als
Regelung der Behördeneinrichtung verstanden werden, für Satz 3 ("Diese kann
allgemeine und besondere Weisungen erteilen, um die gesetzmäßige Erfüllung der
Aufgaben zu sichern") und Satz 4 (" Zur zweckmäßigen Sicherung der Aufgaben kann
die Aufsichtsbehörde allgemeine Weisungen erteilen, um die gleichmäßige
Durchsetzung der Aufgaben sicherzustellen") gilt das aber nicht. Jeweils ist das "Wie"
betroffen, indem die Aufsichtsbefugnisse betreffend die Rechtmäßigkeit (Satz 3) bzw.
Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns (Satz 4) präzisiert werden.
64
Das Verständnis des Senats von den Begriffen "Einrichtung einer Behörde" und
"Verwaltungsverfahren" wird gestützt durch die teleologische und historische Auslegung
des Art. 125b GG. Die Vorschrift stellt sicher, dass die Länder schon vor dem 01.01.2009
Behörden einrichten können, ohne allerdings von den das Verwaltungsverfahren
regelnden Vorschriften des ErrG abweichen zu dürfen. Dem kann nicht
entgegengehalten werden, die Aufgabenzuweisung an andere Behörden als die bisher
zuständigen Versorgungsämter führe zwingend dazu, dass die (Neu-) Organisation der
Behördenstruktur gleichzeitig auch das Verfahren regele. Diese Erwägung trifft schon im
Ansatz nicht zu. Sie lässt unberücksichtigt, dass die rechtliche Problematik sich
65
nachhaltig dadurch verschärft, dass das Land NRW die Durchführung des SER auf
Kommunalverbände übertragen hat. Allein die Kommunalisierung der Aufgaben und
damit deren Ausgliederung aus der allgemeinen Landesverwaltung bedingt, dass das
Eingliederungsgesetz mit dem ErrG kollidiert. Hätte der Landesgesetzgeber die
Aufgaben anderen Behörden der allgemeinen Landesverwaltung zugewiesen, hätten
die Vorgaben des § 3 ErrG unschwer übernommen werden können. Im Übrigen laufen
Art. 84, 125b GG schon deswegen nicht leer, weil sie nicht nur das SER betreffen,
sondern eine allgemeine und darüber hinausgehende Bedeutung haben (hierzu
Försterling in ZG 2007, 36-61; Wabnitz in Sozialrecht aktuell 2006, 153-156, Henneke in
NdsVBl 2006, 158-163, Scheidler in UPR 2006, 423-429). Daher gilt: Die
Übergangsregelung des Art. 125b Abs. 2 GG liefe bei einem anderen Verständnis der
Norm als demjenigen des Senats jedenfalls für den Bereich des SER weitgehend leer.
Dass der Verfassungsgeber dies gewollt hat, ist schwerlich anzunehmen. Werden alle
Abweichungen des Eingliederungsgesetzes vom ErrG allein damit gerechtfertigt, dass
nur die Behördeneinrichtung betroffen ist, dann hätte es der Differenzierung zwischen
Verfahren und Einrichtung nicht bedurft, vielmehr hätte das zeitliche Abweichungsverbot
sich schlicht auf allgemeine Verfahrensgesetze beschränken können. Diesen
einfacheren Weg hat der Verfassungsgeber bewusst nicht gewählt, denn Art. 125b GG
sollte dem Bund gerade ermöglichen, den bisherigen Normenbestand zu überprüfen
und ggf. das Verwaltungsverfahren im Sinn des Art. 84 Abs. 1 GG ohne
Abweichungsmöglichkeit für die Länder (Art. 84 Abs. 1 S. 3 GG) zu regeln (BT-Drucks.
16/813, S. 21; BR-Drucks. 178/06, S. 52). Dieses Ziel würde unterlaufen, wenn die
Länder bereits vor dem 01.01.2009 von allen Regelungen des ErrG abweichen könnten.
Das Land NRW könnte dann bis zu einer Neuregelung durch den Bund nicht nur
bestimmen, welche Behörde die Angelegenheiten des SER durchführt, sondern auch,
dass diese Behörde nicht mehr den bisherigen weitgehenden Kontrollen unterliegt. Das
Land wäre jedenfalls durch Bundesrecht nicht gehindert, jegliche Aufsichts- und
Kontrollrechte zu eliminieren. Damit aber wird das Anliegen des ErrG konterkariert. Die
Vorgaben der §§ 3,4 ErrG sind kein Selbstzweck, sie sollen vielmehr die
übergeordneten Ziele des ErrG sicherstellen. Diese werden in den Gesetzesmaterialien
dahin fixiert, dass das ErrG die Einheitlichkeit der Anwendung des BVG im
Bundesgebiet, die Qualität der Versorgungsverwaltung sowie einen sachgerechten und
rationellen Verwaltungsaufbau wahren, eine besonders fürsorgliche Behandlung des
betroffenen Personenkreises durch fachlich geschultes Personal sicherstellen und eine
zentrale Koordination der Aufgaben nach umfassender Fachkompetenz gewährleisten
soll (BT-Drucks. 14/640 S. 19 f; vgl. auch Straßfeld, Die Versorgungsverwaltung, 2001,
20). Das Erreichen dieser Ziele wäre gefährdet, wenn das beigeladene Land von den
qualitätssichernden Vorgaben des ErrG (hierarchischer, dreigliedriger
Verwaltungsaufbau, besondere Geeignetheit) abweichen dürfte, ohne dem Bund die
Möglichkeit zu geben, den Normenbestand zeitnah zu prüfen und ggf. eine Neuregelung
ohne Abweichungsmöglichkeit gem. Art. 84 Abs. 1 Satz 3 GG zu treffen (vgl. auch
Jarass in: Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 125b Rdn. 8). Hierzu verweist das
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMAS) für die beigeladene BRD
darauf, dass der "immer noch bedeutende Personenkreis", der unter das BVG falle,
einer besonders fürsorglichen Betreuung durch speziell geschultes Fachpersonal
bedürfe; das gelte besonders vor dem Hintergrund zunehmender Auslandseinsätze
deutscher Soldaten; die Effizienz der Versorgungsverwaltung mit ihrem hohen
Technikstand und rationellen Verwaltungsablauf sei angesichts Auflösung der
Versorgungsämter nicht mehr gewährleistet; höhere Fehlerquoten bei der Bearbeitung
oder Leistungsverschlechterungen wären zu befürchten und eine wirtschaftliche,
sparsame Verwendung der eingesetzten Haushaltsmittel nicht mehr gesichert.
