Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 21.02.2005
LSG NRW: auflösung, sozialversicherungsrecht, einkommenssteuer, verwaltungsverfahren, nebeneinkommen, rücklage, streichung, abgrenzung, begriff, investition
Landessozialgericht NRW, L 19 (12) AL 324/04
Datum:
21.02.2005
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 19 (12) AL 324/04
Vorinstanz:
Sozialgericht Detmold, S 4 AL 36/04
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 7a AL 38/05 R
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts Detmold vom 12.11.2004 wird zurückgewiesen. Kosten
sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird
zugelassen.
Tatbestand:
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Angefochten ist die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg).
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Mit dem angefochtenen Bescheid vom 29.11.2002 in der Fassung des
Änderungsbescheides vom 27.02.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
01.03.2004 hob die Beklagte ihre Entscheidung über die Bewilligung von Alg für die Zeit
vom 07.02. bis 31.12.2001 teilweise auf. Der Kläger habe während dieser Zeit
Nebeneinkünfte in Höhe von DM 18154,69 (Euro 9282,35) erzielt, die gemäß § 141
Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) auf das Arbeitslosengeld
anzurechnen seien. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch -
Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) werde die Bewilligung mit
Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse insoweit aufgehoben. Die
Erstattungspflicht ergebe sich aus § 50 Abs. 1 SGB X.
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Mit seiner hiergegen am 23.03.2004 erhobenen Klage macht der Kläger, wie auch
schon zuvor mit seinem Widerspruch vom 05.12.2002, geltend, die Beklagte dürfe nicht
die in seinem Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2001 ausgewiesenen Einkünfte
aus Gewerbebetrieb in Höhe von insgesamt DM 28779,00 berücksichtigen. Dass der
Einkommenssteuerbescheid Einkünfte in dieser Höhe und danach ein für die
Berechnung der Einkommenssteuer maßgebliches Einkommen von DM 18495,00
aufweise, beruhe auf dem Umstand, dass er sich am 27.01.2002 dazu entschieden
habe, eine im Jahr 1999 gebildete Ansparabschreibung in Höhe eines Betrages von DM
20.000,- sowie eine im Jahr 2000 gebildete Ansparabschreibung in Höhe eines
Betrages von DM 5.000,-, mithin eines Gesamtbetrages an Sonderabschreibung von
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DM 25.000,-, aufzulösen. Diese Sonderabschreibungen dienten dazu, Steuervorteile zu
erlangen, obwohl die Investitionen noch nicht getätigt worden seien. Für den Fall, dass
diese nicht getätigt würden oder werden sollten, müsse die Ansparabschreibung wieder
aufgelöst werden mit der Folge, dass der Betrag für die aufgelöste Ansparabschreibung
als Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Einkommenssteuerbescheid auftauchten. Der
Kläger habe vor Auflösung der Ansparabschreibung sich bei Herrn B im Arbeitsamt I am
13.12.2001 danach erkundigt, ob eine etwaige Auflösung der Ansparabschreibung zu
Einbußen im Bezug auf seinen Arbeitslosenanspruch führen könnte. Dies habe der
Sachbearbeiter B verneint.
Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 29.11.2002 in der Fassung des Änderungsbescheides
vom 27.02.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2004 aufzuheben.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat weiterhin an ihrer schon im Verwaltungsverfahren vertretenen Auffassung
festgehalten, die eingereichte Einnahmen- Ausgaben- Rechnung für das Jahr 2001
weise einen Gewinn von DM 25557,85 (Euro 11553,65). Daraus ergebe sich ein
Anrechnungsbetrag von insgesamt DM 18154,69 (Euro 9282,35) aus. In Höhe dieses
Anrechnungsbetrages sei die Bewilligungsentscheidung aufzuheben gewesen.
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Mit Gerichtsbescheid vom 12.01.2004 hat das Sozialgericht - nach Anhörung der
Beteiligten gemäß § 105 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - die Klage
abgewiesen. Die angefochtene Entscheidung sei rechtmäßig. Die Anrechnung von
Nebeneinkommen erfasse gemäß § 141 Abs. 1 Satz 2 SGB III auch Einkommen aus
selbständiger Tätigkeit. Dabei sei das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit nach §
15 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die
Sozialversicherung (SGB IV) zu bestimmen. Arbeitseinkommen sei danach der nach
den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrechtes
ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit oder aus einem Gewerbebetrieb.
