Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 17.09.2002

LSG NRW: wider besseres wissen, fibromyalgie, diagnose, psychotherapie, analogie, laie, poliklinik, direktor, behinderung, rechtskraft

Landessozialgericht NRW, L 6 SB 9/02
Datum:
17.09.2002
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 6 SB 9/02
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 32 SB 362/99
Sachgebiet:
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts Dortmund vom 21.12.2001 wird zurückgewiesen. Dem
Kläger werden Mutwillenskosten in Höhe von 225,-- EURO auferlegt. Im
Übrigen sind Kosten im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die
Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Umstritten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB).
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Auf den Antrag von September 1999 stellte der Beklagte nach Beiziehung und
Auswertung ärztlicher Unterlagen bei dem 1949 geborenen Kläger wegen der
Behinderungen "Coxarthrose, Fibromyalgiesyndrom der Beine" einen GdB von 20 fest
(Bescheid vom 02.11.1999 und Widerspruchsbescheid vom 09.12.1999).
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Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger geltend gemacht, die Fibromyalgie
rechtfertige - wie in gleichen Fällen üblich - einen GdB von 70. Wegen der Fibromyalgie
sei ihm ein normales Leben mit entsprechender Lebensqualität nicht mehr möglich.
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Ein vom Beklagten unterbreitetes Regelungsangebot, den GdB mit 30 festzustellen, hat
der Kläger nicht angenommen.
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Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen
Sachverständigengutachtens des Dr. S ... vom 09.05.2000. Der Sachverständige hat
wegen der Auswirkungen des von ihm angenommenen Fibromyalgiesyndroms einen
GdB von 30 vorgeschlagen.
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Gestützt auf die Beurteilung des Sachverständigen hat das Sozialgericht mit
Gerichtsbescheid vom 12.12.2001 den Beklagten verurteilt, einen GdB von 30
festzustellen, und die Klage im Übrigen abgewiesen.
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Mit seiner Berufung trägt der Kläger unter Hinweis auf das Buch des Dr. Wolfgang
Brückle mit dem Titel: "Fibromyalgie, Das unbekannte Rheuma" vor, die Fibromyalgie
bedinge einen GdB von mindestens 70.
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Der Kläger beantragt,
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den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 21.12.2001 abzuändern und
dem Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 02.11. und 09.12.1999 zu
verurteilen, einen GdB von mindestens 70 oder 100 festzustellen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
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Im Berufungsverfahren ist nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von Prof.Dr. H ...,
Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie des
Universitätsklinikums Münster, ein Gutachten vom 16.07.2002 eingeholt worden. Der
Sachverständige hat seitens des psychosomatisch-psychotherapeutischen und auch
des psychiatrischen Fachgebietes beim Kläger keinerlei Gesundheitsstörungen
festgestellt.
14
Auf den Inhalt der Verwaltungs- und der Gerichtsakten wird Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
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Der Kläger kann, wie vom Sozialgericht zu Recht entschieden, nicht beanspruchen,
dass ein höherer GdB als 30 festgestellt wird. Der Senat verweist zunächst auf den
Inhalt des Gerichtsbescheides vom 21.12.2001.
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Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und insbesondere unter
Berücksichtigung der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. S ..., auf
die sich das Sozialgericht zutreffend gestützt hat, sieht auch der Senat keinen Anlass,
einen höheren GdB anzunehmen.
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Für die Bewertung des GdB ist allein maßgeblich das Erkrankungsbild einer
Fibromyalgie mit ihren Begleiterscheinungen. Allein die Diagnose einer Fibromyalgie
rechtfertigt, worauf der Kläger mehrfach hingewiesen worden ist, keinen höheren GdB.
Nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, 1996 (AP) kommt es für
die Bewertung des GdB nicht auf die Diagnose an, entscheidend ist vielmehr das
tatsächliche Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung unter Berücksichtigung der
jeweiligen Organbeteiligung und der Auswirkungen auf den Allgemeinzustand (AP Ziffer
26.18, S. 136). Dabei sehen die AP für die Bewertung eines Fibromyalgiesyndroms
keine konkreten GdB-Werte vor, so dass sich der GdB hierfür in Analogie zu
vergleichbaren Gesundheitsstörungen beurteilt (vgl. Urteil des Senats vom 12.03.2002 -
L 6 SB 137/01 LSG NW -, wonach bei einem Fibromyalgiesyndrom als
Vergleichsmaßstab am ehesten die in Ziffer 26.3, S. 60 AP genannten
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psychovegetativen oder psychischen Störungen in Betracht kommen.).
Mit diesen Bewertungskriterien der AP steht die Beurteilung des Sachverständigen Dr.
S ... angesichts der feststellbaren Befunde in Einklang. Dabei umfasst der
vorgeschlagene GdB von 30 entsprechend den überzeugenden medizinischen
Ausführungen des Sachverständigen das beim Kläger feststellbare generalisierte
Schmerzbild sowie vegetative Störungen. Nur wegen dieser Begleiterscheinungen der
Fibromyalgie, die auch Dr. Brückle in seinem Buch allgemein beschreibt, erscheint ein
GdB von 30 überhaupt vertretbar.
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Die vom Kläger angeführten Gesichtspunkte sind insgesamt nicht geeignet, einen
höheren GdB zu rechtfertigen. Eher deutet das Gutachten von Prof. Dr. H ... darauf hin,
dass das generalisierte Schmerzbild und die vegetativen Begleiterscheinungen noch
nicht einmal ein solches Ausmaß bezeichnen, wie es Dr. S ... seiner Beurteilung
zugrunde gelegt hat.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 SGG und - soweit dem Kläger
Gerichtskosten auferlegt werden - auf § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG in der seit dem
02.01.2002 geltenden Fassung des Sechsten Gesetzes zur Änderung des
Sozialgerichtsgesetzes vom 17.08.2001 (BGBl. I, 2144, 2151). Der Kläger hat den
Rechtsstreit fortgeführt, obwohl ihm der Vorsitzende im Termin zur mündlichen
Verhandlung die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung dargelegt und ihn auf die
Möglichkeit der Auferlegung von Kosten bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen
hat. Er hat dem Kläger das Ergebnis der Beweisaufnahme und die maßgeblichen
Kriterien für die Bewertung des GdB so eingehend dargestellt, dass der Kläger auch als
juristischer und medizinischer Laie ohne weiteres nachvollziehen konnte, dass sich ein
höherer GdB als 30 und erst recht nicht der vom Kläger beantragte GdB von mindestens
70 oder 100 feststellen lässt. Der Kläger hat auch zu erkennen gegeben, dass er diese
Hinweise verstanden hat und ihm die fehlenden Erfolgsaussichten seines Begehrens
bewusst gewesen sind. Gleichwohl hat er wider besseres Wissen auf der Fortführung
des Verfahrens bestanden. Wer aber ein Verfahren fortführt, obwohl er weiß, dass er
eine positive Entscheidung nicht erhalten kann, nimmt das Gericht missbräuchlich in
Anspruch. Die Höhe des Kostenbetrages ergibt sich aus §§ 192 Abs. 1 S. 2; 184 Abs. 2
SGG.
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Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen.
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