Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 30.11.2010

LSG NRW (antragsteller, antrag, einkommen, sgg, höhe, bezug, beschwerde, unterlagen, stadt, sicherung)

Landessozialgericht NRW, L 6 AS 1704/10 B ER
Datum:
30.11.2010
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 6 AS 1704/10 B ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Detmold, S 9 AS 1829/10 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Detmold vom 24.09.2010 wird zurückgewiesen. Kosten
sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
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I.
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Die Antragsteller begehren die einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur
Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
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Die 1968 geborene Antragstellerin, der 1965 geborene Antragsteller und deren 1992
und 1993 geborene Söhne E und N bezogen von der Antragsgegnerin Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Die Antragsgegnerin gewährte
zuletzt mit Bescheid vom 02.12.2009 Leistungen bis einschließlich 31.03.2010. Mit
Schreiben vom 03.02.2010 wies die Antragsgegnerin die Antragsteller darauf hin, dass
ein Weiterbewilligungsantrag erforderlich sei, um Folgeleistungen erhalten zu können.
Dieser Antrag müsse rechtzeitig gestellt werden, damit Leistungsunterbrechungen im
laufenden Bezug vermieden werden könnten.
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Am 12.08.2010 haben die Antragsteller das Sozialgericht (SG) Detmold um Erlass einer
Eilentscheidung ersucht. Sie haben im Wesentlichen geltend gemacht, dass die Stadt M
seit Oktober 2008 zahlen müsse und dies nicht tue. Nun seien sie zahlungsunfähig.
Grundbesitzabgaben, Holz, Gas, Essen usw. könnten sie mit vier Personen bei 999,76
Euro und Kindergeld nicht bezahlen. Bis zur Klärung hätten sie einen Rechtsanspruch
auf den in Deutschland existierenden Sozialsatz. Die Stadt M müsse diesen bis zur
Klärung des Betrugs gewähren. Sie hätten schon mehrfach auf das laufende
Strafverfahren hingewiesen. Es sei skandalös, was ihnen bei ihren Diagnosen
zugemutet würde. Verhungern wollten weder sie noch die minderjährigen Kinder, was
bei den Kriminellen in der Behörde aber nicht ausgeschlossen sei.
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Das SG hat die Antragsteller mit Schreiben vom 02.09.2010 befragt, aus welchen
Gründen sie keinen Weiterbewilligungsantrag gestellt hätten bzw. ob ein solcher Antrag
in dem bei Gericht gestellten Antrag gesehen werden solle. Hierauf haben die
Antragsteller nicht ausdrücklich geantwortet. Vielmehr haben sie gefragt, was sie tun
sollten - "einen neuen Antrag zu stellen, dass der Antrag richtig bearbeitet werde, damit
der Antrag als Antrag beim Sozialgericht gewertet werden könne?". Sie wollten bis zur
Klärung des Betrugs den Sozialsatz auf ihr Konto erhalten. Das Sozialgericht hätte
sofort reagieren müssen; leider erhalte man nur Hinhaltungstaktiken. "Viele Schreiben
und die Antwort sei ganz einfach. Ehrlich und korrekt arbeiten, die richtigen Unterlagen
in die Akte und die Ansprüche auszahlen".
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Mit Beschluss vom 24.09.2010 hat das SG den Eilantrag abgelehnt. Die Antragsteller
hätten schon einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Dies folge aus § 37
SGB II. Nach dieser Vorschrift würden Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitsuchende nur auf Antrag erbracht. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt.
Denn die Antragsteller hätten trotz Hinweises sowohl durch die Antragsgegnerin als
auch durch das Gericht einen Folgeantrag für die Zeit ab 01.04.2010 nicht gestellt. Auch
bei großzügiger Auslegung könnten die Schreiben der Antragsteller nicht als Antrag auf
Weiterbewilligung der Leistungen bei der Antragsgegnerin ausgelegt werden.
