Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 13.02.2001

LSG NRW: beschränkung von grundrechten, altersrente, abschlag, verfassungskonform, auszahlung, versorgung, lückenfüllung, versicherung, unterhalt, rentenalter

Landessozialgericht NRW, L 18 RJ 87/00
Datum:
13.02.2001
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
18. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 18 RJ 87/00
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 13 RJ 218/99
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 13 RJ 109/01 B
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund
vom 04. Juli 2000 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind
auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe dem Kläger Altersrente für
Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige zusteht.
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Die Ehe des am 00.00.1939 geborenen Klägers wurde 1989 geschieden. Im Zuge des
durchgeführten Versorgungsausgleichs wurden von seinem Versicherungskonto auf das
Versicherungskonto seiner geschiedenen Ehefrau Rentenanwartschaften in Höhe von
463,70 DM monatlich übertragen, bezogen auf das Ende der Ehezeit am 31.01.1989. Im
Oktober 1989 schloss die geschiedene Ehefrau eine neue Ehe.
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Bei Berechnung der dem Kläger ab dem 01.08.1999 gewährten Altersrente für
Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige berücksichtigte die Beklagte
aufgrund des durchgeführten Versorgungsausgleichs einen Abschlag von 12,4425
Entgeltpunkten und ermittelte einen Rentenzahlbetrag von monatlich 1.728,35 DM netto
(Bescheid vom 27.05.1999). Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit der
Begründung Widerspruch ein, dass ihm bis zum Eintritt der geschiedenen Ehefrau in
das Rentenalter die Rente voll auszuzahlen sei. Die übertragene Rentenanwartschaft
habe er erarbeitet und seine geschiedene Ehefrau werde das Rentenalter erst in einigen
Jahren erreichen. Der Widerspruch wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass
ein Härtefall im Sinne des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich
(VAHRG) nicht vorliege, weil die geschiedene Ehefrau noch lebt und der Kläger keinen
Unterhalt zahlt (Widerspruchsbescheid vom 27.08.1999). Mit der Klage hat der Kläger
darauf hingewiesen, dass seine geschiedene Ehefrau am 09.07.1945 geboren ist und
frühestens mit Vollendung des 60. Lebensjahres eine Rente erhalten könne. Bis dahin
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behalte die Beklagte einen Betrag von 33.386,40 DM ein. Dies verletzte ihn in seinen
Grundrechten aus Art. 14 und Art. 3 des Grundgesetzes (GG).
Der Kläger hat sinngemäß beantragt,
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den Bescheid vom 27. Mai 1999 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 27.
August 1999 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, seine Altersrente ohne
Abschlag solange ungekürzt zuzahlen, bis der Zuschlag aus dem
Versorgungsausgleich bei einer Rente aus der Versicherung seiner geschiedenen
Ehefrau zu berücksichtigen ist.
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Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält VAHRG insbesondere die §§ 4 und 5 für verfassungskonform.
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Mit Urteil vom 04.07.2000 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe
keinen Anspruch auf ungekürzte Auszahlung sei ner Altersrente. Eine Minderung der
Rente des Ausgleichsverpflichteten nach Durchführung des Versorgungsausgleichs im
Wege der Übertragung von Rentenanwartschaften sei ausdrücklich nur in bestimmten
gesetzlich geregelten Fällen zeitweilig ausgeschlossen oder rückgängig zu machen.
Keine der Ausnahmeregelungen treffe auf den vorliegenden Sachverhalt zu. Es bestehe
auch keine Möglichkeit, die Ausnahmevorschriften im Wege der ergänzenden
Lückenfüllung entsprechend einem Gesamtplan des Gesetzgebers oder im Wege der
verfassungskonformen Auslegung auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden.
Dass der Kläger weder aufgrund des Rentnerprivilegs (§ 101 Abs. 3 Satz 1 SGB VI)
noch aufgrund des § 5 VAHRG von einer Kürzung seiner Altersrente bis zur Gewährung
einer Rente an seine geschiedene Ehefrau verschont bleibe, sei verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden. Mit dem VAHRG habe der Gesetzgeber dem vom
Bundesverfassungsgericht ausgesprochenen Gebot einer ergänzenden Regelung
Rechnung getragen. Der Kläger sei durch die Kürzung seiner Altersrente auch nicht in
seinen Grundrechten aus Art 3 Abs. 1 GG oder Art 14 Abs. 1 GG verletzt.
