Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 07.10.2004

LSG NRW: mitgliedschaft, aufnahme einer erwerbstätigkeit, krankenversicherung, gesundheit, beendigung, versicherungsschutz, versicherungspflicht, rentner, wiederaufnahme, zivilprozessordnung

Landessozialgericht NRW, L 2 KR 60/04
Datum:
07.10.2004
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 2 KR 60/04
Vorinstanz:
Sozialgericht Duisburg, S 9 KR 81/04
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufungen des Klägers gegen die Gerichtsbescheide des
Sozialgerichts Duisburg vom 29.06. und 01.07.2004 werden
zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu
erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Streitig ist die Beendigung der freiwilligen Mitgliedschaft zum 15.09.1993 und -
hilfsweise - die Begründung einer Pflichtmitgliedschaft in der Krankenversicherung der
Rentner (KVdR).
2
Der im April 1936 geborene Kläger ist jedenfalls seit dem 01.04.1994 bei der B
Versicherung privat gegen Krankheit versichert. Zuvor war er bei der Beklagten - seit
1973 freiwillig - gesetzlich krankenversichert. Im Juli 1993 erinnerte diese ihn an die
Zahlung rückständiger Beiträge für Mai und Juni 1993. Mitte August 1993 mahnte sie
erneut. Mit Bescheid vom 26.08.1993 forderte sie den Kläger auf, die rückständigen
Beiträge für die Zeit vom 01.05. bis 31.07.1993 zu zahlen und wies darauf hin, dass die
Mitgliedschaft zum 15.09.1993 ende, wenn bis dahin keine Zahlung erfolgt sei.
Nachdem der Kläger über den 15.09.1993 hinaus säumig geblieben war, stellte die
Beklagte eine Beitragsschuld in Höhe von DM 1.603,50 für den Zeitraum vom 01.05. bis
15.09.1993 fest (Bescheid vom 17.09.1993).
3
Im März 1994 widersprach der Kläger der Beendigung seiner Mitgliedschaft. Die
Beklagte stellte fest, dass die Mitgliedschaft nach § 191 Nr 3 Fünftes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB V) am 15.09.1993 geendet habe und eine Wiederherstellung
ausscheide (Bescheid vom 08.03.1994; Widerspruchsbescheid vom 06.05.1994).
Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts (SG) Duisburg vom
14.11.1994, Aktenzeichen (Az) S 21 KR 35/94).
4
Wegen seines Antrags auf Regelaltersrente meldete ihn die
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) im April 2002 bei der Beklagten zur
5
KVdR an.
Die Beklagte lehnte die Aufnahme in die KVdR ab, weil die Vorversicherungszeit nicht
erfüllt sei. In der zweiten Hälfte der maßgeblichen Rahmenfrist habe nicht mindestens
für 9/10 der Zeit eine Versicherung in einer gesetzlichen Krankenkasse bestanden. Der
maßgebliche Zeitraum datiere vom 27.09.1977 bis zum 06.05.2002, betrage also
insgesamt 24 Kalenderjahre, 7 Monate und 10 Tage. Davon habe maximal bis zum
31.03.1994, also 16 Jahre, 6 Monate und 4 Tage, eine Mitgliedschaft in der gesetzlichen
Krankenversicherung bestanden (Bescheid vom 10.05.2002).
6
Mit seinem Widerspruch beantragte der Kläger die Wiedereingliederung in die KVdR,
sobald der Gesetzgeber dies im Rahmen der Gesetzesänderungen zum 31.03.2002
ermögliche. Er stelle einen Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB X). Sein Zustand ohne Versicherungsschutz der gesetzlichen
Krankenversicherung sei nach den heute geltenden gesetzlichen Regelungen nicht zu
verantworten. Er legte ein Schreiben des - damaligen - Bundesministeriums für
Gesundheit vor, worin die gesetzliche Regelung zur KVdR unter Berücksichtigung der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27.07.2000 erläutert wird. Der
Kläger bezog sich auf den letzten Absatz dieses Schreibens, der lautete: "Personen, die
in der zweiten Hälfte ihres Erwerbslebens länger als ein Zehntel dieses Zeitraums nicht
gesetzlich krankenversichert waren, werden von dem Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts zur Krankenversicherung der Rentner und damit auch den
neuen gesetzlichen Begleitregelungen nicht erfasst. Für sie ändert sich nichts, so dass
sie weiterhin zu den bisherigen Bedingungen freiwillig versichert bleiben." Die Beklagte
wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 19.12.2003).
