Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 23.06.2009

LSG NRW: schwägerin, wirtschaftlich berechtigter, treuhandvertrag, rechtliches gehör, treuhänder, depot, treugeber, afghanistan, verwaltungsakt, lebensversicherung

Landessozialgericht NRW, L 1 AS 30/08
Datum:
23.06.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 1 AS 30/08
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 17 AS 46/07
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom
30.07.2008 wird zurückgewiesen. Kosten sind im Berufungsverfahren
nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger verpflichtet ist,
Grundsicherungsleistungen i.H.v. 6.197,72 EUR zurückzuzahlen.
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Der im Juli 1959 geborene Kläger stammt aus L/Afghanistan, floh 1980 in die
Bundesrepublik Deutschland und hat hier ein Medizinstudium ohne Abschluss beendet.
Er ist verheiratet und Vater dreier Kinder. Seine Schwägerin I lebt in L, arbeitet dort
überwiegend als Journalistin für einen Privatsender und eröffnete am 26. Juli 2004 in
der Bundesrepublik Deutschland ein Konto bei der Deutschen Bank in C.
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Zur Altersvorsorge schlossen der Kläger eine Lebensversicherung (Rückkaufwert am
01. März 2006: 16.364,67 EUR) und seine Ehefrau eine fondsgebundene
Rentenversicherung (Rückkaufwert am 01. Februar 2006: 417,36 EUR) bei der E ab.
Zudem unterhielten die Eheleute ein Wertpapierdepot bei der E Investment GmbH. Über
dieses Depot kauften sie zu verschiedenen Zeitpunkten Fondsanteile von drei
Investmentfonds für insgesamt 85.797,06 EUR. Außerdem erwarben beide über ihr
gemeinsames "B Depot" Investmentfondsanteile des "B Great-Selection100" (Wert am
31. Dezember 1995: 18.638,47 EUR). Als wirtschaftlich Berechtigter ist.
Geldwäschegesetzes fungierte jeweils der Kläger.
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Gleichwohl beantragte er für sich, seine Ehefrau und seine drei Kinder ab Ende 2004
wiederholt Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld und gab jeweils an, über kein Vermögen
zu verfügen. Die Beklagte gewährte ihm ab dem 01. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2007
Grundsicherungsleistungen (Bescheide vom 02. Dezember 2004, 08. Juni und 01.
Dezember 2005, 30. Juni 2006 und 04. Januar 2007).
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Nachdem die Beklagte Anfang 2006 durch einen Datenabgleich mit dem Bundesamt
der Finanzen erfahren hatte, dass der Kläger und seine Ehefrau Wertpapierdepots
unterhielten, gab sie der Ehefrau mit Anhörungsschreiben vom 14. Februar 2006
Gelegenheit, sich zu einer möglichen Rückforderung der Grundsicherungsleistungen zu
äußern. Im Anhörungsverfahren gab der Kläger an, sämtliche Vermögenswerte stünden
"im wirtschaftlichen Eigentum" seiner Schwägerin I, die in Afghanistan kein Geld
anlegen könne. Deshalb habe sie ihm und seiner Ehefrau verschiedene Geldbeträge
"zum Zwecke der Anlage in Deutschland" zukommen lassen, wobei es sich um
folgende Vermögenspositionen handele:
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1. Depot B am 31.12.2005 18.638,47 EUR 2. Depot E Investment am 31.12.2005
54.775,67 EUR
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Mit Bescheid vom 04. April 2006, den sie an den Kläger adressierte, nahm die Beklagte
die Leistungsbewilligung für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft im Zeitraum vom
01. Januar 2005 bis zum 31. März 2006 zurück, weil bei der Antragstellung zu den
Vermögensverhältnissen grob fahrlässig falsche und unvollständige Angaben gemacht
worden seien. Gleichzeitig forderte sie Leistungen i.H.v. 26.319,44 EUR zurück.
