Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 17.12.2007

LSG NRW: aufschiebende wirkung, öffentliches interesse, psychotherapeutische behandlung, straftat, verwaltungsakt, anfechtungsklage, gefahr, erlass, versorgung, missbrauch

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss vom 17.12.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Dortmund S 18 VG 320/07 ER
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 7 B 4/07 VG ER
Auf die Beschwerden des Antragstellers werden die Beschlüsse des Sozialgerichts Dortmund vom 28.08.2007
geändert. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers vom 06.07.2007 gegen den Bescheid
des Antragsgegners vom 08.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2007 wird angeordnet.
Dem Antragsteller wird für das vorläufige Rechtsschutzverfahren vor dem Sozialgericht für die Zeit ab Antragstellung
(02.08.2007) Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt G aus C bewilligt. Der Antragsgegner trägt die
außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für beide Rechtszüge.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Antragsgegner die Bewilligung von Leistungen nach dem
Opferentschädigungsgesetz (OEG) aufheben und die Zahlung der Versorgungsrente einstellen durfte.
1. Der Antragsteller ist am 00.00.1977 geboren. Zusammen mit seinen drei Geschwistern wuchs er zunächst bei
seinen leiblichen Eltern auf. Die Verhältnisse dort waren problematisch; die Familie lebte anfangs in einer
Notunterkunft. Nach Angaben des Antragstellers wurde er von seinen leiblichen Eltern misshandelt. Kurz vor
Vollendung seines ersten Lebensjahres wurden der Antragsteller und seine Schwester durch einen Polizeieinsatz in
die Obhut des Jugendamtes genommen. Seit November 1978 lebte der Antragsteller sodann in einer Pflegefamilie.
2. Mit Urteil des Amtsgerichts Essen vom 19.12.1996 wurde sein Pflegevater wegen sexuellen Missbrauchs von
Schutzbefohlenen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in drei Fällen und wegen versuchten sexuellen
Missbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit versuchtem sexuellen Missbrauch von Kindern und versuchter
sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. In dem Urteil wird zu den Tathandlungen
ausgeführt:
"Es kam zu sexuellen Übergriffen, als der Geschädigte (der Antragsteller) ca. sechs oder sieben Jahre alt war. Als der
Geschädigte zehn Jahre alt war bis zu seinem 14. Lebensjahr führte der Angeklagte in drei Fällen den Analverkehr mit
dem Geschädigten durch. Dies fand im Kinderzimmer des Geschädigten statt. Der Geschädigte musste sich auf den
Bauch legen. Der Angeklagte streichelte dann den Geschädigten und führte seinen Penis in den After des
Geschädigten ein. Ein weiteres Mal weigerte sich der Geschädigte zunächst mitzumachen. Daraufhin nahm der
Angeklagte das Elektrokabel von einem Kassettenrecorder des Geschädigten und schlang es diesem um den Hals.
Er zog zu, wobei der Angeklagte über dem Geschädigten, der auf dem Rücken lag, kniete. Dem Geschädigten gelang
es, den Angeklagten zu treten, worauf dieser von dem Geschädigten abließ."
Der Antragsteller wurde von Juli bis Ende Oktober 1992 in einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in E
behandelt.
3. Das Amtsgericht Essen verurteile den Antragsteller mit Urteil vom 02.09.1998 wegen sexuellen Missbrauchs eines
Kindes in zwei Fällen und wegen Beförderungserschleichung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren. Auf die Berufung
des Antragstellers änderte das Landgericht Essen dieses Urteil des Amtsgerichts mit Urteil vom 22.02.1999 ab. Es
verurteile den Antragsteller wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen, davon in einem Fall in
Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Jugendlichen, und wegen Beförderungserschleichung zu einer
Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten.
Im Urteil des Amtsgerichts Essen vom 02.09.1998 wird ausgeführt:
"Im Januar 1997 begab sich der Angeklagte zu einem Fußballplatz in der Nähe des S-Bahnhofs in F zu dem
Geschädigten ( ...). Der Angeklagte nahm nunmehr in der Nähe des Sportplatzes den Penis des Zeugen in den Mund
und veranlasste das Kind anschließend, auch seinen Penis in den Mund zu nehmen."
