Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14.01.2003

LSG NRW: arbeitsunfähigkeit, umschulung, unternehmer, arbeitsmarkt, rehabilitation, erlass, erwerbsfähigkeit, arbeitsfähigkeit, qualifikation, erfüllung

Landessozialgericht NRW, L 2 B 9/02 U-ER
Datum:
14.01.2003
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 2 B 9/02 U-ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Gelsenkirchen, S 10 U 149/02 ER
Sachgebiet:
Sozialrecht
Rechtskraft:
Rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 16.08.2002 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten.
Gründe
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I.
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Der 1968 geborene Antragsteller hat keinen Beruf erlernt und war während seines
bisherigen Berufslebens im Wesentlichen als Schlosserhelfer oder Bauhelfer bei
Zeitarbeitsunternehmen beschäftigt.
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Am 00.00.2001 erlitt er einen Arbeitsunfall mit Teilamputationen im Bereich des II. bis V.
Fingers links. Wegen der Unfallfolgen erhält er von der Beklagten bis heute laufend
Verletztengeld.
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Die Antragsgegnerin finanzierte ihm Ende 2001 den Erwerb der Fahrerlaubnis Klasse B
(früher: Klasse 3). Bei den regelmäßigen Gesprächen zwischen den Beteiligten äußerte
der Antragsteller den Wunsch, zum Berufskraftfahrer oder zum selbstständigen
Unternehmer mit Tätigkeitsbereich "Haushaltsauflösung, Entrümpelungen, Umzüge"
umgeschult zu werden. Die Antragsgegnerin hielt diese Umschulungswünsche bislang
für unangemessen, weil der Antragsteller auf andere Helfertätigkeiten verwiesen werden
könne. Im April 2002 teilte sie ihm mit, dass eine abschließende Entscheidung, ob und
ggf. welche Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben notwendig seien, noch nicht
getroffen werden könne, weil zunächst der Abschluss der medizinischen
Behandlungsmaßnahmen abzuwarten sei (Schreiben vom 24.04.2002). Im Folgenden
nahm sie Kontakt zu mehreren Arbeitgebern auf, die sich bereit erklärten, den
Antragsteller als Qualitätsprüfer oder als Sicherungsposten einzustellen. Eine solche
Tätigkeit hielt der beratende Arzt Dr. T für zumutbar (Arbeitsmedizinische
Stellungnahme vom 21.08.2002). Wegen der fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit kam es
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indes noch nicht zur Aufnahme einer konkreten Tätigkeit.
Der Antragsteller meinte, er sei wegen der Verletzungsfolgen nicht in der Lage, derartige
Tätigkeiten zu versehen, weshalb er weiterhin die Umschulung zum selbstständigen
Unternehmer oder zum Berufskraftfahrer wünsche. Nachdem die Antragsgegnerin
zunächst die Gewährung von Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben abgelehnt
hatte, da der Antragsteller auf andere zur Verfügung stehende Tätigkeiten verweisen
werden könne (Bescheid vom 18.09.2002), hat sie diese Entscheidung wegen
Fortbestehens von Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit später aufgehoben
und gemeint, eine abschließende Entscheidung über Maßnahmen zur Teilhabe am
Arbeitsleben sei noch nicht möglich (Bescheid vom 24.10.2002).
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Bereits im Juni 2002 hat der Antragsteller beim Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen
einstweiligen Rechtsschutz begehrt: Es sei bisher keinerlei Berufshilfe im Ernst
angedacht worden , weil der Antragsteller immer nur auf Helfertätigkeiten verwiesen
werde, wie er sie vor dem Unfall ausgeübt habe.
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Er hat beantragt,
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die Beklagte im Wege der Einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Grunde
nach umgehende Berufshilfemaßnahmen zu gewähren, um die offenkundigen
Wettbewerbsnachteile abzumildern.
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Die Antragsgegnerin hat gemeint, vor Abschluss der vorrangigen medizinischen
Rehabilitationsmaßnahmen könne nicht sinnvoll über Maßnahmen zur Teilhabe am
Arbeitsleben entschieden werden. Erst danach stehe fest, welche Maßnahmen zur
Teilhabe am Arbeitsleben notwendig seien und ob eine Verweisbarkeit auf andere
Helfertätigkeiten in Betracht komme. Wahrscheinlich könne sie dem Antragsteller dann
zwei konkrete Arbeitsstellen anbieten.
