Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24.10.2001

LSG NRW: arbeitslosenhilfe, verwertung, bedürftigkeit, wohnung, haus, käufer, verfügung, anfang, belastung, gerichtsakte

Landessozialgericht NRW, L 12 AL 246/00
Datum:
24.10.2001
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 12 AL 246/00
Vorinstanz:
Sozialgericht Duisburg, S 1 AL 124/00
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts
Duisburg vom 25. Oktober 2000 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat
die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im
Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Umstritten ist, ob dem Kläger ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe zusteht oder nicht.
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Der am ...19 ... geborene Kläger war in der Zeit vom 01.05.1981 bis 31.07.1999 als
Verwaltungsangestellter tätig, zuletzt in leitender Stellung. Zum 01.08.1999 meldete er
sich arbeitslos. Der Kläger bezog Arbeitslosengeld bis zum 25.07.2000. Dann stellte er
einen Antrag auf Anschlussarbeitlosenhilfe. Im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung gab
er an, ein bebautes Hausgrundstück zu besitzen, welches am 03.03.1997 mit einem
Verkehrwert von 590.000,00 DM geschätzt worden sei. Der Kläger teilte der Beklagten
mit, das Hausgrundstück werde voraussichtlich zum 01.11.2000 veräußert. Eigenen
Angaben zur Folge handelte es sich um ein 3-Familien-Haus, wovon seine Mutter eine
Wohnung und er selbst eine Wohnung bewohne; lediglich die 3. Wohnung sei gegen
Entgelt vermietet. Der Überschuss aus Vermietung und Verpachtung betrage monatlich
139,52 DM.
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Die Beklagte berücksichtigte nach Abzug der Erschließungkosten und der selbst
genutzten Wohnungsanteile den Wertanteil der vermieteten Wohnung und legte eine
Beleihung von 70 % zu Grunde. Nach Abzug des Freibetrages rechnete sie insgesamt
250.851,60 DM als Vermögen an, das bei der Prüfung der Bedürftigkeit zu
berücksichtigen sei. Mit Bescheid vom 18.07.2000 stellte sie fest, der Kläger sei für
einen Zeitraum von 153 Wochen nicht bedürfig und habe insoweit keinen Anspruch auf
Arbeitslosenhilfe. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und trug vor, er habe
bereits den Verkauf des Hauses eingeleitet. Der Verkaufserlös werde voraussichtlich
zum 01.11.2000 fließen. Zu diesem Zeitpunkt werde er auch sein Vermögen einsetzen.
In der Zwischenzeit sei es ihm gemäß den Bestimmungen der
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Arbeitslosenhilfeverordnung (Alhi-VO) nicht zumutbar und auch nicht möglich, sein
Hausvermögen anderweitig zu verwerten. Dies gelte auch deswegen, weil er sich zum
01.01.2001 selbstständig machen wolle. Die Beklagte wies den Widerspruch mit
Widerspruchsbescheid vom 03.08.2000 zurück und führte aus, es sei dem Kläger
zumutbar, sein Vermögen einzusetzen.
Hiergegen hat der Kläger am 06.09.2000 Klage vor dem Sozialgericht Duisburg
erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen: Der Hausverkauf sei zwischenzeitlich am
23.08.2000 notariell beurkundet worden. Nach diesem Vertrag stehe ihm die erste
Kaufpreisrate in Höhe von 300.000,00 DM zum 01.11.2000 zur Verfügung. Wegen der
Verkaufsverhandlungen und des Verkaufes sei es ihm nicht möglich gewesen, von den
Banken eine Zwischenkredit zu erhalten, da er über kein laufendes Einkommen verfüge
und das Hausgründstück nicht mehr belastet werden könne. Ergänzend hat er darauf
hingewiesen, er wolle sich zum 01.01.2001 selbstständig machen. Sein Vermögen sei
nicht derart verwertbar, dass es für die Zeit bis zur Zahlung der ersten Kaufpreisrate zum
Wegfall seiner Bedürftigkeit führe.
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Vor dem Sozialgericht hat der Kläger beantragt,
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den Bescheid vom 18.07.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
"24.07.2000" insoweit abzuändern, als darin für die Zeit vom 26.07. bis 31.10.2000
einschließlich die Zahlung von Arbeitslosenhilfe dem Grunde nach verweigert werde
und für diesen Zeitraum Arbeitslosenhilfe dem Grunde nach zu gewähren.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist bei ihrer im Verwaltungsverfahren geäußerten Rechtsauffassung verblieben und
hat vorgetragen, das dem Kläger zurechenbare Vermögen in der Gestalt des
Hausgrundstückes führe zum Wegfall der Bedürftigkeit im genannten Umfang. So sei
eine Verwertung in Form einer Belastung wie auch die Aufnahme von Zwischenkrediten
durchaus möglich und zumutbar gewesen.
