Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24.05.2007

LSG NRW: firma, pauschalabzug, zukunft, hauptsache, abschlag, anteil, rechtskraft, abrechnungsstelle, rückzahlung, zivilprozessordnung

Landessozialgericht NRW, L 10 B 27/06 KA
Datum:
24.05.2007
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 10 B 27/06 KA
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 33 KA 51/06 ER
Sachgebiet:
Vertragsarztangelegenheiten
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.07.2006 wird zurückgewiesen.
Gründe:
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I.
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Zwischen den Beteiligten war streitig, ob die Antragsteller die Abrechnung für die von
der Antragsgegnerin zu vergütenden Leistungen, die im Rahmen der ambulanten
Notfallbehandlung erbracht worden sind, über eine private Abrechnungsstelle
vornehmen dürfen.
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Die Antragsteller bedienen sich seit Februar 2002 für diese Abrechnungen der Firma
PriA Dienstleistung Gesundheitswesen GmbH (PriA). Nach einer entsprechenden
Änderung der Bestimmungen über die Abrechnungslegung in § 4 Abs. 1 ihres
Honorarverteilungsvertrages (HVV) zum 01.01.2006, der vorsieht, dass die
Rechnungslegung ohne Einschaltung von Dritten vorzunehmen ist, hat die
Antragsgegnerin angekündigt, die Entgegennahme der über die Firma PriA erstellten
Abrechnungen ab dem 1. Quartal 2006 abzulehnen. Auf Antrag der Antragsteller vom
15.02.2006 hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf mit rechtskräftigem Beschluss vom
21.03.2006 die Antragsgegnerin vorläufig verpflichtet, bis zur rechtskräftigen Erledigung
des Hauptsacheverfahrens die von der Firma PriA im Auftrag der Antragsteller
eingereichten vertragsärztlichen Rechnungsunterlagen für ambulante vertragsärztliche
Leistungen entgegenzunehmen und durch Honorarbescheide abzurechnen.
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Mit Beschluss vom 14.07.2006 hat das SG den Streitwert auf 10.219,00 EUR
festgesetzt. Dabei hat es darauf abgestellt, dass die Antragsgegnerin die
Entgegennahme der unter Inanspruchnahme der PriA erstellten Abrechnung insgesamt
verweigere. Das wirtschaftliche Interesse der Antragsteller am Verfahren werde daher
durch deren Honoraranspruch als solchen bestimmt. Bei der Streitwertberechnung hat
das SG die von den Antragstellern (unwidersprochen) mitgeteilten durchschnittlichen
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Quartalsumsätze sowie einen Zeitraum von 2 Jahren bis zur rechtskräftigen
Entscheidung in der Hauptsache zugrunde gelegt und für das Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes einen Anteil von 25 v. H. des so errechneten Betrages als Streitwert
festgesetzt.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin. Sie meint, das
wirtschaftliche Interesse der Antragsteller bestimme sich nur nach den bei einer evtl.
verspäteten Einreichung der Honorarabrechnung entstehenden Belastungen. Insoweit
sehe § 4 Abs. 6 HVV einen Abzug von 10 v. H. (maximal 10.000,- EUR) des Honorars
zur pauschalen Abgeltung des Aufwandes vor. Für das Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes sei ein Anteil von 25 v.H. des so errechneten Betrages anzusetzen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Streitwert auf 25 % von 10 % des durchschnittlichen Honoraranspruchs der
Antragstellerin pro Quartal festzusetzen.
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Die Antragsteller beantragen,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie tragen vor: Die Antragsgegnerin verweigere die Entgegennahme der mittels der PiA
erstellten Abrechnungen. Die hierdurch bedingten wirtschaftlichen Einbußen
entsprächen der Höhe des im jeweiligen Quartal erwirtschafteten Honoraranspruchs. Ob
sie - die Antragsteller - die hypothetische Möglichkeit hätten, diese Vermögenseinbußen
zu begrenzen, indem sie die Abrechungen ohne Hilfe der PriA erstellen, könne
dahinstehen. Es gehe allein um die Frage, ob die Antragsgegnerin die Entgegennahme
der Abrechungen verweigern dürfe oder nicht. Demzufolge bemesse sich der Streitwert
nach den Honorarausfällen.