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Gegen das Urteil hat der Kläger mit der Begründung Berufung eingelegt, das
Bundesverfassungsgericht habe keine abschließende Aufzählung von
Fallkonstellationen vorgenommen, die zu einer Beschränkung von Grundrechten
führten. Es bestehe durchaus die Möglichkeit, dass auch in anderen Fallkonstellationen
eine Grundrechtsverletzung vorliege. Es handele sich um eine Verletzung des Art.3
Abs.1 GG. Selbst wenn ein Unterhaltsanspruch von nur 10 DM bestünde, hätte er
Anspruch darauf, dass die gekürzten 463,70 DM, ausgezahlt würden. Es sei nicht
einzusehen, aus welchen Gründen selbst bei Bestehen einer minimalen
Unterhaltsverpflichtung des Ausgleichspflichtigen die einbehaltenen
Rentenanwartschaften in voller Höhe auszuzahlen seien.
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Der Kläger beantragt,
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seinem schriftsätzlichen Vortrag entsprechend,
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das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 04.07.2000 zu ändern und den Bescheid
vom 27.05.1999 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 27.08.1999 abzuändern
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und die Beklagte zu verurteilen, seine Altersrente ohne Abschlag ungekürzt zu zahlen,
bis der Zuschlag aus dem Versorgungsausgleich bei einer Rente aus der Versicherung
seiner geschiedenen Ehefrau zu berücksichtigen ist.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
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Der weiteren Einzelheiten wegen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Streitakten
und den der Verwaltungsakten der Beklagten.
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Entscheidungsgründe:
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Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten
übereinstimmend damit einverstanden erklärt haben. (§ 124 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz
(SGG))
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Die Berufung ist unbegründet.
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Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Kläger ist durch den
angefochtenen Bescheid vom 27.05.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 27.08.1999 nicht im Sinne des § 54 Abs.2 SGG beschwert. Er hat keinen Anspruch
auf ungekürzte Auszahlung seiner Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige
oder Erwerbsunfähige.
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Gemäß § 76 Abs. 1, 3 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) führt der
zu Lasten des Klägers durchgeführte Versorgungsausgleich zu einem Abschlag an
Entgeltpunkten und damit im Ergebnis zu einer gekürzten Rente. Das Sozialgericht hat
weiterhin zutreffend festgestellt, dass die Voraussetzungen des VAHRG, insbesondere
des § 5 VAHRG, unter denen eine Kürzung der Rente ausgeschlossen ist, nicht
vorliegen.
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Die Regelungen des VAHRG sind verfassungskonform.
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Bei der Kürzung von Renten und Anwartschaften im Zusammenhang mit dem
Versorgungsausgleich handelt es sich um eine zulässige Inhalts- und
Schrankenbestimmung des Eigentums im Sinne des Art.14 Abs.1 Satz 2 Grundgesetz
(GG), zu der der Gesetzgeber durch Art. 6 Abs.1 und Art. 3 Abs.2 GG legitimiert ist
(Bundesverfassungsgericht - BVerfG - Urteil vom 28.02.1980 - SozR 7610 § 1587 BGB
Nr.1). Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen lediglich dann, wenn Härtefälle
unberücksichtigt bleiben, die dadurch entstehen, dass die Rentenanwartschaften des
Ausgleichsberechtigten später nicht zu angemessenen Leistungen führen. Dies kann
der Fall sein, wenn die abgesplitteten Werteinheiten beim Berechtigten keine
Rentenleistung auslösen, den Verpflichteten jedoch spürbar belasten, die
Rentenleistungen an den ausgleichsberechtigten Ehegatten nur kurz geleistet werden
und - unter Würdigung der Lage des überlebenden Ausgleichspflichtigen - nicht im
Verhältnis zur Höhe der übertragenen Werteinheiten stehen oder beim
Ausgleichspflichtigen vor dem Ausgleichsberechtigten ein Versicherungsfall eintritt und
der ausgleichsberechtigte Teil, dem die übertragenen Werteinheiten mangels
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Vorliegens eines Versicherungsfalles noch nicht zugute kommen, auf
Unterhaltsleistungen des Ausgleichsberechtigten angewiesen ist (BVerfG a.a.0). Den in
diesen Fällen bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken hat der Gesetzgeber mit
dem VAHRG in ausreichendem Umfang Rechnung getragen. Es besteht vor allem kein
Anlass, die Ausnahmevorschriften des § 5 VAHRG im Wege der ergänzenden
Lückenfüllung oder im Wege der verfassungskonformen Auslegung generell auch in
den Fällen anzuwenden, in denen der Ausgleichsberechtigte noch keine Rente aus der
gesetzlichen Rentenversicherung erhält (BSG Urteil vom 08.12.1988 - 1 RA 35/86,
SozR 2200 § 1304a RVO Nr.15). Denn hätte das Bundesverfassungsgericht bei jedem
Versorgungsausgleich schlechthin die Kürzung der Versorgung des
Ausgleichspflichtigen solange aufgeschoben wissen wollen, als der
Ausgleichsberechtigte aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht keine
Rente erhalten kann, so hätte es im Urteil vom 28.02.1980 nicht der Einschränkung der
Grundgesetzwidrigkeit auf den Fall bedurft, dass der Ausgleichsverpflichtete noch
zusätzlich Unterhalt an den Berechtigten leisten muss. Der vom
Bundesverfassungsgericht aufgestellte Katalog von Fällen, die zur Vermeidung eines
verfassungswidrigen Zustandes einer ergänzenden Regelung bedurften, ist vielmehr als
abschließend anzusehen (BSG Urteil vom 14.01.1986 - 5a RKn 24/84 - SozR 5795, § 5
Nr.1 = FamRZ 1987, 380).
