Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 06.07.2005

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Landessozialgericht NRW, L 11 (16) KR 175/03
Datum:
06.07.2005
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 11 (16) KR 175/03
Vorinstanz:
Sozialgericht Duisburg, S 25 RA 118/01
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts
Duisburg vom 16.06.2003 abgeändert. Der Widerspruchsbescheid der
Beklagten vom 30.08.2001 wird aufgehoben. Der Widerspruch des
Beigeladenen zu 1) gegen den Bescheid der Beklagten vom 29.05.2001
wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten
der Klägerin in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der Beigeladene zu 1) eine
versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt und die Klägerin für ihn Beiträge zu
entrichten hat.
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Der Beigeladene zu 1) war von 1980 an für die Klägerin als Kleinspediteur bzw.
Kraftfahrer tätig. Das Vertragsverhältnis wurde durch Vergleich vor dem
Landesarbeitsgericht Düsseldorf vom 17.02.2000 zum 11.09.1999 beendet. Für den
gesamten Zeitraum der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) für die Klägerin hat diese
keine Sozialversicherungsbeiträge entrichtet.
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Im Januar 1999 wandte sich der Kläger unter Hinweis auf den Entwurf des Gesetzes zur
Bekämpfung der Scheinselbständigkeit an die Beklagte und begehrte eine verbindliche
Auskunft über seinen Status. In diesem Schreiben schilderte er seine Tätigkeit für die
Klägerin und vertrat die Ansicht, dass er in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis
stehe. Die Beklagte trat daraufhin - durch Übersendung eines Fragebogens - in die
Sachverhaltsaufklärung ein.
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Im Februar 1999 beantragte der Beigeladene zu 1) (auch) bei der Beigeladenen zu 2),
seinen sozialversicherungsrechtlichen Status festzustellen. Auch hier vertrat er die
Ansicht, dass bei ihm von einer Scheinselbständigkeit auszugehen sei. Die
Beigeladene zu 2) trat ebenfalls in Sachverhaltsermittlungen ein, hörte u. a. die Klägerin
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an und stellte mit Bescheid vom 14.07.1999 fest, dass zumindest seit dem 01.01.1999
von einer versicherungspflichtigen Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) bei der
Klägerin auszugehen sei; es seien Beiträge nachzuentrichten.
Gegen diese Entscheidung der Beigeladenen zu 2) legten sowohl die Klägerin als auch
der Beigeladene zu 1) Widerspruch ein.
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Mit Bescheid vom 29.05.2001 stellte dann die Beklagte fest, dass der Beigeladene zu 1)
seine Tätigkeit als Kraftfahrer bei der Klägerin im Rahmen eines abhängigen und damit
im Grunde versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt habe;
gemäß § 7 c SGB IV trete jedoch Versicherungspflicht nicht mehr ein, da der
Beigeladene zu 1) im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung der Beklagten die
Tätigkeit für die Klägerin bereits aufgegeben habe.
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Gegen diesen Bescheid der Beklagten legte der Beigeladene zu 1) Widerspruch ein
und wies darauf hin, dass die Beigeladene zu 2) mit Bescheid vom 14.07.1999 bereits
eine versicherungspflichtige Beschäftigung festgestellt habe. Mit Bescheid vom
30.08.2001 hob die Beklagte auf den Widerspruch des Beigeladenen zu 1) den
Bescheid vom 29.05.2001 mit der Begründung auf, dass sie gemäß § 7 a Abs. 1 SGB IV
zur Durchführung des Statusverfahrens nicht zuständig gewesen sei, da die
Beigeladene zu 2) bereits eine Entscheidung über den Status getroffen habe.
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Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Beklagte sei zur Erteilung des
Statusbescheides vom 29.05.2001 zuständig gewesen, da der Beigeladene zu 1) sich
bereits am 05.01.1999 an die Beklagte mit seinem Antrag auf Statusfeststellung
gewandt habe; ein entsprechender Antrag bei der Beigeladenen zu 2) sei vielmehr erst
im Februar 1999 erfolgt. Damit sei die Beklagte auf Grund des rückwirkenden
Inkrafttretens von § 7 a Abs. 1 SGB IV zuständig gewesen; diese Zuständigkeit sei auch
nicht mehr verloren gegangen. Zwar habe die Beigeladene zu 2) den Bescheid vom
14.07.1999 erlassen, jedoch ohne dafür zuständig gewesen zu sein, weil - auf Grund
des Antrages vom 05.01.1999 - die Beklagte rückwirkend zuständig geworden sei.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Widerspruchsbescheid vom 30.08.2001 aufzuheben.
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Die Beklagte und die Beigeladene zu 2) haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
13
Der Beigeladene zu 1) hat keinen Antrag gestellt.
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Die Beklagte und die Beigeladenen haben übereinstimmend die Auffassung vertreten,
dass die Beigeladene zu 2) zur Entscheidung über den Antrag auf Statusfeststellung
zuständig gewesen sei und somit die Beklagte den Bescheid vom 29.05.2001
rechtmäßigerweise aufgehoben habe. Die Beigeladene zu 2) sei im Zeitpunkt ihrer
Entscheidung (Juli 1999) für diese Entscheidung ausschließlich zuständig gewesen;
diese Zuständigkeit könne auch nicht mehr nachträglich entfallen.
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Während des erstinstanzlichen Verfahrens hat die Beigeladene zu 2) mit Bescheid vom
21.01.2003 den Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen und auf den Widerspruch
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des Beigeladenen zu 1) eine versicherungspflichtige Beschäftigung festgestellt sowie
Sozialversicherungsbeiträge ab 01.01.1997 bzw. 01.01.1999 (Kranken- und
Pflegeversicherung) in Höhe von 22.313,60 Euro nachgefordert. Das dagegen
eingeleitete Klageverfahren - S 9 (7) KR 32/03 - SG Duisburg - ist ruhend gestellt
worden.
