Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 18.03.2008

LSG NRW: künstliche befruchtung, schwangerschaft, behandlung, krankenversicherung, geburt, bad, krankenkasse, rechtshängigkeit, klinik, entstehungsgeschichte

Landessozialgericht NRW, L 5 KR 20/07
Datum:
18.03.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 5 KR 20/07
Vorinstanz:
Sozialgericht Detmold, S 3 (5) KR 47/06
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 3 KR 9/08 R
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold
vom 10. Januar 2007 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im
Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig ist die Kostenerstattung einer Maßnahme zur Herbeiführung einer
Schwangerschaft mittels intracytoplasmatischer Spermainjektion (ICSI).
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Die 1973 geborene Klägerin zu 1) und der 1972 geborene Kläger zu 2) sind mit
einander verheiratet und bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Bei dem
Kläger zu 2) besteht eine subtotale Azoospermie.
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Nachdem die Beklagte bereits zweimal die Kosten für künstliche Befruchtungen mittels
ICSI übernommen hatte, beantragten die Kläger im Oktober 2003 die Kostenübernahme
für eine weitere künstliche Befruchtung mittels ICSI durch Prof. Dr.A, Direktor des
Institutes für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie in C (Österreich), da die
dortigen Erfolgschancen deutlich höher seien als in Deutschland. Mit Bescheid vom
08.09.2004 übernahm die Beklagte, die den Antrag zunächst abgelehnt hatte, auf den
Widerspruch der Kläger nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes der
Krankenversicherung (MDK) die Kosten der im Dezember 2003 in Österreich
durchgeführten Maßnahme, die wiederum zu keiner Schwangerschaft geführt hatte.
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Im Dezember 2005 beantragten die Kläger die Kostenübernahme für eine weitere
künstliche Befruchtung mit Spermainjektion. Sie gaben an, aufgrund einer von ihnen
selbst finanzierten vierten ICSI-Maßnahme sei es bei der Klägerin zu einer
Eileiterschwangerschaft gekommen, so dass nunmehr wieder ein Anspruch auf
Übernahme der Kosten für erneute ICSI-Behandlungen bestehe. Mit Bescheid vom
09.01.2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da keine hinreichende Aussicht bestehe,
durch die Maßnahme eine Schwangerschaft herbeizuführen. Bei der Klägerin zu 1)
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seien nämlich bereits dreimal Maßnahmen ohne Erfolg durchgeführt worden. Eine
Eileiterschwangerschaft führe lediglich dazu, dass diese nicht auf die Höchstzahl
angerechnet werde, führe aber nicht zu einem Anspruch auf weitere Behandlungen.
Die Kläger legten hiergegen Widerspruch ein und trugen vor, nach der
Eileiterschwangerschaft bestehe ein Anspruch auf drei weitere Maßnahmen zur
künstlichen Befruchtung. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.03.2006 wies die Beklagte
den Widerspruch als unbegründet zurück, da im Hinblick auf die dreimal ohne Erfolg
durchgeführten Maßnahmen keine hinreichende Erfolgsaussicht bestehe.
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Im April 2005 beantragten die Kläger unter Vorlage eines Behandlungsplans der
Deutschen Klinik in Bad N erneut die Gewährung einer Maßnahme zur künstlichen
Befruchtung. Mit Bescheid vom 02.05.2006 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme
einer ICSI-Behandlung ab. Die in der Folgezeit in der Deutschen Klinik Bad N
durchgeführte ICSI-Maßnahme, für die die Kläger Kosten in Höhe von 4.098,83 Euro
aufwandten, führte 2007 zur Geburt eines Sohnes.
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Am 21.03.2006 haben die Kläger Klage bei dem Sozialgericht (SG) Detmold erhoben.
