Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 21.12.2005

LSG NRW: avg, unterlassen, erfüllung, versicherungspflicht, rechtsgrundlage, satzung, versorger, rente, anbieter, wartezeit

Landessozialgericht NRW, L 8 R 138/05
Datum:
21.12.2005
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 8 R 138/05
Vorinstanz:
Sozialgericht Detmold, S 19 RA 84/04
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold
vom 07.06.2005 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten
einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der Kläger begehrt von der Beklagten für den Zeitraum vom 04.04.1960 bis 31.03.1961
die Übertragung von Beiträgen aufgrund einer Nachversicherung an die Beigeladene.
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Der am 00.00.1940 geborene Kläger absolvierte vom 04.04.1960 bis 31.03.1961 seinen
Wehrdienst. Für diesen Zeitraum erfolgte durch den Bund die Nachversicherung des
Klägers bei der Beklagten. Weitere Beiträge an die Beklagten entrichtete der Kläger
auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht, denn er wurde nach Abschluss eines
Medizinstudiums Mitglied eines berufsständischen Versorgungswerkes; zunächst bei
der Ärzteversorgung Niedersachsen vom 01.07.1967 bis 31.03.1972 und sodann bei der
Beigeladenen.
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Das Begehren des Klägers, die Nachversicherungsbeiträge für den streitigen Zeitraum
an die Beigeladene zu überweisen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 03.05.2004
ab. Zur Begründung führte sie aus, die Möglichkeit, eine Nachversicherung in einem
berufsständischen Versorgungswerk vorzunehmen, sei erst durch das
Rentenreformgesetz 1972 geschaffen worden. Die Neuerung gelte nur für Personen, die
nach dem 31.12.1972 aus der versicherungsfreien Beschäftigung ausgeschieden seien.
Der Grundwehrdienst des Klägers habe bereits 1961 geendet, so dass er nicht zu dem
nach § 124 Abs. 6a Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) antragsberechtigten
Personenkreis gehöre. Eine Änderung habe auch die später in Kraft getretene Vorschrift
des §186 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) nicht gebracht.
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Der Kläger legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Es könne nicht sein, dass
ihm die Zeit seiner Wehrpflicht rentenrechtlich verloren gehe und dass die Beklagte ihm
die für ihn eingezahlten Beiträge vorenthalte und sich an diesen bereichere. Dies sei
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verfassungswidrig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.07.2004 wies die Beklagte den Widerspruch des
Klägers als unbegründet zurück. Die Nachversicherung sei zu Recht durchgeführt
worden, eine Übertragung auf das berufsständische Versorgungswerk aber nicht
möglich. Für das Recht der Angestelltenversicherung gelte der allgemeine Grundsatz,
dass wirksam entrichtete Beiträge weder zurückgezahlt noch an andere Stellen
überwiesen werden könnten, soweit nicht durch eine gesetzliche Vorschrift eine
Ausnahmeregelung getroffen worden sei. Der Versicherungsträger habe insoweit
keinen Ermessensspielraum. Eine ge setzliche Grundlage für eine Übertragung habe
zum damaligen Zeitpunkt noch nicht bestanden.
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Der Kläger hat am 20.07.2004 Klage erhoben und hat im Wesentlichen die Argumente
seines Widerspruchs vorgetragen.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 03.05.2004 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 14.07.2004 zu verurteilen, die für ihn im Wege der
Nachversicherung für die Zeit vom 04.04.1960 bis 31.03.1961 entrichteten Beiträge an
seine berufsständische Versorgungseinrichtung, die Bayrische Ärzteversorgung
München, zu übertragen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat zur Begründung auf den Inhalt ihres Widerspruchsbescheides vom 14.07.2004
verwiesen.