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Dem widersprach der Kläger am 11. April 2006, löste die Depots "B" und "E Investment"
während des Widerspruchverfahrens auf und überwies auf das Konto der Schwägerin
bei der Deutschen Bank in C am 20. September 2006 18.500,00 EUR und 53.000,00
EUR. Mit Widerspruchs- und Teilabhilfebescheid vom 29. Mai 2007 hob die Beklagte
ihren Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 04. April 2006 i.H.v. 16.855,17 EUR
auf und wies den Widerspruch im Übrigen zurück: Da der Kläger nur solche Leistungen
zurückzahlen müsse, die er selbst erhalten habe, betrage die Erstattungsforderung
9.464,27 EUR. Diese Rückforderung sei berechtigt, weil der Kläger im Bezugszeitraum
aufgrund der Investmentfonds und der Lebensversicherung über verwertbares
Vermögen i.H.v. 89.778,90 EUR verfügt habe. Ein verdecktes Treuhandverhältnis
zugunsten der Schwägerin sei nicht erwiesen.
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Dagegen hat der Kläger am 28. Juni 2007 vor dem Sozialgericht (SG) Köln Klage
erhoben und vorgetragen, die Lebensversicherung bei der E diene seiner
Altersvorsorge und sei deshalb unverwertbar; jedenfalls liege ihr Rückkaufwert
unterhalb des Freibetrags. Außerdem hat er behauptet, seine Schwägerin habe ihm und
seiner Ehefrau ab 1998 mehrfach Barbeträge in Dollar und DM zu Verwahrung
geschickt, und zwar über Mittelsmänner, die mit dem Flugzeug aus Afghanistan nach
Deutschland gekommen seien. Hierzu hat er Erklärungen seiner Schwägerin in
englischer Sprache vorgelegt, wonach er für sie Geld gespart bzw. verwahrt habe.
Soweit das Geld in B- bzw. E-Investmentfonds angelegt gewesen sei, habe sie es
zwischenzeitlich zurückerhalten.
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Der Kläger hat beantragt,
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den Bescheid vom 04. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.
Mai 2007 aufzuheben.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Mit Urteilen vom 30. Juli 2008 hat das SG den Erstattungsbetrag von 9.464,27 EUR auf
6.197,72 EUR reduziert und die Klage im Übrigen abgewiesen: Die angebliche
Treuhandvereinbarung mit der Schwägerin existiere nicht und sei als bloße
Schutzbehauptung zu klassifizieren. Denn es widerspreche jeglicher Lebenserfahrung,
dass der Treugeber dem Treuhänder Geldbeträge i.H.v. mindestens 71.500,00 EUR
ohne schriftliche Belege, Vollmachten oder Quittungen aushändige und keine
Investitionsform bestimme. Soweit die Schwägerin behaupte, ihr Geld sei in Afghanistan
unsicher gewesen und deshalb auf Konten ihrer Verwandten in Deutschland transferiert
worden, sei unerklärlich, warum sie diese Vermögenswerte bei ihrem
Deutschlandbesuch 2004 nicht auf ihr neueröffnetes Konto bei der Deutschen Bank
übertragen habe. Fehle somit ein (verdeckter) Treuhandvertrag, so sei der Kläger
keinesfalls hilfebedürftig gewesen und habe deshalb Grundsicherungsleistungen zu
Unrecht bezogen. Ihm sei auch vorzuwerfen, die Vermögenswerte bei der
Antragstellung grob fahrlässig verschwiegen zu haben.
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Nach Zustellung am 19. August 2008 hat der Kläger gegen dieses Urteil am 19.
September 2008 Berufung eingelegt und vorgetragen: Niemand könne Herkunft,
Zahlungsströme und Verbleib der Geldbeträge, die nach Deutschland transferiert
worden seien, lückenlos belegen. Wer wem an welchen Tagen welche DM-Beträge
übergeben habe, sei nicht mehr nachvollziehbar. Die unbekannten Kontaktpersonen
seien Vertraute der Schwägerin gewesen. Sicher sei nur, dass er über das
Fondsvermögen "keinerlei Verfügungsbefugnis" gehabt und das Vermögen der
Schwägerin lediglich als Treuhänder verwaltet habe. Das Treugut sei durch die strenge
soziale Kontrolle der Familiensippe gesichert.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 30. Juli 2008 zu ändern und den Bescheid vom
04. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Mai 2007 in vollem
Umfang aufzuheben.