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II.
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Die statthafte und im übrigen zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das SG hat den
Streitwert im Ergebnis zutreffend festgesetzt.
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Gemäß § 53 Abs. 3 Nr. 4 i. V. m. § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) ist der
Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Antragstellers für ihn ergebenden
Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Zu Recht ist das SG insoweit
davon ausgegangen, dass das wirtschaftliche Interesse der Antragsteller darauf
gerichtet ist, ihre Honoraransprüche zu realisieren. Die Antragsgegnerin verweigert die
Entgegennahme von mit Hilfe der PriA erstellten Abrechnungen. Da sich die
Antragsteller mangels geschulten Personals außer Stande sehen, die Abrechnungen
selbst zu erstellen, sie ihren Honoraranspruch ohne Mitwirkung der PriA mithin nicht
abrechnen können, geht es ihnen nicht nur um den evtl. Mehraufwand für persönliche
Abrechnungen. Demzufolge realisiert sich das für die Bestimmung des Streitwerts
maßgebliche wirtschaftliche Interesse durch den Honoraranspruch insgesamt.
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Soweit die Antragsgegnerin vorträgt, es dürfe nur der nach § 4 Abs. 6 lit. b HVV
vorgesehene Pauschalabzug von 10 v.H.des zuerkannten Honoraranspruchs für
verspätet eingereichte Abrechnungen zu Grunde gelegt werden, ist ihr nicht zu folgen.
Ihre Ansicht wird dem sich aus dem Antrag ergebenden wirtschaftlichen Interesse der
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Antragsteller nicht gerecht. Diese haben nicht (nur) geltend gemacht, sie könnten die
Quartalsabrechnungen nicht fristgerecht erstellen, sie haben vielmehr dargelegt, diese
ohne (unzumutbare) Umstellung ihrer Organisation überhaupt nicht selbst erstellen zu
können. Es geht somit um den Honoraranspruch der Antragsteller insgesamt. Sofern sie
die Abrechnungen erst nach Klärung der Rechtslage im Hauptsacheverfahren
einreichen würden, dürften sie auch kaum die Jahresfrist des § 7 Abs. 5 Satz 6 HVV
wahren können, so dass ihnen ein endgültiger Honorarverlust drohen würde.
Unabhängig davon ist der Pauschalabzug für verspätete Abrechnungen als
Anknüpfungspunkt für die wirtschaftliche Bewertung des Begehrens der Antragsteller
auch deshalb ungeeignet, weil sie ohne laufende Abrechnungen keine
Abschlagszahlungen mehr erhalten würden (§ 4 Abs. 6 lit. a HVV), mithin bis zum
Abschluss des Verfahrens ihre Kosten anderweitig finanzieren müssten. Demzufolge
geht die wirtschaftliche Bedeutung des Verfahrens für die Antragsteller über die
Vermeidung des Pauschalabzugs hinaus.
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Somit sind für die Streitwertfestsetzung die von den Antragstellern in der Vergangenheit
erzielten Umsätze maßgebend.
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Abweichend von der Rechtsauffassung des SG hält es der Senat aber für sachgerecht,
nur den Umsatz für ein Jahr zugrunde zu legen. Zwar mag innerhalb dieses Zeitraumes
das Hauptsacheverfahren nicht endgültig abgeschlossen sein. Jedoch ist zu
berücksichtigen, dass auch bei Honorarstreitigkeiten mit Auswirkungen für die Zukunft
nur ein Zeitraum von einem Jahr zu Grunde zu legen ist (vgl. BSG SozR 4-1930 § 6 Nr.
1). Vor allem ist in den wesentlich bedeutsameren Zulassungsverfahren im Verfahren
des vorläufigen Rechtsschutzes nur von den Einnahmen für ein Jahr auszugehen (LSG
NRW vom 09.10.2006 - L 11 B 52/05 KA ER -), nachdem in Hauptsacheverfahren dieser
Art nach neuer Rechtsprechung des BSG für den Streitwert nur noch auf die Einnahmen
innerhalb von drei Jahren abzustellen ist (BSG, Beschluss vom 01.09.2005 - B 6 KA
41/04 R -, vgl. auch Senatsbeschluss vom 24.02.2006 - L 10 B 21/05 KA -). Vor diesem
Hintergrund erscheint es sachgerecht, auch in einem einstweiligen
Anordnungsverfahren, in dem es um die Abrechnung des Honorars geht, als Zeitraum
für die Wertermittlung ein Jahr zuGrunde zu legen.