In diesem Zusammenhang ist von besonderer Bedeutung, dass das Land zur
Überzeugung des Senats gegen den Grundsatz des bundestreuen Verhaltens
verstoßen hat. Nach Art. 84 Abs. 1 GG steht den Ländern zwar grundsätzlich die
Organisationsgewalt für die Landeseigenverwaltung zu (vgl. Dittmann in: Sachs, a.a.O.,
Art 84 Rdn. 1). Sie haben das Recht, die für den Gesetzesvollzug erforderlichen
Behörden einzurichten, müssen dabei aber die sachgerechte Erledigung des sich aus
der Bundesgesetzgebung ergebenden Aufgabenbestandes sicherstellen (BVerfGE 55,
274, 318; BVerfGE 75, 108; BVerfGE 250, 152). Insoweit mag die
Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit eine
landesgesetzliche Regelung (hier: das Eingliederungsgesetz) geeignet ist,
Behördenorganisation und Verwaltungsverfahren unter Einbindung einer Vielzahl von
Interessen zu optimieren, grundsätzlich bei den Ländern liegen. Vorliegend gilt das
indessen nicht (mehr). Das Gebot effektiver Aufgabenerfüllung beinhaltet schon
allgemein das Gebot loyaler Aufgabenerfüllung der Bundesgesetze. Im Rahmen der
Abweichungskompetenz des Art. 84 GG ist, zumal angesichts des Zusammenhangs von
materieller Regelung einerseits sowie Organisation und Verfahren andererseits, damit
eine Grenze der Abweichungsgesetzgebung der Länder verbunden, als diese gehindert
sind, durch Regelungen der Einrichtung der Behörden und des Verwaltungsverfahrens
die Sachregelungskompetenz des Bundes zu konterkarieren (Trute,
Föderalismusreform, Rdn. 158). So liegt es hier. Die Bundesregierung hat mehrfach
versucht, die Aufhebung des ErrG zu verhindern. Entgegen der mit dem Gesetzentwurf
des Bundesrates zum Zweiten Zuständigkeitslockerungsgesetz vom 03.05.2000
verfolgten Absicht, das ErrG in vollem Umfange aufzuheben (vgl. BT-Drucks. 14/640
Begründung zu Artikel 33), wodurch die Bundesländer die volle Organisationsfreiheit
über die Einrichtung und Gestaltung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen
Behörden erlangt hätten, kam es infolge des Widerstandes der Bundesregierung (vgl.
BT-Drucks. 14/640 zu Artikel 33 Seite 19, 20) im Zuge der Beratung der mit der
Angelegenheit befassten Bundestagsausschüsse zu der heutigen Gesetzesfassung.
Anfang 2006 brachte der Bundesrat einen Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der
Verwaltungsreform in den Ländern ( ...Zuständigkeitslockerungsgesetz) in den
Bundestag ein (BT-Drucks. 16/518). Dort hieß es in Art. 5:
66
"Aufhebung des Gesetzes über die Errichtung der Verwaltungsbehörden der
Kriegsopferversorgung
67
Das Gesetz über die Errichtung der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung in
der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 833-2, veröffentlichten,
bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch ... wird aufgehoben."
68
In der Begründung zu Art. 5 wird ausgeführt (BT-Drucks. 16/518, S. 7), das Zweite
Zuständigkeitslockerungsgesetz vom 03.05.2000 habe entgegen der Intention des
Gesetzgebers die Dreistufigkeit der Versorgungsverwaltung weiterhin verbindlich
vorgeben; von der Rechtsprechung werde die Vorschrift so ausgelegt, dass die
Versorgungsverwaltung als Sonderverwaltung fortbestehen müsse, so dass eine
Eingliederung in die allgemeine Verwaltung nicht möglich sei, "auch eine
Kommunalisierung erscheine danach ausgeschlossen"; die Länder müssten aber die
Möglichkeit haben, die bisherigen überholten Strukturen zu verändern und die
Verwaltung aus Kostengründen zu straffen. Die Bundesregierung ist dem
entgegengetreten und hat darauf hingewiesen, dass das Gesetz im Zusammenhang mit
der Föderalismusreform zu sehen sei; die im Rahmen des Art. 84 GG beabsichtigten
69
Änderungen würden es den Bundesländern künftig erlauben, "von Bundesgesetzen
abweichende Regelungen zu treffen, welche Regelungen zur Einrichtung von
Landesbehörden enthielten; einfachgesetzliche Regelungen seien nicht mehr
erforderlich"; die Erforderlichkeit des Entwurfs solle unter diesem Gesichtspunkt geprüft
werden (BT-Drucks. 16/518 S. 8). Der Gesetzentwurf wurde nicht verabschiedet.
Vor diesem Hintergrund und angesichts der Entscheidung des Verfassungsgebers, die
zuvor in der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes stehende Materie der
Versorgung von Kriegsopfern ab 01.09.2006 der ausschließlichen
Bundesgesetzgebung zuzuweisen (Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes v. 28.08.2006, BGBl. I S.
2034), war es angesichts der dem Land NRW auferlegten Pflicht, sich bundesloyal zu
verhalten, nahezu zwingend, dem Bund zumindest die Möglichkeit zu geben, seine der
Auffassung des Landes diametral entgegenstehende Position in das
Landesgesetzgebungsverfahren einzubringen. Die Ermittlungen des Senats haben
ergeben, dass das Land dies versäumt hat. Das Land hat den Bund erstmals auf
Anfrage des Bundesministeriums der Verteidigung im November 2007 über das bereits
am 24.10.2007 vom Landtag verabschiedete Eingliederungsgesetz unterrichtet (vgl.
Schreiben des Bundesministeriums der Verteidigung an das MAGS vom 11.12.2007).
Auch im eigentlichen Gesetzgebungsverfahren ist dem Bund keine Möglichkeit gegeben
worden, seine abweichende Position darzulegen. Im Ergebnis hat das Land dem Bund
damit die Möglichkeit genommen, seinen Normenbestand zeitnah zu überprüfen und
ggf. die Abweichungskompetenz des Landes aus den vom BMAS im Einzelnen
genannten Gründen zu korrigieren. Hinzu kommt: Nach dem Verfassungsgrundsatz der
"Bundestreue" besteht eine Rechtspflicht des Bundes und aller seiner Glieder zu
"bundesfreundlichem Verhalten"; das heißt, alle an dem "Bündnis" Beteiligten sind
gehalten, dem Wesen dieses Bündnisses entsprechend zusammenzuwirken und zu
seiner Festigung und zur Wahrung seiner und der wohlverstandenen Belange seiner
Glieder beizutragen (BVerfG, Urteil vom 10.12.1980 - 2 BvF 3/77 -, juris Rdn. 165;
BVerfGE 1, 299 (315). Diesen Anforderungen ist das Land - wie dargelegt - nicht gerecht
geworden. Es hat damit das infolge der Föderalismusreform neu ausbalancierte
Zuständigkeitsgeflecht zwischen Bund und Ländern unterlaufen und dadurch verhindert,
dass der Bund zeitnah handeln konnte. Zwar könnte erwogen werden, Art. 125b Abs. 2
GG als zugunsten des Bundes greifende Übergangsvorschrift eng auszulegen. Das
scheitert aber jedenfalls daran, dass das Land auch und zusätzlich gegen den
Grundsatz des bundestreuen Verhaltens verstoßen hat.