Sie haben vorgetragen, die bei der vierten ICSI-Maßnahme eingetretene
Eileiterschwangerschaft sei der Geburt eines Kindes gleichzusetzen und begründe
deshalb einen Anspruch auf drei weitere ICSI-Behandlungen. Zumindest sei die
mangelnde Erfolgsaussicht durch die eingetretene Eileiterschwangerschaft widerlegt. Im
Übrigen sei zu berücksichtigen, dass die dritte Maßnahme in Österreich und nicht in
Deutschland durch zertifizierte Ärzte erfolgt sei.
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Die Kläger haben beantragt,
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1. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.01.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 08.03.2006 sowie des Bescheides vom 02.05.2006 zu
verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 2.048,92 Euro nebst 4 % Zinsen hierauf seit
Rechtshängigkeit zu zahlen,
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2. festzustellen, dass die Beklagte gegenüber den Klägern als Gesamtschuldner
verpflichtet ist, Kosten für drei weitere ICSI-Behandlungsversuche zu 50 % zu tragen,
soweit die weiteren Voraussetzungen nach § 27a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch
vorliegen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, auch nach der Geburt bestehe kein Anspruch
auf weitere Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung, da schon drei vergebliche
Versuche durchgeführt worden seien. Die in Österreich erfolgte Behandlung könne nicht
außer Betracht bleiben, denn sie sei von den Klägern ausdrücklich gewünscht worden
und die Voraussetzungen gemäß § 121a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) seien
ebenfalls erfüllt. Auch nach der Geburt bestehe kein Anspruch auf Kostenübernahme
einer erneuten ICSI-Behandlung.
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Durch Urteil vom 10.01.2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage sei unter
klägerfreundlicher Auslegung des § 55 Sozialgerichtsgesetz (SGG) insgesamt zulässig,
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jedoch unbegründet. Es bestehe weder ein Anspruch auf Kostenerstattung für die fünfte
ICSI-Behandlung noch sei die Beklagte verpflichtet, die Kosten für drei weitere ICSI-
Behandlungen nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu tragen. Die Beklagte
habe vorliegend die Kosten der drei ersten ICSI-Behandlungen übernommen, die
unstreitig alle nicht zum Eintritt einer Schwangerschaft geführt hätten. Ein Anspruch auf
weitere Behandlungsversuche scheide aus, da insoweit unter Berücksichtigung der
gesetzlichen Regelungen keine hinreichende Erfolgsaussicht bestehe.
Gegen das ihnen am 23.01.2007 zugestellte Urteil haben die Kläger am 25.01.2007
Berufung eingelegt. Sie wiederholen ihr erstinstanzliches Vorbringen und verweisen vor
allem darauf, dass die Behandlung in Österreich im Jahre 2003 bei der Anzahl der
vorläufigen Versuche nicht zu berücksichtigen sei. Im Übrigen müsse im Hinblick auf die
eingetretene Eileiterschwangerschaft die hinreichende Erfolgsaussicht der Maßnahme
bejaht werden.
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Nachdem die Klägerin zu 1) und der Kläger zu 2) die Feststellungsklage
zurückgenommen haben, beantragen, sie,
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das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10.01.2007 zu ändern und die Beklagte unter
Aufhebung des Bescheides vom 09.01.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 08.03.2006 sowie des Bescheides vom 02.05.2006 zu
verurteilen, ihnen 2.048,92 Euro nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen,
denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Kläger haben keinen
Anspruch auf hälftige Kostenerstattung für die im April/Mai 2006 durchgeführte
künstliche Befruchtung.
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Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten der im Jahr 2006 durchgeführten
künstlichen Befruchtung mittels ICSI ist allein § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 SGB V. Die
Norm bestimmt: Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind
dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese
von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung
notwendig war. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Beklagte hat die
beantragte Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt.
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Der Kostenerstattungsanspruch gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 SGB V reicht nicht
weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Er setzt voraus, dass die
selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen
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allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG SozR
3‑2500 § 13 Nr. 11; BSG SozR 4‑2500 § 27 Nr. 8, BSG Urteil vom
27.03.2007 ‑ B 1 KR 25/06 R ‑ m.w.N.). Daran fehlt es hier. Die begehrte
künstliche Befruchtung könnten die Kläger nicht als Dienst- oder Sachleistung
beanspruchen.
