Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 10.12.2008

LSG NRW: verordnung, schlüssiges verhalten, regress, vertrauensschutz, begriff, vertragsarzt, koch, anforderung, mangelfolgeschaden, datum

Landessozialgericht NRW, L 11 KA 16/07
Datum:
10.12.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 11 KA 16/07
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 33 KA 49/05
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 6 KA 12/09 B
Sachgebiet:
Vertragsarztangelegenheiten
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 10.01.2007 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt
auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
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Die aus fünf Fachärzten für Nuklearmedizin bestehende Klägerin wendet sich gegen
einen Regress wegen Verordnung von unzulässigem Sprechstundenbedarf (SSB) in
den Quartalen 3/2001 bis 1/2002.
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Mit Schreiben vom 16.07.2002, eingegangen beim Prüfungsausschuss am 25.09.2002,
beantragte die Beigeladene zu 9) die Prüfung der Verordnungsweise der Klägerin im
Quartal 3/2001 mit der Begründung, dass die Verordnung von Fingerschienen als SSB
unzulässig sei. Den Regressbetrag gab sie mit 696,00 DM (= 345,18 Euro) netto an; die
entsprechende Verordnung (neuzeitliche Fingerschienen) fügte sie dem Antrag (in
Ablichtung) bei. Mit weiterem Schreiben vom 31.10.2002, eingegangen beim
Prüfungsausschuss am 20.12.2002, beantragte die Beigeladene zu 9) mit gleicher
Begründung die Prüfung der Verordnungsweise der Klägerin im Quartal 4/2001; den
Regressbetrag gab sie mit 67,80 DM (= 34,67 Euro) netto an; die entsprechende
Verordnung (neuzeitliche Fingerschienen) fügte sie dem Antrag (in Ablichtung) bei. Mit
Schreiben vom 06.03.2003, eingegangen beim Prüfungsausschuss am 26.03.2003,
beantragte die Beigeladene zu 9) die Prüfung der Verordnungsweise der Klägerin im
Quartal 1/2002 mit der Begründung, dass die Verordnung von Mono Embolex als SSB
unzulässig sei. Den Regressbetrag gab sie mit 4.007,88 Euro netto an; die
entsprechende Verordnung fügte sie dem Antrag (in Ablichtung) bei. Mit abgelichtet war
eine weitere Verordnung u.a. über "12 neuzeitliche Fingerschienen" für 414,22 Euro.
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Dieser Antrag wurde der Klägerin - ebenso wie die zuvor gestellten Anträge - zugeleitet,
die daraufhin (Schreiben vom 22.07.2003) mitteilte, auch für das Quartal 1/2002 beziehe
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sie sich auf ihre vorangegangene Begründung, weshalb die von ihr verordneten
neuzeitlichen Fingerschienen als SSB zu vergüten seien.
Mit unter dem 31.07.2003 datierendem Schreiben, das den Eingangsstempel des
Prüfungsausschusses vom 26.03.2003 trägt, beantragte die Beigeladene zu 9) - erneut -
die Prüfung der Verordnungsweise der Klägerin im Quartal 1/2002 nunmehr mit der
Begründung, dass die Verordnung von neuzeitlichen Fingerschienen als SSB
unzulässig sei. Auf dem Schreiben ist u.a. aufgeführt "Korrekturantrag v. 06.03.03".
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Die Klägerin nahm zu den Anträgen Stellung: Bei den benutzten Fingerschienen
handele es sich um Artikel, die ihrer Art nach bei mehreren Patienten auch an
verschiedenen Fingergelenken einsetzbar seien. Der Gebrauch entspreche den explizit
in der SSB-Vereinbarung aufgeführten erstattungsfähigen Cramerschienen. Diese gebe
es allerdings nicht in schmalen Breiten, so dass damit die Ruhigstellung eines
einzelnen Fingers oder sogar nur eines Fingergelenks, wie dies bei den in ihrer Praxis
durchgeführten Radiosynoviorthesen geboten sei, nicht erfolgen könne.
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Der Prüfungsausschuss setzte mit (zwei) Bescheiden vom 06.01.2004 Regresse in
Höhe der Netto-Verordnungskosten von insgesamt 794,07 Euro mit der Begründung
fest, dass neuzeitliche Fingerschienen als Sachkosten auf den Abrechnungsscheinen
des jeweiligen Patienten abzurechnen seien.
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Mit ihren Widersprüchen machte die Klägerin u.a. geltend, sie habe sich seit Inkrafttreten
der neuen SSB-Vereinbarung um Vorabklärung der Abrechnungsmöglichkeiten ihrer
Materialien bemüht. In der Sitzung vor dem Prüfungsausschuss vom 15.05.2003 sei ihr
mündlich zugesichert worden, dass sie neuzeitliche Fingerschienen weiterhin als SSB
abrechnen könne, ohne Regresse befürchten zu müssen. Sie legte dazu das Schreiben
des Prüfungsausschusses vom 04.06.2003 vor, nach dem die Beigeladenen zu 9) in der
Sitzung vom 15.05.2003 ihre auf § 13 der Prüfvereinbarung gestützten Prüfungsanträge
für die Quartale 3/1999, 1/2000 bis 2/2001 zurückgenommen hat. Sie - die Klägerin -
berufe sich deshalb auf Vertrauensschutz.
