Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14.02.2007

LSG NRW: ärztliche verordnung, arzneimittel, sachleistung, krankenversicherung, behandlung, zukunft, verwaltungsakt, versorgung, gesetzesänderung, leistungsausschluss

Landessozialgericht NRW, L 11 KR 21/06
Datum:
14.02.2007
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 11 KR 21/06
Vorinstanz:
Sozialgericht Duisburg, S 9 KR 107/05
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg
vom 21.02.2006 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im
Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger über den Monat August 2004 hinaus
Anspruch auf Kostenerstattung für Arzneimittel zur Behebung seiner erektilen
Dysfunktion hat.
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Der Kläger ist 1939 geboren, Rentner und bei der Beklagten freiwillig krankenversichert.
Wegen einer radikalen perinealen Prostatektomie im Jahre 1999 leidet er an einer
erektilen Dysfunktion. Gegenüber der Beklagten erwirkte er das rechtskräftig gewordene
Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30.01.2003 - L 16 KR 7/02, in
dem die Beklagte unter Änderung ihrer damaligen Bescheide verurteilt wurde, dem
Kläger auf entsprechende ärztliche Verordnung zukünftig das Arzneimittel "Viagra" als
Sachleistung zu gewähren. In der Urteilsbegründung wurde u. a. ausgeführt, der
Anspruch des Klägers werde durch Nr. 17.1 f) der seinerzeit geltenden
Arzneimittelrichtlinien nicht beschränkt, weil ein diesbezüglicher Leistungsausschluss
von der Ermächtigungsgrundlage des § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 des Sozialgesetzbuches
5. Buch - SGB V nicht gedeckt sei. Diese Vorschrift ermächtige den (damaligen)
Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkasse nicht, die Behandlung einer bestimmten
Erkrankung durch zugelassene Arzneimittel auszuschließen.
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Die Beklagte übernahm die Kosten für die vom Kläger eingereichten Rechnungen über
Caverject bis einschließlich August 2004, das Arzneimittel Viagra nahm der Kläger nicht
in Anspruch.
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Durch Art. 1 Nr. 22 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen
Krankenversicherung vom 14.11.2003 (BGBl. I, 2190) wurden ab 01.01.2004 sämtliche
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Arzneimittel, die der Behandlung einer erektilen Dysfunktion dienen, von der
Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Wegen
der Einzelheiten wird auf die neu angefügten Sätze 7 und 8 des § 34 Abs. 1 SGB V
verwiesen.
Im August 2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie auf Grund der geänderten
und nun eindeutigen Rechtslage letztmalig Erstattung auf die Rechnungen von Juni und
Juli 2004 leisten werde, eine weitere Kostenübernahme jedoch nicht mehr möglich sei.
Nach weiterem Schriftwechsel wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
04.05.2005 den Widerspruch des Klägers wegen der geänderten gesetzlichen
Vorschriften zur Arzneimittelversorgung zurück. Nach Nr. 18.2 der Arzneimittelrichtlinien
sei das Arzneimittel Caverject nunmehr ausdrücklich von der Verordnung
ausgeschlossen. Das Urteil des LSG NRW vom 30.01.2003 verliere auf Grund der
gesetzlichen Neuregelung automatisch seine Wirkung, weil es zu der bis zum
31.12.2003 geltenden Rechtslage ergangen sei.
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Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben, mit der er im Wesentlichen geltend gemacht
hat, die Beklagte sei auf Grund der im rechtskräftigen Urteil des LSG NRW
ausgesprochenen Verurteilung verpflichtet, ihm auch für die Zukunft Viagra bzw.
Caverject als Sachleistung zu gewähren. Die ab 01.01.2004 geltende Rechtslage sei
insoweit für ihn nicht maßgeblich. Es komme auch nicht darauf an, dass sich das Urteil
über Viagra verhalte, es gelte vielmehr für sämtliche sonstigen Arzneimittel zur
Behandlung einer erektilen Dysfunktion. Dazu hat der Kläger ein weiteres Schreiben der
Beklagten vom 24.05.2005 vorgelegt, in dem die Kostenerstattung für das auf
Privatrezept verordnete Arzneimittel Viagra abgelehnt wird.