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Angesichts des vorläufigen Charakters des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens sieht
es der Senat vorliegend als gerechtfertigt an, einen Abschlag von 50 v.H. zu machen.
Dies ergibt sich wie folgt: Die den Antragstellern günstige Entscheidung des SG im
Beschluss vom 20.03.2006 kommt in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen dem
Hauptsacheverfahren nahe. Die getroffene Regelung steht zwar unter dem Vorbehalt
der Entscheidung in der Hauptsache und ist damit für die Zukunft nur vorläufig. Jedoch
erfolgt für die Geltungsdauer bis zur rechtskräftigen Erledigung des
Hauptsacheverfahrens durch die einstweilige Anordnung eine endgültige Regelung des
vorläufigen Zustandes, denn die Antragsgegnerin wird für diesen Zeitraum zur
Entgegennahme der Abrechnungen über die PriA verpflichtet (vgl. zur Vorläufigkeit
einer Maßnahme Krodel NZS 2002, 234, 239; ausführlich Schoch in Schoch/Schmidt-
Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn. 137 ff.). Allerdings kann eine Verpflichtung zur
Rückzahlung empfangener Leistungen in Betracht kommen, wenn sich nachträglich
herausstellt, dass die auf Grund der einstweiligen Anordnung erbrachten Leistungen
dem Empfänger nicht zugestanden haben (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 8. Aufl., § 86b Rn. 49), wobei offen ist, ob sich ein Erstattungsanspruch aus
allgemeinen bereicherungsrechtlichen Grundsätzen (so Sächsisches LSG, Beschluss
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vom 27.07.2006 - L 3 B 300/05 AS ER -; Krodel, a.a.O., S. 240; s. auch BSG SozR 3-
1500 § 97 Nr. 7), aus § 50 10. Buch Sozialgesetzbuch (vgl. OVG Hamburg NVwZ 1990,
686) oder aus einem Schadenersatzanspruch nach § 85b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §
945 Zivilprozessordnung (so wohl HessVGH NVwZ-RR 1993,145) ergibt. Ob im
vorliegenden Fall die durch die gerichtliche Anordnung vorläufig "ersetzte" Regelung
des § 4 Abs. 1 HVV materiell-rechtliche Bedeutung für den Honoraranspruch der
Antragsteller hat oder nur den Modus der Abrechnung regelt und ob die
Antragsgegnerin berechtigt wäre, bei einem für die Antragsteller negativen Ausgang des
Hauptsacheverfahrens das während der Dauer der einstweiligen Anordnung gezahlte
Honorar zurückzufordern, ist hier nicht zu entscheiden. Da jedenfalls ein
Rückforderungsanspruch der Antragsgegnerin nicht völlig ausgeschlossen werden
kann, ist die wirtschaftliche Bedeutung der vorläufigen Regelung für die Antragsteller
geringer als eine endgültige Feststellung im Hauptsacheverfahren, so dass dem durch
einen Abschlag von dem Wert des Hauptsacheverfahrens Rechnung zu tragen ist. Da
aber andererseits viel dafür spricht, dass die Antragsteller ihr materiell zustehende
Honorare allein wegen der Abrechnung für die PriA nicht zurückzuzahlen haben, hält
der Senat eine Quote von 50 v.H. für gerechtfertigt. Somit ergibt sich aus den
mitgeteilten Quartalsumsätzen (unter Zugrundelegung der vollen EUR-Beträge) der vom
Sozialgericht festgesetzte Streitwert.
Dieser Beschluss ergeht gebührenfrei; Kosten sind nicht zu erstatten (§ 68 Abs. 3 GKG).
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Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde nicht gegeben (§ 68 Abs. 2 S. 6 i. V. m. §
66 Abs. 3 S. 3 GKG, § 177 SGG).
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