Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 12.05.2004

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Landessozialgericht NRW, L 12 AL 169/03
Datum:
12.05.2004
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 12 AL 169/03
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 3 AL 73/02
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 13. Juni 2003 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt
die Kosten im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 11.123,- Euro festgesetzt.
Tatbestand:
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Streitig ist die Rückzahlung eines Eingliederungszuschusses (EgZ) in Höhe von
21.753,00 DM an die Beklagte.
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Die Klägerin ist ein Unternehmen, das Medizintechnikgeräte herstellt und vertreibt. Im
März 1999 beantragte sie einen EgZ für die unbefristete Einstellung des V. ab
03.05.1999 als Elektroniker. Der am 00.00.1951 geborene V. verfügte über keine
berufliche Ausbildung und war seit 1997 arbeitslos. Das monatliche Bruttoarbeitsentgelt
betrug 3.000,00 DM. Antragsgemäß bewilligte die Beklagte einen EgZ bei erschwerter
Vermittlung für die Dauer vom 03.05.1999 bis 02.05.2000 in Höhe von monatlich
1.812,75 DM - 50 % des berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts (einschießlich des
pauschalen Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag in Höhe von
3.625,50 DM). Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass der EgZ zurückzuzahlen sei,
wenn das Beschäftigungsverhältnis während des Förderzeitraums oder eines
Weiterbeschäftigungszeitraums nach Ende des Förderzeitraums - hier von 12 Monaten -
beendet werde. Eine Rückzahlungspflicht entfalle in drei Ausnahmefällen, wenn der
Arbeitgeber zur fristlosen Kündigung berechtigt sei, die Beendigung des
Arbeitsverhältnisses auf Bestreben des Arbeitnehmers erfolge oder der Arbeitnehmer
das Mindestalter für die gesetzliche Altersrente erreicht habe. Den
Weiterbewilligungsantrag der Klägerin auf Zahlung eines EgZ für ein weiteres Jahr
lehnte die Beklagte im Mai 2000 ab, weil mit der Bewilligung vom 11.05.1999 für ein
Jahr die Höchstförderung erreicht sei. Zum 31.07.2000 beendete die Klägerin das
Arbeitsverhältnis mit V. durch eine fristgerechte Kündigung und gab als
Kündigungsgrund Arbeitsmangel und außerdem an, dass dem Unternehmen der
Konkurs gedroht habe. Von der Beklagten zu ihrer Absicht angehört, den für den
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gesamten Förderzeitraum gezahlten EgZ zurückzufordern, erläuterte die Klägerin, V.
wegen ihrer finanziellen Situation nicht weiter beschäftigen zu können. Dadurch, dass
die Modultronik GmbH, mit der sie einen Alleinvertriebsvertrag habe, Anfang des Jahres
2000 ein Insolvenzverfahren angemeldet habe, habe sie (die Klägerin) keine Umsätze
mehr gehabt. Es sei abzusehen gewesen, dass sie (die Klägerin) in Konkurs gehen
würde. Am 31.12.2001 sei sie sodann ohne Konkurs liquidiert worden. Wenn die
Beklagte Rückforderungen erhebe, müsse sie einen Konkursantrag stellen.
Die Beklagte hob die Bewilligung des EgZ für die Zeit vom 03.05.1999 bis 02.05.2000
auf und forderte von der Klägerin die Erstattung des Betrages von 11.122,13 Euro, weil
sie das Arbeitsverhältnis mit V. während der bis zum 02.05.2001 laufenden
Nachbeschäftigungsfrist zum 31.07.2000 gekündigt habe, ohne zu einer Kündigung aus
wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigt gewesen zu sein
(Bescheid vom 04.02.2002; Widerspruchsbescheid vom 15.05.2002).