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Die Beklagte, die dem angefochtenen Urteil beipflichtet, beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Az.: 000) sowie auf die
Gerichtsakte aus dem Parallelverfahren (L 1 AS 31/08) verwiesen. Diese Akten waren
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist unbegründet.
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Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, soweit die Beklagte ihre
Leistungsbescheide zurückgenommen und den Kläger auf Erstattung von 6.197,72 EUR
in Anspruch genommen hat. Denn der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 04.
April 2006 in der Gestalt des Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheides vom 29. Mai
2007 (§ 95 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) ist formell und materiell rechtmäßig und
beschwert den Kläger deshalb nicht (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).
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I. Der Bescheid ist formell rechtmäßig, obwohl die Beklagte ihr Anhörungsschreiben
vom 14. Februar 2006 nicht an den Kläger, sondern an dessen Ehefrau adressiert hat.
Nach § 24 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) ist dem
Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen
Tatsachen zu äußern, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in seine Rechte
eingreift. Diese Gelegenheit hat der Kläger erhalten und im Anhörungsverfahren auch
genutzt. Denn er ist der beabsichtigten Rücknahme der Bewilligungsbescheide und der
angekündigten Rückforderung im Anhörungsverfahren entgegengetreten. Da die
Beklagte seine Argumente vor Erlass des Rücknahmebescheids zur Kenntnis
genommen und sich mit ihnen auseinandergesetzt hat, ist das Ziel der Anhörung, dem
Betroffenen rechtliches Gehör zu gewähren, erreicht worden.
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II. Der Rücknahmebescheid vom 04. April 2006 ist auch materiell rechtmäßig. Denn die
Beklagte war nach § 45 Abs. 1 SGB X befugt, ihre Bewilligungsbescheide vom 02.
Dezember 2004, 08. Juni und 01. Dezember 2005 zurückzunehmen. Nach dieser
Vorschrift darf ein [anfänglich] rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch
nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2
bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit
zurückgenommen werden.
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1. Die (begünstigenden) Bewilligungsbescheide vom 02. Dezember 2004, 08. Juni und
01. Dezember 2005 waren von Anfang an rechtswidrig. Mit ihnen gewährte die Beklagte
dem Kläger im Zeitraum vom 01. Januar 2005 bis zum 31. März 2006
Grundsicherungsleistungen. Dies war rechtswidrig, als sie die Bescheide erließ. Denn
der Kläger war weder im Dezember 2004 noch im Juni oder Dezember 2005
hilfebedürftig. (Grundsicherungs-) Leistungen erhalten nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des
Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II) nämlich nur solche erwerbsfähigen
Personen, die hilfebedürftig sind. Hilfebedürftig ist gem. § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II, wer
seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit
ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus
eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen
und Vermögen, sichern kann. Als Vermögen sind dabei alle verwertbaren
Vermögensgegenstände zu berücksichtigen (§ 12 Abs. 1 SGB II). Als die Beklagte die
Leistungsbescheide erließ, verfügte der Kläger über folgendes Vermögen, dessen Wert
zu den jeweiligen Bewilligungszeitpunkten geringfügig schwankte:
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Depot B am 31.12.2005 18.638,47 EUR Depot E Investment am 31.12.2005 54.775,76
EUR Rückkaufwert E Lebensversicherung am 01.03.2006 16.364,67 EUR Summe
89.778,90 EUR
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Hiervon ist ein Freibetrag von 20.750,00 EUR abzuziehen (vgl. dazu die zutreffende
Berechnung im Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2007), so dass dem Kläger
69.028,90 EUR zur Verfügung standen, um seinen und den Lebensunterhalt seiner
Familie zu sichern.
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Die Depotguthaben bei der Deutschen Bank und der Commerzbank i.H.v. 73.414,23
EUR (per 31. Dezember 2005) waren nicht Gegenstand von Treuhandvereinbarungen
zwischen dem Kläger und seiner Schwägerin. Beim Treuhandvertrag überträgt der
Treugeber dem Treuhänder Vermögensrechte, beschränkt aber die sich daraus im
Außenverhältnis ergebende Rechtsmacht im Innenverhältnis (BSG, Urteile vom 25.
