Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 06.12.2005

LSG NRW: berufliche tätigkeit, anerkennung, zustand, wahrscheinlichkeit, osteochondrose, befund, entstehung, unfallversicherung, berufskrankheit, belastung

Landessozialgericht NRW, L 15 U 174/03
Datum:
06.12.2005
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 15 U 174/03
Vorinstanz:
Sozialgericht Duisburg, S 26 U 190/99
Sachgebiet:
Unfallversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts
Duisburg vom 05.06.2003 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass
als Folge einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung eine chronische Lumboischialgie rechts
bei Bandscheibendegeneration der Lendenwirbelsäule und Zustand
nach Nukleotomie festgestellt wird. Die Beklagte hat die
außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Berufungsverfahren
zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten darüber, ob Gesundheitsstörungen des Klägers im Bereich der
Lendenwirbelsäule Folgen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung - BKV - (bandscheibenbedingte Erkrankungen der
Lendenwirbelsäule durch längjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder
langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller
Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das
Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können - BK 2108 -) sind.
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Der 1941 geborene Kläger war ab 1959 als Einschaler beschäftigt und ab 1972 in
diesem Gewerbe selbstständig tätig. Nachdem er seit dem 27.05.1993 wegen einer
rechtsseitigen Lumboischialgie arbeitsunfähig gewesen war, wurde er am 13.05.1994
wegen eines rechtsseitigen Bandscheibenvorfalls im Segment L5/S1 operiert. Im
November 1994 beantragte der Kläger die Anerkennung und Entschädigung seiner
Wirbelsäulenbeschwerden als BK. Er machte geltend: Er habe vornehmlich Decken in
Einfamilienhäusern eingeschalt, wozu Stahlträger mit einem Gewicht von 40 bis 80 Kg
erforderlich seien. Ferner habe er Stahlstützen mit einem Gewicht von 25 bis 30 Kg
verbaut. Für eine Decke, wovon er vier bis fünf pro Woche hergestellt habe, seien 35 bis
50 Träger und 60 bis 80 Stützen erforderlich. Ein solcher Träger sei auf 2,50 Meter Höhe
anzuheben. Schließlich habe er das benötigte Material von Hand aus dem Rohbau
wieder herausgetragen. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten sah die
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arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Entstehung einer BK 2108 als gegeben an
(Stellungnahmen vom 27.11.1995 und 13.02.2001).
Gestützt auf das Gutachten des Chirurgen Dr. I, Berufsgenossenschaftiche Unfallklinik
E, der die Auffassung vertrat, dass ein wesentlicher ursächlicher Beitrag der besonderen
beruflichen Belastungen zu der im Segment L4/L5 aufgetretenen leichten rechtsseitigen
Protrusion und den im Segment L5/S1 eingetretenen Veränderungen sich nicht
begründen lasse, lehnte die Beklagte die Anerkennung und Entschädigung einer BK
2108 ab (Bescheid vom 12.09.1996, Widerspruchsbescheid vom 13.05.1997).
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Mit der am 28.05.1997 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.
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Er hat beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.09.1996 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 13.05.1997 zu verpflichten, ihn wegen der Folgen einer
bei ihm eingetretenen BK 2108 zu entschädigen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat an ihrer Auffassung, dass die medizinischen Voraussetzungen einer BK 2108
nicht gegeben seien, festgehalten.
