Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 27.08.2004

LSG NRW: familie, witwerrente, hausarbeit, haushalt, produktion, einkünfte, verkäuferin, arbeitskraft, metzgerei, mitarbeit

Landessozialgericht NRW, L 14 RA 105/03
Datum:
27.08.2004
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 14 RA 105/03
Vorinstanz:
Sozialgericht Detmold, S 8 RA 47/02
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 4 RA 51/04 R
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgericht Detmold
vom 09.09.2003 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Der am 00.00.1942 geborene Kläger begehrt mit seiner Klage die Gewährung von
Witwerrente. Streitig ist insbesondere, ob die am 08.10.1975 verstorbene Ehefrau des
Klägers den Unterhalt ihrer Familie im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor ihrem
Tode überwiegend bestritten hat.
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Der Kläger war selbstständiger Fleischermeister. Die am 08.10.1975 verstorbene
versicherte Ehefrau war gelernte Fleischereifachverkäuferin und zuletzt - nachdem sie
nach der Geburt des Sohnes am 21.07.1968 bis zum 01.10.1971 nicht berufstätig
gewesen war - angestellte Verkäuferin im Fleischereibetrieb, der auf den Namen des
Klägers lief. Zur Begründung seines Antrages vom 23.02.2001 auf Witwerrente verwies
der Kläger darauf, dass er als Fleischermeister in Folge von Kreditverpflichtungen kein
eigenes Einkommen gehabt habe. Ab Oktober 1971 sei er selbstständig gewesen. Die
Ehefrau habe als Bruttoarbeitsentgelt 800,00 DM monatlich erzielt. Die Tätigkeit seiner
Ehefrau schilderte er als "Verkäuferin und 3-Personen-Haushalt"; seine eigene Tätigkeit
bezeichnete er als "Produktion". Seinen Angaben in den Terminen beim Sozial- und
Landessozialgericht nach war der Kläger von früh morgens bis zum späten Abend
(teilweise bis 23:00 Uhr) in der Produktion beschäftigt. Die Ehefrau arbeitete im
Verkaufsraum im Zeitraum von etwa einer Stunde vor Beginn der Ladenöffnungszeiten
bis eine Stunde nach den Öffnungszeiten, insgesamt deutlich über 50 Stunden in der
Woche. Je nach Kundenaufkommen stand es ihr allerdings frei, in die Wohnung zu
gehen und dort Hausarbeiten zu verrichten. Nach den Angaben des Klägers hatte seine
Ehefrau die gesamte Haushaltsführung einschließlich der Betreuung des im Juli 1968
geborenen Sohnes übernommen. Dieser sei im Alter von 4 oder 4 1/2 Jahren in den
Kindergarten gekommen. Nach dem Kindergarten ist das Kind nach den Angaben des
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Klägers auch öfters im Laden oder angrenzende Hof betreut worden. Die Wohnung der
Eheleute befand sich unmittelbar angrenzend an den Verkaufsraum der Metzgerei. Eine
Betreuung des Kindes in der Wurstküche, in welcher der Kläger tätig war, kam aus
betrieblichen Gründen nicht in Frage.
Mit Bescheid vom 17.07.2001 lehnte die Beklagte den Antrag auf Witwerrente mit der
Begründung ab, dass die Voraussetzungen des § 303 des Sechsten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB VI) nicht gegeben seien. Denn nach der genannten Vorschrift
sei eine Hinterbliebenenrente nur zu gewähren, wenn die Verstorbene den Unterhalt der
Familie überwiegend bestritten habe. Da nach den Angaben des Klägers die
verstorbene Ehefrau im Zeitraum vom 01.10.1974 bis zum 30.09.1975 zirka 800,00 DM
monatlich als Verkäuferin verdient habe, habe sie nicht den überwiegenden Unterhalt
der Familie bestritten. Der Wert des Betriebes bzw. die Erträgnisse aus diesem Betrieb
seien beiden Ehegatten zu gleichen Teilen anzurechnen. Insoweit handele es sich um
eine Ehegatten-Innengesellschaft.
