Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24.03.2003

LSG NRW: beendigung, arbeitslosigkeit, kündigung, altersrente, persönliches interesse, vertrauensschutz, altersgrenze, willenserklärung, gespräch, abfindung

Landessozialgericht NRW, L 3 RA 30/02
Datum:
24.03.2003
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 3 RA 30/02
Vorinstanz:
Sozialgericht Duisburg, S 21 RA 29/01
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts
Duisburg vom 22.04.2002 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung
des Bescheides vom 08.01.2001 i.d.F. des Widerspruchsbescheides
vom 15.03.2001 verurteilt, den Bescheid vom 13.07.1998 i.d.F. des
Widerspruchsbescheides vom 04.05.1999 teilweise zurückzunehmen
und dem Kläger eine vorgezogene Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab
01.09.1998 ohne Kürzung wegen vorzeitiger Inanspruchnahme zu
zahlen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in
beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 SGB X ist streitig, ob der Kläger eine Kürzung
der ihm ab 01.09.1998 gezahlten vorgezogenen Altersrente wegen Arbeitslosigkeit
aufgrund vorzeitiger Inanspruchnahme dieser Rentenart hinnehmen muß, oder ob ihn
die Vertrauensschutzregelung nach § 237 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 b SGB VI (Fassung des
Gesetzes vom 16.12.1997, BGBl. I, S. 2998; jetzt § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 b SGB VI)
hiergegen schützt.
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Der am ...1938 geborene Kläger war Bankkaufmann und zuletzt aufgrund eines von ihm
am 07.04.1993 unterzeichneten Vertrages bei der Vereinsbank D ... beschäftigt. Nach §
2 dieses Vertrages war das Dienstverhältnis beiderseits mit einer Frist von 3 Monaten
zum Ende eines Quartals, ausgenommen den Termin 31.12., kündbar. Die gesetzlich
oder tariflich verlängerten Kündigungsfristen sollten für beide Vertragsparteien gelten.
Im Übrigen sollte das Arbeitsverhältnis bei dauerhafter Erwerbsunfähigkeit, spätestens
jedoch am Ende des Monats nach Vollendung des 65. Lebensjahres enden, ohne dass
es einer Kündigung bedurfte. Nach § 9 des Vertrages bestanden mündliche
Nebenabsprachen nicht. Jede Änderung oder Ergänzung des Vertrages bedurfte, um
Gültigkeit zu erlangen, der Schriftform. Auf dieses Erfordernis konnte nur durch
schriftliche Erklärung verzichtet werden.
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Das Arbeitsverhältnis wurde 31. März 1997 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von
170.000,00 DM beendet. Ab dem 01.04.1997 war der Kläger arbeitslos und bezog
Leistungen der Arbeitsverwaltung. Am 03.03.1998 beantragte er die Bewilligung einer
vorgezogenen Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und gab an, sein Arbeitsverhältnis sei
aufgrund einer Vereinbarung, die vor dem 14. Februar 1996 erfolgt sei, nach dem 13.
Februar 1996 beendet worden. Hierzu legte er eine Bestätigung des ehemaligen
Arbeitgebers vor, seit Januar 1996 habe Einigkeit darüber bestanden, dass der Kläger
aus dem Betrieb ausscheide.
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Mit Bescheid vom 13.07.1998 bewilligte die Beklagte dem Kläger Altersrente wegen
Arbeitslosigkeit ab dem 01.09.1998 mit dem Vermerk "Hinsichtlich des
Vertrauensschutzes besteht noch Klärungsbedarf. Wir haben daher Ihre Rente vorerst
mit Abschlag berechnet. Es wird um Einsendung von Nachweisen gebeten, dass vor
dem Stichtag eine konkrete Abmachung über die Beendigung Ihres
Beschäftigungsverhältnisses getroffen worden ist." Hiergegen legte der Kläger am
24.07.1998 Widerspruch ein.
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Die Beklagte ermittelte durch Nachfrage bei der ehemaligen Arbeitgeberin des Klägers.