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Der Beklagte wies die Widersprüche mit Bescheid vom 31.01.2005 zurück: Nach der
SSB-Vereinbarung seien bei Anforderung von SSB nur die unter Ziffer (Ziff.) IV. der
Vereinbarung aufgeführten Mittel verordnungsfähig. Unter Ziff. IV.1 - Verband- und
Nahtmaterial - seien ausschließlich Cramerschienen genannt. Die von der Klägerin
verordneten neuzeitlichen Fingerschienen seien in dieser abschließenden Liste nicht
aufgeführt, so dass eine Verordnung zu Lasten des SSB damit ausscheide.
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Mit ihrer Klage vom 22.02.2005 hat die Klägerin vorgetragen, der Begriff
Cramerschienen in der SSB-Vereinbarung sei als historische Bezeichnung anzusehen.
Der Schwerpunkt liege auf dem Begriff Schiene. Die SSB-Vereinbarung stelle auf eine
medizinisch sinnvolle, funktionsgerechte Anwendung ab und nicht auf medizin-
historische Begriffe. Cramerschienen in der ursprünglichen Bezeichnung fänden heute
kaum noch Anwendung. Sinngemäß müsse der Begriff Cramerschienen in der SSB-
Vereinbarung daher auch auf die heute zur Anwendung kommenden neuzeitlichen
Fingerschienen übertragen werden. Die Verwendung dieser neuzeitlichen
Fingerschienen sei darüberhinaus wirtschaftlicher und sinnvoller als die von
Cramerschienen. Sie berufe sich auf Vertrauensschutz, da sie vom Prüfungsausschuss
erst Anfang 2004 darauf hingewiesen worden sei, dass die Schienen als Sachkosten
abzurechnen seien. In der Sitzung des Prüfungsausschusses im Mai 2003 habe die
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Vorsitzende und Vertreterin der Beigeladenen zu 9) zugesagt, dass die Schienen
weiterhin als SSB zu beziehen seien. Auch die Beigeladene zu 8) sei ihrer
Informationspflicht nicht nachgekommen; sie habe erst in der "KVNo aktuell", Heft
12/2003, darauf hingewiesen, dass Fingerschienen als Sachkosten abzurechnen seien.
Darüber hinaus seien die Prüfungsanträge bei anderen Ärzten jedenfalls teilweise von
der Beigeladenen zu 9) zurückgenommen worden. Bei ihr habe der Prüfungsausschuss
die Regressanträge der Beigeladenen zu 9) für die Quartale 4/2002 und 2/2003
zurückgewiesen. In seinem das Quartal 4/2002 betreffenden Beschluss vom 23.02.2005
habe er ausgeführt, dass Fingerschienen mit den in der SSB-Vereinbarung aufgeführten
Cramerschienen gleich zu setzen seien. Ein chaotisches Wechselbad von
Entscheidungen zeige dann der Beschluss des Prüfungsausschusses vom 11.07.2005
(Quartal 3/2003), mit dem gegen sie wiederum ein Regress wegen neuzeitlicher
Fingerschienen festgesetzt worden sei. Offensichtlich habe zwischen Antragstellern und
Ausschüssen völlige Unstimmigkeit darüber bestanden, ob neuzeitliche Fingerschienen
als SSB verordnet werden können, so dass ihr kein Verschulden vorgeworfen werden
könne.
Die Klägerin hat beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 31.01.2005 aufzuheben und den Beklagten zu
verurteilen, über die Widersprüche gegen die Bescheide des Prüfungsausschusses vom
06.01.2004 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
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Der Beklagte und die Beigeladene zu 9) haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte und die Beigeladene zu 9) haben vorgetragen, die SSB-Vereinbarung
sehe die Verordnung von Cramerschienen, aber nicht weiterer Schienen vor. Der Begriff
Cramerschienen sei eindeutig; hierunter seien weder neuzeitliche Fingerschienen noch
z.B. Fingerschienen nach Stack zu subsumieren. Praktikabilitätsgesichtspunkte
rechtfertigten keine erweiternde Auslegung der SSB-Vereinbarung; dies gelte auch im
Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin, neuzeitliche Schienen seien besser geeignet.
Anderslautende Entscheidungen des Prüfungsausschusses seien unbeachtlich; ein
Rechtssatz, dass auch im Unrecht Gleichheit herzustellen sei, bestehe nicht.
Unerheblich sei auch, welche Erklärungen in der Sitzung des Prüfungsausschusses im
Mai 2003 abgegeben worden seien. Vorliegend seien Sachverhalte aus den Quartalen
3/2001 bis 1/2002 streitig; eine erst später abgegebene Erklärung könne für diesen
Zeitraum keine Rechtsrelevanz entfalten. Ob und inwieweit bzw. aus welchen Gründen
früher Prüfanträge zurückgenommen worden seien, sei nicht bekannt.
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Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat die Klage mit Urteil vom 10.01.2007 abgewiesen.