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Das SG hat den Antrag abgelehnt (Beschluss vom 16.08.2002).
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Mit seiner Beschwerde führt der Antragsteller ergänzend aus, der Antrag sei wegen der
Untätigkeit der Beklagten gestellt worden. Der Verlust von vier Fingern löse einen
unmittelbaren Anspruch auf qualifizierte Berufshilfe aus.
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Er beantragt,
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unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 16.
August 2002 - S 10 U 149/02 ER - wird auf den Erlass der beantragten
einstweiligen Anordnung erkannt, d. h. zu umgehender Berufshilfeleistung dem
Grunde nach und deren Einleitung, um seine offenkundigen Wettbewerbsnachteile
infolge des Verlustes von vier Fingern einer Hand abzumildern.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie weist darauf hin, sie prüfe laufend, ob dem Antragsteller Maßnahmen zur Teilhabe
am Arbeitsleben zu gewähren seien. Eine abschließende Entscheidung sei derzeit aber
weder möglich noch rechtlich zulässig, weil wegen der fortdauernden medizinischen
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Behandlung und Rehabilitation noch nicht feststehe, welche konkreten Tätigkeiten er
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ausüben könne.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen
Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.
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II.
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Die Beschwerde ist unbegründet.
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Es bestehen bereits Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags, weil zweifelhaft ist,
ob der Kläger für sein Rechtsschutzbegehren die statthafte Rechtsschutzform gewählt
hat. Ob diese Bedenken durchgreifen, kann jedoch dahinstehen. Denn der Antrag ist
jedenfalls unbegründet.
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Die Voraussetzungen einer in Betracht zu ziehenden Regelungsanordnung liegen nicht
vor, weil eine Einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in
Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis nicht zur Abwendung wesentlicher Nachteile
nötig erscheint, § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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Entgegen der Auffassung des Antragstellers zieht die Antragsgegnerin den geltend
gemachten Anspruch nicht in Zweifel, mit allen geeigneten Mitteln möglichst frühzeitig
dem Antragsteller einen seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Platz im
Arbeitsleben zu sichern, vgl. § 26 Abs. 2 Nr.2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII).
Vielmehr hat sie zur Erfüllung dieses Anspruchs den beruflichen Werdegang und die
Qualifikation des Antragstellers abgeklärt und durch Kontakte mit ihm und Arbeitgebern
sowie ärztliche Prüfung der Einsetzbarkeit (Dr. T, 21.08.2002) schon frühzeitig sicher zu
stellen versucht, ihm bei Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit ein den Anforderungen des §
26 Abs. 2 Nr.2 SGB VII genügendes Arbeitsplatzangebot zu unterbreiten und ihn in die
Lage zu versetzen, dieses anzunehmen.
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Im Rahmen der im Verfahren zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen
summarischen Prüfung ist deshalb nicht ersichtlich, dass bereits vor Abschluss der
medizinischen Heilbehandlungs- und Rehabilitationsmaßnahmen ein weitergehender
Anspruch im Sinne der §§ 26 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2, Abs. 5, 35 Abs. 1
SGB VII, 33 Absätze 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), z.B. auf die
vom Kläger gewünschte qualifizierende Umschulung, besteht. Zu Recht weist die
Antragsgegnerin darauf hin, dass vor einer förmlichen Entscheidung über geeignete
Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben der Abschluss der medizinischen
Maßnahmen abgewartet werden muss, um zu beurteilen, in welchem Umfang die
Erwerbsfähigkeit des Antragstellers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt dauerhaft
eingeschränkt ist. Aus diesem Grunde ist die Anordnung einer vorläufigen Regelung vor
Abschluss des Verwaltungsverfahrens derzeit nicht geboten.
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Auch die von dem Antragsteller behauptete Eilbedürftigkeit aus wirtschaftlichen
Gründen besteht schon deshalb nicht, weil er durch das derzeit als Lohnersatzleistung
gewährte Verletztengeld wirtschaftlich hinreichend abgesichert ist. Schon deshalb ist
ihm zumutbar, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193
SGG.
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Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden, § 177 SGG (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 7. Aufl. 2002,
§ 86b Rdnr.47).
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