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Vor dem Sozialgericht hat der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.08.2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 04.05.2005 sowie des Bescheides vom 24.05.2005 zu
verurteilen, ihm die Kosten für die Arzneimittel Caverject und Viagra über den Monat
August 2004 hinaus auch zukünftig zu erstatten.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält ihre Auffassung für zutreffend. Durch die Gesetzesänderung zum 01.01.2004 sei
die Begründung für das Urteil des LSG NRW vom 30.01.2003 nicht mehr haltbar, ihm
sei die Grundlage entzogen. Auf Grund dieser neuen Gesetzeslage sei die Beklagte
auch faktisch nicht mehr in der Lage, die Arzneimittel als Sachleistung zur Verfügung zu
stellen, da kein Behandler mehr dazu berechtigt sei, entsprechende Verordnungen
auszustellen.
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Mit Urteil vom 21.02.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat die
Auffassung vertreten, dass der Bescheid der Beklagten vom 24.05.2005 gemäß § 96
SGG Gegenstand des anhängigen Klageverfahren geworden sei. Jedoch sei der Kläger
durch die angefochtenen ablehnenden Entscheidungen nicht beschwert, denn diese
seien rechtswidrig. Dazu hat es ausgeführt:
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Der Kläger hat demgemäß jedoch weder Anspruch auf Kostenerstattung der ihm in der
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Vergangenheit privatärztlich verordneten og Medikamente nach § 13 Abs. 3 des
Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V - noch auf zukünftige Kostenübernahme im
Rahmen des Sachleistungsanspruchs, denn die Versorgung mit Arzneimitteln zur
Behebung einer erektilen Dysfunktion fällt bereits seit dem 01.01.2004 nicht mehr in die
Leistungspflicht einer gesetzlichen Krankenkasse.
Dies hat der Gesetzgeber in § 34 Abs. 1 Sätze 7 und 8 SGB V in der seit dem
01.01.2004 geltenden Fassung i. V. m. Nr. 18.2 der AMRI im Hinblick auf die bis dahin
uneinheitliche Rechtsprechung zur Verordnungsfähigkeit der og Präparate ausdrücklich
klargestellt. Demzufolge ist ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V, der
unter den dort genannten Voraussetzungen an die Stelle eines Anspruchs auf eine
Sach- oder Dienstleistung tritt und nur in dem Umfang besteht, soweit die
selbstbeschaffte Leistung ihrer Art nach zu denjenigen Leistungen gehört, die von den
gesetzlichen Krankenkassen als Sachleistungen zu erbringen sind, mit Inkrafttreten der
gesetzlichen Neuregelung nicht mehr gegeben.
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Das BSG ist in seinem Urteil vom 11.05.2005, Az: 1 KR 25/03 R, von der
Verfassungsmäßigkeit des nunmehr gesetzlich geregelten Leistungsausschlusses
ausgegangen.
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Dem Leistungsausschluss steht auch das rechtskräftige Urteil des LSG NW vom
30.01.2003, mit dem die Beklagte verurteilt wurde, dem Kläger auf entsprechende
ärztliche Verordnung zukünftig das Arzneimittel Viagra als Sachleistung zu gewähren,
nicht entgegen. Bereits dem Wortlaut nach kann aus der Urteilsformel und den
Entscheidungsgründen kein Anspruch auf zukünftige Kostenerstattung hergeleitet
werden. Das Urteil verhält sich lediglich über die Zurverfügungstellung von Viagra
aufgrund vertragsärztlicher Verordnung als Sachleistung nach Maßgabe des seinerzeit
geltenden Rechts. Für den hier streitigen Zeitraum ab August 2004 geht es indessen um
die Frage der Kostenerstattung der jeweils auf Privatrezept verordneten Präparate
Caverject und Viagra. Über die Frage einer zukünftigen Kostenerstattung liegt indessen
keine Entscheidung vor. Aus dem Urteilstenor lässt sich vielmehr nur entnehmen, dass
der Kläger Anspruch auf Verordnung von Viagra auf Kassenrezept hat, solange die
Versorgung mit diesem Arzneimittel in die Sachleistungspflicht der Beklagten fällt.