70
(c) Aus einem weiteren Grund betrifft § 3 ErrG das Verwaltungsverfahren und nicht die
Einrichtung einer Behörde. Die Vorschrift regelt, dass der Aufbau der
Versorgungsverwaltung dreigliedrig sein muss, nicht jedoch welche Behörden
zuständig sind. Das folgt schon aus § 2 VfG-KOV. Der dreistufige Verwaltungsaufbau ist
kein Selbstzweck; er dient - wie dargestellt - der Qualitätssicherung. Angesichts des
dreigliedrigen Verwaltungsaufbau mit umfassenden Dienst- und Fachaufsichtsrechten
wird die Qualitätssicherung u.a. dadurch erreicht, dass stets eine von der
Ausgangsbehörde unterschiedliche Behörde über die Widersprüche der Betroffenen
entscheidet (§ 85 Abs. 2 Ziffer 1 SGG). Das Eingliederungsgesetz hat demgegenüber
die Dreistufigkeit aufgegeben, indem § 4 Abs. 2 bestimmt, dass die (Sonder-) Aufsicht
beim MAGS angesiedelt ist. Hieraus folgt, dass Widerspruchsverfahren gegen
Bescheide der Landschaftsverbände gemäß § 85 Abs. 2 Ziffer 1 SGG von diesen selbst
bearbeitet werden, sie sich also im Ergebnis selbst überprüfen. Dabei kann
dahinstehen, ob sich diese Selbstkontrolle nicht auch aus § 85 Abs. 2 Nr. 4 SGG ergibt,
sofern die dem Landschaftsverband übertragenen Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach
71
Weisung als eine Art von Selbstverwaltungsaufgaben angesehen werden (vgl.
Gutachen Szymczak, Seite 18). Das Vorverfahren der §§ 77 ff. SGG ist dem sachlichen
Gehalt nach jedenfalls ein besonderes Verwaltungsverfahren (Düring in: Jansen, SGG,
2. Auflage, 2005, § 78 Rdn. 1), mithin Verfahrensrecht (so auch Pieroth in:
Jarras/Pieroth, Art. 84 GG Rdn. 5; Bull, AK, Art. 84 Rdn. 5; Hermes in: Dreier, GG, Art. 84
Rdn. 27). Demgemäss darf der Landesgesetzgeber von den Vorgaben des § 3 ErrG
i.V.m. § 85 Abs. 2 SGG wegen Art. 125b Abs. 2 GG frühestens ab dem 01.01.2009
abweichen.
(d) Auch § 4 ErrG ist der Sache nach eine das Verwaltungsverfahren regelnde Norm.
Hierdurch wird bestimmt, dass die Beamten und Angestellten der
Versorgungsverwaltung für ihre Aufgabe besonders geeignet sein müssen. Dabei geht
es nur vordergründig um die Frage, "wer" das BVG durchführt. Angesichts des mit dem
ErrG verfolgten Zwecks will dessen § 4 ein besonderes Qualitätsniveau perpetuieren,
mithin die Art und Weise der Ausführung des BVG beeinflussen, also sicherstellen, dass
die Sachbearbeitung (Sachverhaltsaufklärung, rechtliche Würdigung und Entscheidung)
nur durch "besonders geeignete Mitarbeiter" erfolgt. Ein wie auch immer gearteter
Bezug zur "Behördeneinrichtung" ist damit allenfalls ein unbedeutender Reflex der
Regelung. Ganz im Vordergrund steht der Zusammenhang mit dem
Verwaltungsverfahren. Der Senat ist - wie dargestellt - der Auffassung, dass das Land
den Qualitätssicherungszielen des § 4 ErrG nicht hinreichend Rechung trägt.
72
3. Der Senat hält fest: Das Eingliederungsgesetz verstößt mehrfach gegen
bundesrechtliche Vorgaben, nämlich gegen §§ 3 und 4 ErrG i.V.m. Art. 125b Abs. 2 GG,
u.U. auch gegen Art 85 GG. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (Art. 100
Abs. 1 GG) scheidet indessen angesichts der konkreten prozessualen Situation aus. An
die Entscheidungserheblichkeit im Sinn des Art. 100 GG legt das BVerfG strenge
Maßstäbe. Das Gericht muss im Ausgangsverfahren bei Ungültigkeit der Norm anders
zu entscheiden haben als bei deren Gültigkeit (BVerfGE 98, 169, 99; BVerfGE 105, 61,
67). Grundsätzlich ist der Tenor der Entscheidung dafür maßgeblich, ob eine andere
Entscheidung vorliegt (BVerfGE 44, 297, 300). Das ist etwa im Verhältnis von
Unzulässigkeit und Unbegründetheit der Fall (BVerfGE 35, 65, 72). Diese Frage stellt
sich jedoch nicht. Der Beteiligtenwechsel ist vielmehr eingetreten. Berufungskläger war
das Land NRW und ist nunmehr der Landschaftsverband Westfalen-Lippe, denn dieser
Beteiligtenwechsel vollzieht sich nach der Rspr. des BSG und des BVerwG kraft des
Eingliederungsgesetzes und nicht aufgrund der Bewertung der Wirksamkeit des
Eingliederungsgesetzes durch den erkennenden Senat als verfassungswidrig bzw.
verfassungsgemäß. Das gilt auch deswegen, weil sicher feststehen muss, wer
Beteiligter des Rechtsstreits ist. Zudem existiert der durch das Eingliederungsgesetz für
die Angelegenheiten des SER für zuständig erklärte LWL und führt diese
Angelegenheiten durch, unabhängig von der Frage, ob er aufgrund einer bisher nicht
festgestellten Verfassungswidrigkeit tatsächlich zuständig ist. Zwar weist die
prozessuale Situation die Besonderheit auf, dass das dem Kläger günstige Urteil des
SG zunächst vom Land mit der Berufung angegriffen wurde und in diese Rechtsstellung
der Landschaftsverband nachgefolgt ist. Die Berufung des Landes vor dem 01.01.2008,
d.h. vor Inkrafttreten des Eingliederungsgesetzes, war aber (unproblematisch) zulässig.