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Mit Urteil vom 07.06.2005 hat das Sozialgericht Detmold die Klage abgewiesen. Zur
Begründung ist ausgeführt worden, es gebe keine gesetzliche Regelung, die das
Begehren des Klägers stütze. Wie die Beklagte zutreffend ausführe, sei die
Nachversicherung des Klägers gemäß § 233 Abs. 1 SGB VI i. V. m. § 9 AVG
rechtmäßigerweise für die vom Kläger abgeleistete Bundeswehrzeit erfolgt. Dabei habe
der ehemalige Dienstherr des Klägers, der Bund, die Nachversicherungsbeiträge
gemäß §124 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 AVG unmittelbar an die Beklagte zu entrichten. Eine
Übertragung dieser Nachversicherungsbeiträge an ein anderes Versorgungswerk sähen
die Vorschriften der §§ 233 SGB VI, 186 SGB VI nicht vor und sei auch in den damalig
geltenden Vorschriften nicht geregelt gewesen.
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Allein die Vorschrift des § 124 Abs. 6a AVG habe die Möglichkeit der Nachversicherung
in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung eröffnet. Der Kläger sei aber zum
dama ligen Zeitpunkt nicht vom Personenkreis dieser Norm erfasst gewesen. Er habe
keiner Versorgungseinrichtung angehört.
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Zudem hätten nur solche Personen von dieser Regelung Gebrauch machen können, die
nach dem 31.12.1972 unversorgt aus der versicherungsfreien Beschäftigung
ausgeschieden seien (vgl. Art. 2 § 48a Abs. 2 AnVNG). Da der Kläger bereits am
31.03.1961 den Wehrdienst beendet habe, könne diese Regelung nicht auf ihn
angewandt werden. Schließlich komme als Anspruchsgrundlage auch kein sog.
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verfassungswidriges Unterlassen des Gesetzgebers dergestalt in Betracht, dass er es
unterlassen hätte, für den von dem Kläger geltend gemachten Anspruch eine
Rechtsgrundlage zu schaffen. Ein konkreter Leistungsanspruch im Sinne der §§ 2 Abs.
1 Satz 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuches (SGB I), 30 Abs. 1 des Vierten Buches
des Sozialgesetzbuches (SGB IV) würde daraus nicht folgen, selbst wenn das
Unterlassen verfassungswidrig wäre. Das Bundesverfassungsgericht könne bei
entsprechender Vorlage lediglich die Verfassungswidrigkeit dieses Rechtszustandes
feststellen, ein Anspruch des Klägers wäre damit aber noch nicht normiert. Dies könnte
sich dann nur aus einer vom Gesetzgeber in seiner Zuständigkeit erlassenen Norm
ergeben (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.09.1996, AZ 5/4 RA 77/94 mit
weiteren Nachweisen).
Gegen das am 15.06.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18.07.2005 Berufung
eingelegt. Er hält an seinem Begehren fest.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgericht Detmolds vom 07.06.2005 zu ändern und die Beklagte unter
Aufhebung des Bescheides vom 03.05.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 14.07.2004 zu verurteilen, die für ihn im Wege der Nachversicherung für die Zeit
vom 04.04.1960 bis 31.03.1961 entrichteten Beiträge an die Beigeladene zu übertragen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Senat hat die Satzung der Beigeladenen beigezogen. Die Satzung sieht in § 12 für
Mitglieder der Versorgungskammer für Zeiten des Wehr- und Zivildienstes
Beitragsregelungen vor und in § 30 eine Regelung über die Vorgehensweise bei
Nachversicherungen. Für die Nachversicherung ist eine Jahresgrenze vorgesehen.
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Die Beigeladene hat zudem auf Bitte des Senats eine Aufstellung über die dortigen
Versicherungszeiten des Klägers übersandt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten und der von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsakte, der
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
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Der Kläger ist durch den Bescheid der Beklagten vom 03.05.2004 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 14.07.2004 nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG). Denn die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Der
Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die für ihn im Wege der Nachversicherung für
die Zeit vom 04.04.1960 bis 31.03.1961 für seinen Wehrdienst entrichteten Beiträge an
die Beigeladene übertragen werden.