Weiter wird dort ausgeführt:
"An einem weiteren Tag im März 1997 traf der Angeklagte auf einem Flohmarkt in F, wo er Funkgeräte verkaufte, den
Zeugen ( ...) wieder. ( ...) Der Angeklagte nahm daraufhin den Penis des Jungen in den Mund und veranlasste das
Kind, ebenfalls das Glied des Angeklagten in den Mund zu nehmen. Dann drang der Angeklagte mit seinem Penis in
den After des Kindes ein ( )."
In dem Urteil des Landgerichts Essen vom 22.09.1999 wird die Herabsetzung der Strafe wie folgt begründet:
"Schließlich muss besondere Berücksichtigung erfahren, dass der Angeklagte in seiner Kinderzeit selbst Opfer von
anhaltenden Missbrauchshandlungen seines Pflegevaters gewesen ist und diese eigene Vorschädigung die
Entwicklung von adäquaten Vorstellungen über den Umgang mit der eigenen Sexualität behindert hat."
4. Im Mai 1999 beantragte der Antragsteller Leistungen nach dem OEG bei dem Antragsgegner. Dieser ließ ihn durch
den Psychiater Dr. Q als Sachverständigen begutachten. In seinem Gutachten vom 20.10.2000 diagnostizierte der
Sachverständige bei dem Antragsteller eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung. Die Minderung der
Erwerbsfähigkeit (MdE) schätzte er mit 80 vom Hundert (v.H.) ein. Die Vorschädigung sei mit einer MdE von 30 v.H.
einzustufen.
Auf die Frage, ob die festgestellten Gesundheitsstörungen ausreichend behandelt werden und ob ggf.
Therapiemaßnahmen empfohlen werden können, führte der Sachverständige Dr. Q aus: "Eine ausreichende
Behandlung erfolgt zurzeit nicht. ( ...) Wir halten eine traumaspezifische Psychotherapie auf freiwilliger Basis für
erforderlich ( ...). Es sollte auch eine entsprechend qualifizierte berufliche Beratung und Förderung erfolgen."
Mit Bescheid vom 16.01.2001 gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller aufgrund einer "komplexen
posttraumatischen Belastungsstörung mit andauernden Persönlichkeitsveränderungen im Sinne der Verschlimmerung"
Beschädigtenversorgung nach dem OEG aufgrund einer MdE von 60 v.H. für die Zeit ab Antragstellung.
5. Bei Erlass des Bewilligungsbescheides vom 16.01.2001 war dem Antragsgegner die strafrechtliche Verurteilung
des Antragstellers aus 1998/1999 nicht bekannt. Hiervon erfuhr er erst im Oktober 2006.
Zu dieser Zeit ermittelte die Staatsanwaltschaft F (Gz.: 000) gegen den Antragsteller wegen Verbreitung, Erwerb und
Besitz kinderpornographischer Schriften (§ 184 Strafgesetzbuch (StGB)). Bei dem Antragsteller wurden insgesamt elf
Datenträger (CD) mit kinderpornographischem Inhalt sichergestellt. Er trug vor, er habe die CD mit Computerviren
verseucht, um so Kinderschändern das Handwerk zu legen. Eine Untersuchung ergab, dass von den elf CD zwei CD
Computerviren enthielten. Mit Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 15.11.2006 wurde das Strafverfahren gemäß §
153 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt, weil das Verschulden des Antragstellers als gering anzusehen sei
und ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nicht bestehe.
6. Mit Bescheid vom 08.12.2006 hob der Antragsgegner nach vorangegangener Anhörung des Antragstellers den
Bescheid vom 16.01.2001 mit Wirkung vom 01.01.2007 auf. Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, dass in
den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Bewilligungsbescheides vorgelegen haben, eine
wesentliche Änderung eingetreten sei gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Die Leistung sei zu
versagen, weil die Versorgung des Antragstellers unbillig im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative OEG sei.
Weiter heißt es: "Im Rahmen der Beweiserhebung habe ich die Akten der Staatsanwaltschaft Essen, Gz: 29 Js
1503/05 ausgewertet. Nach dem Ermittlungsergebnis sind sie strafrechtlich wegen sexuellen Missbrauchs in
Erscheinung getreten. Durch dieses rechtsfeindliche Verhalten verließen sie die staatliche Schutzgemeinschaft
rechtstreuer Bürger. Die Weitergewährung von Leistungen nach dem OEG würde deshalb dem Zweck des OEG,
unschuldigen Opfern von Gewalttaten zu helfen, widersprechen."