Der Sachleistungsanspruch der künstlichen Befruchtung beurteilt sich, da die hier
streitige ICSI-Behandlung im Jahre 2006 erfolgte, nach § 27a Abs. 1 SGB V in der ab
dem 01.01.2004 aufgrund des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen
Krankenversicherung vom 14.11.2003 geltenden Fassung. Danach umfassen die
Leistungen der Krankenbehandlung auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung
einer Schwangerschaft, wenn die Voraussetzungen der Ziff. 1 bis 5 der Vorschrift
vorliegen. Nach Nr. 2 der Vorschrift, über deren Vorliegen die Beteiligten allein streiten,
ist Voraussetzung für die Behandlung, dass nach ärztlicher Feststellung hinreichende
Aussicht besteht, dass durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird;
eine hinreichende Aussicht besteht nicht mehr, wenn die Maßnahme dreimal ohne
Erfolg durchgeführt worden ist. Demgegenüber waren nach § 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB V in
der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung auch Maßnahmen erfasst, wenn nach
ärztlicher Feststellung hinreichende Aussicht bestand, dass durch die Maßnahmen eine
Schwangerschaft herbeigeführt wird; eine hinreichende Aussicht bestand in der Regel
nicht mehr, wenn die Maßnahme viermal ohne Erfolg durchgeführt worden war.
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Mit der zum 01. Januar 2004 eingetretenen Rechtsänderung wurde entsprechend dem
Wortlaut die bis dahin bestehende Möglichkeit, trotz viermaligen vergeblichen Versuchs
der Herbeiführung einer Schwangerschaft durch Insemination nach
Stimulationsverfahren ausnahmsweise eine oder mehrere weitere Möglichkeiten
durchzuführen, beseitigt. Nach der Neufassung wird nunmehr unwiderlegbar vermutet,
dass nach drei vergeblichen Versuchen der bezeichneten Maßnahme keine
hinreichende Aussicht auf Herbeiführung einer Schwangerschaft besteht (vgl. LSG
Berlin‑Brandenburg Urteil vom 31.01.2006 ‑ L 24 KR 43/05 ‑;
Kasseler Kommentar-Höfler, § 27a SGB V Rdn. 15; Peters, Handbuch der
Krankenversicherung, § 27a SGB V Rdn. 84 ff; Hauck/Noftz-Gerlach, Sozialgesetz-buch
‑ Kommentar ‑ § 27a SGB V Rdn. 15). Dies entspricht auch dem Zweck
der Neu- regelung, der darauf gerichtet ist, die Anspruchsvoraussetzungen zu
verschärfen und die Ausgaben für die künstliche Befruchtung auf die Fälle
medizinischer Notwendigkeit zu begrenzen, die der Gesetzgeber wegen fehlender
hinreichender Erfolgsaussicht bereits nach drei vergeblichen Versuchen als nicht mehr
gegeben ansieht (vgl. Fraktionsentwurf BT-Drucks. 15/1525 S. 83; Kasseler-Kommentar,
a.a.O.; Peters a.a.O.). Dementsprechend bestimmen auch die im Hinblick auf § 27a Abs.
4 SGB V erlassenen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über ärztliche
Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung ("Richtlinien über künstliche Befruchtung") in
der hier maßgeblichen ab dem 15.02.2006 geltenden Fassung (veröffentlicht im
Bundesanzeiger Nr. 31 S. 922 vom 14. Februar 2006) unter Nr. 8, dass eine
hinreichende Erfolgsaussicht für die jeweiligen Behandlungsmaßnahmen dann nicht
besteht, wenn sie bei einer ICSI bis zu dreimal vollständig durchgeführt wurden, ohne
dass eine klinisch nachgewiesene Schwangerschaft eingetreten ist. Sofern eine klinisch
nachgewiesene Schwangerschaft eingetreten ist, ohne dass es nachfolgend zur Geburt
eines Kindes gekommen ist, wird dieser Behandlungsversuch nicht auf die vorstehende
Anzahl angerechnet.