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Eine Übertragung von Pflichtbeiträgen an eine berufsständische
Versorgungseinrichtung setzt einen gesetzlichen Nachversicherungstatbestand voraus.
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Eine solche gesetzliche Regelung fehlt.
Da der Kläger vor dem 1. Januar 1992 den Wehrdienst beendet hat, war die
Nachversicherung für diese Zeit nach den bis zum 31.12.1991 geltenden Vorschriften
des AVG durchzuführen. Richtigerweise ist die Nachversicherung für die vom Kläger
abgeleistete Bundeswehrzeit erfolgt. Der ehemalige Dienstherr des Klägers, die
Bundesrepublik Deutschland, hatte die Nachversicherungsbeiträge gemäß § 124 Abs. 1
in Verbindung mit Abs. 6 AVG unmittelbar an die Beklagte zu entrichten. Eine
Übertragung dieser Nachversicherungsbeiträge an ein anderes Versorgungswerk sieht
die Vorschrift des § 233 SGB VI nicht vor und war auch in den damaligen geltenden
Vorschriften nicht geregelt. Wie das erstinstanzliche Urteil zutreffend ausführt, sah allein
die ab 01.01.1993 eingefügte Vorschrift des § 124 Abs. 6 a AVG eine Möglichkeit der
Nachversicherung in ein berufsständisches Versorgungswerk vor. Jedoch gehörte der
Kläger im Zeitpunkt einer möglichen Nachversicherung keinem Versorgungswerk an.
Folglich scheidet ein Nachversicherungstatbestand schon aus Rechtsgründen aus.
Zudem konnten von der Möglichkeit nach § 124 Abs. 6 a AVG nur Personen Gebrauch
machen, die nach dem 31.12.1972 unversorgt aus der versicherungsfreien
Beschäftigung ausgeschieden sind (vgl. Art. 2 § 48 a Abs. 2 AnVNG). Da der Kläger
bereits am 31.03.1961 den Wehrdienst beendet hatte, konnte die Regelung nicht auf ihn
angewendet werden. Die Beschränkung des Anwendungsbereiches durch die
getroffene Stichtagsregelung verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des
Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG, BSG Urteil vom 23.02.1977 - 1 RA 43/76). Auch
die Nachfolgevorschrift des § 186 SGB VI sieht keine Möglichkeit für den Kläger vor,
Beiträge auf die Beigeladene zu übertragen. Die fehlende rechtliche Möglichkeit der
Übertragung auf die Beigeladene wird auch vom Kläger nicht bestritten.
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Entgegen der Auffassung des Klägers ist durch eine fehlende Übertragungsmöglichkeit
der Nachversicherungsbeiträge auf die Beigeladene auch keine Verletzung von
Grundrechten gegeben. Insbesondere resultiert aus der fehlenden gesetzlichen
Möglichkeit der Übertragung auf die Beigeladene keine Verletzung des
Eigentumsrechts nach Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Zunächst erscheint es
überhaupt schon fraglich, ob der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG tangiert ist, da es
sich nicht um Beiträge, die der Kläger selbst entrichtet hat, sondern um Beiträge des
Bundes ohne Korrelat an wesentlicher Eigenleistung handelt (vgl. u.a. BSG Urteil vom
14.09.1989 SozR 2200, § 1303 Nr. 35). In jedem Fall fehlt es aber an einem Eingriff in
die Eigentumsposition, weil die entrichteten Pflichtbeiträge und die hieraus
resultierenden Rentenanwartschaften unangetastet bleiben. Zwar mag es sein, dass
sich diese Rentenanwartschaften des Klägers bei der Beklagten nicht im Rahmen einer
Versichertenrente realisieren lassen, da sie zur Erfüllung der gesetzlichen Wartezeit
nicht ausreichen. Jedoch liegt es im Verantwortungsbereich des Klägers, auch die auf
dem Versichertenkonto bei der Beklagten vorhandenen Beiträge zu kapitalisieren. Er
hätte die Möglichkeit, durch freiwillige Beiträge oder auch über eine
sozialversicherungspflichtige Tätigkeit sein Rentenkonto aufzustocken und so in den
Genuss einer Rente zu kommen.