7
Mit seiner Bitte um Überprüfung des Urteils vom 14.11.1994, gestützt u.a. auf § 44 SGB
X, an das SG Duisburg trug der Kläger vor, seine Mitgliedschaft bei der Beklagten sei
zum 01.01.2003, spätestens zum 01.01.2004 wieder herzustellen. Die Beklagte habe im
Jahr 1993 seine Mitgliedschaft "wegen kurzfristig geringfügiger Rückstände" gekündigt.
Mit seiner damals eingereichten Klage habe er nicht durchzudringen vermocht. Nach
heutiger Sicht und Gesetzgebung seien die damaligen Auslegungen und
Entscheidungsgründe nicht zwingend und stichhaltig, somit rechts- und gesetzeswidrig.
Es müsse endlich eine gerechte und sozial verträgliche Lösung gefunden werden. Die
Beklagte entschied, dass die Bescheide vom 26.08. und 17.09.1993 sowie 08.03.1994,
mit denen das Ende der Mitgliedschaft zum 15.09.1993 festgestellt worden war, nicht
zurückgenommen würden. Insoweit werde auf die zutreffenden Entscheidungsgründe im
Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 14.11.1994 Bezug genommen. Anhaltspunkte,
die zu einer anderen Entscheidung führen könnten, habe der Kläger nicht vorgetragen
(Bescheid vom 03.02.2004; Widerspruchsbescheid vom 10.03.2004).
8
Wegen beider Begehren hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Duisburg
erhoben. Im Verfahren auf Feststellung der Mitgliedschaft in der KVdR (Az S 9 KR
14/04) hat der Kläger vorgetragen, Zeiten der Versicherung in der Schweiz seien
unberücksichtigt geblieben. Die Fortsetzung des Zustandes ohne Versicherungsschutz
sei mit den heute geltenden gesetzlichen Regelungen nicht vereinbar und nicht zu
verantworten. In diesem und dem weiteren Verfahren (Az S 9 KR 81/04) hat sich der
Kläger auf das Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale
Sicherung berufen (Schreiben vom 01.03.2004).
9
Das SG hat in beiden Verfahren - nach dem Hinweis, dass eine Entscheidung durch
10
Gerichtsbescheid beabsichtigt sei - die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheide vom
29.06. und 01.07.2004).
Gegen beide Gerichtsbescheide hat der Kläger Berufung eingelegt. Der Senat hat die
Verfahren miteinander verbunden. Der Kläger hat sein bisheriges Vorbringen wiederholt
und vertieft. Seine Beweisanträge seien verfahrens- und sozialrechtswidrig umgangen
und ausgehebelt worden. Es handele sich um ein schweres soziales Unrecht.
11
Die Beklagte beantragt,
12
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
13
Sie hält die angefochtenen Gerichtsbescheide für zutreffend.
14
Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen.
15
Entscheidungsgründe:
16
Der Senat kann entscheiden, obwohl im Termin zur mündlichen Verhandlung für den
Kläger niemand erschienen ist. Denn der Kläger ist mit einem entsprechendem Hinweis
vom Termin ordnungsgemäß benachrichtigt worden.
17
Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen (§§ 153 Abs 1, 113 Abs 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG)) Berufungen sind unbegründet.
18
Zu Recht hat das SG entschieden, dass der Kläger durch die Bescheide vom
10.05.2002 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2003) und
03.02.2004 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.03.2004) nicht
beschwert ist, weil diese Bescheide nicht rechtswidrig sind, § 54 Abs 2 Satz 1 SGG.