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Den eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, dass im vorliegenden Fall
eine auf den Einzelfall bezogene Betrachtungsweise geboten sei. Prägend sei die
Mitarbeit der Ehefrau im Betrieb und in der Haushaltsführung gewesen, so dass der
überwiegende Anteil des Familieneinkommens durch diese erwirtschaftet worden sei.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 23.07.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück
und verblieb bei der zuvor vertretenen Auffassung.
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Hiergegen richtet sich die Klage vom 21.08.2002, mit der der Kläger sein Begehren
weiter verfolgt hat. Er ist bei seiner bisher vertretenen Auffassung, der überwiegende
Unterhalt der Familie sei durch die verstorbene Ehefrau sichergestellt worden,
geblieben. Er sei als selbständiger Fleischermeister zusammen mit seiner Frau im
eigenen Handwerksbetrieb tätig gewesen. Die Ehefrau habe zudem die
Haushaltsführung und die Kindererziehung übernommen.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.07.2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 23.07.2002 zu verurteilen, ihm Hinterbliebenenrente
nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat auf den Inhalt der Akten und die angefochtenen Bescheide verwiesen.
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Das Sozialgericht hat einen Termin zur Erörterung des Sachverhaltes durchgeführt und
den Kläger befragt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen
Sitzung vom 20.05.2003 verwiesen.
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Der Kläger hat in dem Erörterungstermin eine Erklärung des Steuerbevollmächtigten
Eberhard Gleiche über die steuerlichen und Einkommensverhältnisse des
Fleischereibetriebs in den 70iger Jahren vorgelegt.
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Mit Urteil vom 09.09.2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung
hat es im wesentlichen ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, inwieweit es sich bei
den Tätigkeiten der verstorbenen Versicherten und des Klägers um eine Ehegatten-
Innengesellschaft gehandelt habe. Nach den Ermittlungen des Gerichts seien die
Voraussetzungen des § 303 SGB VI nicht nachgewiesen worden. Dies gehe nach dem
Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers. Nach der gesetzlichen
Fiktion habe auch der Kläger zum Familienunterhalt durch Übernahme teilweiser
Haushaltspflichten beigetragen. Letztlich überzeuge nicht die Argumentation, dass die
verstorbene Versicherte durch alleinige Übernahme der Haushaltstätigkeit zusätzlich zu
ihrem Einkommen den überwiegenden Unterhalt sichergestellt haben solle. Die Folgen
der Nichterweislichkeit dieses Sachverhaltes gingen zu Lasten des Klägers. Das
Sozialgericht ist den Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid gefolgt und
hat sich diese gem. § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu eigen gemacht.
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Gegen das am 02.10.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29.10.2003 Berufung
eingelegt. Zur Begründung wiederholt er im wesentlichen seinen Vortrag aus dem
Klageverfahren. Insbesondere trägt er vor, er selbst habe von 06:00 Uhr bis 23:00 Uhr in
der Fleischereiküche gearbeitet. Die Ehefrau sei während der Ladenöffnungszeiten dort
für den Verkauf zuständig gewesen. Zudem habe sie den gemeinsamen Sohn erzogen
und den Haushalt geführt. Aufgrund der hohen Kreditverpflichtungen seien
Privatentnahmen lediglich in Höhe von ca. 10.000,00 DM pro Jahr möglich gewesen.
Selbst wenn man von einer Ehegatten-Innengesellschaft ausgehe, so habe die Ehefrau
doch zusätzlich den Haushalt geführt. Diese Haushaltsführung und Erziehungsleistung
sei als Dienstleistung mit ihrem wirtschaftlichen Wert zu berücksichtigen. Nach dem Tod
der Ehefrau sei er gezwungen gewesen, die Erziehung und Betreuung des Sohnes
seinem Bruder und dessen Frau zu überlassen.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 09.09.2003 zu ändern und die Beklagte unter
Aufhebung des Bescheides vom 17.07.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 23.07.2002 zu verurteilen, ihm Witwerrente nach Maßgabe der gesetzlichen
Bestimmungen zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält ihre Bescheide und das angefochtene Urteil für zutreffend.