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Am 14.06.2002 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage erhoben
und die Ansicht vertreten, aufgrund ihrer besonderen finanziellen Situation habe die
Beklagte von einer Rückforderung des EgZ abzusehen. Die Betriebsräume der Klägerin
existierten zwar noch, ihre Betriebstätigkeit sei jedoch ruhend gestellt.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 04.02.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 15.05.2002 aufzuheben.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Mit Urteil vom 13.06.2003 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung
Folgendes ausgeführt: "Die Beklagte fordert von der Klägerin zu Recht den gezahlten
EgZ in vollem Umfang zurück. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Eintritt der
Rückzahlungspficht liegen vor. Auf die Rückzahlung des ab dem 03.05.1999 gewährten
EgZ findet § 223 Abs. 2 SGB III in der vom 01.01.1998 bis 31.07.1999 geltenden
Fassung des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes - AFRG - vom 24.03.1997 (BGBl. I 594)
Anwendung. Dies folgt aus der Übergangsregelung des § 422 SGB III (ebenfalls i.d.F.
des AFRG). Es ist nicht maßgebend, dass die Beklagte die Rückzahlung erst im
Februar 2002 und damit nach dem Inkrafttreten der ab dem 01.08.1999 geltenden
Neufassung des § 223 Abs. 2 SGB III (in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur
Änderung des SGB III und anderer Gesetze - 2. SGB III-ÄndG - vom 21.07.1999, BGBl. I
1648) geltend machte. § 422 SGB III sieht als Grundsatz bei Rechtsänderungen vor:
Wird dieses Gesetzbuch geändert, so sind, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf
Leistungen der aktiven Arbeitsförderung bis zum Ende der Leistungen oder Maßnahme
die Vorschriften der vor dem Tag des Inkrafttretens der Änderung geltenden Fassung
anzuwenden, wenn vor diesem Tag 1. der Anspruch entstanden ist, 2. die Leistung
zuerkannt worden ist oder 3. die Maßnahme begonnen hat, wenn die Leistung bis zum
Beginn der Maßnahme bewilligt worden ist (§ 422 Abs. 1 SGB III). Da der EgZ an die
Klägerin, der nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 3 Abs. 4 SGB III (i.d.F. des AFRG) zu den
Leistungen der aktiven Arbeitsförderung gehört, durch Bescheid vom 11.05.1999 und
damit vor dem 01.08.1999 bewilligt worden ist, ist die Voraussetzung des § 422 Abs. 1
SGB III für die Anwendung alten - d.h. hier: des vor dem 01.08.1999 geltenden - Rechts
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erfüllt.
Damit gilt aber auch für die Rückzahlung des EgZ § 223 Abs. 2 SGB III a.F ... Denn auch
die Rückzahlung nach dieser Regelung betrifft "Leistungen der aktiven
Arbeitsförderung", auf die die Übergangsregelung des § 422 SGB III Anwendung findet.
Diese Regelung bezieht sich - schon nach ihrem Wortlaut - nicht nur auf laufende
Leistungen bzw. Leistungsfälle, die bei Eintritt der Rechtsänderung noch nicht
abgeschlossen sind, sondern auf das gesamte Gebiet der Leistungen der aktiven
Arbeitsförderung, hier auf das Gebiet der Eingliederungszuschüsse nach §§ 217 ff. SGB
III, zu dem auch § 223 SGB III gehört. Insoweit sind die Regelungen über die
Anspruchsvoraussetzungen für Eingliederungszuschüsse (§§ 217 ff SGB III) und deren
Rückzahlung (§ 223 Abs. 2 SGB III) einheitlich als Vorschriften über "Leistungen der
aktiven Arbeitsförderung" im Sinne des § 422 SGB III anzusehen. Die Kammer folgt der
zutreffenden Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Anwendung der
Übergangsvorschrift (Urteil vom 06.02.2003, Az.: B 7 AL 38/02 R unveröffentlicht;
19.09.2002, Az.: B 11 AL 73/01 R; 15.08.2002, Az.: B 7 AL 132/01 R unveröffentlicht und
Urteile vom 21.03.2002, Az.: B 7 AL 48/01 R in BSGE 89, 192 ff. = SozR - 4300 § 422
Nr. 2 und B 7 AK 68/01 R AuB 2002, 247 ff.). Der Gesetzgeber hat anläßlich der
Gesetzesänderung in § 422 Abs. 1 SGB III keine gesonderte Übergangsvorschrift
geschaffen.