Diese teilte mit Schreiben vom 20.08.1998 mit, im Januar 1996 habe sie dem Kläger
ihre Absicht eröffnet, ihm aus betrieblichen Gründen zu kündigen. Der Kläger sei bereit
gewesen, diese Kündigung zu akzeptieren, wenn für die materiellen Nachteile ein
Ausgleich geschaffen werde. Dies sei zugesagt worden. Nach dieser
Grundsatzeinigung sei man aus betrieblichen Gründen gezwungen gewesen, das
Vorhaben, den Arbeitsplatz des Klägers abzubauen, zu verschieben. Daher sei die
Kündigung erst am 28.08.1996 erklärt und in der Vereinbarung vom 30.08.1996 der
vereinbarte Nachteilsausgleich geschaffen worden. Über die Gespräche im Januar 1996
existierten keine Unterlagen. Die Feinheiten der Ausgleichsregelung sollten bei der
schriftlichen Fassung formuliert werden, die dann im August 1996 erstellt worden sei.
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Mit Schreiben vom 28.08.1996 erläuterte die Beklagte dem Kläger, aus welchen
Gründen nach den nun vorliegenden Informationen nicht von einer Beendigung des
Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Abmachung o.ä. bis zum 13.02.1996 auszugehen
sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.05.1999 wies die Beklagte den Widerspruch
zurück. Der Bescheid ist bindend geworden.
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Am 29.11.2000 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 13.07.1998
in der Annahme, die grundsätzliche Einigung über die Beendigung des
Arbeitsverhältnisses sei bereits im Januar 1996 und damit vor dem Stichtag getroffen
worden.
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Mit Bescheid vom 08.01.2001 lehnte die Beklagte die Rücknahme es Bescheides ab, da
der Bescheid vom 13.07.1998 rechtmäßig sei; den Widerspruch des Klägers wies sie
mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2001 zu rück. Am 27.03.2003 hat der Kläger
Klage erhoben und angegeben, soweit die Vereinsbank im Schreiben vom 20.08.1998
angegeben habe, das Vorhaben, den Arbeitsplatz des Klägers abzubauen, sei
verschoben worden, sei die grundsätzliche Entscheidung über den Arbeitsplatzabbau
dennoch bei behalten worden. Diese Entscheidung habe bereits im Januar 1996
festgestanden. Auf diesen Zeitpunkt sei in der Frage des Stichtages für den
Vertrauensschutz abzustellen.
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In einem Erörterungstermin vom 05.11.2001 hat das Sozialgericht den bei der
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ehemaligen Arbeitgeberin des Klägers beschäftigten Juristen T ... uneidlich als Zeugen
vernommen und sodann mit Urteil vom 22.04.2002 die Klage abgewiesen: Nach dem
Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass zu Beginn des Jahres 1996 ein die
Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorbereitendes Gespräch mit dem Kläger geführt
worden sei. Eine verbindliche Bestimmung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses
liege darin nicht. Der Kläger habe keine Verfehlungen begangen, aus denen heraus
sein Arbeitgeber ein Kündigungsrecht hätte herleiten können; er sei auch nicht
langzeiterkrankt und im im ausgeübten Beruf nicht mehr einsatzfähig gewesen. Bei
dieser Sachlage habe die Beendigung des Arbeitsverhältnisses alleine vom Willen des
Klägers abgehangen, der durch die Höhe der Abfindung - positiv oder negativ -
beeinflußt worden sei. Bei zu geringer und vom Kläger als zu gering empfundener
Abfindung wäre kein mit dieser Frage befasstes Arbeitsgericht von einer wirksamen
Vereinbarung bereits im Januar 1996 ausgegangen. Denn die zu diesem Zeitpunkt nicht
feststehenden Modalitäten der Beendigung seien ausschlaggebend dafür gewesen, ob
sich der Kläger der Kündigung widersetzt habe oder nicht. Das vorbereitende mündliche
Gespräch stelle keinen mündlichen Aufhebungsvertrag dar, zumal, wie die spätere
Entwicklung zeige, nicht einmal der Zeitpunkt genau festgestanden habe, zu dem das
Arbeitsverhältnis habe beendet werden sollen.