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Ein Anspruch auf künstliche Befruchtung mittels ICSI kommt also nach der gesetzlichen
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Regelung nicht in Betracht, wenn diese Maßnahme bereits dreimal ohne Erfolg
durchgeführt worden ist. Dabei besteht ‑ wie sich aus § 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB V
ergibt ‑, nicht ein einmaliger Anspruch auf mehrere Behandlungszyklen, sondern
vielmehr ein wiederholter Anspruch auf jeweils einen Behandlungszyklus. Darauf deutet
bereits der Eingangssatz des § 27a Abs. 1 SGB V bei systematischer Auslegung hin.
"Medizinische Maßnahmen" bezeichnen nicht die einzelnen medizinischen Vorgänge,
die zur Herbei-führung einer Schwangerschaft erforderlich sind, sondern mehrere aus
solchen Einzel-vorgängen zusammengefasste Gesamtvorgänge bezogen auf jeweils
einen Behandlungszyklus. Dies folgt auch aus dem Zweck des § 27a Abs. 1 SGB V.
Ausgehend vom natürlichen Zeugungsakt, der eine Schwangerschaft herbeiführt und
den die künstliche Befruchtung ersetzen soll, hat der Begriff der künstlichen Befruchtung
nur Maßnahmen im Blick, die dem einzelnen Zeugungsakt entsprechen und unmittelbar
der Befruchtung dienen. Maßnahme in diesem Sinne ist somit die Substitution des
singulären Zeugungsaktes. Sie beschränkt sich in der zeitlichen Dimension auf den
einzelnen (substituierten) Akt. Mit dem Maßnahmebegriff wird zeitlich nicht mehr als der
zyklusbezogene extra-korporale Befruchtungsvorgang samt Eizellenübertragung
umschrieben (vgl. BSG SozR 3‑2500 § 27a Nr. 1; BSG SozR 4‑2500 §
27a Nr. 1).
Unter Zugrundelegung dieser Rechtsgrundsätze wurden bei den Klägern bereits drei
ICSI‑Maßnahmen ohne Erfolg durchgeführt. In diesem Zusammenhang ist, wie
das SG zutreffend dargelegt hat, auch die in Österreich im Dezember 2003 erfolglos
durchgeführte ICSI-Behandlung zu berücksichtigen. Diese Behandlung durch Prof. Dr.A
wurde von den Klägern unter Hinweis auf die dortigen höheren Erfolgsaussichten
ausdrücklich begehrt. Nach Beschaffung dieser Leistung durch die Kläger ist die
Beklagte nach Befragung von Prof. Dr.A zum angewandten Verfahren und nach
Einschaltung des MDK zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die gesetzlichen
Vorgaben zur künstlichen Befruchtung gemäß § 27a SGB V erfüllt werden. Soweit die
Kläger vortragen, § 27a SGB V in der im Dezember 2003 geltenden Fassung habe
hinsichtlich der ärztlichen Unterrichtung und Überweisung an einen Arzt oder eine
Einrichtung andere ‑ nämlich geringere ‑ Anforderungen gestellt als die
zum 01.01.2004 in Kraft getretene Fassung, ist dies nicht zutreffend. Vielmehr ist § 27
Abs. 1 Nr. 5 SGB V durch das Gesetz vom 14.11.2003 mit Wirkung vom 01.01.2004
gerade nicht verändert worden. Auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen gemäß §
27 Abs. 1 SGB V ‑ außer der bereits genannten Änderung in § 27 Abs. 1 Nr. 2 2.
Halbsatz SGB V ‑ sind durch die Neuregelung unverändert geblieben, so dass
auch vor 2003 durchgeführte ICSI-Behandlungen im Rahmen des § 27a Abs. 1 Nr. 2 2.