Januar 2006, Az.: B 12 KR 30/04 R und vom 24. Mai 2006, Az.: B 11a AL 49/05 R).
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Folglich erwirbt der Treuhänder im Rahmen der Treuhandabrede ein Vermögensrecht
hinzu, das aber mit einer schuldrechtlichen (Herausgabe-)Pflicht belastet ist. Wegen der
Manipulationsmöglichkeiten und Missbrauchsgefahren, die mit verdeckten
Treuhandverhältnissen typischerweise verbunden sind, ist bei der Prüfung, ob ein
Treuhandverhältnis tatsächlich besteht, ein strenger Maßstab anzulegen; das Handeln
des Treuhänders im fremden Interesse muss eindeutig erkennbar sein. (Depot-
)Guthaben ist somit als Treugut anzusehen, das nicht zum Vermögen des
Kontoinhabers gehört, wenn
a) Treugeber und Treuhänder - bezogen auf das jeweilige Treugut - nachweislich einen
Treuhandvertrag geschlossen haben,
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b) die Beweggründe für die Treuhandkonstruktion nachvollziehbar sind,
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c) das Treugut nachweislich vom Treugeber stammt und
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d) etwaige Transaktionen, Zahlungsströme, Kontobewegungen u.ä. lückenlos belegbar
sind.
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e) Treuhandverhältnisse unter nahen Angehörigen sind nur anzuerkennen, wenn der
Treuhandvertrag und seine tatsächliche Durchführung in allen wesentlichen Punkten
dem entsprechen, was zwischen fremden Dritten üblich ist (vgl. BSG, Urteile vom 24.
Mai 2006, B 11 a AL 7/05 R, SozR 4-4220 § 6 Nr. 4, vom 13. September 2006, B 11 a
AL 13/06 R jeweils zum Arbeitslosenhilferecht).
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zu a) Der Kläger trägt vor, seine Schwägerin habe ihm aus Afghanistan - über
Mittelsmänner - Bargeld zur Geldanlage in Deutschland geschickt. Damit will er, was die
rechtliche Einordnung angeht, ganz offensichtlich behaupten, dass ihm die Schwägerin
die Banknoten "zu treuen Händen" übereignet habe. Mit dem Hinweis, dass die
Banknoten "zur Geldanlage" in Deutschland bestimmt gewesen seien, will er offenbar
verdeutlichen, dass ihn die Schwägerin treuhänderisch gebunden hatte. Die
Schwägerin gibt in ihrer Erklärung vom 17. Oktober 2007 an, dass sie den Kläger und
dessen Ehefrau "gebeten habe, mein Geld für mich zu sparen/zu verwahren". Auch dies
deutet darauf hin, dass den Eheleuten das Geld "zu treuen Händen" übertragen werden
sollten. Dabei sollten die Banknoten offenbar nicht - etwa in einem Tresor - "verwahrt",
sondern bei einem Kreditinstitut angelegt (gespart) werden. Unterstellt man diese -
insofern übereinstimmenden - Angaben als wahr, dann haben der Kläger und seine
Ehefrau mit seiner Schwägerin bzw. ihrer Schwester - zumindest konkludent und damit
formlos mündlich - einen Treuhandvertrag geschlossen. Rechtlich war dies möglich,
weil das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), das hier nach Art. 11 Abs. 2 des
Einführungsgesetzes zum BGB anwendbar ist, für Treuhandverträge kein
Schriftformerfordernis vorsieht.