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Für eine weitergehende Auslegung des Urteils dahingehend, dass die Beklagte
hierdurch, unabhängig von der jeweiligen Gesetzeslage, verpflichtet werden sollte,
Kostenerstattung für Arzneimittel zur Behebung einer erektilen Dysfunktion zu leisten,
bestehen im Hinblick auf die mit der Bezugnahme auf den Sachleistungsgrundsatz
vorgenommene Einschränkung des zukünftigen Leistungsanspruchs aus Sicht des
erkennenden Gerichts keine Anhaltspunkte.
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Die in dem Urteilstenor ausgsprochene Leistungspflicht der Beklagten war zwar nicht
ausdrücklich befristet. Wenn sich aber wie im vorliegenden Fall die der Entscheidung
zugrunde liegende Rechtslage ändert, ist die Rechtskraft eines Urteils immer auf den
Zeitpunkt dieser Änderung beschränkt (vgl. hierzu: Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 8.
Aufl. 2005, § 141 SGG Rndnr 9).
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Auch soweit die Beklagte im Schreiben vom 15.05.2001 eine Leistungsentscheidung
bezüglich der Erstattung für Caverject getroffen hat, handelt es sich hierbei nicht um
einen sog Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, der zunächst nach § 48 des
Sozialgesetzbuches Zehntes Buch - SGB X - wegen Änderung der rechtlichen
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Verhältnisse formal aufzuheben wäre. Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist
insbesondere dann anzunehmen, wenn es sich um laufende Geldleistungen, wie z. B.
beim Rentenbezug, handelt. Im Rahmen einer Kostenerstattung erfolgt die Erstattung
jeweils nur nach Vorlage der Verordnung und entsprechender Prüfung.
Aber selbst bei Annahme eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung hätte dieser im
vorliegenden Fall aufgrund der in § 39 Abs 2 SGB X getroffenen Regelung seine
Wirksamkeit verloren, denn ein Verwaltungsakt bleibt nur wirksam, solange und soweit
er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf
oder auf andere Weise erledigt ist. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn ein
neues Gesetz Status- oder Rechtspositionen gänzlich abschafft.
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Vorliegend ist von einer Erledigung aufgrund der mit Wirkung zum 01.01.2004 in Kraft
getretenen Gesetzesänderung auszugehen mit der Folge, dass der Kläger aus dem
Schreiben der Beklagten vom 15.05.2001 keine Rechte mehr herleiten kann.
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Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Damit trägt er vor, das
Landessozialgericht habe ihm mit Urteil vom 30.01.2003 einen Sachleistungsanspruch
für die Zukunft zugesprochen. Dieses positive Urteil gelte für alle Zukunft. Auf
entsprechende Anregung des damaligen Vorsitzenden des Senates sei sein Antrag
auch entsprechend formuliert worden.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 21.02.2006 abzuändern und nach dem
Klageantrag zu erkennen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
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Weitere Einzelheiten, auch des Vorbringens der Beteiligten, ergeben sich aus den
Prozess- und Verwaltungsakten und der beigezogenen Akten des Verfahrens S 9 KR
160/00 SG Duisburg.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom
21.02.2006 ist statthaft und zulässig, aber unbegründet.
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Der Kläger ist durch die angefochtene Entscheidung nicht beschwert, denn diese ist
rechtmäßig. Der Kläger hat jedenfalls für die Zeit ab September 2004 keinen Anspruch
auf Gewährung einer Sachleistung oder Kostenerstattung für die von ihm begehrten
Medikamente Caverject und/oder Viagra.
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Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die zutreffenden
Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen, weil der Senat die
Berufung aus diesen Gründen zurückweist, § 153 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes
(SGG).
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Das Berufungsvorbringen des Klägers führt zu keinem anderen Ergebnis. Damit
verkennt der Kläger die Rechtskraftwirkung eines Urteils gemäß § 141 Abs. 1 SGG.
Eine Bindung zwischen denselben Beteiligten bei Identität des Streitgegenstands gilt
nicht mehr, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse oder die Rechtslage seit der
Entscheidung des Gerichts geändert haben (statt aller: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
Sozialgerichtsgesetz, 8. Aufl. 2005, § 141 Randnr. 9). Eine solche Änderung der
maßgeblichen gesetzlichen Grundlagen ist zum 01.01.2004 in Kraft getreten, wie das
Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat und zwischen den Beteiligten letztlich nicht
streitig ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 SGG.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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