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Der Senat hat die Rentenakte des Klägers bei der LVA Westfalen beigezogen. In dieser
ist unter anderem ein Antrag des Klägers auf Feststellung von Kindererziehungszeiten
zu finden, in dem er angibt, er habe den Sohn während der gesamten ersten 10
Lebensjahre erzogen.
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Im Termin vor dem Landessozialgericht am 27.08.2004 ist der Kläger persönlich
angehört worden. Bezüglich der Einzelheiten seiner Einlassung wird auf den Inhalt des
Sitzungsprotokolls der mündlichen Verhandlung vom 27.08.2004 verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der
Beteiligten im einzelnen wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen
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Verwaltungsakten der Beklagten und der LVA Westfalen Bezug genommen. Diese
Akten haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht die Klage
abgewiesen, denn der Bescheid vom 17.07.2001 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 23.07.2002 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen
Anspruch auf Witwerrente.
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Gemäß § 46 SGB VI in Verbindung mit § 303 SGB VI besteht Anspruch auf eine
Witwerrente nur dann, wenn die Verstorbene den Unterhalt ihrer Familie im letzten
wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode überwiegend bestritten hat. Diese
Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Zur Überzeugung des Senats hat die Versicherte
auch unter Zugrundelegung des Vortrags des Klägers im letzten maßgeblichen
Dauerzustand vor ihrem Tode den Unterhalt der Familie nicht überwiegend bestritten.
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Hinsichtlich der zeitlichen Festlegung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes ist
dem Sozialgericht allerdings nicht zu folgen. Als maßgeblichen Zeitraum hat das
Sozialgericht den Zeitraum vom 01.10.1974 bis 30.09.1975 zugrundegelegt.
Richtigerweise ist der Beginn der Erkrankung der Versicherten als
Beendigungszeitpunkt zugrunde zu legen, da diese die Einkommensverhältnisse
wesentlich beeinflussende Krankheit von relativ kurzer Dauer war und es deshalb aus
Billigkeitserwägungen gerechtfertigt ist, die durch sie bewirkte Verschlechterung der
Unterhaltslage nicht als Prüfungsmaßstab für die Voraussetzungen der Witwerrente
anzulegen (BSG, SozR 2200, § 1266 Nr. 7 m.w.N., Kasseler Komm § 303 SGB VI Rn
50). Maßgeblicher Zeitraum ist im Sinne der Rechtsprechung des BSG hier die Zeit von
Juli 1974 bis Juni 1975.
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In diesem Zeitraum hat die Versicherte den Unterhalt der Familie jedenfalls nicht
"überwiegend" bestritten. Nach dem von der Beklagten nicht bestrittenen Einlassungen
des Klägers im sozialgerichtlichen Verfahren sowie im Termin vor dem
Landessozialgericht haben der Kläger und seine verstorbene Ehefrau das
Metzgereigeschäft gemeinsam betrieben, und das hieraus erzielte Einkommen ist zur
Bestreitung des Familienunterhalts verwendet worden. Sowohl die Einkünfte des
Klägers aus dem Gewerbebetrieb als auch diejenigen der Versicherten aus
nichtselbständiger Tätigkeit wurden durch den Betrieb der Metzgerei erwirtschaftet,
denn auch das Arbeitseinkommen der Versicherten entstammte aus einer Tätigkeit für
den Metzgereibetrieb. Obwohl das Metzgereigeschäft nach außen hin auf den Namen
des Klägers lief, ist zur Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass zwischen
den Eheleuten eine sog. Ehegatten-Innengesellschaft bestand. Für eine solche
Innengesellschaft ist es kennzeichnend, dass sich die Partner stillschweigend zur
Erreichung eines gemeinsamen Zwecks verpflichtet haben, also die Voraussetzungen
eines Gesellschaftsvertrages im Sinne der §§ 705 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches
(BGB) gegeben sind, jedoch nach außen nur ein Partner als der Inhaber des
Unternehmens in Erscheinung tritt. Die Eheleute müssen durch ihre beiderseitigen
Leistungen einen über den typischen Rahmen der ehelichen Lebensgemeinschaft
hinausgehenden Zweck verfolgen, in dem sie etwa durch Einsatz von
Vermögenswerten oder Arbeitsleistungen gemeinsam ein Vermögen aufbauen oder
berufliche oder gewerbliche Tätigkeiten ausüben (Bundesgerichtshof, NJW 1999, 2962).