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zu b) Die Beweggründe für die Treuhandkonstruktion sind nachvollziehbar, soweit
vorgetragen wird, dass die Schwägerin Bargeld von über 140.000 DM während des
Bürgerkriegs und nach der Machtergreifung der Taliban in Afghanistan nicht sicher
wähnte. Allerdings ist dieses Motiv für die Treuhandabrede spätestens entfallen, als sie
während ihres Deutschlandbesuchs am 26. Juli 2004 ein eigenes Konto auf ihren
Namen bei der Deutschen Bank in C eröffnete. Nach der Kontoeröffnung gab es für die
Treuhandkonstruktion keinen vernünftigen Grund mehr, weil sie ihr Geld nunmehr auf
einem eigenen Konto in der Bundesrepublik Deutschland sicher anlegen konnte. Dies
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lässt erhebliche Zweifel an den Ausführungen des Klägers aufkommen, zumal auf ihn
(und seine Familie) die steuer- und sozialrechtlichen Folgen der verdeckten
Treuhandkonstruktion zuliefen.
zu c) Dass die Geldbeträge wirklich von der Schwägerin stammten, kann weder sie
noch der Kläger belegen, weil beide bei den vermeintlichen Geldübergaben angeblich
keinen direkten Kontakt hatten. Wer die Mittelmänner und -frauen waren, bleibt dunkel.
Auch dies lässt erhebliche Zweifel an den Behauptungen des Klägers aufkommen.
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zu d) Der Kläger hat selbst angegeben, dass er nicht belegen könne, welche
Geldbeträge er wann von wem in welcher Höhe und an welchem Ort erhalten hat.
Zahlungsströme und Kontobewegungen (wo sind welche Geldbeträge wann eingezahlt,
angelegt, umgebucht, abgehoben worden?) könne er nicht mehr lückenlos belegen, weil
er "einen Teil der Unterlagen nicht mehr" besitze. Sind Vorgänge nicht mehr aufklärbar,
die in der Sphäre des Arbeitslosen wurzeln, so geht dies zu seinen Lasten (BSG, Urteil
vom 21. März 2007, Az.: B 11a AL 21/06 R, info also 2007 S. 166).
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zu e) Der Treuhandvertrag und seine tatsächliche Durchführung entsprechen keinesfalls
in allen wesentlichen Punkten dem, was zwischen fremden Dritten üblich ist. Denn es
wäre unter Fremden undenkbar, dass ein Treugeber einem (fremden) Treuhänder über
71.500,00 EUR zuwendet, ohne sich die Übergabe quittieren zu lassen und ohne
seinen schuldrechtlichen Herausgabeanspruch in einer Urkunde schriftlich (und damit
im Streitfall beweiskräftig) zu verbriefen. Bei einer derartigen Summe, die das
durchschnittliche Bruttojahresentgelt aller Versicherten in der gesetzlichen
Rentenversicherung um mehr als das Doppelte übersteigt, werden fremde Dritte
"üblicherweise", d.h. im Grunde ausnahmslos, zumindest einen schriftlichen
Treuhandvertrag schließen. Darin wird der Treugeber seinen Herausgabeanspruch
fixieren und auch dokumentieren wollen, dass er das Treugut bei Tod oder Insolvenz
des Treuhänders ebenso wenig verliert wie im Falle der Zwangsvollstreckung in das
Vermögen des Treuhänders. Auf der anderen Seite wird der Treuhänder regeln wollen,
ob und ggf. in welcher Höhe er bei Verlust des Treuguts haftet, ob er für seine
Bemühungen (und sein evtl. Haftungsrisiko) ein Entgelt oder eine
Aufwandsentschädigung erhält, in welcher Form das Treugut anzulegen und wie mit
dessen Früchten (z.B. Zinsen) steuer- und sozialrechtlich umzugehen ist. Keinesfalls
verlassen sich fremde Dritte "auf den erhöhten Druck" und die soziale Kontrolle
irgendeiner Familiensippe, die Fehlverhalten mit Sanktionen belegt, "die von der
hiesigen Rechtsordnung nicht gedeckt und dieser nicht geläufig" sind.