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Das Sozialgericht hat ein Gutachten von dem Orthopäden Dr. (NL) T2, N-Hospital in C,
eingeholt. Er hat ausgeführt: Beim Kläger bestehe eine bandscheibenbedingte
Erkrankung der Lendenwirbelsäule, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die
Berufstätigkeit wesentlich mit zurückzuführen sei. Die Exposition durch die berufliche
Tätigkeit müsse als sehr lang angesehen werden, und die Gewichte, die der Kläger
täglich habe bewältigen müssen, hätten in der Regel deutlich über dem Mindestgewicht
von 25 Kg gelegen. Als Einschaler haber er sicherlich auch viele Arbeiten in
Rumpfbeugehaltung durchgeführt. Somit sei davon auszugehen, dass das Risiko stark
erhöht gewesen sei. Die Bandscheiben in den Segmenten L5/S1 und L4/L5 wiesen
einen über das altersübliche Maß hinausgehenden Verschleiss aus. Vergleiche man die
degenerativen Veränderungen an der Lendenwirbelsäule mit den degenerativen
Veränderungen an den sonstigen Wirbelsäulenabschnitten, sei eine
Schwerpunktbildung der degenerativen Veränderungen im Bereich der
Lendenwirbelsäule zu erkennen. Die Beklagte hat dieser Beurteilung durch Vorlage
einer Stellungnahme des Chirurgen Dr. X in X widersprochen. Dieser hat gemeint, dass
beim Kläger lediglich die Segmente L4/L5 und L5/S1 betroffen seien. Gerade die beiden
unteren Segmente der Lendenwirbelsäule seien im Querschnitt der Bevölkerung auch
ohne besondere berufliche Belastung die am meisten geschädigten Segmente, so dass
gerade für diese beiden Segmente die berufliche Belastung als zusätzliche
schädigende Komponente ausgeklammert werden könne.
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Das Sozialgericht hat daraufhin nochmals Dr. (NL) T2 gehört, der ebenso wie Dr. X in
seiner weiteren Stellungnahme vom 25.04.2000 auf seinem Standpunkt verblieben ist.
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Anschließend ist Prof. Dr. L, Orthopädische Universitätsklinik im St. K-Hospital in C, mit
der Erstattung eines Gutachtens beauftragt worden. Er hat ebenso wie Dr. (NL) T2 eine
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BK 2108 bejaht und ausgeführt: Der Ursachenzusammenhang zwischen Entstehung
und Verschlimmerung bzw. dem Wiederaufleben der bandscheibenbedingten
Erkrankung müsse aufgrund der eindeutigen Schädigung des Zielorgans der unteren
Lendenwirbelsäule angenommen werden. Sonstige prädiskotische Deformitäten im
Sinne von asymmetrischen Belastungen mehrerer Wirbelsäulenabschnitte oder
Beinlängendifferenzen bzw. Beckentiefständen hätten beim Kläger nicht nachgewiesen
werden können. Auch die höhergelegenen Wirbelsäulenabschnitte, insbesondere die
Abschnitte der Halswirbelsäule seien deutlich weniger von degenerativen
Veränderungen betroffen als die untere Lendenwirbelsäule. Die Beklagte hat hierzu
eine Stellungnahme von Dr. I vorgelegt. Dieser hat gemeint, dass die an der
Lendenwirbelsäule des Klägers vorgefundenen Veränderungen nach ihrem
Schweregrad und ihrem Verteilungsmuster sich nicht deutlich von dem Befund
unterschieden, der bei einem 52-jährigen Mann zu erwarten sei. Ein Schadensbild, das
sich von einem altersentsprechenden Befund deutlich abhebe, sei jedoch
Voraussetzung für die Anerkennung einer BK 2108.
