Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 09.09.2009

LSG NRW (kläger, arzt, krankenhaus, anwesenheit, anordnung, sgg, vereinigung, praxis, versorgung, vorstand)

Landessozialgericht NRW, L 11 KA 49/07
Datum:
09.09.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 11 KA 49/07
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 33 KA 337/05
Sachgebiet:
Vertragsarztangelegenheiten
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 20.06.2007 abgeändert. Es wird festgestellt, dass die
Anordnung, in der Notfallpraxis am St. B Krankenhaus in T während des
Notfalldienstes ständig anwesend sein zu müssen, unter Geltung der
Notfalldienstordnung vom 01.01.2002 rechtswidrig war. Die Beklagte
trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten und
Gerichtskosten für beide Rechtszüge. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Anordnung ständiger, bis zu 14,5-
stündiger Anwesenheit während des Notfalldienstes in einer zentralen Notfallpraxis.
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Der Kläger ist als Arzt für Allgemeinmedizin seit 1985 in T niedergelassen und zur
vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er wird von der Beklagten regelmäßig zu
Fahr- und Sitzdiensten in der zentralen Notfallpraxis am St. B Krankenhaus in T/Kreis F
eingeteilt. Die einschlägigen Dienstpläne für den ärztlichen Notfalldienst im Kreis F
sahen im Anschluss an den - von der Beklagten und der Beigeladenen aufgestellten -
bis zum 31.03.2005 geltenden Organisationsplan Dienstzeiten von 7:30 Uhr bis 23:00
Uhr bzw. mittwochs von 13:00 Uhr bis 23:00 Uhr vor. Nach 23:00 Uhr könne der
diensthabende Arzt nach Rücksprache mit der Arztnotrufzentrale (ARZ) die Notfallpraxis
verlassen. Er müsse dann für die ARZ erreichbar sein und im Bedarfsfall unverzüglich in
die Praxis zurückkehren.
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Wegen zeitweiliger Abwesenheit des Klägers während seines Dienstes in der
Notfallpraxis im Dezember 2002, Mai 2003 und April 2004 hat ihm der
Disziplinarausschuss der Beklagten mit Beschluss vom 22.03.2005 einen Verweis
erteilt. Er habe durch eine nicht ordnungsgemäße Ausübung des ärztlichen
Notfalldienstes gegen seine vertragsärztlichen Pflichten verstoßen. Widerspruch und
erstinstanzliche Klage blieben ohne Erfolg. Das Berufungsverfahren ist unter dem
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Aktenzeichen L 11 KA 81/08 beim Landessozialgericht anhängig.
Mit Bescheid vom 04.11.2004 teilte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01.02.2005
bis 31.01.2006 zu Fahrdiensten sowie Sitzdiensten ein. Im Nachgang übersandte sie
ihm unter dem 15.06.2005 den zum 01.04.2005 geänderten und mit Wirkung ab
01.07.2005 umgesetzten Organisationsplan, der unter anderem in § 2 für die
Notfalldienstpraxen an Wochenenden Öffnungszeiten von 7:30 Uhr bis 22:00 Uhr
vorsah und weiterhin bestimmte, dass der zum Dienst eingeteilte Arzt zu den
Öffnungszeiten der Notfallpraxis ständig anwesend sein müsse. Den hiergegen
eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Widerspruchsstelle der Beklagten mit
Widerspruchsbescheid vom 21.11.2005 zurück.