Sie wird durch den Beteiligtenwechsel nicht unzulässig. Maßgebend ist der Zeitpunkt
der Berufungseinlegung (vgl. auch BGH NJW 1983, 1063 und LSG Berlin, Urteil vom
05.05.2004 - L 9 KR 1093/01 - zur nachträglichen Veränderung des Rechtsmittelantrags
bzw. Beschwerdewertes). Eine andere Frage ist, wer im Falle des Bestehens eines
Anspruchs des Klägers zur Leistungserbringung zu verurteilen wäre. Das könnte trotz
73
des formellen Gesichtspunkten folgenden Beteiligtenwechsels auf Beklagtenseite das
Land sein, das der Senat aus diesem Grund notwendig zum Verfahren beigeladen hat.
Ob das Land oder der Landschaftsverband zu verurteilen wäre, ist jedoch eine Frage
der Passivlegitimation. Die Prüfung dieser Frage erfolgt im Rahmen der Begründetheit
der Klage. Hier käme es grundsätzlich darauf an, ob das Eingliederungsgesetz in
zulässiger oder unzulässiger Weise vom ErrG abweicht. Dies kann allerdings in all den
Fällen, in denen - wie vorliegend - ein Anspruch weder gegenüber dem Land noch
gegenüber dem Landschaftsverband besteht offen bleiben, weil bereits die
Voraussetzungen der anspruchsbegründenden Norm nicht vorliegen. Bei der gebotenen
strengen Betrachtung fehlt es damit an der Entscheidungserheblichkeit im Sinn des Art.
100 Abs. 1 GG. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht scheidet aus.
II.
74
Ist sonach grundsätzlich ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes eingetreten, bleibt weiter
zu klären, ob § 71 Abs. 5 SGG dem entgegensteht. Hiernach müssen sich die Länder in
Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung vor den Gerichten der
Sozialgerichtsbarkeit durch die Landesversorgungsämter oder durch die Stelle, der
dessen Aufgaben übertragen worden sind, vertreten lassen. Wäre hiermit durch
Bundesrecht vorgegeben, dass in Angelegenheiten des SER immer das Land
Verfahrensbeteiligter sein muss und dieses erst mittels eines Landesversorgungsamtes
prozessfähig wird, wäre das Land nicht mehr ordnungsgemäß vertreten, sofern weder
ein Landesversorgungsamt noch eine Stelle, der dessen Aufgaben übertragen worden
sind, bestehen sollte.
75
Mit Auflösung des Landesversorgungsamtes NRW durch Art. 1 § 3 Satz 2 i.V.m. Art. 37
Abs. 2 des Zweiten Modernisierungsgesetzes (2. ModernG) vom 09.05.2000 (GVBl.
NRW 2000 S. 462) sind dessen Aufgaben zum 01.01.2001 auf die Bezirksregierung
Münster, eine dem Innenministerium (IM) nachgeordnete Landesmittelbehörde der
allgemeinen und inneren Verwaltung übertragen worden (Art 1 § 3 Satz 1 2. ModernG).
Die Bezirksregierung Münster (Abt. 10) ist seither Landesversorgungsamt i.S. des § 71
Abs. 5 SGG (BSG, Urteil vom 12.06.2001 - B 9 V 5/00 R -). Das Eingliederungsgesetz
ändert hieran nichts. Aufgelöst werden nach dessen § 1 nur die Versorgungsämter.
Soweit es die Bezirksregierung Münster (Abt. 10) anlangt, bestimmt das
Eingliederungsgesetz in § 22 lediglich, dass die mit den Aufgaben der Widerspruchs-
und Klagebearbeitung nach § 4 betrauten Beamten und tariflich Beschäftigten, soweit es
für die Aufgabenerfüllung erforderlich ist, mit Wirkung zum 01.01.2008 auf die
Landschaftsverbände übergehen bzw. im Wege der Personalgestellung zwecks
Aufgabenwahrnehmung zur Verfügung gestellt werden. Mithin unterstellt das
Eingliederungsgesetz, dass die Abteilung 10 der Bezirkregierung Münster
gleichermaßen zum 01.01.2008 aufgelöst ist. Dem liegt zugrunde, dass Art. 1 § 3 des
Zweiten Modernisierungsgesetzes durch Art. 2 des Straffungsgesetzes gestrichen
worden ist, mithin nunmehr keine das vormalige Landesversorgungsamt ersetzende
Behörde mehr besteht. Verwaltungsmäßig umgesetzt hat die Landesregierung diesen
Normbefehl u.a. durch den Erlass des Innenministeriums NRW vom 05.12.2007 -
52.18.01.02 -. Danach wird die Abteilung 10 der Bezirksregierung Münster (Soziales
und Arbeit, Landesversorgungsamt) zum 01.01.2008 aufgelöst. Ausweislich des dem
Erlass beigefügten Organisationsplans ist nunmehr das Dezernat 29 der Abteilung 2
(Organisationsrecht, Gesundheit, Sozialwesen, Gefahrenabwehr, Verkehr) zuständig
u.a. für das SER. Hierzu werden lediglich Teilzuständigkeiten der bisherigen Abteilung
10 auf das Dezernat 29 übertragen. Soweit mittels des § 4 Eingliederungsgesetz den
76
Landschaftsverbänden die Aufgabenerfüllung nach dem SER übertragen worden ist,
betrifft dies nur die den vormaligen Versorgungsämtern obliegenden Zuständigkeiten
und nicht jene der Abteilung 10 (Landesversorgungsamt). Ein "neues"
Landesversorgungsamt hat das Land entgegen der aus § 7a ErrG folgenden
Verpflichtung nicht bestimmt. Hieraus folgt, dass weder das Dezernat 29 noch der
jeweilige Landschaftsverband ein Landesversorgungsamt im Sinn der Vorschriften des
SGG (z.B. § 14 Abs. 3 Satz 1) und namentlich nicht des § 71 Abs. 5 1. Alt. SGG ist.