Mit Urteil vom 05.06.2003 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide
aufgehoben und festgestellt, dass der Zustand nach Bandscheibenoperation im
Segment L5/S1 mit noch verbliebener schmerzhafter Funktionseinschränkung und
Osteochondrose in den Segmenten L3/L4 und L4/L5 Folgen einer BK 2108 sind. Auf die
Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
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Gegen das ihr am 23.06.2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 08.07.2003
Berufung eingelelgt und zur Begründung eine Stellungnahme des Orthopäden Dr. W in
S vom 18.09.2003 vorgelegt. Dieser hat ausgeführt: Insbesondere unter
Berücksichtigung des Lebensalters des Klägers sowie der Tatsache, dass die
Linksverschiebung allenfalls gering ausgeprägt sei und trotz jahrzehntelanger
Belastungen die Veränderungen auf das lumbosakrale Segment beschränkt geblieben
seien, während die darüber liegenden Segmente weder Zeichen einer höhergradigen
Zerrüttung der Bandscheiben noch reaktiv-adaptiver Veränderungen im Sinne der
Osteochondrose zeigten, sei ein Überwiegen der für den beruflichen Zusammenhang
sprechenden Argumente nicht zu erkennen.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 05.06.2003 zu ändern und die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger, der im Termin zur mündlichen Verhandlung am 06.12. 2005 seinen
Klageantrag auf die Feststellung einer chronischen Lumboischialgie rechts bei
Bandscheibendegeneration der Lendenwirbelsäule und Zustand nach Nukleotomie als
Folge einer BK 2108 präzisiert hat, beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
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Das Berufungsgericht hat ein Gutachten von dem Orthopäden Dr. T in T eingeholt. Er ist
zu folgendem Ergebnis gelangt: Der Kläger leide an einer chronischen Lumboischialgie
rechts bei Bandscheibendegeneration der Lendenwirbelsäule und Zustand nach
Nukleotomie. Hierbei handele es sich um eine bandscheibenbedingte Erkrankung im
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Sinne der BK 2108, die mit Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Tätigkeit des Klägers
zurückzuführen sei. Gegen den ursächlichen Zusammenhang spreche das
röntgenologische Verteilungsmuster an der Lendenwirbelsäule. Demgegenüber seien
der späte Erkrankungsbeginn, der gegenüber der Altersgruppe vorauseilende
Verschleisszustand und die Akzentuierung der degenerativen Umformungen im
exponierten Wirbelsäulenabschnitt als Indizien für den streitigen Kausalzusammenhang
zu werten. Damit bestehe ein Übergewicht der für den ursächlichen Zusammenhang
sprechenden Faktoren. Die Beklagte hat dieser Beurteilung durch Vorlage einer
Stellungnahme der Dres. U und T1, Institut für Medizinische Begutachtung in L,
widersprochen. Sie haben gemeint, dass als Grundvoraussetzung für die Anerkennung
einer BK 2108 ein belastungskonformes Schadensbild zu fordern sei, welches aber hier
nicht belegt werden könne. Anschließend ist erneut Dr. T gehört worden, der auf seinem
Standpunkt verblieben ist. Die Beklagte hat daraufhin eine ergänzende Stellungnahme
der Dres. U und T1 vorgelegt, die ebenso wie Dr. T in einer weiteren Äußerung vom
20.03.2005 an ihrer Auffassung festgehalten haben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug
genommen. Ihr wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Der Kläger hat Anspruch auf die
Anerkennung der von ihm geltend gemachten BK 2108 und deren Folgen nach
Maßgabe des Urteilstenors.
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Für die Anerkennung einer Erkrankung als BK 2108 müssen folgende
Tatbestandsmerkmale gegeben sein: Als Einwirkung ein langjähriges Heben oder
Tragen schwerer Lasten oder langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung,
eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule; diese muss nach der in
der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung
durch die Einwirkung verursacht worden sein und zum Unterlassen aller gefährdenden
Tätigkeiten gezwungen haben, die auch tatsächlich aufgegeben worden sein müssen.
Weitere Voraussetzung ist, dass der Versicherungsfall erst nach dem Stichtag
31.03.1988 eingetreten ist (Art. 2 Abs. 2 Zweite Änderungsverordnung; heute § 6 Abs. 3
BKV). Sämtliche dieser Voraussetzungen sind hier erfüllt.