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Dagegen hat sich die am 22.12.2005 erhobene Klage gerichtet, zu deren Begründung
der Kläger unter Bezugnahme auf ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten der
Rechtsanwälte E und C vom 23.05.2005 im Wesentlichen geltend gemacht hat, für die
Forderung einer (ständigen) bis zu 14,5-stündigen Anwesenheitspflicht ergebe sich
weder aus der Notfalldienstordnung (NFDO) noch aus dem Organisationsplan eine
Rechtsgrundlage. Insoweit liege eine Beeinträchtigung der allgemeinen
Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 und 12 des Grundgesetzes (GG) sowie ein Verstoß
gegen das Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. 3 GG und den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor. In anderen Notfalldienstbezirken wie E1 und B1 sei
die Anwesenheitsverpflichtung auf vier bzw. sechs Stunden begrenzt. Nach § 8 Abs. 2
Satz 3 der NFDO müsse der eingeteilte Arzt lediglich im Notfalldienstbezirk zur
Verfügung stehen und erreichbar sein; eine ununterbrochene Anwesenheitspflicht
ergebe sich nicht. Eine solche sei auch sachlich nicht geboten, da die notärztliche
Versorgung durch das in der Nachbarschaft befindliche Krankenhaus erfolge. Die
Notfallpraxis sei vergleichbar mit der üblichen Situation einer Praxis, in welcher
Patienten ebenso ggf. kurzfristige Wartezeiten einzukalkulieren hätten. Es reiche aus,
wenn die Notfallpraxis mit einer Arzthelferin besetzt sei und der diensthabende Arzt
innerhalb von 30 Minuten nach seiner unmittelbaren Erreichbarkeit wieder in der
Notfallpraxis anwesend sein könne. Sofern eine Anwesenheit des diensthabenden
Arztes zu Recht gefordert werde, seien in der Notfallpraxis die entsprechenden
Voraussetzungen zu schaffen (z. B. Einrichtung entsprechender Ruhemöglichkeiten und
von Sozialräumen mit der Möglichkeit der Aufbereitung von Speisen und Getränken),
entsprechende Abgeltungsregelungen zu treffen sowie die Dienstzeiten in analoger
oder entsprechender Anwendung des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) anzupassen.
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Der Kläger hat beantragt,
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festzustellen, dass die Heranziehung des Klägers zum Notfalldienst mit Bescheiden
vom 04.11.2004 und 15.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
21.11.2005 hinsichtlich der Dienstzeiten am Wochenende sowie der Forderung einer
ständigen Anwesenheitspflicht rechtswidrig gewesen ist.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hält die Anordnung ständiger Anwesenheit für rechtmäßig. Jeder
niedergelassene Arzt sei zur Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst verpflichtet. Der in
der Notfalldienstverpflichtung liegende Eingriff in die Berufsfreiheit sei von den
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Vertragsärzten hinzunehmen, auch wenn der Eingriff über das übliche Maß hinaus
gehende Unannehmlichkeiten oder Erschwernisse mit sich bringe. Durch die NFDO sei
vorgeschrieben, dass die Ärzte die Notfallpraxis während ihres Sitzungsdienstes nicht
verlassen dürften. Eine anderweitige Betrachtung würde dem Sicherstellungsgedanken
und einem funktionierenden Notfalldienst widersprechen. Unabhängig davon weise sie
darauf hin, dass die Notfallpraxis einen Sozialraum als Rückzugsmöglichkeit habe.
Bezüglich der vom Kläger bemängelten Dienstdauer könnten gemäß der NFDO für
Notfallpraxen in Krankenhäusern abweichende Notfalldienstzeiten zugelassen werden.
Vergleichbares gelte für die Verpflichtung zur Anwesenheit in der Notfallpraxis. Eine
vom Kläger herangezogene Vergleichbarkeit mit den Dienstzeiten anderer Kreisstellen
sei nicht sachdienlich. Jede Kreisstelle der Beklagten regele den Notfalldienst
entsprechend der individuellen Gegebenheiten. Hierzu rechne die Anzahl der zum
Notfalldienst verpflichteten Ärzte, ob diese fachspezifische Notfalldienste neben dem
allgemeinärztlichen Notfalldienst durchführen müssten und ggf. eine Notfallpraxis an
einem Krankenhaus eingerichtet sei.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 20.06.2007 abgewiesen und im
Wesentlichen ausgeführt, die Heranziehung des Klägers zum organisierten Notfalldienst
sei (auch) nicht hinsichtlich der Verpflichtung zu einer ständigen Anwesenheit
rechtswidrig gewesen. Soweit die Kreisstelle Euskirchen auf der Grundlage des § 8
Abs. 2 Satz 4 NFDO in der am 23.12.2006 geänderten Fassung NFDO den Dienst -
anders als andere Kreisstellen - nicht in mehreren Schichten für verschiedene Ärzte,
sondern als durchgehenden Dienst organisiert habe, stelle dies keine unzulässige
Ungleichbehandlung dar. Insoweit unterliege die Entscheidungsfindung der Beklagten
und der Beigeladenen der innerkörperschaftlichen Willlensbildung auf der Grundlage
der Interessen der zum Notfalldienst verpflichteten Ärzte, auf die der Kläger allein im
Rahmen der dortigen Möglichkeiten Einfluss nehmen, die er jedoch nicht über eine
Anrufung der Gerichte abändern könne. Dies verstoße auch nicht gegen
übergeordnetes Recht. Soweit der Kläger insoweit arbeitsrechtliche Bestimmungen
hinsichtlich der Arbeitszeiten, der Einrichtung von Sozialräumen und
Ruhemöglichkeiten sowie von Entgeltregelungen anführe, verkenne er, dass auch die
Wahrnehmung des organisierten Notfalldienstes Bestandteil der Ausübung des freien
Berufes des Arztes sei, für die diese Aspekte nicht von Bedeutung seien. Die Regelung
des § 8 Abs. 2 Satz 4 NFDO sei durch die mit der Einrichtung einer zentralen
Notfallpraxis verfolgten Ziele sachlich gerechtfertigt. Welche rechtliche Bedeutung dem
Umstand zukomme, dass die NFDO eine ausdrückliche entsprechende Regelung in
dem hier streitbefangenen Zeitraum nicht enthalten habe, könne dahingestellt bleiben.