Die von der Klägerin zur Ruhigstellung von Gelenken im Anschluss an die
durchgeführten Radiosynoviorthesen verordneten neuzeitlichen Fingerschienen seien
nicht als SSB verordnungsfähig, da sie nicht in Ziff. IV.1 der SSB-Vereinbarung
aufgeführt seien. Unter Verband- und Nahtmaterialien seien Cramerschienen sowie
thermoplastisches Material / Platten zur Anfertigung von Schienenverbänden genannt,
nicht jedoch generell jegliche Mittel zur Herstellung von Verbänden zur Ruhigstellung
von Fingern bzw. Gelenken. Eine analoge bzw. erweiternde Anwendung der
Bestimmungen der SSB-Vereinbarung komme nicht in Betracht, denn die SSB-
Vereinbarung könne nur nach ihrem Wortlaut und nach dem systematischen
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Zusammenhang ausgelegt werden. Die Entscheidung darüber, ob und welche Mittel in
die SSB-Vereinbarung aufgenommen würden, obliege allein den Vertragspartnern.
Unerheblich sei, ob der Klägerin ein Verschulden vorzuwerfen sei, da es nicht um die
Feststellung eines sonstigen Schadens in Folge schuldhafter Verletzungen
vertragsärztlicher Pflichten handele. Vertrauensgesichtspunkte seien bereits aufgrund
des Zeitablaufs nicht relevant.
Gegen das am 06.02.2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 05.03.2007 Berufung
eingelegt und vorgetragen: Das SG habe den Begriff Cramerschienen falsch ausgelegt.
Dieser Begriff werde bereits seit 100 Jahren verwandt; er bezeichne eine biegbare und
zu polsternde Drahtschiene, die es in unterschiedlichen Formen im Handel gebe. Nach
Auskunft der Herstellerfirma - der Paul Koch GmbH - sei auch eine Fixverbandschiene
eine gepolsterte Ausführung der Cramerschiene. Sie sei sozusagen die komfortable
Variante der Cramerschiene und müsste eigentlich heißen gepolsterte oder modifizierte
Cramerschiene. Gleiches gelte für die neuzeitlichen Fingerschienen; auch diese seien
eine spezielle Ausführung der Cramerschiene. Cramerschiene sei ein Überbegriff für
alle biegbaren Drahtschienen. Damit seien die von ihr verordneten Varianten dieser
Schiene als SSB verordnungsfähig. Im Übrigen seien die Vertragspartner der SSB-
Vereinbarung selbst über Jahre hinweg davon ausgegangen, dass Fixverbandschienen
ebenso wie neuzeitliche Fingerschienen als SSB verordnungsfähig seien.
Dementsprechend habe es bis 2000 keine Regresse gegeben. In den Quartalen 4/1996
und 3/1997 seien ihre Verordnungen wegen unzulässig verordneten SSB geprüft
worden. Dabei seien von ihr rezeptierte neuzeitliche Fingerschienen nicht regressiert
worden, obwohl diese in den geprüften Rezepten aufgeführt gewesen seien. Auch
hinsichtlich der Quartale 3/1999 bis 2/2001 sei gegen sie ein Prüfverfahren geführt
worden; die Beigeladene zu 9) habe aber den Prüfantrag zurückgezogen. Noch in der
Sitzung des Prüfungsausschusses im Mai 2003 habe die Vertreterin der Beigeladenen
zu 9) als Vorsitzende erklärt, dass neuzeitliche Fingerschienen als SSB bezogen
werden könnten. Erst Ende 2003 sei in der "KVNo aktuell" darauf hingewiesen worden,
dass diese Schienen nicht mehr als SSB bezogen werden könnten. Aus all diesen
Gründen bestehe Vertrauensschutz. Zudem habe sie sich am 08.10.2002 bemüht, von
der Beigeladenen zu 8) eine Bestätigung zu erhalten, dass die streitgegenständlichen
Schienen als SSB abzurechnen seien. Weil es offenbar zu diesem Zeitpunkt keine
einheitliche Meinung gegeben habe, sei sie auf die vom Prüfungsausschuss noch zu
treffende Entscheidung verwiesen worden. Wäre die Beigeladenen zu 8) zu diesem
Zeitpunkt davon ausgegangen, dass die Schienen nicht (mehr) als SSB
verordnungsfähig seien, hätte ihr dies mitgeteilt werden müssen.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.01.2007 abzuändern und den
Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 31.01.2005 zu verurteilen, über den
Widerspruch gegen die Bescheide des Prüfungsausschusses vom 06.01.2004 unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beklagte ist der Auffassung, Cramerschienen seien nur diese Schienen; ein
ersatzweise Bezug anderer Mittel oder Artikel sei nicht zulässig. Ebenso bestehe für
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eine analoge oder erweiternde Anwendung kein Raum; die SSB-Vereinbarung könne
nur nach ihrem Wortlaut und nach dem systematischen Zusammenhang ausgelegt
werden. Im Übrigen gebe es eine SSB-Vereinbarung erst seit dem 01.07.1995, so dass
das Vorbringen der Klägerin zu einem jahrzehntelangen Verständnis der SSB-
Vereinbarung nicht nachvollziehbar sei. Ohne Relevanz sei auch, ob über Jahre mit
Blick auf erfolgende Fehlverordnungen Prüfanträge gestellt worden seien oder nicht.