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Am Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule im
Sinne der BK 2108 besteht angesichts der insoweit übereinstimmenden Beurteilung
aller mit der Sache befassten Ärzte kein Zweifel. Der Kläger war während seiner mehr
als 30-jährigen Berufstätigkeit als Einschaler auch in ausreichendem Umfang den im
Text der BK 2108 genannten wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten ausgesetzt. Zur
Konkretisierung des Rechtsbegriffs "langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten
oder langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung" ist das sogenannte
Mainz-Dortmunder-Dosis-Modell (MDD) entwickelt worden, das aufgrund des
derzeitigen Standes der medizinischen Erkenntnisse eine hinreichend bestimmte
Grundlage für eine gleichmäßige Rechtsanwendung bietet (BSG, Urteil vom 18.03.2003
- B 2 RU 13/02 R -). Der im MDD empfohlene Richtwert für die Gesamtbelastungsdosis
(Männer) von 25 Mega-Newton-Stunden wird nach den auch von der Beklagten nicht in
Zweifel gezogenen Feststellungen ihres TAD im Falle des Klägers erreicht bzw.
überschritten.
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Es spricht auch mehr dafür als dagegen, dass die beim Kläger nachgewiesene
bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule zumindest wesentlich
teilursächlich auf die beruflichen Belastungen zurückzuführen ist. Dabei stützt sich der
Senat im Wesentlichen auf die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr.
T, der im Ergebnis mit Dr. (NL) T2 und Prof. Dr. L übereinstimmt. Soweit Dres. I, X, W
sowie U und T1 in der Gesamtabwägung zu einem anderen Ergebnis gelangen, hält der
Senat ihre Ausführungen nicht für stichhaltig.
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Für einen Zusammenhang sprechen gewichtige Tatsachen. Eine konkrete, von der
beruflichen Tätigkeit des Klägers unabhängige Ursache für die bandscheibenbedingten
Veränderungen im unteren Bereich der Lendenwirbelsäule lässt sich nicht feststellen.
Insbesondere liegt nach der einhelligen Beurteilung aller gehörten Ärzte keine
sogenannte prädiskotische Deformität vor. Sämtliche Ärzte stimmen auch darin überein,
dass der Schwerpunkt der degenerativen Veränderungen in dem durch die beruflichen
Belastungen besonders belasteten Wirbelsäulenabschnitt, nämlich der
Lendenwirbelsäule liegt. Das spricht gegen eine konstitutionelle, anlagebedingte oder
körpereigene Ursache der bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbesäule.
Auch wenn bei jeder Wirbelsäulenerkrankung eine gewisse Verschleissneigung zu
unterstellen ist (anders wäre nicht erklärbar, dass bei vielen ausreichend Exponierten
keine Wirbelsäulenschäden auftreten), liegt bei einer Schwerpunktbildung der Schäden
in Bereichen, die durch das langjährige Heben und Tragen schwerer Lasten oder die
Arbeit in Rumpfbeuge besonders belastet werden, nämlich an der unteren
Lendenwirbelsäule, der Schluss auf eine berufliche Verursachung nahe. Hinzu kommt
noch, dass der Erstmanifestation der Erkrankung eine ausreichende Exposition
vorausgegangen ist und damit eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der
bandscheibenbedingten Erkrankung besteht.
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Die Einwände der Dres. I, X, W sowie U und T1 sind nicht derartig stichhaltig, dass sie
eine positive Überzeugungsbildung hindern könnten. Diese Ärzte verneinen den
Kausalzusammenhang mit der Begründung, dass das Schadensbild an der
Lendenwirbelsäule nicht belastungskonform sei. Insoweit ist zunächst festzustellen, das
zumindest im Segment L5/S1 bereits vor der Operation im Jahre 1994 ein
altersübeschreitender Verschleiss vorgelegen hat. Der Senat folgt insoweit Dr. (NL) T2,
Prof. Dr. L und Dr. T. Letzterer hat überzeugend dargelegt, dass sich aus den vor der
Operation angefertigten Röntgenaufnahmen sowohl nach seiner eigenen Messung als
auch der von Dr. I1 bei L5/S1 im Vergleich zur Bandscheibe L3/L4 eine Verminderung
der Bandscheibenhöhe bei mittiger Messung um mehr als 50 v.H. ergibt, was einer
Chondrose Grad II entspricht und auch bei einem über 50-jährigen Mann als
altersvorauseilender Befund anzusehen ist. Dieser Beurteilung wird auch von Dres. U
und T1 nicht widersprochen, wie deren Ausführungen in der Stellungnahme vom
12.11.2004 belegen. Des weiteren geht der Senat mit Dres. W, T sowie U und T1 davon
aus, dass oberhalb von L5/S1 keine dem Alter vorauseilenden Veränderungen und in
den Segmenten L1 bis L3 auch keine reaktiv-adaptiven Reaktionen im Sinne der
Osteochondrose und Spondylose vorliegen. Dem kommt jedoch nicht die Wirkung eines
Ausschlusskriteriums für die Anerkennung einer BK 2108 zu. Die Beurteilung der Dres.