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Nach § 223 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB III a.F. ist der EgZ dann nicht zurückzuzahlen,
wenn der Arbeitgeber berechtigt war, das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne
Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen. Die Klägerin hat das Arbeitsverhältnis
zum geförderten Arbeitnehmer innerhalb der sogenannten Weiterbeschäftigungszeit,
hier 12 Monate nach Ende des Förderzeitraumes am 02.05.2000, beendet. Es kann
nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Norm nicht zweifelhaft sein, dass sich
das Vorliegen eines wichtigen Grundes nach den einschlägigen arbeitsrechtlichen
Vorschriften beurteilt (BSG, Urteil vom 19.09.2002 a.a.O.). Die schlechte wirtschaftliche
Lage eines Unternehmens berechtigt nicht zu einer außerordentlichen Kündigung der
beschäftigten Arbeitnehmer. Auch im Falle einer drohenden Insolvenz des Arbeitgebers
sind die ordentlichen Kündigungsfristen einzuhalten. Die gesetzlich eindeutige
Regelung des Rückzahlungsanspruchs der Beklagten enthält keine
Tatbestandsvoraussetzung, die die allgemeine Berücksichtigung einer von der Klägerin
geltend gemachten unbilligen Härte ermöglicht. § 223 Abs. 2 SGB III ist eine
Sondervorschrift, die eine eigenständige Rechtsgrundlage für die Rückzahlung von
Eingliederungszuschüssen darstellt. Aufgrund dieser Regelung bedarf es keiner
gesonderten Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung (BSG, Urteil vom 21.03.2002,
Az.: B 7 AL 48/01 R). Die Rückzahlungsvorschrift des § 223 Abs. 2 SGB III dient
unmittelbar der Absicherung des Leistungszwecks."
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Gegen das ihr am 26.06.2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15.07.2003
Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, aufgrund der geschilderten
Verhältnisse sei sie zur Kündiung des V. berechtigt gewesen, weshalb die Beklagte den
EgZ auch nicht zurückfordern dürfe. So wolle es die zum Zeitpunkt der Rückforderung
gültige Neufassung des § 223 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 3. Buch Sozialgesetzbuch -
Arbeitsförderung - (SGB III). Daher habe das SG die Altfassung zu Unrecht angewandt.
§ 422 SGB III, worauf sich das SG beziehe, regele nicht den Fall der Rückforderung,
sondern das Gegenteil, die Leistungen der aktiven Arbeitsförderung. Die Neufassung
sei auch auf die Rückabwicklung anzuwenden, weil diese den Leistungszeiträumen
zeitlich nachgehe. Die vom SG zitierte Rechtsprechung verstoße gegen das Gesetz und
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wegen Ungleichbehandlung werde ein Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz (GG) gerügt.
Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13.06.2003 zu ändern und nach dem
erstinstanzlichen Antrag zu erkennen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen und die Kosten des Verfahrens der Klägerin
aufzuerlegen.
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Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und legt einen Handelsregisterausdruck
des Amtsgerichts Düsseldorf vor, der keine Eintragungen enthält, wonach die Klägerin
aufgelöst oder vollständig beendet ist.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte verwiesen. Auf den Inhalt der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte
der Beklagten, der ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist,
wird Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
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Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Senat schießt sich den
Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils an, die er nach eigener Überprüfung
der Sach- und Rechtslage für zutreffend erachtet. Von einer Wiederholung der
Ausführungen des Sozialgerichts wird gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
abgesehen.
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Das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren gibt keinen Anlass zu einer
anderen Beurteilung. Weder der behauptete Gesetzesverstoß der zitierten
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts noch Verstöße gegen den
Gleichheitsgrundsatz sowie den Grundsatz gegen Treu und Glauben sind erkennbar
und im Übrigen von der Klägerin auch nicht in begründender Weise dargelegt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 SGG.
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Zur Revisonszulassung bestand kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs.
2 Ziffern 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
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