Halbsatz SGB V zu berücksichtigen sind. Die klägerische Darlegung, die Beklagte
verhalte sich entsprechend der Rosinentheorie, trifft nicht auf die Beklagte, sondern
vielmehr eher auf die Kläger selbst zu. Denn letztere haben sich zunächst für die
Behandlung in Österreich entschieden und die entsprechende Kostenerstattung unter
Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH (Rechtssache C‑120/95 "Decker";
C‑158/96 "Kohll"; C‑157/99 "Smits") zutreffend nachdrücklich verfolgt,
vertreten aber nunmehr die Ansicht, diese Maßnahme könne nicht berücksichtigt
werden, da eine Maßnahme in Österreich nicht habe erfolgen dürfen. Dies widerspricht
aber gerade der bislang von den Klägern selbst vertretenen zutreffenden
Rechtsauffassung. Im Übrigen hat die Beklagte durch Bescheid vom 08.09.2004 dem
Begehren der Kläger entsprochen und die Kosten der im Dezember 2003
durchgeführten Maßnahme übernommen, so dass schon wegen der Bestandskraft
dieses Bescheides die zugrunde-liegende Maßnahme nicht außer acht gelassen
werden kann.
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Auch der Umstand, dass die vierte ICSI-Behandlung zu einer Eileiterschwangerschaft
geführt hat, rechtfertigt keinen Anspruch der Kläger auf weitere ICSI-Maßnahmen. Dabei
kann letztlich offen bleiben, ob ‑ was zwischen den Beteiligten umstritten ist
‑ die Eileiterschwangerschaft eine klinisch nachgewiesene Schwangerschaft
i.S.d. Richtlinien ist (verneinend Bay. LSG, Urteil vom 09.05.2006 ‑ L 5 KR 11/05
‑). Selbst wenn Letzteres bejaht würde, führte dies zu keinem weiteren Anspruch
der Kläger auf Maßnahmen mittels ICSI. Denn der Eintritt einer klinisch
nachgewiesenen Schwangerschaft hat lediglich zur Folge, dass dieser
Behandlungsversuch nicht auf die Anzahl der erfolglosen Behandlun-gen angerechnet
wird, so dass dieser Regelung nur Bedeutung zukommen kann, solange noch keine drei
erfolglosen Versuche vorgenommen wurden. Eine weitergehende
anspruchsbegründende Bedeutung kommt der Eileiterschwangerschaft jedoch nicht zu.
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Auch der Hinweis der Kläger, die Zahl der Schwangerschaften aufgrund von
Maßnahmen nach § 27a Abs. 1 SGB V unterliege keiner Beschränkung, führt zu keiner
anderen Beurteilung. Zwar hat das BSG durch Urteil vom 03.04.2001 ‑ B 1 KR
40/00 R ‑ (SozR 3‑2500 § 27a Nr. 3) entschieden, dass die erfolgreiche
Durchführung der künstlichen Befruchtung beim ersten Kind die erneute Gewährung
entsprechender Maßnahmen zur Herbeiführung einer weiteren Schwangerschaft nicht
ausschließt. Eine vergleichbare Situation liegt hier jedoch gerade nicht vor. Bei den
Klägern hat gerade nicht, wie in dem der BSG-Entscheidung zugrundeliegenden
Sachverhalt, der erste Behandlungsversuch zu einer Schwangerschaft bzw. einer
Geburt geführt. Die Kläger übersehen, dass Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung
stets nur im Rahmen der gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 27a Abs. 1 SGB V
gewährt werden können. Liegen ‑ wie hier ‑ bereits drei erfolglose
Behandlungsmaßnahmen mittels ICSI vor, scheidet ein weiterer Anspruch aufgrund der
gesetzlichen Regelung ausnahmslos aus. Die klägerische Auffassung, nach einer
Schwangerschaft bzw. Geburt bestehe wiederum ein Anspruch auf drei (erfolglose)
Behandlungsmaßnahmen, wird von der gesetzlichen Regelung nicht gedeckt. Denn
‑ wie oben bereits dargelegt ‑ besteht zum einen nicht ein Anspruch auf
mehrere Behandlungszyklen, sondern stets jeweils zunächst nur auf einen
Behandlungszyklus. Zum zweiten ist die bis zum 31.12.2003 bestehende Möglichkeit, in
begründeten Ausnahmefällen über die normierte Anzahl hinaus eine weitere
Maßnahme durchzuführen, durch die ab dem 01.01.2004 geltende Regelung entfallen.