Außerdem hat es zu Recht die vom Kläger jedenfalls hilfsweise erhobene Klage auf
Wiederaufnahme des früheren, mit Urteil vom 14.11.1994 abgeschlossenen Verfahren
vor dem SG Duisburg (Az.: S 21 KR 35/94) für unzulässig gehalten, §§ 179 Abs 1 SGG,
589 Abs 1 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO).
19
Die Klage ist zulässig, soweit der Kläger sich gegen die frühere Beendigung seiner
Mitgliedschaft wendet.
20
Begründet ist dieses Begehren jedoch nicht. Der Kläger hat keinen Anspruch auf
Zurücknahme der Bescheide vom 26.08. und 17.09.1993 sowie 08.03.1994 (in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.1994). Die Beklagte hat darin weder
das Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem unrichtigen Sachverhalt
ausgegangen, § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X. Auch bei nochmaliger vollständiger Prüfung
dieser Bescheide ergibt sich, dass diese Bescheide rechtmäßig sind. Zu Recht hat die
Beklagte darin - deklaratorisch - festgestellt, dass die freiwillige Mitgliedschaft des
Klägers - kraft Gesetzes - zum 15.09.1993 geendet hat, § 191 Nr 3 SGB V in der
Fassung des Art 1 des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20.12.1988 (BGBl I,
2477 ff, zum 01.01.1989 in Kraft getreten. Nach dieser Vorschrift endet die freiwillige
Mitgliedschaft mit Ablauf des nächsten Zahltages, wenn für zwei Monate die fälligen
Beiträge trotz Hinweises auf die Folgen nicht entrichtet wurden. Diese Voraussetzungen
lagen - was auch der Kläger nicht in Abrede stellt - zum Zeitpunkt der damaligen
Entscheidung der Beklagten tatsächlich vor. Deshalb hat auch das SG Duisburg die
21
Bescheide der Beklagten bereits in einem früheren Rechtsstreit - rechtskräftig - mit Urteil
vom 14.11.1994 bestätigt. Anhaltspunkte, die zu einer abweichenden Beurteilung
Anlass böten, hat der Kläger nicht vorgetragen; sie sind auch sonst nicht ersichtlich.
Entgegen der Auffassung des Klägers gilt von Rechts wegen heute nichts Anderes als
damals. Der damalige § 191 Nr 3 SGB V gilt unverändert als § 191 Satz 1 Nr 3 SGB V
fort. Soweit mit Wirkung ab dem 01.01.2004 durch Art 1 Nr 135 des GKV-
Modernisierungsgesetzs vom 14.11.2003 (BGBl, 2190 ff) ein Satz 2 angefügt worden ist,
ist dies für die vorliegende Beurteilung ohne Bedeutung. Denn für den Anspruch aus §
44 SGB X, über den die genannten, vom Kläger angefochtenen Bescheide allein
befinden, ist maßgeblich auf das Recht abzustellen, dass bei Erlass der angeblich
rechtswidrigen Bescheide galt. Diese Rechtslage mit den sich daraus ergebenden
rechtlichen Konsequenzen ist dem Kläger überdies zutreffend mit Schreiben des
Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 01.03.1994 dargelegt
worden.
Auch das zulässige Begehren auf Feststellung der Mitgliedschaft in der KVdR hat
keinen Erfolg. Entgegen seiner Auffassung ist der Kläger auch nicht als
Rentenantragsteller oder -bezieher kraft Gesetzes (erneut) Mitglied der Beklagten
geworden. Der Bescheid vom 10.05.2002 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 19.12.2003) beschwert den Kläger nicht, § 54 Abs 2 Satz 1 SGG. Dieser Bescheid
ist nicht rechtswidrig, weil die Beklagte darin zu Recht festgestellt hat, dass mit der
Rentenantragstellung im Februar 2002 bzw. dem späteren Bezug einer Regelaltersrente
keine Versicherungspflicht kraft Gesetzes eingetreten ist. Eine solche ergibt sich weder
aus § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V in der bis zum 31.03.2002 geltenden, noch aus § 5 Abs 1 Nr
11 SGB in der seither wieder geltenden Fassung des GRG, wie sie bereits vom
01.01.1989 bis zum 31.12.1992 galt (vgl. dazu Bundesverfassungsgericht, Beschluss
vom 15.02.2000, Az: 1 BvL 16/96 u.a., BGBl I, 1300 = SozR 3 - 2500 § 5 Nr 42).