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Gegen den ihnen am 28.09.2010 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am
29.09.2010 Beschwerde erhoben. Das Gericht gehe nicht auf die Falschberechnung der
Antragsgegnerin ein und nehme keine Stellung dazu, dass der Antrag ordentlich von
ihnen gestellt worden sei - "seit 10.2008". Im Übrigen bestehe die Möglichkeit, ihnen
nach dem SGB rückwirkend Zahlungen zukommen zu lassen, da es sich in diesem Fall
eindeutig um den Fehler der Kommune (Stadt M) handele. Die Kommune müsse bis zur
Klärung der Straftaten zahlen. Alle Unterlagen seien eingereicht. Der Antragsteller sei
Rentner. Diesen habe die Antragsgegnerin zur Bedarfsgemeinschaft und nicht, wie es
richtig wäre, nur zur Haushaltsgemeinschaft gerechnet. Auch der Antragstellerin stehe
bei den eindeutigen Gutachten die Rente zu. Bei dem Erstantrag habe im Übrigen
auffallen müssen, dass dem Antragsteller Leistungen "nach dem SER" zustünden.
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Auf gerichtlichen telefonischen Hinweis, dass ein Antrag auf Weitergewährung der
Leistungen unabdingbare Leistungsvoraussetzung sei, haben die Antragsteller am
18.10.2010 diesen Antrag bei der Antragsgegnerin gestellt. Von der Antragsgegnerin
angeforderte Unterlagen haben sie am 29.10.2010 nachgereicht. Mit Bescheid vom
03.11.2010 hat die Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen abgelehnt. Die
Antragstellerin und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen seien nicht
hilfebedürftig. Das verfügbare Einkommen in Form der Erwerbsunfähigkeitsrente des
Antragstellers, des Kindergeldes für die Söhne N und E L sowie in Form von
Einkommen aufgrund eines Freiwilligen Sozialen Jahres des N L genüge, um den
gesamten Lebensunterhalt selbst sicherzustellen. Der Antragsteller sei aufgrund des
Bezuges einer Erwerbsunfähigkeitsrente gem. § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB II von Leistungen
nach dem SGB II ausgeschlossen. Herr N L gehöre als unverheiratetes Kind unter 25
Jahren gem. § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II zur Bedarfsgemeinschaft, könne aber seinen
Lebensunterhalt durch Kindergeld und Einkommen aufgrund eines Freiwilligen
Sozialen Jahres selbst sicherstellen. Der übersteigende Kindergeldbetrag werde daher
bei der Antragstellerin berücksichtigt. Heizkosten könnten derzeit nicht als Bedarf
anerkannt werden, da kein monatlicher Abschlag zu zahlen sei. In dem Monat, in dem
Flüssiggas getankt werde, könne ein höherer Bedarf zugrunde gelegt werden. Es sei
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dann ein neuer Antrag auf Leistungen zu stellen.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Prozessakten und der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen. Dieser ist
Gegenstand der Beratung gewesen.
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II.
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Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
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Die Antragsteller haben, wie vom Sozialgericht zutreffend entschieden, keinen
Anspruch darauf, die Antragsgegnerin zu verpflichten Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II vorläufig zu erbringen.
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Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache
auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in
Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das von Antragstellerseite geltend
gemachte Recht (sog. Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit, d.h. die
Dringlichkeit, die Angelegenheit sofort vor einer Entscheidung in der Hauptsache
vorläufig zu regeln (sog. Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S.
4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Hiervon ausgehend
sind vorliegend die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen
Anordnung nicht erfüllt, weil die Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht
glaubhaft gemacht haben.