Gegen dieses am 17.06.2002 zugestellte Urteil richtet sich die am 10.07.2002
eingegangene Berufung des Klägers, mit der das für den Stichtag relevante Ereignis
weiterhin im Januar 1996 gesehen wird.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 22.04.2002 abzuändern und die Beklagte
unter Aufhebung des Bescheides vom 08.01.2002 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 15.03.2001 zu verurteilen, den Bescheid vom 13.07.1998
in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.05.1999 zurückzunehmen und
ihm eine vorgezogene Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab dem 01.09.1998 ohne
Kürzung wegen vorzeitiger Inanspruchnahme zu bewilligen.
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Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Senat hat den Arbeitsvertrag des Klägers sowie die schriftliche Niederlegung der
am 28.08.1996/30.08.1996 getroffenen Vereinbarung zwischen dem Kläger und der
Vereinsbank D ... beigezogen und erneut den Zeugen T ... in der mündlichen
Verhandlung am 24.03.2002 uneidlich vernommen.
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Zum Arbeitsvertrag wird auf Blatt 56 f., zu den Vereinbarungen vom
28.08.1996/30.08.1996 auf Blatt 72 f., zur weiteren Aussage des Zeugen T ... auf das
Sitzungsprotokoll ab Blatt 76 f. PA, zu weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der
Prozessakten im Übrigen und der beigezogenen Verwaltungsakten des Klägers bei der
Beklagten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist begründet und das Urteil daher abzuändern, weil der Kläger
einen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 08.01.2002 in der Fassung des
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Widerspruchsbescheides vom 15.03.2001 und Verurteilung der Beklagten zur
teilweisen Rücknahme des Bescheides vom 13.07.1998 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 04.05.1999 hat.
Nach § 44 Abs. 1 SGB X ist ein unanfechtbar gewordener Bescheid mit Wirkung für die
Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem
Erlass das Recht unrichtig angewandt worden ist oder von einem Sachverhalt
ausgegangen wurde, der sich als unrichtig erweist, sofern wegen dieser Unrichtigkeit
Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen sind
erfüllt, weil die Beklagte bei der Bewilligung der vorgezogenen Altersrente wegen
Arbeitslosigkeit mit Bescheid vom 13.07.1998 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 04.05.1999 zu Unrecht angenommen hat, die Rente des
Klägers sei wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme mit einem verminderten
Zugangsfaktor zu berechnen (§§ 237 Abs. 3, 4, 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI). Dem
Kläger steht jedoch eine ungeminderte Rente nach dem für Rente wegen Alters
grundsätzlich maßgeblichen Rentenartfaktor von 1,0 (§ 67 Nr. 1 SGB VI) zu, da ihm die
Vertrauensschutzregelung in § 237 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 b SGB VI (in der hier wegen des
Rentenbeginns im September 1998 anzuwendenen Fassung des Gesetzes vom
16.12.1997, jetzt § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) zugute kommt mit der Folge, dass
die Altersgrenze von 60 Jahren für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit in seinem Fall
nicht angehoben wird.
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Nach § 237 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 b SGB VI a.F. wird bei vor 1941 geborenen Versicherten
die Altersgrenze von 60 Jahren nicht angehoben, wenn das Arbeitsverhältnis aufgrund
einer Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 14. Februar 1996 erfolgt ist, für eine
Zeit nach dem 13. Februar 1996 beendet worden und der Versicherte anschließend
arbeitslos geworden ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt: Der Kläger ist vor 1941
geboren, sein Arbeitsverhältnis wurde nach dem 13. Februar 1996 beendet, und er ist
anschließend arbeitslos geworden. Entgegen dem angefochtenen Urteil beruht die nach
dem 13. Februar 1996 eingetretene Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch auf einer
Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 14. Februar 1996 erfolgt ist.