Die Möglichkeit, einen Prüfantrag zu stellen, enthalte nicht die Verpflichtung, SSB-
Verordnungen insgesamt auf ihre Zulässigkeit hin zu überprüfen. Aus dem Nichtstellen
eines Prüfantrags könne in der Rechtsbeziehung zu ihr kein irgend gearteter
Vertrauenstatbestand begründet werden.
Die Beigeladene zu 9) weist darauf hin, dass es sich bei ihren Prüfanträgen für die
Quartale 3/1999, 1/2000 bis 2/2001 um keine Anträge auf Prüfung wegen unzulässiger
Anforderung von SSB, sondern um Anträge auf Prüfung der Wirtschaftlichkeit der
Verordnungstätigkeit der Klägerin nach Durchschnittswerten gehandelt habe. Auch
wenn es schon deshalb nicht mehr darauf ankomme, teile sie ergänzend mit, dass die
Anträge deshalb zurückgenommen worden seien, weil die Praxis der Klägerin zum
damaligen Zeitpunkt nicht mit anderen Praxen vergleichbar gewesen sei.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und
die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
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Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen; denn der angefochtene Bescheid des
Beklagten vom 31.01.2005 ist rechtmäßig; die Klägerin ist nicht i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Auf die zutreffenden Entscheidungsgründe im
erstinstanzlichen Urteil wird verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend führt der Senat
aus:
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Die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung und damit auch der Beklagte sind befugt,
Regresse wegen unzulässiger Verordnung von SSB festzusetzen. Das ergibt sich aus
Ziff. VI.1 der ab 01.07.2001 geltenden SSB-Vereinbarung (Rheinisches Ärzteblatt
9/2001, S. 73 ff) i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 4 der ab 01.01.2001 geltenden Prüfvereinbarung
(Rheinisches Ärzteblatt 6/2001, S. 109). Danach erfolgt die Prüfung der
Wirtschaftlichkeit und der Zulässigkeit von SSB-Anforderungen nach den
Bestimmungen der Gemeinsamen Prüfvereinbarung. Die Ermächtigungsgrundlage
hierfür findet sich in § 106 Abs. 2 Satz 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der
Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes, nach dem die Krankenkassenverbände
gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV´en) über die in
§ 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene
Prüfungsarten vorsehen können. Demgemäß ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass
den Prüfgremien die Zuständigkeit für Regresse wegen unzulässiger
Arzneimittelverordnung, auch im Wege des Sprechstundenbedarfs, durch
gesamtvertragliche Vereinbarung übertragen werden darf (Bundessozialgericht (BSG)
SozR 3-5533 Allg Nr. 2; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 52; BSG, Urteil vom 20.10.2004 -
B 6 KA 41/03 -). Nichts anderes gilt für die Verordnung solcher Gegenstände oder
Arzneimittel, für die zwar eine Leistungspflicht der Krankenkassen nach den
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Bestimmungen des SGB V besteht, die aber nicht zulässigerweise als SSB verordnet
werden können. Denn auch in diesem Fall soll die Prüfung die wirtschaftliche
Versorgung der Versicherten gewährleisten (BSG SozR 3-5533 Allg Nr. 2 m.w.N.). Das
wird in besonderem Maße deutlich bei der Verordnung von Arzneimitteln. Hier
gewährleistet die Wirtschaftlichkeitsprüfung zum einen, dass die für die
Einzelverordnung geltenden Wirtschaftlichkeitskriterien nicht durch eine Verordnung als
SSB unterlaufen werden. Bei über SSB verordnungsfähigen Mitteln, die ihrer Art nach
bei mehr als einem Berechtigten angewandt werden und die daher ohnehin einzelnen
Versicherten nicht zugeordnet werden können, kommt es nämlich in erster Linie auf eine
möglichst preiswerte Beschaffung großer Mengen an, wie sie im Rahmen der SSB-
Verordnung von Groß-, Anstalts- oder Bündelpackungen ermöglicht wird (vgl. Ziff. V.3
SSB-Vereinbarung). Demgegenüber hat bei Einzelverordnungen beispielsweise der
Apotheker auf die Abgabe wirtschaftlicher Einzelmengen zu achten (vgl. § 129 Abs. 1
Nr. 3 SGB V). Ebenso besteht bei Einzelverordnungen die Möglichkeit, Notwendigkeit
und Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Verordnung bezogen auf den einzelnen
Versicherten zu prüfen, während dies ausgeschlossen ist, wenn der Versicherte aus
SSB versorgt wird. Schließlich wird mit Hilfe der Prüfung auch sichergestellt, dass nicht
auf dem Weg über die SSB-Verordnung die nach § 31 Abs. 3 SGB V vorgesehenen
Zuzahlungen des einzelnen Versicherten unterlaufen werden, die sein Ausgaben- und
Preisbewusstsein stärken und daher ebenfalls dem Wirtschaftlichkeitsgebot dienen
sollen (vgl. BT-Drucks. 11/2237, S. 138 f.).