Allerdings ist § 71 Abs. 5 SGG wegen der vom LSG Nordrhein-Westfalen geäußerten
Bedenken hinsichtlich der Prozessfähigkeit des Landes NRW infolge der Auflösung des
vormaligen Landesversorgungsamtes zum 01.01.2001 (z.B. Senatsurteil vom
31.01.2001 - L 10 VS 28/00 -) durch Gesetz vom 17.08.2001 (BGBl. I S. 2144) mit
Wirkung vom 02.01.2002 dahin erweitert worden, dass das Land seither auch durch die
Stelle, der die Aufgaben des Landesversorgungsamtes übertragen worden sind,
vertreten werden kann (vgl. BT-Drucks. 14/6335, S. 34). Auch nach der zweiten
Alternative des § 71 Abs. 5 SGG kann ein Land allerdings nur durch eine Stelle
vertreten werden, deren Organisation die für die fachliche Qualität der Vertretung
erheblichen Anforderungen des Errichtungsgesetzes erfüllt (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil
vom 19.02.2004 - L 7 (5) SB 8/02 -). Ein Landschaftsverband genügt dem schon
deswegen nicht, weil diesem mittels des Eingliederungsgesetzes nur die Aufgaben von
Versorgungsämtern, nicht hingegen jene der Abteilung 10 - Landesversorgungsamt -
übertragen worden sind. Ob das Dezernat 29 die vom Errichtungsgesetz aufgestellten,
erheblichen qualitativen Anforderungen erfüllt, dürfte zweifelhaft sein, mag derzeit
allerdings dahin stehen. Selbst wenn das nicht der Fall wäre, stünde dies der vom Land
verfolgten Kommunalisierung der Versorgungsverwaltung unter dem Blickwinkel des §
71 Abs. 5 SGG jedenfalls derzeit nicht entgegen.
Auszugehen ist vom Regelungsgehalt des § 71 Abs. 5 SGG. Diese Sondervorschrift
dient der Qualitätssicherung. Ohne diese Regelung wären die Länder auch in
Angelegenheiten des SER und des Schwerbehindertenrechts schon nach Absatz 3 der
Vorschrift prozessfähig. Der Gesetzgeber hat indessen in SER-Angelegenheiten seit
jeher die Vertretung des Landes durch eine dafür besonders geeignete Stelle für
erforderlich gehalten und deshalb die Prozessfähigkeit hiervon abhängig gemacht (LSG
Sachsen-Anhalt a.a.O.; vgl. auch LSG NRW, Urteil vom 31.01.2001 - L 10 VS 28/00 -).
Soweit die Auffassung vertreten wird, § 71 Abs. 5 SGG betreffe eine Frage der
Verwaltungsorganisation (so Stellungnahme der Bundesregierung zum Entwurf einer
Verwaltungsprozessordnung in BT-Drucks. 10 3437, S. 95) oder sei ein Instrument zur
Koordination der Versorgungsverwaltung der einzelnen Länder (LSG Bremen, Urteil
vom 24.08.1954 – Son 1/54 – Breithaupt 1954, 985 (989)), folgt der Senat dem nicht. Die
Vorschrift zwingt die Länder nicht, ihre bisherigen Verwaltungsstrukturen im Bereich des
SER beizubehalten. Ein dahingehendes Verständnis des § 71 Abs. 5 SGG wäre mit den
bundesstaatlichen Kompetenzregelungen des Grundgesetzes nicht vereinbar. Nach Art.
30 und 70 GG bedürfen Regelungen durch den Bundesgesetzgeber einer
verfassungsrechtlichen Grundlage. Im Bereich des § 71 Abs. 5 SGG muss insoweit
zwischen der Gesetzgebung der Zuständigkeit des Bundes auf dem Gebiet des
sozialgerichtlichen Verfahrens (Art. 70 GG), und der Regelung der Einrichtung von
Behörden und des Verwaltungsverfahrens (Art. 84 und 85 GG) unterschieden werden.
Bei der Neuregelung des SGG durch das 6. SGG-Änderungsgesetz ist der
Bundesgesetzgeber von seiner Gesetzgebungszuständigkeit auf dem Gebiet des
gerichtlichen Verfahrens nach dem damaligem Art. 74 Nr. 1 GG ausgegangen, der mit
Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG in der Fassung vom 20.12.1993 übereinstimmt. Auch die in § 71
Abs. 5 SGG geregelten besonderen Anforderungen an die Prozessfähigkeit des Landes
77
in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts können somit nur in Art. 74 Abs.
1 Nr. 1 GG ihre kompetenzrechtliche Grundlage finden. Hätte der Gesetzgeber also nicht
nur eine besondere Regelung bezüglich der Qualität der Vertretung des Landes in den
SER-Verfahren treffen wollen, sondern auch eine Regelung bezüglich der für die
Durchführung dieser Gesetze zuständigen Behörden, so hätte er, zumindest im Rahmen
der betroffenen Gesetze (BVG, OEG, etc.), Art. 84 Abs. 1 GG in der bis zum 31.08.2006
geltenden Fassung (a.F.) beachten und das SGG sowie insbesondere § 71 Abs. 5 SGG
mit Zustimmung des Bundesrates beschließen müssen. Die Organisationsgewalt der
Länder wäre im Sinne des Art. 84 Abs. 1 GG a.F. eingeschränkt worden. Das sollte
jedoch offensichtlich nicht geschehen (so auch Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom
19.02.2004 - L 7 (5) SB 8/02 -). Zwar hatte der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum
Regierungsentwurf die Auffassung vertreten, das 6. SGG-Änderungsgesetz sei gemäß
Art. 84 GG zustimmungsbedürftig. Hierzu bezog er sich jedoch nicht etwa auf die
geplante Regelung in § 71 Abs. 5 SGG, sondern auf andere Vorschriften des
Gesetzentwurfs (BT-Drucks. 14/5943 S. 33). Im Übrigen zeigt auch die vom
Bundesgesetzgeber mit Wirkung zum 02.01.2002 im Anschluss an die Entscheidungen
des Bundessozialgerichts zur Prozessfähigkeit der Bezirksregierung (BSG, Urteile vom
12.06.2001 - B 9 V 5/00 R - = BSGE 88, 153 und vom 07.11.2001 - B 9 SB 1/01 R -)
vorgenommene Änderung des § 71 Abs. 5 SGG, dass diese prozessrechtliche Vorschrift
neuen Verwaltungsstrukturen der Länder angepasst wird und der Bundesgesetzgeber
insoweit keinen status quo landesrechtlicher Organisationseinheiten zementieren will. §
71 Abs. 5 SGG steht dem Beteiligtenwechsel mithin nicht entgegen.
III.