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Zwar ist die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.03.1997 nicht auf eine
Kündigung vor dem 14.02.1996 zurückzuführen. Auch wäre eine arbeitgeberseitige
Kündigung vor diesem Zeitpunkt wegen unterlassener vorheriger Anhörung des
Betriebsrates (§ 102 Betriebsverfassungsgesetz) und wegen Nichteinhaltung der nach
dem Arbeitsvertrag vom 30.03.1993 für Änderungen vorgesehenen Schriftform (§ 9 des
Arbeitsvertrages) formunwirksam gewesen. Gleichwohl ist das Arbeitsverhältnis im
Sinne des Gesetzes "aufgrund einer Vereinbarung, die vor dem 14. Februar 1996 erfolgt
ist", beendet worden. Denn die im August 1997 ausgesprochene Kündigung wie auch
die im Zusammenhang mit dieser Kündigung getroffenen Vereinbarungen hatten ihre
Grundlage in der grundsätzlichen Einigung zwischen dem Kläger und seiner
Arbeitgeberin über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Diese Einigung hat vor
dem 14. Februar 1996, nämlich nach den übereinstimmenden Bekundungen des
Klägers wie auch des vom Sozialgericht und vom Senat gehörten Zeugen Thalwitzer
bereits im Januar 1996 stattgefunden. Bei diesem Gespräch wurde Einigkeit darin
erzielt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers im Zuge des anstehenden
Personalabbaus vorzeitig enden sollte. Der Zeuge T ... hat die grundsätzliche Einigung
über das Ausscheiden des Klägers in seiner Aussage am 24.03.2003 dahin erläutert,
dass bei anfänglich entgegenstehenden Willen des Klägers, der sein Arbeitsverhältnis
fortsetzen wollte, sein Ausscheiden arbeitgeberseitig im Zuge eines beschlossenen
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Personalabbaus vorgesehen war, so dass sich der Kläger dem nur vorübergehend und
auch nur unter Inkaufnahme einer Verschlechterung seiner Arbeitssituation hätte
entziehen können. Vor diesem Hintergrund habe sich der Kläger mit seinem
Ausscheiden einverstanden erklärt. An der Richtigkeit dieser mit der Eigendarstellung
des Klägers sowie auch den ersten Angaben der Vereinsbank Duisburg
übereinstimmenden Schilderung des glaubwürdigen Zeugen T ... zu zweifeln, sieht der
Senat keine Veranlassung, zumal ein persönliches Interesse des weiterhin als Jurist bei
der ehemals gemeinsamen Arbeitgeberin beschäftigten Zeugen nach der endgültigen
Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr aus diesem herzuleiten und auch im
Übrigen nicht erkennbar geworden ist. Insbesondere die 0ffenheit, mit der der Zeuge die
Mechanismen beschrieben hat, mit denen Mitarbeiter der Vereinsbank Duisburg zur
"freiwilligen" Beendigung des Arbeitsverhältnisses entgegen der im Arbeitsvertrag
vereinbarten Modalitäten bewogen werden, läßt keinen Zweifel daran aufkommen, dass
der Zeuge zu der hier entscheidenden Frage nicht die Wahrheit gesagt haben könnte.
Vielmehr ist der Senat von der Richtigkeit seiner Angaben ohne jeden Zweifel
überzeugt.
Der Annahme, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers "aufgrund" einer Vereinbarung
vor dem 14. Februar 1996 im Sinne des Gesetzes beendet worden ist, steht nicht
entgegen, dass der arbeitsrechtlich wirksame Vorgang, nämlich die
Kündigung/Aufhebung des Arbeitsverhältnisses im August 1996 nach dem Stichtag
liegt.