1. Bereits danach kommt es auf den Einwand der Klägerin, ihre Verordnungsweise sei
wirtschaftlicher, nicht an.
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2. Die Prüfanträge sind rechtzeitig gestellt.
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Nach § 15 Abs. 1 Nr. 4 Prüfvereinbarung prüft der Prüfungsausschuss auf Antrag der
Krankenkassen, ihrer Verbände, der von ihnen benannten Stellen oder der KV
Nordrhein u.a., ob der Vertragsarzt entgegen den vertraglichen Regelungen unzulässige
Anforderungen von SSB vorgenommen hat. Der Antrag muss innerhalb einer Frist von
12 Monaten nach Abschluss des Quartals gestellt werden, in dem der vom Antrag
erfasste Sachverhalt angefallen ist (§ 15 Abs. 2 Prüfvereinbarung).
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Der unter dem 31.07.2003 datierende Prüfantrag der Beigeladenen zu 9) für das Quartal
1/2002 ist damit verfristet, da er nach § 15 Abs. 2 Prüfvereinbarung bis zum 31.03.2003
gestellt hätte werden müssen. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem auf dem
Antrag befindlichen Eingangsstempel des Prüfungsausschusses (26.03.2003); denn
dieser ist offensichtlich unrichtig. Dies wird nicht nur durch das Datum des Schreibens
sondern auch den Umstand belegt, dass der Antrag unter dem 08.08.2003 an die
Klägerin versandt wurde.
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Allerdings hat die Beigeladene zu 9) bereits zuvor (am 26.03.2003 beim
Prüfungsausschuss eingegangenes Schreiben vom 06.03.2003) die Prüfung der
Verordnungsweise der Klägerin im Quartal 1/2002 mit der Begründung einer
unzulässigen Verordnung von Mono Embolex beantragt. Dahinstehen kann, ob eine
Korrektur dieser Antragsbegründung wegen u.a. aufgrund der vorangegangen
Prüfanträge vom 16.07.2002 und 31.10.2002 offensichtlicher Unrichtigkeit bzw.
Unvollständigkeit - z.B. in analoger Anwendung des § 38 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch - möglich ist. Denn eine solche Berichtigung ist nicht erforderlich.
Dem Antrag vom 06.03.2003 war nämlich auch die Ablichtung einer Verordnung von
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neuzeitlichen Fingerschienen über 414,22 Euro beigefügt. Im Zusammenhang mit den
vorangegangenen Prüfanträgen stellt dies bereits eine Antragstellung durch schlüssiges
Verhalten dar (vgl. BSG, Urteil vom 21.06.1995 - 6 RKa 54/94 - in SozR 3-2500 § 106
Nr. 28). Diese Wertung wird durch das Verständnis der Klägerin bestätigt; sie hat
nämlich das Schreiben der Beigeladenen zu 9) vom 06.03.2003 selbst als auf
Überprüfung ihrer Verordnung von Fingerschienen gerichteten Antrag verstanden. Dies
folgt aus ihrer Stellungnahme vom 22.07.2003 zu dem Antrag vom 06.03.2003, in der sie
sich ausdrücklich gegen einen Regress wegen unzulässig verordneter neuzeitlicher
Fingerschienen wendet.
3. Die Klägerin hat durch Verordnung der streitigen neuzeitlichen Fingerschienen (über
SSB) in unzulässiger Weise SSB angefordert.
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Dahingestellt bleiben kann, ob für die Auslegung der SSB-Vereinbarung die
einschränkenden Maßstäbe gelten, die die Rechtsprechung für die Auslegung von
Bewertungs- und Vergütungsregelungen entwickelt hat (so für den Einheitlichen
Bewertungsmaßstab BSG SozR 3-5533 Nr. 100 Nr. 1; BSG SozR 3-5533 Nr. 75 Nr. 1;
BSG SozR 3-5533 Nr. 2449 Nr. 1 m.w.N.), oder ob die allgemeinen
Auslegungsgrundsätze für Normenverträge eingreifen (so z.B. für die Auslegung der
Onkologie-Vereinbarung BSG, USK 99108). Denn in jedem Fall ergibt sich, dass die
Parteien der SSB-Vereinbarung einen - ggf. mit der wegen der Formulierung in Ziff. IV.7
"insbesondere" bei Notfällen und Sofortanwendung möglichen Ausnahme -
abschließenden Katalog der verordnungsfähigen Mittel aufgestellt haben, der mangels
einer Regelungslücke einer erweiternden Auslegung unter teleologischen
Gesichtspunkten oder gar einer Rechtsfortbildung nicht zugänglich ist.
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Ziff. III.1 SSB-Vereinbarung schränkt die Verordnungsfähigkeit von Mitteln als SSB in
mehrfacher Weise ein. Zunächst muss es sich um Mittel handeln, die ihrer Art nach bei
mehr als einem Berechtigten angewendet werden, oder die zur Notfall- oder
Sofortbehandlung im Rahmen der vertragsärztlichen Behandlung erforderlich sind (Ziff.