Entgegen der Auffassung des Klägers kommen die im Rahmen des
Versorgungsausgleichs übertragenen Anwartschaften auch nicht allein dem
Rentenversicherungsträger zugute. Denn der Umstand, dass der geschiedenen Ehefrau
aus diesen Rentenanwartschaften voraussichtlich erst mit Vollendung des
65.Lebensjahres eine Rente gewährt wird, steht der Annahme einer "angemessenen"
(vgl. dazu die zitierte Entscheidung des BVerfG) Auswirkung des Erwerbs eines
selbständigen Versicherungsschutzes nicht entgegen. Eine "Angemessenheit" im
Verhältnis zur Kürzung des Rentenanspruchs des Ausgleichspflichtigen kann nicht
allein danach beurteilt werden, für welchen Zeitraum vor dem Beginn der Rente des
Ausgleichsberechtigten diese Kürzung voraussichtlich durchgeführt werden kann. Zu
berücksichtigen ist u.a. auch die voraussichtliche Dauer des Rentenbezuges des
Ausgleichsberechtigten auf der Grundlage der dafür statistisch ermittelten Werte (BSG
Urteil vom 08.12.1988 - 1 RA 35/86, SozR 2200 § 1304a RVO Nr.15). Im übrigen ist
grundsätzlich nicht auszuschließen, dass der geschiedenen Ehefrau bereits vor der
Vollendung des 65. Lebensjahres weitere Leistungen der gesetzlichen
Rentenversicherung, z.B. Rehabilitationsmaßnahmen oder eine Rente wegen
Erwerbsminderung zustehen.
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Die Vorschrift des § 5 VAHRG verstößt ferner nicht gegen Art. 3 Abs.1 GG. Eine
"Bevorzugung" derjenigen Versicherten, bei denen der potentielle Kürzungsbetrag der
Rente wesentlich über demjenigen der eigentlichen Unterhaltszahlung liegt, hat der
Gesetzgeber bewusst aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität hingenommen. Nach
Auffassung des Gesetzgebers sollte im Rahmen des § 5 VAHRG die Kürzung der
Versorgung unabhängig von der Höhe des geleisteten Unterhalts rückgängig gemacht
werden, auch wenn die durch den Versorgungsausgleich an sich bewirkte Kürzung die
Unterhaltshöhe wesentlich übersteigt. Denn es würde zu einem unvertretbaren
Verwaltungsaufwand führen, wenn die Höhe der jeweils erbrachten
Unterhaltsleistungen vom Rentenversicherungsträger laufend überprüft werden müsste.
Weiter sollte der Leistungsträger in den Fällen, in denen eine Nachzahlung in Betracht
komme, über die vergangene Zeit hinweg, nicht die Höhe des tatsächlich gezahlten
Unterhalts feststellen müssen (Deutscher Bundestag - 9.Wahlperiode Drucksache - BT-
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Drucks. - 9/34 S.9 für die ursprünglich vorgesehene Vorschrift des § 1587s BGB; BT-
Drucks 9/2296, S. 15). Diese Motive sind sachgemäß und ausreichend, um einen
Verstoß gegen das in Art.3 Abs.1 GG enthaltene Willkürverbot verneinen zu können.
Denn dem Gesetzgeber wird dort, wo er anders Sachverhalten nur schwer Herr werden
kann, die Befugnis eingeräumt, typisierende Regelungen zur Ordnung von
Massenerscheinungen zu schaffen (vgl. BVerfGE 17, 1, 24 f; 80, 109, 118; 82, 60, 101f;
Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 3. Auflage 1995, Art.3
Rdn.21). Dabei ist die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers zudem in Fällen bei
bevorzugen der Typisierung, wie im Falle des § 5 VAHRG, weitergespannt als bei
benachteiligender Typisierung (BVerfGE 17, 1, 24 f).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG
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Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die dafür nach § 160 Abs.2 Nr.1 bzw.
Nr.2 SGG erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.
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