Denn insoweit bestehe wegen der geänderten Rechtslage kein Feststellungsinteresse
des Klägers mehr.
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Mit seiner am 23.08.2007 eingelegten Berufung wendet sich der Kläger unter
Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags gegen das ihm am
27.07.2007 zugestellte Urteil. Entgegen der Auffassung des SG unterliege die
Entscheidungsfindung der Beklagten zur Anordnung der ständigen Anwesenheit in der
Notfallpraxis nicht nur der innerkörperschaftlichen Willensbildung auf der Grundlage der
Interessen der zum Notfalldienst verpflichteten Ärzte, sondern der Rechtskontrolle der
Gerichte, welche gerade die insoweit erfolgte belastende Regelung darauf zu
überprüfen haben, ob und inwieweit eine Rechtsgrundlage gegen sei. Dies sei zu
vorliegend zu verneinen. Das SG verkenne, dass § 8 Abs. 2 Satz 4 NFDO in der am
23.12.2006 für den hier zu beurteilenden Zeitraum vom 01.12.2005 bis 31.01.2006 nicht
einschlägig sei. Insoweit sei unzutreffend, dass wegen der geänderten Rechtslage kein
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Feststellungsinteresse mehr bestehe, zumal die Beklagte ihm im Rahmen eines
Disziplinarverfahrens mit Beschluss vom 02.03.2005 vor dem Hintergrund der nicht
ununterbrochenen Anwesenheit einen Verweis erteilt habe. Unter Vorlage eines
Presseartikels vom 02./03.02.2008 des L-Stadtanzeigers (Lokalteil F1) weist der Kläger
ergänzend darauf hin, dass die Beklagte beabsichtige, die örtliche Notfallpraxis
mittwochs nachmittags zu schließen, da während der Dienste in der Notfallpraxis zum
Teil nur drei oder vier Patienten an einem Nachmittag die Praxis aufsuchten.
Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20.06.2007 abzuändern und festzustellen,
dass die Anordnung in der Notfallpraxis am St. B Krankenhaus in T während des
Notfalldienstes ständig anwesend sein zu müssen unter Geltung der
Notfalldienstordnung vom 01.01.2002 rechtswidrig war.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom
20.06.2007 zurückzuweisen.
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Die Beklagte und die Beigeladene, die selbst keinen Antrag gestellt hat, vertreten die
Auffassung, die Entscheidung des SG sei rechtsfehlerfrei ergangen. Die Beklagte, deren
Meinung sich die Beigeladene angeschlossen hat, hat vorgetragen, die Schließung der
Notfalldienstpraxis am Mittwochnachmittag und die Anpassung der Öffnungszeiten an
den Wochenenden und Feiertagen sei aufgrund eines Beschlusses ihrer
Kreisstellenvorstände und der Beigeladenen erfolgt. Insgesamt bestehe eine deutliche
Diskrepanz der Inanspruchnahme der drei im Kreisgebiet bestehenden Notfallpraxen
(N, F und T) sowie der Größe und Besiedelungsdichte der ländlichen Gebiete. Zur
Verdeutlichung hat die Beklagte einen Überblick über das Kreisstellengebiet und die
Einwohnerzahl des Kreises F vorgelegt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese
waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige, insbesondere form- und fristgemäß eingelegte Berufung (§§ 143, 151
Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist begründet.