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Es ist nicht erforderlich, dass die Eheleute sich darüber bewusst gewesen sind,
zueinander in einem gesellschaftsrechtlichen Verhältnis im Sinne einer BGB-
Gesellschaft zu stehen (vgl. BSG, SozR 2200 § 1266 Nr. 3 und 22).
Von einer solchen Innengesellschaft ist im vorliegenden Fall auszugehen. Die Eheleute
haben die Entscheidung den Betrieb zu übernehmen gemeinsam getroffen. Beide
Ehegatten haben durch den Einsatz ihrer gesamten Arbeitskraft bei entsprechender
Aufgabenteilung den Betrieb praktisch gemeinsam geführt. Die Ehefrau des Klägers hat
dabei im wesentlichen den Verkauf übernommen, während der Kläger in der Produktion
und Warenbeschaffung tätig war. Alle wichtigen Entscheidungen wurden gemeinsam
getroffen. Die erzielten Einkünfte dienten dem Familienunterhalt. Dies ergibt sich
insbesondere aus den Bekundungen des Klägers im sozialgerichtlichen Verfahren und
im Termin vor dem Landessozialgericht. Der Senat hat keine Zweifel daran, dass die
Bekundungen des Klägers auch den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen. Die
Beteiligten haben im übrigen übereinstimmend erklärt, dass zum maßgeblichen
Zeitpunkt eine Innengesellschaft vorlag und insoweit auf die Vernehmung des
Steuerberaters des Klägers verzichtet.
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Dem Umstand, dass das der Versicherten zufließende Einkommen steuer- und
versicherungsrechtlich wie ein Arbeitnehmerentgelt behandelt wurde, kommt bei dem
festgestellten Bestehen einer Innengesellschaft keine Bedeutung zu. Eine
dahingehende Handhabung lag in der Disposition der Eheleute, schloss aber nicht aus,
dass die Versicherte dennoch stille Ehegatten-Gesellschafterin war (vgl. BSG, SozR
2200, § 1266 Nr. 20).
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Bei Vorliegen einer Ehegatten-Innengesellschaft haben - wenn wie hier keine anderen
Absprachen getroffen wurden - beide Ehegatten Anspruch auf die Erträge der
gemeinsamen Arbeit. Die erzielten Einkünfte im maßgeblichen Zeitraum sind in
entsprechender Anwendung des § 722 BGB je zur Hälfte zu teilen. Das bedeutet, dass
sowohl der Gewinn des Metzgereigeschäftes als auch das Nettoarbeitsentgelt der
Ehefrau jeweils zur Hälfte den Ehepartnern zuzurechnen ist, so dass sich allein aus
dem Einkünften des Klägers und der Versicherten nicht feststellen lässt, dass die
Versicherte den Unterhalt überwiegend bestritten hat.
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Auch unter Berücksichtigung der im gemeinsamen Haushalt angefallenen Arbeiten
kann nicht festgestellt werden, dass die Versicherte den Familienunterhalt überwiegend
bestritten hat.