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Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet auch nicht ein Recht auf zweckmäßigen Aufbau
einer Altersversorgung oder deren Optimierung, schon gar nicht bei einem bestimmten
Versorger. Denn Schutzobjekt ist vielmehr die gesamte erworbene
rentenversicherungsrechtliche Position und Absicherung, nicht hingegen eine
Wahlmöglichkeit, über die Art und den Anbieter der Altersvorsorge zu bestimmen (vgl.
BSG SozR 2400, § 124 Nr. 6). Aus diesem Grund liegt auch kein Verstoß gegen Art. 2
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Abs. 1 GG vor, denn der Kläger wird in seiner Freiheit, eine Eigenvorsorge für das Alter
zu treffen, nicht beeinträchtigt.
Auch ein Verstoß gegen Art. 3 GG liegt nicht vor. Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz
des Art. 3 Abs. 1 GG wäre nur dann verletzt, wenn das Fehlen einer Rechtsgrundlage für
eine Übertragung der während der Wehrdienstzeit entrichteten Pflichtbeiträge auf den
jetzigen Versorgungsträger des Klägers willkürlich wäre. Art. 3 Abs. 1 GG setzt dem
Gesetzgeber erst dann eine Schranke, wenn ein vernünftiger Grund für die
gesetzgeberische Differenzierung von Personenkreisen sich nicht finden lässt, d.h.
wenn die Regelung unter keinem sachlich vertretbaren Grund gerechtfertigt erscheint
(BVerfGE 60, 16, 43). Die Versicherungspflicht für Wehrdienstleistende enthält nur einen
Auffangtatbestand im Sinne einer Mindestsicherung der Wehrdienstleistenden und ist
nicht darauf gerichtet, ihnen ein unabhängig von der weiteren Einbeziehung in das
Sozialversicherungssystem bestehendes volles Anwartschaftsrecht zu verschaffen (vgl.
BSG Urteil vom 14.09.1989 SozR 2400, § 2 AVG Nr. 28). Durch die Einbeziehung des
Wehrdienstes in die Versicherungspflicht soll vermieden werden, dass Lücken in der
Versicherungsbiographie der Wehrdienstleistenden entstehen, beispielsweise dadurch,
dass ein bereits zuvor bestehendes versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis
durch den Grundwehrdienst unterbrochen wird. Dieser Sachverhalt lag beim Kläger
nicht vor. Folglich ist auch keine Ungleichbehandlung durch eine fehlende
Übertragungsmöglichkeit beim Kläger im Verhältnis zu anderen Versicherten zu sehen.
Vielmehr unterscheidet sich die Situation des Klägers nicht von solchen Versicherten,
die nach Ableistung des Grundwehrdienstes z.B. einer selbstständigen nicht
versicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen, ohne dass sie einer Berufsgruppe
angehören, für die eine berufsständische Versorgung existiert, oder von solchen
Versicherten, die neben der Nachversicherung nicht genügend weitere Beiträge
entrichtet haben. Der Gesetzgeber hat in Erfüllung seiner Verpflichtung, den
Wehrdienstleistenden auch für die Altersvorsorge eine soziale Absicherung zu schaffen,
lediglich eine allgemeine Regelung getroffen, die an den Verhältnissen der
überwiegenden Zahl der Personen orientiert ist. Wenn dies in Ausnahmefällen zu einem
unbefriedigenden Ergebnis führen mag, so ist dies nach Auffassung des Senats
verfassungsrechtlich hinnehmbar, zumal die berufsständischen Versorgungswerke für
die Betroffenen insgesamt günstigere Regelungen und Leistungen vorsehen,
weswegen der Kläger wohl auch das Versorgungswerk gewählt hat und seine
Rentenversicherung nicht bei der Beklagten aufgebaut hat. Die Kostenentscheidung
beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
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Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die dafür erforderlichen
Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 bzw. 2 SGG nicht erfüllt sind.
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