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Die Klage ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats weiterhin zulässig. Dabei kann
dahinstehen, ob die Klage (ursprünglich) als Anfechtungs- oder als Feststellungsklage
statthaft war und ob sich ein ggf. anzunehmender Verwaltungsakt gegenüber dem
Kläger bzw. ein festzustellendes Rechtsverhältnis zwischen ihm und der Beklagten in
Bezug auf Art und Ort der Durchführung des Notdienstes zwischenzeitlich erledigt hat. In
diesem Zusammenhang ist fraglich, ob das an den Kläger gerichteten Schreiben der
Beklagten vom 15.06.2005, wie das SG angenommen hat, als Verwaltungsakt (§ 31
Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X) oder, wovon wohl die Beklagte in
ihrem Widerspruchsbescheid ausgegangen ist, der Organisationsplan als
Allgemeinverfügung (§ 31 Satz 2 SGB X) zu qualifizieren ist. Wäre beides zu verneinen
und der Organisationsplan als abstrakt-generelle Regelung zu qualifizieren, wäre das
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Begehren des Klägers als Feststellungsklage dahingehend auszulegen gewesen, dass
er nicht vertragsärztlich verpflichtet ist während seines Sitzdienstes in der am St. B
Krankenhaus in T eingerichteten Notfallpraxis ständig anwesend zu sein. Gegenstand
der Klage wäre damit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG ein Rechtsverhältnis
zwischen dem Kläger und der Beklagten gewesen.
Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob eine Anfechtungsklage oder eine
Feststellungsklage statthaft war und ob sich diese jeweils insgesamt durch die
Änderung der NFDO zum 01.01.2007 erledigt haben. Eine
Fortsetzungsfeststellungsklage kommt in entsprechender Anwendung des
Rechtsgedanken des § 131 Abs.1 Satz 3 SGG jedenfalls auch nach Erledigung der
Hauptsache bei einer Feststellungsklage in Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 19.03.2002 -
B 1 KR 34/00 R -).
23
Der Senat bejaht das erforderliche Feststellungsinteresse im Hinblick darauf, dass dem
Kläger wegen Verstoßes gegen die durch den Organisationsplan angeordnete
Anwesenheitspflicht ein Verweis (§ 19 b Disziplinarordnung) erteilt wurde, gegen den er
sich in dem vor dem Senat anhängigen Berufungsverfahren (L 11 KA 81/08) wendet.
Wegen seines berechtigten Rehabilitationsinteresses ist der Kläger insofern nicht auf
die Entscheidung in jenem Verfahren zu verweisen, da ansonsten vorliegend inzident
sicher zu stellen wäre, dass es in dem Verfahren L 11 KA 81/08 zu einer
Sachentscheidung kommt. Dies ist jedoch keine in diesem Verfahren zu klärende
Rechtsfrage.
24
Die Fortsetzungsfeststellungklage ist auch im Übrigen zulässig. In dem Übergang zur
Fortsetzungsfeststellungsklage liegt keine unzulässige Klageänderung, wie sich aus §
99 Abs. 3 Nr. 3 SGG ergibt. (BSG, Urteil vom 28.09.2005 - B 6 KA 73/04 -, Leitherer in
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, 2008, § 99 Rdn. 5 m.w.N.).
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Die Klage ist begründet. Das SG hat sie zu Unrecht mit Urteil vom 20.06.2007
abgewiesen. Die Anordnung in der Notfallpraxis am St. B Krankenhaus in T während
des Notfalldienstes ständig anwesend sein zu müssen, war unter Geltung der - insofern
ausschließlich streitbefangenen - NFDO vom 01.01.2002 rechtswidrig.
26
Gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sind die
Kassenärztlichen Vereinigungen (KV´en) verpflichtet, die vertragsärztliche Versorgung
sicherzustellen. Diese umfasst gemäß Satz 2 der genannten Vorschrift auch die
vertragsärztliche Versorgung zu den sprechstundenfreien Zeiten (Notfalldienst). Die
Regelung des § 75 SGB V schließt die Verpflichtung der Vertragsärzte zur Teilnahme
am Notfalldienst ein (BSG, Urteil vom 28.10.1992 - 6 RKa 2/92 -).