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Bei der rechtlichen Zuordnung des Wertes der Haushaltsführung kommt es nicht allein
darauf an, welche Arbeiten ein Ehegatte tatsächlich verrichtet hat, sondern es muss
auch die familienrechtliche Verpflichtung zur Hausarbeit Beachtung finden, unabhängig
davon, ob und wie diese erfüllt wird (BSG, SozR § 1266 Nr. 10). Die Aufteilung der
Hausarbeit wird von den Ehegatten in gegenseitigem Einvernehmen geregelt (§ 1356
Abs. 1 BGB). So können Ehegatten ohne weiteres vereinbaren, dass einer allein
sämtliche anfallenden Hausarbeiten verrichtet, obwohl auch der andere durchaus in der
Lage wäre, sich an der Hausarbeit angemessen zu beteiligen. Für den Anspruch auf
Witwerrente kann diese Aufteilung der Hausarbeiten von erheblicher Bedeutung sein:
Übernimmt der Ehemann allein die Haushaltsführung, so kann sein Anspruch auf
Witwerrente daran scheitern, dass er durch den Wert der ihm zurechenbaren
Hausarbeiten den Familienunterhalt überwiegend bestritten hat. Übernimmt dagegen
die Ehefrau alle Hausarbeiten, so kann durch den ihr zurechenbaren Wert dieser
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Arbeiten der Witwerrentenanspruch erst begründet werden. Auf diese Weise könnte im
Ergebnis durch eine privatrechtliche Vereinbarung ein Rentenanspruch begründet oder
aufgehoben werden. Es stünde damit in der Verfügungsmacht einer Versicherten durch
eine Vereinbarung mit ihrem Ehemann über die Haushaltsführung den
Rentenversicherungsträger zur Zahlung einer Rente zu verpflichten. Deswegen kann
nicht allein auf die tatsächliche oder vertragliche Verteilung der Hausarbeit abgestellt
werden, sondern es muss auch die familienrechtliche Verpflichtung zur Hausarbeit
Beachtung finden (BSG, Urteil vom 01.12.1983, 4 RJ 33/82).
Im Normalfall ist dabei von einer beiderseitigen gleichwertigen Haushaltsführung durch
beide Ehegatten auszugehen. Dies ist immer dann gerechtfertigt, wenn beide Ehegatten
nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in gleichem Umfang
Hausarbeiten ausführen können, wie dies vielfach z.B. bei Ehepaaren mit gleicher
beruflicher Belastung der Fall sein wird. Diese gemeinsame Haushaltsführung hätte zur
Folge, dass sich der Wert der Hausarbeit der beiden Ehegatten gegenseitig aufhebt und
deswegen nicht zur Begründung eines Rentenanspruchs beiträgt. Demgegenüber
können zwar andere Möglichkeiten der Verteilung der Hausarbeit nicht ausgeschlossen
werden, für die Bewertung im Rahmen des Anspruchs auf Witwerrente bedarf es dazu
jedoch des Vorliegens verständiger Gründe. So hat das BSG zum Beispiel in einem Fall
das Vorliegen eines verständigen Grundes zumindest in Erwägung gezogen, in dem der
Ehemann der Versicherten wegen seines Gesundheitszustandes außerstande war, sich
an der Haushaltsführung zu beteiligen (BSG, Urteil vom 01.12.1983, Az: 4 RJ 33/82).
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Im vorliegenden Fall ist zunächst grundsätzlich von der gesetzlichen Fiktion
auszugehen, dass beide Eheleute in gleichem Umfang zur Haushaltsführung beitragen
konnten. Beide Eheleute sind voll erwerbstätig gewesen. Es liegt zur Überzeugung des
Senats kein verständiger Grund im Sinne des o.g. BSG-Urteils vor, der dazu führt, dass
die interne Verteilung der Hausarbeit im Rahmen des Anspruchs auf Witwerrente zum
Tragen kommt.