U und T1, dass die Auffassung "schlicht abwegig" erscheine, eine beruflich verursachte
Bandscheibenerkrankung könne auch ohne belastungsinduzierte Reaktionen vorliegen,
und ein monosegmentaler Bandscheibenvorfall sei nur dann anerkennungsfähig, wenn
entsprechend verteilte belastungsinduzierte Reaktionen vorhanden seien, teilt der Senat
nicht. Hierbei handelt es sich lediglich um eine Hypothese, die keineswegs allgemein
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anerkannt ist (so auch Landessozialgericht - LSG - Nordrhein-Westfalen, Urteil vom
22.05.2003 - L 2 KN 120/01 U -; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 20.01.2002 - L 8 U
55/00 - = Breithaupt 2003, 125 ff.; LSG Berlin, Urteil vom 27.02.2003 - L 3 U 39/00 - =
HVBG-Info 2003, 2455 ff.). Bisher fehlen gesicherte medizinisch-wissenschaftliche
Erkenntnisse darüber, dass sich die oberen Segmente der Lendenwirbelsäule bei
Erkrankten, die im Sinne der BK 2108 exponiert waren, wesentlich anders als bei nicht
einschlägig exponierten Erkrankten darstellen (siehe hierzu Urteil des Senats vom
11.12.2001 - L 15 U 206/99 -; LSG Berlin aaO).
Soweit Dr. W den Zusammenhang mit der Begründung negiert, dass die
Linksverschiebung beim Kläger allenfalls gering ausgeprägt sei und die
altersvorauseilenden Veränderungen trotz jahrzentelanger Belastungen auf das
lumbosakrale Segment beschränkt geblieben seien, vermag der Senat darin ebenfalls
kein entscheidendes Kriterium gegen die Anerkennung einer BK 2108 zu erkennen.
Wenn bereits der Schaden im Segment L5/S1 nicht sonderlich ausgeprägt ist, liegt es
nahe, dass auch die darüberliegenden, weniger belasteten Segmente einen geringeren
- oder nach oben hin - gar keinen Schaden aufweisen.
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Überwiegen nach alledem die für einen Zusammenhang sprechenden Argumente, ist
der Schluss gerechtfertigt, dass die beruflichen Einwirkungen mit Wahrscheinlichkeit
wesentliche Teilursache für den bestehenden Bandscheibenschaden geworden sind.
Darin stimmen im Ergebnis die Sachverständigen Dr. (NL) T2, Prof. Dr. L und Dr. T
überein.
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Die bandscheibenbedingte Erkrankung hat für den Kläger auch objektiv den Zwang
begründet, die schädigende Tätigkeit aufzugeben. Nach der übereinstimmenden
Beurteilung von Prof. Dr. L und Dr. T waren dem Kläger zum Zeitpunkt der Aufgabe der
beruflichen Tätigkeit im Mai 1993 Arbeiten mit schwerem Heben und Tragen sowie in
extremer Rumpfbeugehaltung infolge der bandscheibenbedingten Erkrankung der
Lendenwirbelsäule nicht mehr möglich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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Anlass für eine Revisionszulassung (§ 160 Abs. 2 SGG) bestand nicht.
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