27
§§ 6 Abs. 1 Nr. 3, 30 Nr. 2 und 31 Abs. 1 Heilberufsgesetz für das Land Nordrhein-
Westfalen in der Fassung vom 09.05.2000 (Gesetz und Verordnungsblatt für das Land
Nordrhein-Westfalen, Nr. 27, vom 16.05.2000, S. 403 ff. - nachfolgend HeilberG NRW)
und § 26 Abs. 2 Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte in der
Fassung vom 20.11.2004 (Rheinisches Ärzteblatt 7/2005, S. 56 - nachfolgend BO-Ä No
-) verpflichten die Beklagte und die Beigeladene, einen ärztlichen Notfalldienst in den
sprechstundenfreien Zeiten selbständig sicherzustellen, wobei ihnen im Einzelnen die
weitere Ausgestaltung vorbehalten bleibt. Aus diesen Vorschriften und insbesondere
aus dem Auftrag zur Sicherstellung der ambulanten (vertrags)ärztlichen Versorgung
ergibt sich eine ständige Anwesenheitsverpflichtung während des Notfalldienstes in
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einer Notfallpraxis nicht.
Bei der Ausgestaltung des Notfalldienstes kommen den KV´en und Ärztekammern ein
weiter Gestaltungsfreiheit zu. Der Vertragsarzt kann die Entscheidung der KV
grundsätzlich nur eingeschränkt gerichtlich nachprüfen lassen. Angesichts der
Gestaltungsfreiheit der Kassenärztlichen Vereinigung als Normgeber und der ihr
obliegenden Verantwortung für eine angemessene Versorgung der Versicherten auch
zu den sprechstundenfreien Zeiten kann der einzelne Arzt durch die Entscheidung der
Kassenärztlichen Vereinigung grundsätzlich nur in seinen Rechten verletzt sein, wenn
diese nicht mehr von sachbezogenen Erwägungen getragen wird und einzelne
Arztgruppen oder Ärzte willkürlich benachteiligt werden (vgl. BSG, Urteil vom
06.09.2006 - B 6 KA 43/05 R -). Der uneingeschränkten Überprüfung durch das Gericht
obliegt es jedoch, ob die angegriffene Regelung/Maßnahme eine ausreichend
Rechtsgrundlage hat.
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Dies ist jedoch zu verneinen; auch das autonome Satzungsrecht der Beklagten bietet
dafür keine Rechtsgrundlage.
30
Die Vertreterversammlung der Beklagten hat in ihrer Eigenschaft als
Selbstverwaltungsorgan gemäß § 5 Abs. 1 a i.V.m. § 6 Abs. 9 ihrer Satzung mit der
Beigeladenen die NFDO zum 01.01. 2002 (Rheinisches Ärzteblatt 2002, 65 f.)
neugefasst. Das BSG hat die Kooperation von Landes(zahn)ärztekammer und örtlicher
K(Z)V zum Zwecke der Aufgabenerfüllung für zulässig erachtet (vgl. Urteil des BSG vom
12.10.1994 - 6 RKa 29/93 -).
31
In der bis zum 31.12.2006 geltenden NFDO wurde u.a. festgelegt:
32
§ 6 Verfahren
33
(1) Die Kreisstellen der Ärztekammer Nordrhein und der Kassenärztlichen Vereinigung
Nordhein stellen gemeinsam die Pläne über den Notdiensteinsatz der Ärzte auf. Sie
können sich hierbei der Unterstützung durch Obleute bedienen.
34
(2) Die Heranziehung zum Notfalldienst erfolgt durch Übersendung des
Notdienstplanes, mit dem der Arzt zum Notdienst eingeteilt wird. ( ...)
35
§ 7 Notfalldienstzeiten
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(1) Die Notfalldienstzeiten werden wie folgt festgelegt:
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täglich in der Nacht von 19:00 Uhr bis 07:30 Uhr, an Mittwochnachmittagen und
Freitagnachmittagen von 13:00 Uhr bis 19:00 Uhr an Sonnabenden, Sonntagen,
gesetzlichen Feiertagen, am 24.12., 31.12. und am Rosenmontag von 07:00 Uhr bis
19.00 Uhr
38
Die vorgenannten Zeiten können von den Kreisstellen in der Weise abgeändert werden,
dass Anfang und/oder Ende um eine Stunde vor oder nach der in Abs. 1 genannten Zeit
festgelegt werden. An Freitagnachmittagen kann der Notfalldienst abweichend von der
in Abs. 1 S. 1 genannten Anfangszeit bis zu vier Stunden später beginnen.