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Allein mit diesem Vortrag im Berufungsverfahren wird überdeutlich, dass der
Treuhandvertrag und seine tatsächliche Durchführung nicht in allen wesentlichen
Punkten dem entsprechen, was zwischen fremden Dritten üblich ist. Da zudem
zweifelhaft ist, ob das Treugut wirklich von der Treugeberin stammt, die einzelnen
Transaktionen, Zahlungsströme, Kontobewegungen u.ä. nicht mehr lückenlos belegbar
sind und die Beweggründe für die Treuhandkonstruktion zwischenzeitlich entfallen
waren, ohne dass es zeitgleich zur Beendigung des Treuhandverhältnisses gekommen
ist, kann die behauptete Treuhandabrede - selbst bei Anlegung eines weniger strengen
Maßstabes - nicht anerkannt werden. Gegen die Existenz einer Treuhandabrede spricht
schließlich auch, dass der Kläger als wirtschaftlich Berechtigter iSv. § 8 Abs. 1 Satz 1
des Geldwäschegesetzes fungierte und seine Ehefrau steuerrechtliche
Freistellungsaufträge auf ihren Namen erteilt hatte, so dass ihr angebliches Handeln im
fremden Interesse keinesfalls eindeutig erkennbar ist.
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2. Die Rücknahme des [anfänglich] rechtswidrigen, begünstigenden Verwaltungsaktes
ist nur unter den Einschränkungen des § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X zulässig. Mit Wirkung
für die Vergangenheit wird ein Verwaltungsakt gem. § 45 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 2
Satz 3 Nr. 2 SGB X nur zurückgenommen, soweit er auf Angaben beruht, die der
Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder
unvollständig gemacht hat. Grob fahrlässig handelt, wer die erforderliche Sorgfalt in
besonders schwerem Maße verletzt (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, 2. HS SGB X). Maßstab ist
dabei die Sorgfalt, die von dem Betroffenen nach seiner individuellen Urteils-, Kritik- und
Einsichtsfähigkeit in der jeweils konkreten Situation zu erwarten ist (subjektiver
Fahrlässigkeitsbegriff).
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Der Kläger wusste, dass er und seine Ehefrau über Depotguthaben und
Lebensversicherungen im Wert von knapp 90.000,00 EUR verfügten. Als Abiturient und
ehemaliger Medizinstudent, der seit 1980 in Deutschland lebt, war er subjektiv in der
Lage, die Frage nach seinen Vermögensverhältnissen im Antragsformular zu verstehen.
Denn das Formular ist insoweit - wie das SG zu Recht angenommen hat - klar, einfach
und eindeutig abgefasst. Missverständnisse können schon deshalb nicht aufkommen,
weil alle Vermögenswerte ausnahmslos anzugeben sind. Als der Kläger im
Antragsformular wahrheitswidrig angab, kein Vermögen zu haben, obwohl er die
Hinweise im Formular verstanden hatte und wusste, dass er über Bankguthaben und
Lebensversicherungen im Wert von ca. 90.000,00 EUR verfügte, handelte er auf Basis
seines individuellen Urteils-, Kritik- und Einsichtsvermögens grob fahrlässig.
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3. Die Beklagte hat die Bewilligungsbescheide, die Dauerwirkung hatten, im April 2006
und damit rechtzeitig vor Ablauf von zwei Jahren (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X) nach ihrer
jeweiligen Bekanntgabe (Dezember 2004, Juni und Dezember 2005) zurückgenommen.
Dies geschah auch innerhalb eines Jahres, nachdem die Beklagte durch einen
Datenabgleich mit dem Bundesamt der Finanzen Anfang 2006 von dem Vermögen
erfahren hatte (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X).
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4. Nach §§ 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II, 330 Abs. 2 des Dritten Buches des
Sozialgesetzbuches (SGB III) und § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X ist der Verwaltungsakt
mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Es besteht kein
Ermessensspielraum.
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III. Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein
Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Da die Beklagte ihre Bewilligungsbescheide
wirksam zurückgenommen hat, soweit sie an den Kläger geleistet hat, durfte sie ihn auf
Erstattung von 6.197,72 EUR in Anspruch nehmen. Um Wiederholungen zu vermeiden,
wird zur Berechnung der Erstattungsforderung auf die Ausführungen im angefochtenen
Urteil Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
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Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen
hierfür nicht gegeben sind (§ 160 Abs. 2 SGG).
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