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Auch der Vortrag des Kläger, er habe länger gearbeitet, teilweise bis 23:00 Uhr und
habe bei der Durchführung seiner Arbeit den gemeinsamen Sohn nicht betreuen
können, führt zu keinem anderen Ergebnis. Grundsätzlich ist vielmehr bei voller
Berufstätigkeit beider Eheleute davon auszugehen, dass jeder der beiden auch zur
hälftigen Haushaltsführung und Kinderbetreuung verpflichtet ist - und nur auf diese
Verpflichtung kommt es an (vgl. hierzu auch BSG, SozR 2200 § 1266 Nr. 3). Der Kläger
hat im Termin vor dem Landessozialgericht insofern vorgetragen, dass sowohl er als
auch seine Ehefrau voll berufstätig gewesen seien. Dies ergibt sich für die Versicherte
insbesondere aus den vorgetragenen Arbeitszeiten.
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Zudem ist festzustellen, dass die vorgetragene "Mehrarbeit" des Klägers für den
Metzgereibetrieb im Ergebnis auch dem Unterhalt der Familie diente. Insgesamt stellt
sich die wirtschaftliche und familiäre Situation des Klägers und seiner Familie im
maßgeblichen Zeitraum so dar, dass die Eheleute gemeinsam den Metzgereibetrieb
aufgebaut und betrieben haben - ebenso wie den "Betrieb Familie". Jeder der beiden
Eheleute hat nach seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten Aufgaben im Betrieb und in
der Familie wahrgenommen und dabei seine gesamte Arbeitskraft eingesetzt. Diese
interne Arbeitsverteilung kann aber zur Überzeugung des Senats nicht dazu führen,
dass ein Anspruch auf Witwerrente entsteht, da dies im Ergebnis bedeuten würde, dass
der Anspruch auf Witwerrente durch eine privatrechtliche (familienrechtliche)
Vereinbarung begründet werden könnte (vgl. BSG, Urteil vom 01.12.1983, Az: 4 RJ
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33/82).
Wird von den Eheleuten ein Geschäft gemeinsam betrieben und gleichzeitig ein
Haushalt geführt wobei die interne Verteilung der Arbeiten im Geschäft und im Haushalt
einvernehmlich geregelt ist und stellt jeder der Eheleute hierbei seine gesamte
Arbeitskraft zur Verfügung, so ist jedenfalls nicht im Sinne des § 303 SGB VI davon
auszugehen, dass die Verstorbene den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten
hat. Es ist vielmehr in solchen Konstellationen davon auszugehen, dass die Eheleute
den Unterhalt der Familie zu gleichen Teilen bestritten haben.
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Dies entspricht im Übrigen auch Sinn und Zweck der Regelung des § 303 SGB VI, der
u.a. für die Fälle, in denen - wie hier - die Versicherte vor dem 1. Januar 1986 gestorben
ist, die Weitergeltung des zuvor in § 1266 Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw. §
43 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) geregelten Rechts auf Witwerrente enthält.
Die Gewährung der Witwerrente in § 1266 RVO bzw. § 43 AVG soll davon abhängig
sein, dass die gesamten Leistungen der verstorbenen Versicherten für den Unterhalt der
Familie wesentliche (überwiegende) Bedeutung gehabt haben (vgl. hierzu BVerfG,
BVerfGE 17, S.1 ff). Im vorliegenden Fall hat die Unterhaltsleistung der Ehefrau durch
ihre Mitarbeit im Metzgereibetrieb und durch die Haushaltsführung im Verhältnis zur
Unterhaltsleistung durch den Kläger, der insgesamt im gleichen Umfang wie die
Versicherte tätig war, nicht eine überwiegende sondern lediglich eine gleichwertige
Bedeutung für den Unterhalt der Familie gehabt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Der Senat hat die Revision zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung
hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Die Rechtsprechung des BSG, auf die der Senat Bezug
genommen hat, erfasst nicht genau die vorliegende Fallgestaltung.
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