III.1 Satz 1 SSB-Vereinbarung). Zur länger andauernden Therapie ist nur die
Einzelverordnung auf den Namen des Patienten zulässig (Ziff. III.1 Satz 2 SSB-
Vereinbarung). Bei der Anforderung von SSB sind nur die unter Ziff. IV. dieser
Vereinbarung aufgeführten Mittel verordnungsfähig (Ziff. III.1 Satz 3 SSB-Vereinbarung).
Ein ersatzweiser Bezug anderer Mittel oder Artikel ist nicht zulässig (Ziff. III.1 Satz 4
SSB-Vereinbarung). Diese Regelungen sind abschließend; sie entsprechen ihrer
Struktur nach der in Ziff. V.3 der Anlage 12 zum Bundesmantelvertrag Zahnärzte-
/Ersatzkassen, die von der Rechtsprechung ebenfalls als abschließend angesehen
worden ist (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 29). Hier wie dort haben sich die
Vertragsparteien für eine Kombination von Positivliste und einschränkenden
Indikationen entschieden. Der Unterschied besteht allein darin, dass in der hier
anwendbaren SSB-Vereinbarung die einschränkenden Indikationen, wie z.B. durch Ziff.
III.1 Satz 1 sowie Ziff. III.4 bis 6 geschehen, zum Teil im Sinn allgemeiner Regelungen
vor die "Klammer" der in Ziff. IV enthaltenen Aufstellung der als SSB zulässigen Mittel
gezogen worden sind (Urteile des Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen
(NRW) vom 30.07.2003 - L 11 KA 116/01 und L 11 KA 149/01 -).
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In der Liste Ziff. IV.1 - 6 SBB-Vereinbarung sind "neuzeitliche Fingerschienen" nicht
aufgeführt. Sie können auch nicht unter die in Ziff. IV.1 SSB-Vereinbarung genannten
Cramerschienen subsumiert werden. Die Vereinbarungen zwischen KV´en und
Verbänden der Krankenkassen sind allein einer am Wortlaut und dem systematischen
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Zusammenhang orientierten Auslegung zugänglich (vgl. zum Gebührenordnungsrecht
BSG, Urteil vom 13.05.1998 - B 6 Ka 34/97 R - m.w.N.; zur vorliegenden SSB-
Vereinbarung LSG NRW, Urteil vom 25.11.1998 - L 11 KA 69/98 -). Davon ausgehend
ist die Bezeichnung "Cramerschienen" eindeutig. Es sind bezugslos nicht irgendwelche
Schienen, sondern Schienen genannt, die von dem Chirurgen Friedrich Cramer
entwickelt und nach ihm benannt worden sind. Es handelt sich dabei um eine biegsame,
leicht abzuwinkelnde aus Draht hergestellte Leiterschiene für die
Knochenbruchbehandlung (vgl. "Geschichte der Orthopädie in Wiesbaden" von Prof. J.
Eichler und Prof. J. Pfeil, www.joho.de/fachabteilungen/orthopae-dische/historie.htm
und www.dr-koch.de/de/system/praxiszubehoer-klinikzubehoer/cramer-schiene.php). Mit
diesen Cramerschienen haben andere Schienen ggf. gemeinsam, dass sie ebenfalls
Gelenke stabilisieren oder fixieren können; es handelt sich aber begrifflich nicht um
Cramerschienen, sondern um Fixbandschienen oder Finger- und Handschienen (wie
z.B. die Stack- Schienen bzw. Stack-Fingerschienen) oder die Fingerschiene nach
Kienle (und nicht nach Cramer) oder die Böhler-Fingerschiene (und nicht die Cramer-
Schiene) oder eine Froschfingerschiene (und eben nicht die Cramer-Fingerschiene).
Dementsprechend nimmt auch der von der Klägerin herangezogene Hersteller der
Cramerschienen eine klare Aufteilung in Cramerschienen, Fixbandschienen sowie
Hand- und Fingerschienen vor (www.dr-koch-webshop.de/index.php/cat/c53 Cramer-
schienen.html).
4. Das BSG hat wiederholt ausgeführt, dass sachlich-rechnerische Richtigstellungen
aus Vertrauensschutzgründen nicht erfolgen dürfen, wenn die KV über einen längeren
Zeitraum eine systematisch fachfremde oder eine ohne ausreichende fachliche
Qualifikation ausgeübte Tätigkeit wissentlich geduldet und der Vertragsarzt im
Vertrauen auf die weitere Vergütung solcher Leistungen weiterhin entsprechende
Leistungen erbracht hat (BSG SozR 3-2500 § 95 Nr. 9 und BSGE 84, 290 = SozR 3-
2500 § 95 Nr. 21; BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 6). Es hat dafür eine längere
Verwaltungspraxis gefordert, die über eine Zeit von wenigen Monaten hinausgehen
muss (BSGE 84, 290 = SozR 3-2500 § 95 Nr. 21). Diese Grundsätze sind auf einen
SSB-Regress zu übertragen. Die Voraussetzungen für einen Vertrauensschutz sind
aber nicht erfüllt:
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Vertrauen auf die Richtigkeit eines Verwaltungshandelns schützt den Vertragsarzt nur
gegenüber demjenigen, der den Vertrauenstatbestand gesetzt hat (z.B. BSG, Urteil vom
12.12.2001 - B 6 KA 3/01 R -). Dementsprechend kann sich die Klägerin gegenüber
dem Beklagten nicht auf Vertrauensschutz berufen, da dieser bisher überhaupt nicht mit
der Materie befasst war. Weder das Unterlassen von - früheren - Prüfanträgen noch
Entscheidungen des Prüfungsausschusses können dem Beklagten entgegengehalten
werden. Denn auf diese nicht in seinem Verantwortungsbereich liegenden
Entscheidungen hat er keinen Einfluss (LSG NRW, Urteil vom 30.07.2003 - L 11 KA
116/01 -).