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Denn hier wie im Vergleichsfall der Inanspruchnahme einer vor dem Stichtag
getroffenen Betriebsvereinbarung, aufgrund derer eine (betriebsbedingte) Kündigung
durch Willenserklärung nach dem Stichtag erfolgte (BSG, Urteil vom 30.10.2001, - B 4
RA 15/00 R -, SozR 3-2600 § 237 Nr. 1) ist Grundlage und Anknüpfung für den im Sinne
der Stichtagsregelung relevanten Tatbestand nicht die arbeitsrechtlich konkrete, wie
immer zu qualifizierende Beendigung, sondern die zugrundeliegende grundsätzliche
Einigung der (ursprünglichen) Arbeitsvertragsparteien über die Beendigung des
Arbeitsverhältnisses. Nur diese Sicht trägt dem Schutzgedanken des § 237 Abs. 2 Satz
1 Nr. 1 b SGB VI (jetzt § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) in ausreichendem Maße
Rechnung. Denn der Kläger als Arbeitnehmer, der sich in dem Bewußtsein, sich auf
Dauer nicht und vorübergehend nur unter Inkaufnahme einer Verschlechterung seiner
Arbeitssituation seinem arbeitgeberseitig vorgesehenen Ausscheiden widersetzen zu
können, zum Ausscheiden bereit erklärt, ist ebenso schutzwürdig, wie der in § 237 Abs.
2 Satz 1 Nr. 1 b SGB VI erkennbar angesprochene Personenkreis derer, bei denen das
Arbeitsverhältnis aufgrund einer bereits vor dem 14. Februar 1996 geschlossenen
individuellen Aufhebungsvereinbarung oder durch vorher ausgesprochene Kündigung
mit Wirkung für die Zukunft beendet worden war (hierzu und im Folgenden BSG, a.a.O.).
§ 237 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 b SGB VI dient dem Vertrauensschutz von Versicherten, die
am 14. Februar 1996 das 55. Lebensjahr vollendet hatten und zu diesem Zeitpunkt
bereits arbeitslos waren oder als Inhaber einer Rentenanwartschaft und im Vertrauen
auf die damaligen gesetzlichen Regelungen, wegen Arbeitslosigkeit das Recht auf einer
Altersrente bereits ab Vollendung des 60. Lebensjahres erlangen zu können,
Dispositionen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffen hatten, die nicht mehr
rückgängig gemacht werden konnten und später zur Arbeitslosigkeit führten. Unter dem
Gesichtspunkt der vom BSG a.a.O. verlangten Unumkehrbarkeit des Schrittes zur
Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht das in einer faktischen Zwangslage erteilte
Einverständnis mit dessen Beendigung der rechtswirksamen Beendigung in seinen
sozialen Auswirkungen gleich. Gerade diese soll jedoch die in § 237 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
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b SGB VI enthaltene Vertrauensschutzregelung abfedern. Denn die Übergangsregelung
war im Hinblick auf das beabsichtigte und dann auch tatsächlich eingetretene schnelle
Handeln des Gesetzgebers (Beschluss des Bundeskabinetts am 14. Februar 1996,
Verkündung des Gesetzes am 29. Juli 1996, Inkrafttreten mit Wirkung vom 01. August
1996) geschaffen wurden. Geschützt werden sollten insbesondere die von der
Anhebung der Altersgrenze für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit künftig betroffenen
rentennahen Jahrgänge, zu denen auch der Kläger zählte, denen nur relativ wenig Zeit
zur Verfügung stand, ihre weitere Lebensplanung auf die neue Rechtslage einzustellen,
um Einbußen beim Bezug der Rente zu vermeiden. Begünstig werden sollten demnach
auch diejenigen älteren Arbeitnehmer, die auf grund der bisherigen Rechtslage
Dispositionen getroffen hatten und diese nicht mehr rückgängig machen konnten, und
die nach Eintritt der Arbeitslosigkeit wegen der Arbeitsmarktlage kaum noch eine
Chance hatten, einen Arbeitsplatz zu finden. Geschützt werden sollten daher alle
Arbeitnehmer, für die sich aufgrund vertraglicher, kollektiv-rechtlicher oder wie hier
quasi-vertraglicher Vereinbarung auf dem Hintergrund eines faktischen Zwanges zum
Ausscheiden vor dem 14. Februar 1996 keine Möglichkeit mehr bot, das
Arbeitsverhältnis auf Dauer fortzusetzen und so - der Intention der
Gesetzgebungsvorhaben an sich entsprechend - die Inanspruchnahme der
vorgezogenen Rente wegen Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
Die vom Sozialgericht seiner Betrachtung der Vertrauensschutzregelung
zugrundegelegte Annahme, der Arbeitnehmer müsse sich vor dem Stichtag durch
irreversible Willenserklärung arbeitsrechtlich wirksam gebunden haben (was beim
Kläger wegen der Nichtwahrung der arbeitsvertraglich vorgesehenen Schriftform
ohnehin nicht in Betracht käme), ist nicht richtig, wie ein Vergleich der verschiedenen
Vertrauensschutztatbestände innerhalb von § 237 Abs. 2 SGB VI alter Fassung bzw.