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Zu Recht hat das Sozialgericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung ausgeführt, dass
einem Anordnungsanspruch bereits das Fehlen eines Antrags der Antragsteller auf
Weiterbewilligung von Leistungen entgegenstand. Einen solchen Antrag haben die
Antragsteller trotz Aufforderung durch die Antragsgegnerin und auch das Sozialgericht
im erstinstanzlichen Verfahren nicht gestellt. Auf die zutreffenden Ausführungen des
Sozialgerichts in dem angefochtenen Beschluss vom 24.09.2010 wird zur Vermeidung
von Wiederholungen Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG). Entgegen der
Auffassung der Antragsteller genügt ein im Jahr 2008 oder 2009 gestellter Antrag nicht,
um nach Auslaufen der Leistungsbewilligung im März 2010 weiter über diesen Zeitraum
hinaus Leistungen zu beziehen. Vielmehr ist ein (Weiterbewilligungs-)Antrag
konstitutives Element jeder Leistungsbewilligung für fortlaufende Zeiträume (vgl. hierzu
auch Urteil des erkennenden Senats vom 11.05.2010, L 6 AS 40/09).
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Auch nachdem die Antragsteller auf Hinweis des erkennenden Senats am 18.10.2010
nunmehr doch einen Folgeantrag gestellt haben, fehlt es weiterhin an einem
Anordnungsanspruch. Nach dem bisherigen Sach- und Erkenntnisstand sind die
Antragsteller nicht hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 i.V.m. § 9 SGB II. Es
ist von den Antragstellern weder im Einzelnen vorgetragen noch nach Aktenlage
ersichtlich, warum das ihnen und ihren Söhnen monatlich zufließende Einkommen zur
Deckung des Bedarfs nicht ausreichen sollte.
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Der monatliche Gesamtbedarf der Antragsteller beläuft sich auf etwa 1.245 Euro und
setzt sich zusammen aus einem Regelbedarf der Antragsteller von je 323 Euro sowie
deren Söhnen von je 287 Euro (Regelbedarf somit gesamt: 1.220 Euro) und eines
belegten Bedarfs an Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 125 Euro
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monatlich (Grundsteuer 308,95 Euro jährlich; Abfallgebühren 151,02 Euro jährlich;
Wasser und Abwasser 187,00 Euro dreimonatlich; Gebäudeversicherung 237,31 Euro
monatlich; Schornsteinfeger 54,44 Euro im Jahr 2010; jährlich gesamt 1.499,72 Euro;
monatlich somit etwa 125 Euro). Dem gegenüber steht ein Einkommen der Antragsteller
und ihrer Söhne in Höhe von ca. 1.750 Euro monatlich (Renteneinkommen des
Antragstellers in Höhe von 999,76 Euro monatlich; Kindergeld für die beiden Söhne in
Höhe von 368,00 Euro monatlich und Einkommen des Sohnes N aus der Tätigkeit im
Rahmen seines Freiwilligen Sozialen Jahres in Höhe von 381,95 Euro monatlich). Liegt
nach dieser (- nur überschlägigen -) Berechnung das Einkommen ca. 500 Euro über
dem Gesamtbedarf, wird die Schwelle zur Hilfebedürftigkeit selbst dann nicht erfüllt,
wenn auf der Bedarfsseite etwa Mehrbedarfe nach Maßgabe des § 21 SGB II zu
berücksichtigen wären und Aufwendungen des Sohnes N im Zusammenhang mit seiner
Tätigkeit sowie Versicherungspauschalen das Einkommen minderten.
Soweit die Antragstellerin behauptet, sie sei erwerbsunfähig, ist nicht erkennbar,
inwieweit dies zu einer für sie günstigeren Gegenüberstellung von Bedarf und
Einkommen führen könnte. Gleiches gilt für den (mit Blick auf § 7 Abs. 3 Nr. 3 SGB II
unzutreffenden) Vortrag, der Antragsteller sei nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft,
sondern lediglich Mitglied der Haushaltsgemeinschaft.
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Ob dem Antragsteller ein Anspruch auf Leistungen des Sozialen Entschädigungsrechts
zusteht, ist in diesem Verfahren nicht zu prüfen. Die Antragsgegnerin ist hierfür nicht die
zuständige Leistungsträgerin. Lediglich ergänzend sei darauf hingewiesen, dass allein
die Feststellung einer Schwerbehinderung keinen Leistungsanspruch auslöst.
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Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§
177 SGG).
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