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Ungeachtet dessen ist ein Vertrauenstatbestand ohnehin nicht gegeben. Abgestellt
werden kann ausschließlich auf den Zeitpunkt der Verordnung (Juli 2001 bis März
2002). Bezogen hierauf müsste ein Sachverhalt bestanden haben, aufgrund dessen die
Klägerin darauf hätte vertrauen können, dass ihre Verordnungen rechtmäßig sind.
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Davon ausgehend ist ihr Vorbringen, a.im Mai 2003 sei ihr von der Beigeladenen zu 9)
bzw. dem Prüfungsausschuss zugesichert worden, neuzeitliche Fingerschienen seien
als SSB verordnungsfähig, b.im Juni 2003 habe die Beigeladene zu 9) - im Übrigen
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nicht auf Prüfung der Verordnungsfähigkeit als SSB (§ 15 Abs. 1 Nr. 4
Prüfvereinbarung), sondern auf Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungstätigkeit
nach Durchschnittswerten (§ 13 Prüfvereinbarung) gerichtete - Prüfanträge
zurückgenommen, c.sie habe sich am 08.10.2002 durch Anfrage bei der Beigeladenen
zu 8) erfolglos um Klärung bemüht, d.Antragsteller, Beigeladene zu 9), KV und
Prüfungsausschuss hätten divergierende Auffassungen zur Verordnungsfähigkeit von
Fingerschienen gehabt, rechtlich nicht erheblich.
All dies ist, wenn überhaupt, erst nach der hier streitigen Verordnung von Relevanz. Im
Übrigen begründen unterschiedliche Auffassungen zu einer Rechtsfrage gerade kein
Vertrauen dergestalt, dass die Auffassung, der man selber zuneigt, richtig ist.
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Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, seit dem 01.07.1995 (seitdem gibt es
eine SSB-Vereinbarung und sind Cramerschienen in Ziff. IV.1 SSB-Vereinbarung
aufgeführt) sei ihre Verordnung von Fingerschienen als SSB nicht beanstandet worden.
Vertrauensschutz setzt einen gegenüber dem betroffenen Arzt gesetzten besonderen
Vertrauenstatbestand voraus (LSG NRW, Urteil vom 14.11.2007 - L 11 KA 36/07 - unter
Hinweis auf Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, § 106 Rdn. 356). Hinsichtlich der
rückwirkenden Korrektur von Honorarbescheiden hat das BSG in der bloßen Duldung
einer objektiv fehlerhaften Abrechnungspraxis durch eine Kassen(zahn)ärztliche
Vereinigung keinen Vertrauenstatbestand gesehen (BSG SozR 4-2500 § 106a Nr. 1; s.
auch SozR 4-2500 § 95 Nr. 8). Übertragen bedeutet dies: Selbst wenn also in der
Vergangenheit entsprechende - nicht rechtmäßige - Verordnungen von Fingerschienen
unbeanstandet geblieben sind, wäre dies nach diesen Maßstäben unbeachtlich (LSG
NRW, Urteil vom 14.11.2007, a.a.O.). Erst wenn eine konkrete Prüfung einer bestimmten
Verordnung mit dem Ergebnis erfolgt ist, dass eine Verordnungsfähigkeit besteht,
könnte ggf. dadurch für folgende Verordnungen ein Vertrauenstatbestand mit der Folge
begründet worden sein, dass vor Regressen ein Hinweis auf eine geänderte Rechtslage
bzw. -auffassung zu fordern ist. Dies ist hier aber nicht der Fall. In dem von der Klägerin
vorgelegten Prüfungsantrag der Beigeladenen zu 9) vom 25.08.1998 waren Folioplast
und Zellstoff beanstandet worden. Dass zufälligerweise auf den zugrunde liegenden
Verordnungen auch Fingerschienen aufgeführt waren, besagt weder, dass diese
Prüfgegenstand waren, noch, dass damit wissentlich eine Verordnungsfähigkeit
anerkannt worden ist.