Wurde eine Maßnahme ‑ wie hier ‑ dreimal ohne Erfolg durchgeführt, so
scheidet ein Anspruch auf weitere Maßnahmen aus.
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Schließlich verletzt die ab dem 01.01.2004 geltende gesetzliche Regelung die Kläger
auch nicht in ihren Grundrechten. Denn diese Regelung verstößt nicht gegen den
allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz ‑ GG ‑) und ist
auch sonst verfassungsgemäß. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen
vor dem Gesetz gleichzubehandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede
Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht nur, wenn er eine Gruppe von
Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen
keine Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht bestehen, dass sie die
ungleiche Behandlung rechtfertigen (BVerfG SozR 4‑3800 § 1 Nr. 7). § 27a SGB
V gewährt allen Versicherten im Falle einer Fertilitätsstörung die von den Klägern
geltend gemachte Maßnahme in gleicher Weise und in gleichem Umfang. Wenn das
Gesetz hierbei nicht zwischen bestimmten Fertilitätsstörungen unterscheidet oder
besonders schwerwiegende Fertilitätsstörungen nicht anders behandelt, liegt darin noch
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kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 27a SGB
V keinen Kernbereich der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung regelt,
sondern einen eigenständigen Versicherungsfall begründet, vor dem Maßnahmen der
Krankenbehandlung Vorrang haben. Der Anspruch auf Maßnahmen der künstlichen
Befruchtung knüpft, wie sich aus Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte der
Vorschrift ergibt, nicht an den regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand der
versicherten Ehegatten, sondern an die Unfruchtbarkeit des Ehepaares an.
Vorausgesetzt wird allein, dass die vorgesehenen Maßnahmen zur Herbeiführung der
gewünschten Schwangerschaft erforderlich und nach ärztlicher Einschätzung
erfolgversprechend sind. Betroffen ist ein Grenzbereich zwischen Krankheit und solchen
körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen eines Menschen, deren Beseitigung
oder Besserung durch Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht von
vornherein veranlasst ist. Hier hat der Gesetzgeber grundsätzlich die Freiheit, selbst die
Voraussetzungen der Gewährung dieser Leistungen der gesetzlichen
Krankenversicherung näher zu bestimmen (vgl. BVerfGE 115, 25, 45 ff.; BSG, Urteil vom
24.05.2007 ‑ B 1 KR 10/06 R ‑). Auch bei der Ausgestaltung der
Ansprüche aus der gesetzlichen Krankenversicherung darf der Gesetzgeber
Sachverhalte typisieren oder pauschalieren. Dies gilt auch, wenn er die Grenzen von
Ansprüchen neu gestaltet (BVerfG SozR 3‑2500 § 48 Nr. 7), erst recht aber
dann, wenn ‑ wie hier ‑ gerade kein Kernbereich der Leistungen der
gesetzlichen Krankenversicherung betroffen ist (vgl. BSG, Urteil vom 24.05.2007 a.a.O.).
Auch andere Grundrechte der Kläger sind nicht verletzt. Art. 6 Abs. 1 GG ist nicht
berührt, weil ihm ‑ auch in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ‑
keine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers entnommen werden kann,
die Entstehung einer Familie durch medizinische Maßnahmen der künstlichen
Befruchtung mit den Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung zu fördern. Eine
derartige Förderung liegt vielmehr in seinem Ermessen (vgl. BVerfG NJW 2007, 1343;
BSG, Urteil vom 24.05.2007 a.a.O.).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Die Revision wird gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
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