78
Örtlich zuständiger Landschaftsverband und damit Beklagter ist der Landschaftsverband
Westfalen-Lippe, in dessen Zuständigkeitsbereich der Kläger wohnt. Das ergibt sich aus
einer entsprechenden Anwendung der Verordnung über die Zuständigkeiten im Bereich
des Sozialen Entschädigungsrechts (ZustVO SER) vom 18.12.2007 (GV. NRW S. 740)
i.V.m. § 3 Abs. 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren in der
Kriegsopferversorgung (VfG-KOV) vom 02.05.1955 (BGBl. I S. 2022) i.d.F. vom
19.06.2001 (BGBl I S. 1046). Unmittelbar ist § 3 Abs. 1 des VfG-KOV nicht anwendbar,
da der Anwendungsbereich des VfG-KOV lediglich Leistungen betrifft, die von den im
ErrG bestimmten Behörden gewährt werden (§ 1 VfG-KOV). Die Landschaftsverbände in
NRW erfüllen - wie dargelegt - in mehrfacher Hinsicht nicht die Anforderungen des ErrG.
Es handelt sich bei ihnen nicht um die im ErrG genannten Behörden, auch wenn sich
der Beklagte nun LWL-Versorgungsamt nennt. § 3 Abs. 1 VfG-KOV ist auch nicht
aufgrund einer Verweisung durch die ZustVO SER anwendbar. Ausdrücklich bezieht
sich § 2 Abs. 3 ZustVO SER nur auf § 3 Abs. 2 bis Abs. 4 des VfG-KOV und das auch
nur für bestimmte, in § 2 Abs. 1 und 2 ZustVO SER geregelte Angelegenheiten. Das
Land hat offenbar übersehen, dass angesichts der Verweisung in § 1 VfG-KOV auf
Behörden im Sinne des ErrG das VfG-KOV unmittelbar nicht mehr auf Angelegenheiten
des SER anwendbar ist. Ohne analoge Anwendung der Vorschriften des VfG-KOV
würde es jedoch weitgehend an einer Bestimmung der örtlich zuständigen Behörde im
Bereich der KOV fehlen. Ausdrückliche Regelungen der örtlichen Zuständigkeit finden
sich nämlich in § 2 Abs. 1 ZustVO SER lediglich für den Bereich der
Opferentschädigung und in § 2 Abs. 2 ZustVO für alle Fälle des SER, in denen der
Antragsteller zur Zeit der Antragstellung nicht in Nordrhein-Westfalen wohnt oder sich
dort gewöhnlich aufhält, sein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt nicht feststeht oder
die Schädigung auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug eingetreten ist. Es ist
nicht davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber bewusst keine Regelung der
79
örtlichen Zuständigkeit für die Vielzahl der Fälle des SER getroffen hat. Dies gilt um so
mehr, als der Landesgesetzgeber mit § 4 Eingliederungsgesetz (sachliche Zuständigkeit
der Landschaftsverbände) und §§ 11 Abs. 2 bis 21 Abs. 2 Eingliederungsgesetz die
personalrechtlichen Maßnahmen strikt an der Gebietsaufteilung des § 1 LVerbO NRW
orientiert und entsprechend die jeweiligen Versorgungsämter den
Landschaftsverbänden zugeordnet hat. Die planwidrige Lücke in der ZustVO ist daher
durch analoge Anwendung des § 3 Abs. 1 VfG-KOV zu schließen.
IV.
80
1. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe ist als juristische Person des öffentlichen
Rechts nach § 70 Nr. 1 2. Alt. SGG beteiligungsfähig, allerdings nicht prozessfähig.
Prozessfähig ist nach § 71 Abs. 1 SGG grundsätzlich nur, wer sich durch Verträge
verpflichten kann. Abs. 1 bezieht sich seinem Wortlaut nach zwar sowohl auf natürliche
als auch auf juristische Personen (vgl. § 70 SGG). Allerdings geht die h.M. davon aus,
dass Personenvereinigungen ohne Rücksicht darauf, ob sie rechtsfähig sind oder nicht,
wegen ihrer Handlungsunfähigkeit prozessunfähig sind, folglich nur natürliche Personen
als solche prozessfähig sein können (Krasney in: KassKomm, § 11 SGB X, Rdn. 7
sowie von Wulffen, § 11 SGB X, Rdn. 9; Düring in: Jansen, SGG, 2. Auflage, 2005, § 71
Rdn. 1; Keller/Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 71
Rdn. 3a m.w.N.). Die Prozessfähigkeit des beklagten Landschaftsverbandes ergibt sich
aber aus § 71 Abs. 3 SGG. Nach Abs. 3 handeln für rechtsfähige
Personenvereinigungen und Behörden ihre gesetzlichen Vertreter, im Fall der
Landschaftsverbände also die Direktoren (§ 17 Abs. 1 Ziffer d LVerbO).
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Ungeachtet dessen ist § 71 Abs. 5 SGG auf die Landschaftsverbände analog mit der
Konsequenz anzuwenden, dass die allgemeine Regelung des § 71 Abs. 3 SGG
verdrängt wird. Dies ergibt sich wie folgt: Das beigeladene Land vertritt im Ergebnis die
Auffassung, dass § 71 Abs. 5 SGG für NRW keine Geltung mehr hat. Dem vermag der
Senat nicht zu folgen. Ein solches Verständnis würde im Ergebnis dazu führen, dass
das Land bundesrechtliches Prozessrecht "unterlaufen" könnte, ohne hierfür nach der
Kompetenzverteilung des GG zuständig zu sein. Hinsichtlich § 71 Abs. 5 SGG ist
zwischen der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes auf dem Gebiet des
gerichtlichen Verfahrens (Art. 74 GG) und der Regelung der Einrichtung der Behörden
und des Verwaltungsverfahrens (Art. 84 Abs. 1 GG) zu differenzieren. Nach Art. 84 Abs.