Insbesondere hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entgegen der
Erwartung, die der Kläger offenbar mit dieser Entscheidung verbunden hat, keine für
seinen Fall bedeutsamen Neuerungen gebracht. Für die Versicherungspflicht nach § 5
Abs 1 Nr 11 SGB V war seit dem 01.01.1989 durchweg erforderlich, dass während der
zweiten Hälfte des Erwerbslebens von der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit
bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens 9/10 mit Mitgliedschaftszeiten belegt
sein mussten. Lediglich die seit dem 01.01.1993 geltende Beschränkung auf
Pflichtbeitragszeiten hat das Bundesverfassungsgericht nicht für mit dem Grundgesetz
vereinbar gehalten (aaO). Selbst wenn aber beim Kläger sämtliche Beitragszeiten - also
auch diejenigen der freiwilligen Versicherung ab dem 01.01.1973 bis zum 15.09.1993 -
oder maximal bis zum 31.03.1994 - berücksichtigt werden, ergibt sich daraus nicht die
nach wie vor erforderliche 9/10-Belegung. Die in der Schweiz zurückgelegten
Versicherungszeiten fallen nach der vom Kläger selbst vorgelegten Bescheinigung in
den Zeitraum vor 1956-1960 und damit nicht in die zweite Hälfe des Erwerbslebens.
Dies alles hat die Beklagte in den vom Kläger angefochtenen Bescheiden bereits
berücksichtigt und - unter Einbeziehung der Zeiten freiwilliger Mitgliedschaft - zutreffend
berechnet. Diese Zusammenhänge sind dem Kläger im Schreiben des - damaligen -
Bundesministeriums für Gesundheit vom 06.06.2002 erläutert worden. Insbesondere ist
dort zutreffend ausgeführt, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts den
Kläger nicht berührt, weil dieser mehr als 1/10 des Zeitraums - nämlich jedenfalls seit
dem 31.03.1994 bis zur Rentenantragstellung - überhaupt nicht gesetzlich
krankenversichert war. Der letzte Satz, auf den sich der Kläger zu Unrecht bezogen hat,
besagt nichts Anderes, als dass, wer zum 01.04.2002 freiwillig versichert war, dies auch
weiterhin bleibt. Auf den Kläger trifft dies nicht zu, weil er zu diesem Stichtag schon
22
längst nicht mehr freiwillig versichert war.
Die jedenfalls hilfsweise erhobene Wiederaufnahmeklage ist an sich nicht statthaft und
deshalb unzulässig, § 589 Abs 1 Satz 2 ZPO.
23
Zu Recht ist das SG ausweislich der Entscheidungsgründe im Gerichtsbescheid vom
01.07.2004 davon ausgegangen, dass der Kläger mit seinem verfahrenseinleitenden
Schreiben vom 08.05. und 06.06.2002 sowie 22.10.2003 (alle drei Daten befinden sich
auf einem Schreiben) durch den darin gestellten Antrag auf Überprüfung des Urteils vom
14.11.1994 - jedenfalls hilfsweise - Wiederaufnahmeklage erhoben hat. Ebenfalls zu
Recht hat es diese für an sich nicht statthaft und damit für unzulässig gehalten, weil der
Kläger Gründe, bei denen eine Wiederaufnahme eines bereits rechtskräftig
abgeschlossenen Gerichtsverfahrens nach §§ 179 Abs 1 SGG iVm 579, 580 ZPO, 179
Abs 2, 180 Abs 1 und 2 SGG in Betracht kommt, nicht angeführt hat und solche nach
Lage der Akten auch nicht erkennbar sind.
24
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs 1 Satz 1 SGG.
25
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs 2 SGG. Insbesondere hat die
Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG. Denn für die
Entscheidung sind die konkreten Umstände des Einzelfalls maßgeblich.
26