7. Der Antragsteller erhob hiergegen Widerspruch und beantragte die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vor dem
Sozialgericht (SG) Dortmund. Dieses ordnete mit Beschluss vom 12.02.2007 im Rahmen einer
"Zwischenentscheidung" die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid vom
08.12.2006 an.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.06.2007 wies der Antragsgegner den Widerspruch des Antragstellers zurück. Der
Antragsteller sei "selbst wegen sexuellen Missbrauchs strafrechtlich in Erscheinung getreten".
8. Am 02.08.2007 beantragte der Antragsteller erneut die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vor dem SG
Dortmund. Mit Beschluss vom 28.08.2007 wies das SG Dortmund seinen Antrag zurück, die aufschiebende Wirkung
seiner Klage anzuordnen und seine Versorgungsbezüge für die Zeit ab August 2007 weiterzuzahlen.
Aufgrund des ersten Beschlusses des SG Dortmund vom 12.02.2007 hatte der Antragsgegner die Versorgungsbezüge
bis Juli 2007 (einschließlich) an den Antragsteller gezahlt.
Den Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des vorläufigen
Rechtsschutzverfahrens lehnte das SG Dortmund ebenfalls mit Beschluss vom 28.08.2007 ab.
9. Gegen diese beiden Beschlüsse des SG Dortmund vom 28.08.2007 hat der Antragsteller am 14.09.2007
Beschwerde erhoben. Mit Beschluss vom 20.09.2007 hat das SG Dortmund der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die Beschwerden des Antragstellers sind zulässig und begründet.
1. Das SG hat es zu Unrecht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers gegen
den Bescheid vom 08.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2007 anzuordnen.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den
Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung
ganz oder teilweise anordnen.
Das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist als solcher Antrag zu qualifizieren. Denn mit Verwaltungsakt vom
16.01.2001 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Versorgungsrente nach dem OEG für die Zeit ab dem
01.05.1999. Mit Verwaltungsakt vom 08.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2007 hob der
Antragsgegner diesen Verwaltungsakt mit Wirkung vom 01.01.2007 auf. Der Widerspruch des Antragstellers hiergegen
hatte, ebenso wie seine Klage, keine aufschiebende Wirkung gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG. Nach dieser Regelung
entfällt die aufschiebende Wirkung in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts bei Verwaltungsakten, die
eine laufende Leistung entziehen oder herabsetzen.
Bei der Entscheidung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG hat das Gericht eine Interessenabwägung vorzunehmen.
Im Rahmen dieser Abwägung ist darauf abzustellen, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
Verwaltungsaktes bestehen oder ob seine Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegend öffentliches Interesse
gebotene Härte zur Folge hätte. Dabei ist (jedenfalls) in den Fällen, in denen wie hier das Gesetz selbst das Entfallen
der aufschiebenden Wirkung anordnet, von einem Regel-Ausnahmeverhältnis zwischen sofortiger Vollziehbarkeit
einerseits und aufschiebender Wirkung andererseits auszugehen, sodass das Vollziehungsinteresse hier in der Regel
den Vorrang hat (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86b Rn. 12a).
Hier bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 08.12.2006 (in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 19.06.2007). Denn der Antragsgegner ist bei seiner Leistungsaufhebung von einem
falschen Sachverhalt, einer falschen Rechtsgrundlage sowie einer unzutreffenden Interpretation des
Versagungsgrundes gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative OEG ausgegangen. Im Einzelnen:
a) Entgegen der Rechtsauffassung des Antragsgegners scheidet § 48 Abs. 1 SGB X als Rechtsgrundlage für die
ausgesprochene Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 16.01.2001 (mit Wirkung für die Zukunft) von vornherein
aus. Denn eine wesentliche Änderung der - hier allein in Betracht kommenden - tatsächlichen Verhältnisse ist nicht
ersichtlich. Das SG hat den Antragsgegner bereits zu Recht darauf hingewiesen, dass der Antragsteller nach Erlass
des Bewilligungsbescheides vom 16.01.2001 nicht wegen sexuellen Missbrauchs in Erscheinung getreten ist, sondern
wegen des Verdachts einer Straftat gemäß § 184 StGB. Das Verfahren ist jedoch wegen geringer Schuld und mangels
öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung durch Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 15.11.2006 gemäß §
153 Abs. 2 StPO eingestellt worden.
b) Soweit sich der Antragsgegner mit seinem Hinweis auf das Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs auf die
strafrechtliche Verurteilung des Antragstellers in den Jahren 1998/99 bezieht, kommt als Rechtsgrund für die
ausgesprochene Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 16.01.2001 nur § 45 SGB X in Betracht.