39
( ...)
40
Abweichend von Abs. 1 können für Modellversuche sowie für Notfallpraxen an
Krankenhäusern (§ 9) abweichende Notfalldienstzeiten zugelassen werden.
41
§ 8 Tätigkeitsort
42
( ...)
43
(2) Der Notfalldienst ist grundsätzlich von der Praxis aus wahrzunehmen. Die
zuständige Kreisstelle kann Ausnahmen zulassen. Der zum Notdienst eingeteilte Arzt
oder sein Vertreter müssen im Notfallbezirk zur Verfügung stehen und erreichbar sein.
Bei Bestehen einer Notfallpraxis gemäß § 9 Abs. 1 Satz sind die zum Notfalldienst
herangezogenen Ärzte verpflichtet, den Notfalldienst in der Notfallpraxis zu versehen.
44
( ...)
45
§ 9 Organisation des Notfalldienstes
46
(1) Die Vorstände der Ärztekammer und der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein
stellen für die einzelnen Kreise in Zusammenarbeit mit den Kreisstellen
Organisationspläne auf, die für die Kreisstellen verbindlich sind. Sie beschließen auf
Vorschlag der Kreisstellen über die Einrichtung von Notfallpraxen. ( ...)
47
Notfallpraxen sind vornehmlich an hierfür insbesondere aufgrund ihrer Lage,
Verkehrsverbindung und zur Verfügung stehender Ausstattung geeigneten
Krankenhäusern einzurichten.
48
( ...)
49
Die Vorstände der Beigeladenen und der Beklagten haben gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2
NFDO eine (zentrale) Notdienstpraxis am St. B Krankenhaus in T im Kreis F, dem
Tätigkeitsort des Notfalldienst verrichtenden Klägers, eingerichtet und einen
Organisationsplan (nachfolgend NFD-OrgaPlan) "gemäß § 6 der Notfalldienstordnung
der Ärztekammer Nordrhein und der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein zur
Organisation des Notfalldienstes im Bereich der Kreisstelle F" aufgestellt.
50
Der NFD-OrgaPlan in der (vom Kläger insoweit angegriffenen) zum 01.04.2005
geänderten und nach Mitteilung der Beklagten vom 15.06.2005 umgesetzten Fassung
sieht u.a. vor:
51
§ 1 Organisation
52
... Als Sitzdienstorte werden festgeschrieben: F, N und T. Hier sind Notfalldienstpraxen
an den örtlichen Krankenhäusern eingerichtet.
53
§ 2 Notfalldienstzeiten
54
Abweichend von § 7 der gemeinsamen Notfalldienstordnung von Ärztekammer
Nordrhein und Kassenärztlicher Vereinigung sind die Notfalldienstzeiten wie folgt
festgelegt: ( ...)
55
Die Öffnungszeiten der Notfalldienstpraxen werden wie folgt festgelegt:
56
Mittwoch von 13:00 Uhr bis 22:00 Uhr Samstag, Sonntag, an gesetzlichen Feiertagen
sowie an Heiligabend, Silvester und Rosenmontag von 07:30 Uhr bis 22:00 Uhr
Weiberfastnacht von 13:00 Uhr bis 22:00 Uhr
57
Zu den Öffnungszeiten muss der zum Dienst eingeteilte Arzt ständig anwesend sein.
58
Der Dienst für die Ärzte in den Notfallpraxen endet um 22.00 Uhr. Es besteht danach
keine Rufbereitschaft.
59
Der Vorstand der Beklagten war zu der auf § 2 Satz 3 NFD-OrgaPlan gestützte
Anordnung ständiger Anwesenheit während des Dienstes in einer Notfallpraxis nicht
befugt. Die vom Kläger angegriffene Regelung war durch die dem Vorstand durch die
von der Vertreterversammlung beschlossenen Satzung bzw. durch die auf der Satzung
(und den o.a. gesetzlichen Bestimmungen) beruhenden NFDO in der bis 31.12.2006
geltenden Fassung eingeräumten Ermächtigung nicht gedeckt.