Die vom Kläger aufgelösten Ansparabschreibungen seien in der endgültigen
Einnahmen- Ausgaben- Rechnung für 2001 als Erträge ausgewiesenen und in den im
Einkommenssteuerbescheid 2001 ausgewiesenen Einkünften aus Gewerbebetrieb
enthalten. Sie seien somit als Einnahmen aus seiner selbständigen Tätigkeit gemäß §
141 Abs. 1 SGB III auf das Alg anzurechnen. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass
der Kläger in früheren Jahren durch Bildung der Ansparabschreibungen geldwerte
Steuervorteile erzielt habe.
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Gegen den ihm am 18.11.2004 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am
16.12.2004 Berufung eingelegt. Er verfolgt sein Begehren weiter und macht geltend, §
15 SGB IV sei nicht auf die Bestimmung des § 7 EstG anwendbar. Eine bloße
Steuererleichterung könne nicht als Einnahme im Wege einer Gewinnerzielung
angesehen werden. Die Auflösung der Ansparabschreibung stelle gewissermaßen nur
einen fiktiven Rechnungsposten dar und könne nicht als Einnahme aus einer
selbständigen Tätigkeit gelten. Darüberhinaus erscheine es unbillig, wenn ihm auf
konkrete Nachfrage bei der Beklagten erst versichert werde, ihn erwarteten keine
negativen Folgen, er aber dann durch die angefochtenen Bescheide einer anderen
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Auffassung belehrt werde.
Der Kläger beantragt,
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den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 12.11.2004 abzuändern und den
Bescheid der Beklagten vom 29.11.2002 in der Fassung des Änderungsbescheides
vom 27.02.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2004 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält an ihrer bislang vertretenen Auffassung fest.
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Die Verwaltungsakte der Beklagten (Kunden-Nr. 000) hat neben der Prozessakte
vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
Inhalt der Akten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, ergänzend
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
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Das Sozialgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Auch zur Überzeugung des
Senats ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte der Anrechnung von
Nebeneinkommen aus selbständiger Tätigkeit gemäß § 141 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3
SGB III die in der Einnahmen- Ausgaben- Rechnung für das Jahr 2001 bzw. im
"Bescheid für 2001 über Einkommenssteuer und Solidaritätszuschlag" ausgewiesenen
Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von DM 28.779,00 zugrundegelegt hat.
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Denn sowohl nach dem einschlägigen Gesetzeswortlaut als auch nach dem aus den
Gesetzesmotiven erkennbaren Willen des Gesetzgebers bestimmt sich das persönliche
Arbeitseinkommen des Klägers aus seiner selbständigen Tätigkeit in seinem
Großküchen-Planungsbüro - dem Grunde und der Höhe nach - nach Maßgabe des
Einkommenssteuerrechts.
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Arbeitseinkommen als sozialrechtlicher Begriff wird in § 15 Abs. 1 SGB IV inhaltlich
durch die Bezugnahme auf das Einkommenssteuergesetz (EStG) definiert:
"Arbeitseinkommen ist der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des
Einkommenssteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit.
Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem
Einkommenssteuerrecht zu bewerten ist." § 15 SGB IV wurde mit Wirkung vom
01.07.1977 durch Gesetz vom 23.12.1976, BGBl. I 3845, eingeführt. Mit Wirkung ab
01.01.1995 - also maßgeblich für den hier streitigen Zeitraum - erfolgte eine Neufassung
des § 15 SGB IV durch Artikel 3 Nr. 2 Agrarsozialreformgesetz 1995 (ASRG 1995). § 15
Satz 1 SGB IV alte Fassung blieb unverändert. Dessen Satz 2 ("bei der Ermittlung des
Gewinns sind steuerliche Vergünstigungen unberücksichtigt zu lassen und
Veräußerungsgewinne abzuziehen") wurde ersatzlos gestrichen und durch § 15 Abs. 1
Satz 2 SGB IV neue Fassung ersetzt ("Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten,
wenn es als solches nach dem Einkommenssteuerrecht zu bewerten ist"). Die
Begründung im Gesetzentwurf (BT-Drucks. 12/5700 S 92 zu Artikel 3 Nr. 2) führt dazu
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an, die ersatzlose Streichung des § 15 Satz 2 SGB IV alte Fassung erfolge aus Gründen
der Praktikabilität. Mit der Einfügung des § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB IV werde "eine volle
Parallelität von Einkommenssteuerrecht und Sozialversicherungsrecht sowohl bei der
Zuordnung zum Arbeitseinkommen als auch bei der Höhe des Arbeitseinkommens
erreicht". Zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung solle es den zuständigen
Versicherungsträgern erlaubt sein, den steuerrechtlichen Gewinn "unverändert aus dem
Steuerbescheid des Selbständigen zu entnehmen" (BT-Drucks. 12/5700 S 93).