Allerdings ist derzeit nicht zu erkennen, dass der Bewilligungsbescheid vom 16.01.2007 von Anfang an rechtswidrig
gewesen sein könnte. Denn die Verurteilung des Antragstellers wegen sexuellen Missbrauchs im Jahre 1998
(rechtskräftig seit dem 22.02.1999) stellt entgegen der Rechtsauffassung des Antragsgegners keinen
Versagungsgrund gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG dar.
aa) Dass der Antragsteller entsprechend der Feststellung im Urteil des Amtsgerichts Essen vom 19.12.1996 im Baby-
bzw. Kleinkindalter Opfer einer Straftat - nämlich mehrfachen sexuellen Missbrauchs durch seinen Stiefvater -
geworden ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG, steht fest und außer Streit.
bb) Der auf diese Weise entstandene Anspruch des Antragstellers auf Opferentschädigungsleistungen wird nicht
durch den Versagungsgrund der Unbilligkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG vernichtet.
Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG sind Leistungen zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat
oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig
wäre, Entschädigung zu gewähren.
Die Mitverursachung im Sinne der 1. Alternative des § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG ist - als Sonderfall des im 2. Halbsatz
geregelten Ausschlusses des Versorgungsanspruches wegen sonstiger Unbilligkeitsgründe - stets zuerst zu prüfen
(zuletzt Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 29.03.2007, B 9a VG 2/05 R, Juris). Sie bestimmt abschließend, wann
die unmittelbare Tatbeteiligung des Geschädigten Leistungen ausschließt. Eine unmittelbare Tatbeteiligung des im
Baby- bzw. Kleinkindalter geschädigten Antragstellers scheidet von vornherein aus.
Es liegen auch keine sonstigen, dem Antragsteller zurechenbare Gründe für die Annahme einer Unbilligkeit im Sinne
des § 2 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative OEG vor.
Zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unbilligkeit im Sinne dieser Regelung hat das BSG in ständiger
Rechtsprechung vier Fallgruppen gebildet (hierzu zuletzt BSG a.a.O.):
1.Eine im Vorfeld der Tat liegende rechtsfeindliche Betätigung, mit der sich das spätere Oper außerhalb der
staatlichen Gemeinschaft stellt. 2.Die sozialwidrige, mit speziellen Gefahren verbundene Zugehörigkeit zum Kreis der
Alkohol- oder Drogenkonsumenten, wenn die Tat aus diesem Milieu entstanden ist. 3.Das bewusste oder leichtfertige
Eingehen einer Gefahr, der sich das Opfer ohne Weiteres hätte entziehen können, es sei denn, für dieses Verhalten
läge ein rechtfertigender Grund vor. 4.Eine durch die Versorgung entstehende Begünstigung des Täters.
Von diesen Fallgruppen liegt hier keine vor. Insbesondere hat sich der Antragsteller nicht durch das Begehen von
Straftaten bewusst außerhalb der staatlichen Rechtsordnung gestellt. Der Antragsgegner hat dies jedoch bejaht. Er
hat dabei allerdings verkannt, dass dieses sich außerhalb der Rechtsordnung Stellen nach der Rechtsprechung des
BSG zwar eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für die Versagung von Leistungen ist. Denn das BSG
(a.a.O.) hat ausgeführt, dass eine Versagung in diesen Fällen nur dann gerechtfertigt ist, wenn das bewusste
Sichstellen außerhalb der staatlichen Rechtsordnung eine Gefahr hervorgerufen hat und die damit verbundene Gefahr
sich in Schädigungsfolgen durch eine Gewalttat realisiert hat (a.a.O., unter Hinweis auf BSGE 88, 103 (110)).