1 GG regeln die Länder die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren,
soweit nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes
bestimmen. Letzteres ist mit dem ErrG geschehen. Selbst wenn die Länder infolge von
Art. 84 Abs. GG n.F. nunmehr berechtigt sind, Verwaltungs- und Organisationsstrukturen
weitgehend frei von bundesrechtlichen Vorgaben gestalten zu können, sind sie
gehalten, dem Wesen dieses Bündnisses entsprechend zusammenzuwirken und zu
seiner Festigung und zur Wahrung seiner und der wohlverstandenen Belange seiner
Glieder beizutragen (vgl. schon oben unter Teil A II). Das bedeutet: Der Bund ist
zuständig für die Regelung des gerichtlichen Verfahrens. Dem ordnet es der Senat zu,
wenn § 71 Abs. 5 SGG als eigenständiges Ziel eine Qualitätssicherung der
Prozessvertretung für das gerichtliche Verfahren verfolgt (vgl. LSG Sachsen-Anhalt vom
19.02.2004 - L 7 (5) SB 8/02 - unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte). Das ist mit
Modifikationen und anderer Interessenlage den gerichtlichen Verfahrensordnungen
nicht fremd (vgl. § 67 Abs. 1 VwGO, § 166 SGG) und von Art. 74 GG gedeckt. Hieraus
folgt, dass das Land seine Verwaltungsstrukturen im Rahmen des Art. 84 GG zwar
autonom gestalten kann, indessen Sinn und Zweck des § 71 Abs. 5 SGG zu beachten
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hat. Notwendig ist es insofern, die rechtlichen Interessen des Bundes und des Landes
auszubalancieren ist, um beiden möglichst weitgehend Rechnung zu tragen. Hierzu
bietet es sich an, § 71 Abs. 5 SGG analog anzuwenden. Dafür spricht überdies, dass
eine Vielzahl von zum SER gehörenden Gesetzen die besonderen Vorschriften des
SGG betreffend die SER-Verfahren für anwendbar erklären (z.B. § 7 Abs. 1 Satz 2 OEG,
§ 10 Abs. 3 Satz 2 HHG). Zudem sind die übrigen Vorschriften des SGG, die
Regelungen für Angelegenheiten des SER treffen, trotz der Zuständigkeitsänderung
zum 01.01.2008 in NRW weiterhin (entsprechend) anwendbar. So sind z.B. keine
Gründe dafür ersichtlich, warum die Landschaftsverbände und Kreise/kreisfreien Städte
im Anwendungsbereich des SER und des Schwerbehindertenrechts entgegen § 57
SGG nicht am Wohnsitz des Beklagten klagen müssten, obwohl die Vorschrift nach
ihrem Wortlaut nur bei Beteiligung des Landes greift. Ebenso erschließt sich nicht, wenn
§ 180 SGG in NRW nicht mehr anwendbar wäre, so dass Verfahrenswiederaufnahmen
trotz doppelter Leistungserbringung oder doppelter Ablehnung von zwingend alternativ
zu erbringenden Leistungen nicht mehr möglich wären. Die Landschaftsverbände
müssen daher in analoger Anwendung des § 71 Abs. 5 SGG die besonderen
Qualitätskriterien des ErrG erfüllen, andernfalls sind sie nicht (mehr) prozessfähig.
Insoweit verdrängt die Sonderregung (§ 71 Abs. 5 SGG) die allgemeine Regelung des §
71 Abs. 3 SGG. M.a.W.: Verliert der Landschaftsverband seine Prozessfähigkeit, kann
nicht mittels des § 71 Abs. 3 SGG angenommen werden, er sei dennoch nach der
allgemeinen Norm prozessfähig. Ein solches Verständnis würde Sinn und Zweck des §
71 Abs. 5 SGG konterkarieren. Für den Senat ist eine ordnungsgemäße
Prozessvertretung durch den Landschaftsverband derzeit noch sichergestellt, denn das
Personal folgt nach der Konzeption des Eingliederungsgesetzes den Aufgaben (§ 22).
Ob dies aber auch zukünftig gilt und insoweit nicht ggf. droht, dass der
Landschaftsverband seine über die Sondervorschrift des § 71 Abs. 5 SGG analog
begründete Prozessfähigkeit verliert, erscheint allerdings als sehr fraglich (hierzu oben
unter I).
B. Begründetheit
83
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 30.06.2000 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.01.2001, mit dem es der vormalige
Beklagte abgelehnt hat, den Bescheid vom 17.09.1985 nach § 44 SGB X zu ändern,
soweit mit diesem ein Anspruch auf Gewährung von BSA aufgrund vorzeitigen
schädigungsbedingten Ausscheidens aus dem Erwerbsleben verneint worden ist.
Hierauf hat der Kläger seinen Klageantrag ausdrücklich begrenzt. Auch das SG hat
ausweislich des Tenors des angegriffenen Urteils ausschließlich hierüber entschieden.
Damit ist die Frage der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 17.09.1985 im Hinblick
auf die Gewährung von BSA aufgrund eines anderen Lebenssachverhalts,
insbesondere eines schädigungsbedingten Minderverdienstes während des
Erwerbslebens des Klägers, nicht streitgegenständlich. Zudem haben die Beteiligten
einvernehmlich die Überprüfung des Bescheides vom 17.09.1985 im Hinblick auf die
Gewährung von BSA wegen schädigungsbedingten Minderverdienstes einer
Neubescheidung durch den Beklagten überantwortet.
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Die Berufung ist begründet, denn das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der
Kläger hat, begrenzt auf den umschriebenen Streitgegenstand, keinen Anspruch auf
Aufhebung des Bescheides vom 17.09.1985 und Gewährung von BSA, denn dieser
Bescheid ist insoweit nicht rechtswidrig.
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Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar
geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im
Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem
Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb
Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden
sind. Weder wurde bei Erlass des Bescheides vom 17.09.1985, soweit über den
Anspruch auf BSA wegen schädigungsbedingten vorzeitigen Ausscheidens aus dem
Erwerbsleben entschieden wurde, das Recht unrichtig angewandt, noch wurde von
einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erwiesen hat, denn der Kläger
hat insoweit keinen Anspruch auf BSA.
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BSA erhalten nach § 30 Abs. 3 BVG rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen
aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist.
Dies ist für die Fallgestaltung des vorzeitigen schädigungsbedingten Ausscheidens aus
dem Erwerbsleben entsprechend der ständigen Rechtsprechung des BSG zur
Beweiserleichterung bei Inanspruchnahme flexiblen Altersruhegeldes (nach § 1248
Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw. § 25 Abs. 1 AVG) zu bestimmen.
Hiernach sind die Schädigungsfolgen schon dann für das vorzeitige Ausscheiden aus
dem Erwerbsleben und einen dadurch eingetretenen Einkommensverlust ursächlich,
wenn der Beschädigte sich auf eine wesentlich durch Schädigungsfolgen bedingte
Schwerbehinderung berufen kann, um mit seinem Ausscheiden eine Altersversorgung
zu erlangen (BSG, Urteil vom 15.12.1999 - B 9 V 11/99 R - sowie BSGE 74, 195 = SozR
3-3100 § 30 Nr. 10 unter Bestätigung der seit BSG SozR 3100 § 30 Nr. 78 entwickelten
Rspr.). Das BSG hat an dieser Rechtsprechung trotz zahlreicher kritischer Äußerungen
in der Literatur festgehalten, weil die Vorschriften, die es schwerbehinderten
Arbeitnehmern ermöglichen bzw. früher ermöglichten, mit sechzig Jahren allein durch
ihren Antrag und die Vorlage des Schwerbehindertenausweises den Versicherungsfall
herbeizuführen, nicht zuließen, dass der entsprechende Kriegsopferversorgungsfall von
Ermittlungen über den Gesundheitszustand und seine Auswirkungen auf die
Erwerbsfähigkeit abhängig gemacht werde (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.1994 - 9 RV
14/93 - in: SozR 3-3100 § 30 Nr. 10, m. w. N.). Der erkennende Senat schließt sich
dieser Rechtsprechung an. Hieraus folgt: Kann der Beschädigte nur unter Hinweis auf
die schädigungsbedingte Schwerbehinderung sozialgesichert vorzeitig seine
Erwerbsfähigkeit beenden, ist regelmäßig bewiesen, dass er im Sinne des § 30 Abs. 3
BVG einen Einkommensverlust durch die Schädigungsfolgen erlitten hat.