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Auch eine unklare Rechtslage kann nicht zum Vertrauensschutz führen. Eine unklare
Rechtslage ist von vornherein nicht geeignet, Gewissheit von der Rechtmäßigkeit eines
bestimmten Handelns zu vermitteln. Allenfalls kann derjenige, der sich auf eine
Rechtsposition beruft, darauf hoffen, dass sich die von ihm vertretene Ansicht als die
zutreffende erweisen wird. Im Übrigen hat aber der Betreffende ebenso in Erwägung zu
ziehen, dass sich die andere Ansicht durchsetzt, sich mithin sein Handeln (Verordnen)
als unzulässig erweist. Die Argumentation, es könne nicht zu Lasten des Arztes gehen,
wenn die Rechtslage in Folge eines Meinungsstreits unklar sei (so SG Potsdam, Urteil
vom 18.07.2007 - S 1 KA 101/06 -) bedeutet im Ergebnis, dass ein
Verschuldenserfordernis hinsichtlich der Verordnung eingeführt wird. Denn insoweit
wird die Zulässigkeit/ Unzulässigkeit der Verordnung von einer subjektiven
"Erkennbarkeit" abhängig gemacht. Das entspricht weder der Rechtsprechung des BSG
noch der des Senats. Zutreffend weist das SG Berlin (Urteil vom 20.06.2007 - S 83 KA
383/06 -) demgegenüber darauf hin, dass sich die ungeklärte Rechtslage im Zeitpunkt
der Verordnung zu Lasten des Arztes auswirken muss. Wenn sich die Klägerin dafür
entschieden hat, die Verordnungen zu Lasten der Beigeladenen zu 9) als SSB (Ziff. I
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Abs. 1 SSB-Vereinbarung) vorzunehmen, so hat sie dafür einzustehen und kann sich
nicht darauf berufen, sie habe darauf "vertraut", ihre Rechtsansicht sei zutreffend (LSG
NRW, Urteil vom 14.11.2007, a.a.O., bestätigt durch BSG, Urteil vom 05.11.2008 - B 6
KA 63/07 R -).
5. Der Beklagte musste die Klägerin vor einem Regress weder beraten noch musste er
Ermessenserwägungen hinsichtlich der Festsetzung der Regresse anstellen. § 15 Abs.
4 der Prüfvereinbarung sieht vor, dass immer dann, wenn der Prüfungsausschuss einen
Prüfantragantrag für begründet erachtet, er den vom Arzt zu leistenden Regressbetrag
festzusetzen hat (vgl. BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 1; SozR 3-2500 § 106 Nr. 53;
Beschluss vom 30.05.2006 - B 6 KA 14/06 B -). Bei Einzelprüfungen, die die
Verordnungsfähigkeit einzelner Mittel zum Gegenstand haben, kommt bei Feststellung
einer "Unwirtschaftlichkeit" im Regelfall nur die Verhängung eines Regresses in
Betracht (LSG NRW, Urteil vom 14.11.2007, a.a.O.). Auch das BSG geht in seinem
Urteil vom 27.06.2007 - B 6 KA 44/06 R - offenbar selbstverständlich davon aus, dass
die Verhängung von Verordnungsregressen keine Ermessensentscheidung erfordert;
denn es hat in dem genannten Urteil die Verhängung eines Regresses wegen der
unwirtschaftlichen Verordnung eines Arzneimittels gebilligt, ohne die Frage der
Ermessensausübung aufzuwerfen.
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6. Die unzulässige Verordnung von SSB führt zum Entstehen eines
verschuldensunabhängigen Regressanspruchs (LSG NRW, Urteil vom 30.07.2003 - L
11 KA 116/01 -, BSG, Urteil vom 20.10.2004 - B 6 KA 65/03 R -). Der Regress wegen
unzulässiger SSB-Verordnung ist ein Unterfall des Verordnungsregresses. Er richtet
sich auf den Betrag, den die Krankenkasse an die Apotheke für Arzneien / Mittel gezahlt
hat, welche dem verordnenden Vertragsarzt aufgrund der SSB-Verordnung
ausgehändigt wurden und werden durften. Demgegenüber ist der typische
Schadensregress außerhalb des Verordnungsverhaltens dadurch gekennzeichnet, dass
das Verhalten des Arztes Folgekosten der Kassen ähnlich einem "Mangelfolgeschaden"
nach bürgerlichem Recht ausgelöst hat (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 52). Um einen
solchen "Mangelfolgeschaden" geht es im vorliegenden Fall jedoch nicht (LSG NRW,
Urteil vom 30.07.2003 - L 11 KA 116/01 -). 7. Der auf das Fehlen der
Verordnungsfähigkeit eines Medikaments / Mittels gestützte SSB-Regress ist seiner
Rechtsnatur nach ein Schadensersatz- und kein Bereicherungsanspruch (BSG, Urteil
vom 20.10.2004 - B 6 KA 41/03 R -). Insoweit kommt auf der Grundlage des normativen
Schadensbegriffs eine Berücksichtigung ggf. ersparter Aufwendungen als
schadensmindernde Vorteile nicht in Betracht. Eine solche Anrechnung entspräche
nicht dem Zweck des Schadensersatzes; denn anderenfalls wären die Zielsetzungen
der SSB-Vereinbarung gefährdet (LSG NRW, Urteil vom 30.07.2003 - L 11 KA 44/05 -).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2
Verwaltungsgerichtsordnung.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2
SGG).
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