Hier fehlt es an einem solchen Zusammenhang zwischen der Schädigung des Antragstellers und der von ihm später
verübten Straftat. Denn in der Schädigung des Antragstellers hat sich nicht ein Risiko verwirklichen können, das in
der von ihm erst später verübten Straftat angelegt oder durch diese begründet worden war. Die Schädigung des
Antragstellers durch seinen Stiefvater stellt vielmehr einen eigenständigen und abgeschlossenen Sachverhalt dar.
Dass sich der Antragsteller selbst außerhalb der Rechtsordnung gestellt hat, genügt also für sich genommen nicht,
um einen Anspruch auf Versorgung zu versagen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative OEG. Es besteht Einigkeit
darüber, dass sozial unerwünschtes bzw. sozial feindliches Verhalten für sich genommen nicht als
Ausschließungsgrund anerkannt werden kann (vgl. Doering-Striening, Die Versagung von
Opferentschädigungsleistungen gemäß § 2 Abs. 1 OEG, 1988, S. 115). Dass das Gesetz selbst einen
Zusammenhang zwischen der Schädigung und der Straftat des Geschädigten für eine Versagung der Leistung fordert,
zeigt im Übrigen auch die systematische Stellung des § 2 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative OEG, die neben der
Verursachung gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 OEG genannt wird und eine "schwächere Form" der
Schadensherbeiführung verkörpert. Eine Straftat des Geschädigten, die seine eigene Schädigung weder verursacht
noch in sonstiger Weise gefördert hat, rechtfertigt damit keine Versagung.
Die von dem Antragsgegner vertretene Rechtsauffassung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn die Gesetzgebung
entsprechend dies gesetzlich ausdrücklich normiert hätte. Dies hat sie jedoch nicht getan. Über den "Umweg" der
Unbilligkeit gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 OEG kann eine solche Leistungsversagung damit nicht konstruiert
werden. Im Ergebnis hat der Antragsgegner durch die Versagung der Versorgungsleistungen eine "Nebenstrafe" zu der
Verurteilung des Antragstellers aus dem Jahr 1998 ausgesprochen. Zu einer solchen Anordnung wären aber allein die
Strafgerichte befugt (vgl. etwa zum Verfall die - hier ebenfalls nicht vorliegenden - Voraussetzungen des § 73 StGB).
Der Senat geht davon aus, dass der Antragsgegner die Zahlung der Versorgungsleistungen mit Wirkung vom
01.08.2007 nunmehr unverzüglich wieder aufnimmt und dem Antragsteller bis zum rechtskräftigen Abschluss des
sozialgerichtlichen Hauptsacheverfahrens weiter gewährt.
2. Am Rande weist der Senat darauf hin, dass der Sachverständige Dr. Q in seinem Gutachten vom 20.10.2000 eine
psychotherapeutische Behandlung des Antragstellers angeregt hat, ferner eine qualifizierte berufliche Beratung und
Förderung des Antragstellers (Seite 21 f. des Gutachtens). Der Antragsgegner, der dem Antragsteller aufgrund der
Versorgungsleistungen auch Heilbehandlung zu gewähren hat und des Weiteren auch als Rehabilitationsträger
zuständig ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX)), hat derartige Maßnahmen - soweit nach
Aktenlage ersichtlich - bislang nicht erwogen oder eingeleitet. Ob derartige Maßnahmen auch heute noch angezeigt
sind, wird ggf. in einem eigenen Verwaltungsverfahren zu prüfen sein.
3. Da die Rechtsverfolgung des Antragstellers aus den dargelegten Gründen Aussicht auf Erfolg hatte, hat das SG
seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten als
Rechtsanwalt zu Unrecht abgelehnt (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO)).
4. Soweit der Antragsteller mit seiner Beschwerde die Ablehnung seines Antrages auf vorläufigen Rechtsschutz
4. Soweit der Antragsteller mit seiner Beschwerde die Ablehnung seines Antrages auf vorläufigen Rechtsschutz
angegriffen hat, folgt die Kostenentscheidung aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Soweit sich
seine Beschwerde gegen die Ablehnung seines Antrages auf Prozesskostenhilfe richtet, werden Kosten im
Beschwerdeverfahren nicht erstattet (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).