Abs. 4 der nun geltenden Fassung belegt. Denn § 237 Abs. 2 Nr. 2 SGB a.F. (§ 237 Abs.
4 Nr. 2 neuer Fassung) sieht Vertrauensschutz auch für Mitarbeiter in der
Montanindustrie vor, die (bei Erfüllung weiterer Voraussetzungen) aufgrund einer
Maßnahme ausgeschieden ist, die vor dem 14. Februar 1996 genehmigt worden ist (Art.
56 § 2 b des Vertrages über die Gründung der europäischen Gemeinschaft für Kohle
und Stahl - EGKS-V -). Hiermit gibt das Gesetz zu erkennen, dass es für die Gewährung
von Vertrauensschutz an das Vorliegen einer vor dem 14. Februar 1996 geschaffenen
Ursache für die dann später eintretene Arbeitslosigkeit bzw. den Rentenbezug anknüpft,
nicht an die arbeitsrechtlich-konkrete, gar vom individuellen Willen des Arbeitnehmers
abhängige Kausalität des vor dem Stichtag liegenden Ereignisses für die nach dem 13.
Februar 1996 liegende Arbeitslosigkeit. Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber
Vertrauensschutz bei Mitarbeitern in der Montan-Industrie ohne eigenes Zutun, lediglich
aufgrund einer von ihnen individuell nicht zu beeinflussenden Genehmigung vor dem
Stichtag gewähren wollte (§ 237 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI a.F.), andererseits den
Vertrauensschutz bei Mitarbeitern aller anderen Beschäftigungsbereiche vom Bestehen
eines individuellen Bindungswillen abhängig machen wollte, der sich zudem noch in
einer nicht mehr rückgängig zu machenden Willenserklärung niedergeschlagen hat.
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Der Anwendung der Vertrauensschutzregelung im Fall des Klägers steht auch nicht
entgegen, dass der Zeitpunkt des ursprünglich vorgesehenen Ausscheidens wegen
eines zwischenzeitlichen Vorstandsbeschlusses verschoben und der Kläger
vorübergehend weiterbeschäftigt worden war.
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Dies ist schon deswegen unbeachtlich, weil das Gesetz mit der Formulierung
"aufgrund", wie soeben dargelegt, keine direkte Kausalität zwischen der geschlossenen
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Vereinbarung und der konkreten Beendigung des Arbeitsverhältnisses fordert. Die
Unbeachtlichkeit einer Verschiebung legt aber auch der weitere Wortlaut des Gesetzes
dadurch nahe, dass ein bestehen der Vertrauensschutz insbesondere durch die spätere
Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses oder den Eintritt in eine neue
arbeitsmarktpolitische Maßnahme nicht berührt wird (§ 237 Abs. 2 Satz 3 SGB VI a.F.,
237 Abs. 4 Satz 2 n.F. SGB VI). Für die Anwendung der Vertrauensschutzregelung
erforderlich ist lediglich, dass das Arbeitsverhältnis nach dem 13. Februar 1996 beendet
worden ist, was im Falle des Klägers sowohl beim ursprünglich vorgesehenen
Beendigungszeitpunkt der Fall gewesen wäre wie auch bei der tatsächlichen
Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Fall gewesen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Ein Anlass zur Zulassung der Revision besteht nicht.
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