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Dieser Beweis ist allerdings nicht erbracht, wenn der Beschädigte auch aus einem
anderen Grund sozialgesichert vorzeitig seine Erwerbstätigkeit beenden konnte. Dies ist
nach der vom Senat als zutreffend angesehenen ständigen Rechtsprechung des BSG
der Fall, wenn der nicht schädigungsbedingte Anteil des GdB allein eine
Schwerbehinderung bedingt und somit zum vorzeitigen Ausscheiden berechtigt. Dies ist
auch dann der Fall, wenn der Beschädigte nicht nur wegen der schädigungsbedingten
Schwerbehinderung, sondern auch wegen seiner einjährigen Arbeitslosigkeit aus dem
Erwerbsleben ausscheiden konnte (BSG, Urteil vom 15.12.1999 - B 9 V 11/99 R -).
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Ausgehend hiervon ist vorliegend nicht erwiesen, dass der Kläger wegen seines
vorzeitigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben einen Einkommensverlust gerade
durch die Schädigungsfolgen erlitten hat. Zwar ist er rentenberechtigter Beschädigter im
Sinne des § 30 Abs. 3 BVG, denn er erhält eine Grundrente nach einer MdE (GDS) von
40 v.H. Auch bezieht er Altersruhegeld wegen seiner anerkannten Schwerbehinderung.
Schließlich ist diese Schwerbehinderung auch maßgeblich durch die
89
Schädigungsfolgen bedingt, denn hierfür ist eine MdE (GdB) von 40 v. H. anerkannt,
während für die schädigungsfremden Funktionsstörungen nur Einzel-GdB-Werte von 20
bzw. 10 angesetzt sind. Damit steht fest, dass der nicht schädigungsbedingte Anteil des
GdB allein keine Schwerbehinderung bedeutet.
Es liegt allerdings ein dokumentierter Umstand vor, der ausweist, dass der Kläger auch
ohne die Schädigung wegen einjähriger Arbeitslosigkeit sozialgesichert aus dem
Arbeitsleben ausscheiden konnte. Zwar hat sich der Kläger bei seinem Antrag auf seine
schädigungsbedingte Schwerbehinderung und damit auf § 25 Abs. 1 AVG berufen. Bei
ihm waren entgegen der Auffassung des SG aber zum selben Zeitpunkt die
Voraussetzungen für den Altersruhegeldbezug wegen einjähriger Arbeitslosigkeit nach
§ 25 Abs. 2 AVG erfüllt. Nach dieser Vorschrift erhält Altersruhegeld auch der
Versicherte, der das sechzigste Lebensjahr vollendet, die Wartezeit nach Absatz 7 Satz
2 (d.h. eine Versicherungszeit von einhundertachtzig Kalendermonaten) erfüllt hat und
nach einer Arbeitslosigkeit von mindestens zweiundfünfzig Wochen innerhalb der
letzten 1 ½ Jahre arbeitslos ist.
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Der Kläger war zu Beginn seines Altersruhegeldbezuges (01.09.1985) entgegen den
Ausführungen des SG bereits 52 Wochen arbeitslos. Das SG ist zu seiner Auffassung
allein deshalb gelangt, weil es unzutreffend den Beginn der Arbeitslosigkeit mit dem
27.10.1984 angenommen hat. Dieses Datum markiert allerdings allein den Begin des
Leistungsbezugs des Klägers. Arbeitslos war dieser bereits seit dem 01.09.1984, nicht
erst seit dem 27.10.1984. Die Vorschrift des § 25 Abs. 2 AVG erfordert aber lediglich
Arbeitslosigkeit, nicht einmal eine Arbeitslosmeldung (BSG, Urteil vom 10.05.1994 - 9
RV 29/93 - in: SozR 3-3642 § 8 Nr. 7), erst recht nicht den Bezug von Arbeitslosengeld
oder Arbeitslosenhilfe. Damit erfüllte der Kläger bereits zu Beginn seines
Rentenbezuges die Voraussetzungen de § 25 Abs. 2 S. 1 AVG. Er übte auch in den
letzten zehn Jahren mindestens acht Jahre eine rentenversicherungspflichtige
Beschäftigung bei der Fa. Kochs-Adler AG aus (S. 2 der Vorschrift).
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Bei dieser Sachlage kann der Kläger nicht glaubhaft machen, ohne seine
schädigungsbedingte Schwerbehinderung hätte er sein Arbeitsverhältnis nicht
gekündigt und wäre nicht vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden (vgl. zu
einem Parallelfall BSG vom 10.05.1994, a.a.O.).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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Die Voraussetzung für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Nach Abs. 1 der Vorschrift steht den Beteiligten gegen ein Urteil eines
Landessozialgerichts die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in dem
Urteil des Landessozialgerichts oder in dem Beschluss des Bundessozialgerichts nach
§ 160a Abs. 4 Satz 2 zugelassen worden ist. Sie ist vom Landessozialgericht nach Abs.
2 - soweit hier von Interesse - nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche
Bedeutung hat (Grundsatzrevision).
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Soweit es den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf BSA wegen vorzeitigen
schädigungsbedingten Ausscheidens aus dem Erwerbsleben anlangt, sind die vom
Senat geprüften Rechtsfragen nicht klärungsbedürftig. Die maßgebenden Rechtssätze
sind durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt.
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Zwar ist die Frage, ob ein Beteiligtenwechsels vom Land NRW auf den LWL infolge des
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Eingliederungsgesetzes eingetreten ist, von grundsätzlicher Bedeutung. Hierzu liegt
noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vor. Diese Rechtsfrage ist indessen im
vorliegenden Rechtsstreit nicht klärungsbedürftig. Denn die Klage ist bereits deshalb
unbegründet, weil kein Anspruch auf BSA wegen vorzeitigen Ausscheidens aus dem
Erwerbsleben besteht und sich die damit zusammenhängende Frage danach, wer
passiv legitimiert ist, im Ergebnis nicht stellt.