Nach Auffassung des Senats begründet § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine echte
Drittbindungswirkung (so auch Klattenhoff in Hauck/Haines, SGB IV Kommentar, Stand
April 2004, § 15 Rdz. 8 und Seewald in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht,
Stand August 2004, § 15 Rdz. 15). Da somit - abgesehen von der hier nicht
einschlägigen Sonderregelung des § 15 Abs. 2 SGB IV - eine volle Identität zwischen
dem steuerrechtlichen und dem sozialversicherungsrechtlichen Arbeitseinkommen
besteht, sind spezifisch sozialversicherungsrechtliche Bewertungen unzulässig.
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Was unter den "allgemeinen " Gewinnermittlungsvorschriften im Sinne des § 15 Abs. 1
Satz 1 SGB IV in Abgrenzung zu etwaigen besonderen Regelungen zu verstehen ist,
erläutert das Gesetz nicht näher. Da das Gesetz seit der Novellierung im Jahre 1995 von
einer vollen Identität zwischen Steuer- und Sozialversicherungsrecht ausgeht, erscheint
diese Einschränkung jedoch gegenstandslos (Klatthoff, a.a.O., § 15 Rdz. 14).
Zurückzugreifen ist nach Auffassung des Senats deshalb auf die Begriffsbestimmungen
des Steuerrechts. Eine Legaldefinition von Einkünften enthält § 2 Abs. 2 EStG. Nach § 2
Abs. 2 Ziffer 1 EStG sind Einkünfte aus Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit "der
Gewinn (§§ 4-7 k)". Durch die vorstehende Legaldefinition ist auch § 7 g EStG und darin
dessen Absatz 4 in Bezug genommen, wonach die Anspar- Rücklage gewinnerhöhend
aufzulösen ist. Auch im Falle fehlender Investition ist die Rücklage in vollem Umfang
nach § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG zwingend gewinnerhöhend aufzulösen
(Schmidt/Drenseck, EStG Kommentar, 2003, § 7g Rdz. 24).
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Der Kläger kann mit seiner gegen vorstehende Auffassung vorgebrachten
wirtschaftlichen Argumentation nicht durchdringen.Dabei ist dem Senat bewusst, dass
sich die Ansparabschreibung wirtschaftlich nur wie eine Stundung der Steuerschuld
auswirkt, wenn der betreffende Betrieb nicht tatsächliche Rücklagen gebildet und
lediglich den Steuervorteil in Anspruch genommen hat. Eine entsprechende
wirtschaftliche Betrachtung hat die Familiengerichtssenate sowohl des Schleswig-
Holsteinschen Oberlandesgerichts als auch des OLG Hamm veranlasst,
unterhaltsrechtlich die Ansparabschreibung gem. § 7 g EStG nicht anzuerkennen, da ihr
kein konkreter Wertverzehr zugrundeliegt bzw. keine tatsächliche Gewinnminderung
durch die Ansparabschreibung eingetreten ist (Schleswig- Holsteinsches OLG, 5. Senat
für Familiensachen, Urteil vom 09.08.2001, 15 UF 67/00 und OLG Hamm, 11. Senat für
Familiensachen, Urteil vom 18.01.2002 - 11 UF 63/01 - FamRZ 2002, 885 - 887).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen, weil der Senat der hier
zugrundeliegenden Rechtsfrage - in welcher Weise die steuerrechtliche
Gewinnerhöhung bei Auflösung einer sogenannten Ansparabschreibung gemäß § 7g
Abs. 4 EStG bei der Anrechnung des Arbeitseinkommens aus selbständiger Tätigkeit
gemäß § 141 SGB III zu berücksichtigen ist - grundsätzliche Bedeutung beimisst, § 160
Abs. 2 Ziffer 1 SGG.
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