Mit Urteil vom 16.06.2003 hat das SG Duisburg die Klage abgewiesen und dabei die
Auffassung vertreten, dass die Aufhebung des Bescheides vom 29.05.2001 durch den
Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 30.08.2001 rechtmäßig gewesen sei; die
Beklagte sei hinsichtlich der Feststellung der Versicherungspflicht nicht zuständig
gewesen, da die Beigeladene zu 2) bereits ein entsprechendes Verfahren eingeleitet
hatte. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Ausführungen in den
Entscheidungsgründen verwiesen.
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Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihr Vorbringen
wiederholt und vertieft. Sie weist insbesondere darauf hin, dass auf Grund des
rückwirkenden Inkrafttretens von § 7 a SGB V auch schon im Januar 1999 die
Zuständigkeit der Beklagten gegeben gewesen sei.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 16.06.2003 abzuändern und den
Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 30.08.2001 aufzuheben und ferner den
Widerspruch des Beigeladenen zu 1) gegen den Bescheid der Beklagten vom
29.05.2001 zurückzuweisen.
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Die Beklagte und die Beigeladene zu 2) beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beigeladene zu 1) stellt keinen Antrag.
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Die Beklagte und die Beigeladenen halten das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
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Die Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen zu 2) sowie die Akten des
SG Duisburg - S 9 (7) KR 32/03 - haben vorgelegen und sind Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen. Auf den Inhalt dieser Akten und den der Streitakten
wird - insbesondere hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten - ergänzend Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Der Widerspruchsbescheid der
Beklagten vom 30.08.2001 ist aufzuheben und der Widerspruch des Beigeladenen zu 1)
gegen den Bescheid der Beklagten vom 29.05.2001 zurückzuweisen, da dieser
Bescheid rechtmäßig ist.
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Die Beklagte ist für die Entscheidung über die Versicherungspflicht des Beigeladenen
zu 1) hinsichtlich seiner Tätigkeit für die Klägerin (sogenannte Statusfeststellung)
zuständig. Denn §§ 7 a ff. SGB IV sind gemäß Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Förderung
der Selbständigkeit vom 20.10.1999 rückwirkend zum 01.01.1999 in Kraft getreten. Dies
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ergibt sich insbesondere aus der Regelung in Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes zur Förderung
der Selbständigkeit, wonach die in einem Bescheid festgestellte versicherungspflichtige
Beschäftigung nur dann mit Wirkung vom Jahre 2000 an aufgehoben werden kann,
wenn dieser Bescheid im Jahr 1999 unanfechtbar geworden ist. Damit macht der
Gesetzgeber deutlich, dass - gerade aus Gründen der Rechtssicherheit - durch das
rückwirkende Inkrafttreten des Gesetzes die Verfahren nicht betroffen sein sollen, die im
Jahr 1999 bestandskräftig abgeschlossen worden sind. Für diese soll vielmehr -
entgegen der sonstigen Rückwirkung - eine Änderung hinsichtlich der Statusfeststellung
erst in der Zukunft möglich sein.
Die Voraussetzungen gemäß § 7 a Abs. 1 Satz 1 SGB IV sind auch gegeben. Nach
dieser Vorschrift können Beteiligte schriftlich eine Entscheidung beantragen, ob eine
Beschäftigung vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer
Versicherungsträger hätte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur
Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet. Der Beigeladene zu 1) hat mit seinem
Schreiben vom 05.01.1999 ausdrücklich - unter Hinweis auf das
Gesetzgebungsverfahren - eine Statusfeststellung beantragt. Zum Zeitpunkt der
Antragstellung hatte weder die Beigeladene zu 2) als Einzugsstelle noch ein anderer
Versicherungsträger bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung
eingeleitet. Denn die Beigeladene zu 2) ist mit dem entsprechenden Begehren des
Beigeladenen zu 1) erst im Februar 1999 konfrontiert worden. Dabei verkennt der Senat
nicht, dass die Beklagte und auch die Beigeladene zu 2) vor Verkündung des Gesetzes
zur Förderung der Selbständigkeit vom 20.10.1999 die (alleinige) Zuständigkeit der
Beklagten nicht kannten und auch nicht kennen konnten und somit die Beigeladene zu
2) den Bescheid vom 14.07.1999 in der Annahme ihrer Zuständigkeit erlassen hat. Auf
Grund des oben dargestellten rückwirkenden Inkrafttretens der §§ 7 a ff. SGB IV und der
mangelnden Unanfechtbarkeit des Bescheides der Beigeladenen zu 2) vom 14.07.1999
ist die Beklagte aber rückwirkend ab 01.01.1999 für die Statusfeststellung gemäß Antrag
vom 05.01.1999 zuständig geworden.
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Der Senat neigt dazu, auf Grund der sich aus den Akten ergebenden vertraglichen
Gestaltung und tatsächlichen Durchführung der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) für die
Klägerin Versicherungspflicht anzunehmen, braucht dies jedoch nicht zu entscheiden,
da gemäß § 7 c SGB IV die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) hinsichtlich
seiner Tätigkeit für die Klägerin erst mit Bekanntgabe der Entscheidung der Beklagten
am 29.05.2001 eintreten kann, jedoch das Vertragsverhältnis bereits zum 11.09.1999
aufgelöst worden ist.
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Die Kostenentscheidung erfolgt gemäß §§ 183, 193 SGG.
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Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden, da die Voraussetzungen von §
160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Denn die Beteiligten haben im Termin zur mündlichen
Verhandlung vor dem Senat übereinstimmend erklärt, es sei nicht bekannt, dass weitere
ähnliche Fälle anhängig seien.
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