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Mit Urteil vom 25.10.2000 hat das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt,
dem Kläger vom 26.07. bis 31.10.2000 dem Grunde nach Arbeitslosenhilfe zu
gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt: Dass das Hausgrundstück des Klägers
sei, soweit es nicht der angemessenen Eigennutzung diene, zu verwerten. Die
Verwertung habe der Kläger selbst bereits eingeleitet. Eine anderweitige oder
zusätzliche Verwertung durch Belastung des Hausgrundstückes oder durch Aufnahme
von Zwischenkrediten sei dem Kläger nicht zumutbar gewesen. Die Zumutbarkeit setze
voraus, dass die Verwertung nicht offensichtlich unwirtschaftlich sei und unter
Berücksichtigung einer angemessenen Lebensführung des Inhabers des Vermögens
billigerweise erwartet werden könne. Im vorliegenden Falle könne eine
Zwischenbelastung oder Zwischenfinanzierung vom Kläger vernünftigerweise nicht
erwartet werden. Die Aufnahme ungesicherter Zwischenkredite sei nach den
glaubhaften Bekundungen des Klägers ohne Nachweis eines regelmäßigen
Einkommens nicht möglich gewesen. Damit sei die Bedürftigkeit des Klägers erst mit
dem 01.11.2000 entfallen, weil er frühestens zu diesem Zeitpunkt über den
Verwertungserlös seines Hausgrundstückes habe verfügen können. Wegen des
genauen Wortlauts der Entscheidungsgründe wird auf den Inhalt des angefochtenen
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Urteils Bezug genommen.
Gegen dieses ihr am 17.11.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 15.12.2000
eingegangene Berufung der Beklagten. Die Beklagte vertritt die Auffassung:
Bedürftigkeit habe bereits ab Antragstellung nicht vorgelegen. Der Vermögenswert des
nicht angemessenen Teils der selbst genutzten Immobilie sei ab dem Zeitpunkt der
Antragstellung auf Arbeitslosenhilfe zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung des
Vermögens sei unter dem Aspekt der Verwertbarkeit zu beachten. Ob eine Verwertung
tatsächlich erfolge, sei unbeachtlich. Insbesondere komme es nicht auf die Liquidität des
Vermögens an. Die Begründung des Sozialgerichts, eine Berücksichtigung des
Vermögens sei erst ab Zufluss der Geldmittel aus der Verwertung möglich, sei
unzutreffend. Die Beklagte beruft sich zur Stützung ihrer Rechtsauffassung auf das Urteil
des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 30.05.1990 (11 RAr 33/88).
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 25.10.2000 zu ändern und die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er hält das angefochtene Urteil jedenfalls im Rahmen des ausgeurteilten Tenors für
zutreffend. Er weist daraufhin, dass die erste Kaufpreisrate entgegen der ursprünglichen
Annahme nicht zum 01.11.2000, sondern erst Anfang Januar 2001 geflossen sei, weil
der Käufer Finanzierungsprobleme bekommen habe. Da diese Finanzzierungsprobleme
auch den Banken bekannt gewesen seien, habe er den Kaufpreisanspruch nach
Abschluss des Kaufvertrages nicht beleihen können. Erst als der Käufer im Januar 2001
Sicherheiten habe vorweisen können, hätte ihm seine Bank einen Kredit eingeräumt.
Deshalb habe er auch die geplante Selbstständigkeit verschieben müssen.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, der Vorstreitakte des Sozialgerichts Duisburg S 1 AL 119/00 ER und der
den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten mit der Kundennummer ... Bezug
genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu
Recht entschieden, dass dem Kläger ab dem 26.07.2000 dem Grunde nach
Arbeitslosenhilfe zu gewähren war. Insbesondere hat das Sozialgericht zutreffend
entschieden, dass dem Kläger vor dem 01.11.2000 eine Verwertung seines Hauses
unter zu mutbaren angemessenen Bedingungen nicht möglich gewesen ist.
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Der Kläger kann Arbeitslosenhilfe ab dem 26.07.2000 beanspruchen. Er hatte zuvor ab
dem 01.07.2000 Arbeitslosengeld nach einem Bemessungsentgelt von 1.800,00 DM pro
Woche bezogen. Bei Erfüllung aller Anspruchsvoraussetzungen hatte er bei einem
Bemessungsentgelt von 1.800,00 DM nach der Leistungsgruppe C mit Kindermerkmal
Anspruch auf Arbeitslosenhilfe in Höhe von 635,04 DM pro Woche. Der Kläger war
insbesondere arbeitslos, hatte Arbeitslosenhilfe beantragt, und stand der
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Arbeitsverwaltung jedenfalls bis zum Ende des hier streitigen Zeitraumes am
31.10.2000 zur Verfügung. Der Kläger war auch bedürftig im Sinne von § 193
Sozialgesetzbuch 3. Buch (SGB III). Bedürftig im Sinne dieser Vorschrift ist ein
Arbeitsloser, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch
Arbeitslosenhilfe bestreiten kann und das Einkommen, das nach § 194 SGB III zu
berücksichtigen ist, die Arbeitslosenhilfe nicht erreicht. Dies ist hier der Fall, denn
jedenfalls bis zum 31.10.2000 ist das Hausgrundstück nicht als anrechenbar und zu
berücksichtigen anzusehen. Selbst wenn man die vom Kläger selbst angegebenen
Mieteinnahmen in Höhe von 139,52 DM pro Monat (vergleiche Bl. 62 Verwaltungsakte
der Beklagten) voll ansetzen würde, verbleibt noch ein Zahlbetrag an Arbeitslosenhilfe,
so dass das Sozialgerichtsurteil, welches die Beklagte nur zur Zahlung dem Grunde
nach verurteilt hat, zu bestätigen ist.
Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass das zu 2/3 selbst genutzte und zu
1/3 vermietete 3-Familien-Haus des Klägers seiner Bedürftigkeit für die Zeit seit
Antragstellung bis zum 31.10.2000 nicht entgegengestanden hat. Der Senat hat den
Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils, hier insbesondere den Seiten 5 und
6, nichts hinzuzufügen und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf gemäß
§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug.
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Der Vortrag der Beklagten im Berufungsverfahren gibt zu keiner an deren Beurteilung
Anlass. Das von der Beklagten für ihre Auffassung zitierte BSG-Urteil vom 30.05.1990
(11 RAr 33/88) spricht vielmehr für die Auffassung des Sozialgerichts. Das Sozialgericht
hat gerade nicht entschieden, dass ein als verwertbar anzusehendes Hausgrundstück
erst ab Zufluss des Verkaufserlöses auf die Arbeitslosenhilfe anzurechnen ist. Mit dem
Leitsatz 1 des BSG-Urteils hat es vielmehr auf den Gesichtspunkt der Verwertbarkeit
abgestellt. Hier hat es, wie vom BSG gefordert, auf alle individuellen Besonderheiten
des Einzelfalles abgestellt. Das BSG hat - entgegen der Auffassung der Beklagten -
nicht allein den Zeitpunkt der Beantragung von Arbeitslosenhilfe als entscheidend
angesehen. Einerseits soll Manipulationsmöglichkeiten vorgebeugt werden,
andererseits soll Einzelfallgerechtigkeit erzielt werden. Der Senat zitiert wörtlich aus der
BSG-Entscheidung vom 30.05.1990: "Erst wenn feststeht, ob, wann und zu welchen
Bedingungen ein Verkauf des Hausgrundstücks tatsächlich möglich war oder ist, kann
letztlich auch die Frage der zumutbaren Verwertung nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Alhi-VO
abschließend beurteilt werden." Genau dieser Forderung ist das Sozialgericht mit
zutreffenden Erwägungen nachgekommen.
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Der Kläger hat durch sein tatsächliches Handeln dokumentiert, dass er gewillt war, sein
Hausgrundstück zur Vermeidung von Leistungen der Allgemeinheit einzusetzen. Schon
einen Monat nach Antragstellung hat er am 23.08.2000 einen notariellen Kaufvertrag
abschließen können. Diesen Zeitraum billigt der Senat mit dem Sozialgericht dem
Kläger für zielstrebige Bemühungen zu. Für die Zeit ab Abschluss des notariellen
Kaufvertrages stellte sich die Frage, ob der Kläger die Kaufpreisforderung hätte
beleihen können, um Arbeitslosenhilfe nicht in Anspruch nehmen zu müssen. Auch in
diesem Punkt folgt der Senat dem Sozialgericht. Der Kläger hat in der mündlichen
Verhandlung glaubhaft und nachvollziehbar bekundet, dies tatsächlich versucht zu
haben, aber keinen Erfolg gehabt zu haben. Die Banken hätten ihn deshalb keinen
Zwischenkredit eingeräumt, weil er selbst keine Sicherheit habe bieten können, das
Haus nicht weiter belastbar gewesen sei und der Käufer selbst in
Finanzierungsschwierigkeiten gewesen sei. Dies wird dadurch belegt, dass der Kläger
die erste Kaufpreisrate tatsächlich auch nicht am 01.11.2000, sondern erst Anfang 2001
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erhalten hat. Der Sachvortrag des Klägers und die Annahme des Sozialgerichts finden
also auch in dem tatsächlichen Geschehensablauf ihre Bestätigung. Es spricht somit
nichts dafür, dass der Kläger den Zeitpunkt der Verwertbarkeit seines
Hausgrundstückes auf Kosten der Allgemeinheit hinausschieben wollte. Die
angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts war somit zu bestätigen und die
Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
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Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die hierfür in § 160 Abs. 2 Ziffern 1
oder 2 SGG aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Der Senat weicht
insbesondere nicht von der Entscheidung des BSG vom 30.05.1990 (11 RAr 33/98) ab,
sondern hat sie im Gegenteil zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht. Das BSG hat
entgegen der Auffassung der Beklagten nicht allein auf die Verwertbarkeit bei
Antragstellung abgestellt, sondern hat die Berücksichtigung aller Umstände des
Einzelfalles gefordert. Genau dies ist hier geschehen.
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