60
Die (insoweit nach § 4 Abs. 7 der Satzung der Beklagten zuständige)
Vertreterversammlung hat mit der NFDO während des Notfalldienstes keine ständige
Präsenz des diensthabenden Arztes verlangt. Dies ist entgegen der Auffassung der
Beklagten auch nicht § 8 Abs. 2 Satz 4 NFDO zu entnehmen, wonach bei Bestehen
einer Notfallpraxis die zum Notfalldienst herangezogenen Ärzte verpflichtet sind, den
Notfalldienst "in der Notfallpraxis" zu versehen. Aus dem Wortlaut der Überschrift des §
8 NFDO ("Tätigkeitsort") und dem Wortlaut im Übrigen (in der bis zum 31.12.2006
geltenden Fassung) ist zu entnehmen, dass es sich bei der Regelung in § 8 Abs. 2 Satz
4 NFDO ausschließlich um eine örtliche Beschränkung handelt, die keine inhaltliche
Regelung in Hinblick auf die Anwesenheitspflicht enthält. Die Unterscheidung der
Wortwahl in Satz 1 (Der Notfalldienst ist grundsätzlich "von der Praxis aus"
wahrzunehmen) und in Satz 3 (Bei Bestehen einer Notfallpraxis ist der Notfalldienst "in
der Notfallpraxis" zu versehen), lässt nicht auf unterschiedliche Präsenzpflichten
schließen. Sie beruht lediglich auf dem Umstand, dass Ärzte in den Notfallpraxen zu
sogenannten Sitzdiensten herangezogen werden (vgl. auch § 1 Abs. 1 Satz 7 NFD-
OrgaPlan), während Ärzte, die ihren Dienst von der Praxis aus wahrnehmen, je nach
Koordination des Notfalldienstes auch zu ggf. Hausbesuchsfahrten "herangezogen"
werden.
61
Auch die Regelung des § 7 NFDO ("Notfalldienstzeiten"), die grundsätzlich für alle
teilhabenden Ärzte gelten, sieht keine unterschiedliche Ausgestaltung von
Anwesenheitspflichten vor, sondern eröffnet lediglich die Möglichkeit, die Dienstzeiten
in Notfallpraxen abweichend zu regeln. Von dieser Möglichkeit haben die Vorstände der
Beklagten und der Beigeladenen mit § 2 Satz 2 NFD-OrgaPlan Gebrauch gemacht.
Soweit diese Regelung in Satz 3 sodann den Passus, "zu den Öffnungszeiten muss der
zum Dienst eingeteilte Arzt ständig anwesend sein", enthält, ist dies nicht mehr von der
Ermächtigungsgrundlage des § 7 NFDO, auf die sich die Regelung des § 2 NFD-
OrgaPlan ausdrücklich stützt, gedeckt.
62
Wie ausgeführt, ergibt sich weder aus § 7 NFDO unmittelbar eine
Anwesenheitsverpflichtung diensthabender Ärzte in Notfallpraxen, noch hat die
Vertreterversammlung mit § 7 NFDO den Vorstand der Beklagten ermächtigt, eine
solche anzuordnen. Eine Ermächtigung des Vorstandes ergibt sich auch nicht aus den §
63
70 Abs. 5 SGB V, § 35 a SGB IV. Danach obliegt dem Vorstand die gerichtliche und
außergerichtliche Vertretung der KV sowie grundsätzlich die Führung der
Verwaltungsgeschäfte und insofern - als ausführendes Organ - die Umsetzung der
Beschlüsse der Vertreterversammlung sowie eine Richtlinienkompetenz für die Führung
der Verwaltungsgeschäfte. Zur Verwaltung gehört der gesamte Geschäftsbetrieb, z.B.
die technische Ausstattung und die Organisation der Verwaltung, einschließlich der
Leitung des inneren Dienstes und damit auch der Entscheidungen über die Art und
Weise des Einsatzes des für die Sachaufgaben benötigten Personals. Nicht zur
Verwaltung gehört die Normsetzung im Rahmen der Satzungsautonomie nach § 34
SGB IV, die ausschließlich der Vertreterversammlung vorbehalten ist (Schneider-
Danwitz in jurisPK-SGB IV, § 35 Anm. B.I.1. m.w.N.). Für die Verabschiedung
autonomen Rechts, wie den NFD-OrgaPlan ist der Vorstand lediglich zur Umsetzung
der von der Vertreterversammlung beschlossenen NFDO im Rahmen der ihm durch die
NFDO eingeräumten Befugnisse berechtigt, nicht aber zur Anordnung darüber
hinausgehender Maßnahmen/Regelungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 154
Verwaltungsgerichtsordnung.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2
SGG).
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