Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14.01.2003

LSG NRW: umschulung, arbeitsmarkt, unternehmer, arbeitsunfähigkeit, rehabilitation, erwerbsfähigkeit, erfüllung, erlass, arbeitsfähigkeit, qualifikation

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss vom 14.01.2003 (rechtskräftig)
Sozialgericht Gelsenkirchen S 10 U 149/02 ER
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 2 B 9/02 U ER
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 16. August 2002
wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der 19 ... geborene Antragsteller hat keinen Beruf erlernt und war während seines bisherigen Berufslebens im
Wesentlichen als Schlosserhelfer oder Bauhelfer bei Zeitarbeitsunternehmen beschäftigt.
Am 15.07.2001 erlitt er einen Arbeitsunfall mit Teilamputationen im Bereich des II. bis V. Fingers links. Wegen der
Unfallfolgen erhält er von der Beklagten bis heute laufend Verletztengeld.
Die Antragsgegnerin finanzierte ihm Ende 2001 den Erwerb der Fahrerlaubnis Klasse B (früher: Klasse 3). Bei den
regelmäßigen Gesprächen zwischen den Beteiligten äußerte der Antragsteller den Wunsch, zum Berufskraftfahrer
oder zum selbstständigen Unternehmer mit Tätigkeitsbereich "Haushaltsauf lösung, Entrümpelungen, Umzüge"
umgeschult zu werden. Die Antragsgegnerin hielt diese Umschulungswünsche bislang für unangemessen, weil der
Antrag steller auf andere Helfertätigkeiten verwiesen werden könne. Im April 2002 teilte sie ihm mit, dass eine
abschließende Entscheidung, ob und ggf. welche Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben notwendig seien, noch
nicht getroffen werden könne, weil zunächst der Abschluss der medizinischen Behandlungsmaßnahmen abzuwarten
sei (Schreiben vom 24.04.2002). Im Folgenden nahm sie Kontakt zu mehreren Arbeitgebern auf, die sich bereit
erklärten, den Antragsteller als Qualitätsprüfer oder als Sicherungsposten einzustellen. Eine solche Tätigkeit hielt der
beratende Arzt Dr. S ... für zumutbar (Arbeitsmedizinische Stellungnahme vom 21.08.2002). Wegen der
fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit kam es indes noch nicht zur Aufnahme einer konkreten Tätigkeit.
Der Antragsteller meinte, er sei wegen der Verletzungsfolgen nicht in der Lage, derartige Tätigkeiten zu versehen,
weshalb er weiterhin die Umschulung zum selbstständigen Unternehmer oder zum Berufskraftfahrer wünsche.
Nachdem die Antragsgegnerin zunächst die Gewährung von Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben abgelehnt
hatte, da der Antragsteller auf andere zur Verfügung stehende Tätigkeiten verweisen werden könne (Bescheid vom
18.09.2002), hat sie diese Entscheidung wegen Fortbestehens von Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit
später aufgehoben und gemeint, eine abschließende Entscheidung über Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben sei
noch nicht möglich (Bescheid vom 24.10.2002).
Bereits im Juni 2002 hat der Antragsteller beim Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen einstweiligen Rechtsschutz begehrt:
Es sei bisher keinerlei Berufshilfe im Ernst angedacht worden sei, weil der Antragsteller immer nur auf
Helfertätigkeiten verwiesen werde, wie er sie vor dem Unfall ausgeübt habe.
Er hat beantragt,
die Beklagte im Wege der Einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Grunde nach umgehende
Berufshilfemaßnahmen zu gewähren, um die offenkundigen Wettbewerbsnachteile abzumildern.
Die Antragsgegnerin hat gemeint, vor Abschluss der vorrangigen medizinschen Rehabilitationsmaßnahmen könne
nicht sinnvoll über Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben entschieden werden. Erst danach stehe fest, welche
Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben notwendig seien und ob eine Verweisbarkeit auf andere Helfertätigkeiten in
Betracht komme. Wahrscheinlich könne sie dem Antragsteller dann zwei konkrete Arbeitsstellen anbieten.
Das SG hat den Antrag abgelehnt (Beschluss vom 16.08.2002).
Mit seiner Beschwerde führt der Antragsteller ergänzend aus, der Antrag sei wegen der Untätigkeit der Beklagten
gestellt worden. Der Verlust von vier Fingern löse einen unmittelbaren Anspruch auf qualifizierte Berufshilfe aus.
Er beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 16. August 2002 - S 10 U 149/02 ER - wird
auf den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung erkannt, d.h. zu umgehender Berufshilfeleistung dem Grunde
nach und deren Einleitung, um seine offenkundigen Wettbewerbsnachteile infolge des Verlustes von vier Fingern einer
Hand abzumildern.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, sie prüfe laufend, ob dem Antragsteller Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren
seien. Eine abschließende Entscheidung sei derzeit aber weder möglich noch rechtlich zulässig, weil wegen der
fortdauernden medizinischen Behandlung und Rehabilitation noch nicht fest stehe, welche konkreten Tätigkeiten er
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ausüben könne.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der
Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Es bestehen bereits Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags, weil zweifelhaft ist, ob der Kläger für sein
Rechtsschutzbegehren die statthafte Rechtsschutzform gewählt hat. Ob diese Bedenken durchgreifen, kann jedoch
dahinstehen. Denn der Antrag ist jedenfalls unbegründet.
Die Voraussetzungen einer in Betracht zu ziehenden Regelungsanordnung liegen nicht vor, weil eine Einstweilige
Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis nicht zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheint, § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Entgegen der Auffassung des Antragstellers zieht die Antragsgegnerin den geltend gemachten Anspruch nicht in
Zweifel, mit allen geeigneten Mitteln möglichst frühzeitig dem Antragsteller einen seinen Neigungen und Fähigkeiten
entsprechenden Platz im Arbeitsleben zu sichern, nicht in Zweifel, vgl. § 26 Abs. 2 Nr.2 Siebtes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB VII). Vielmehr hat sie zur Erfüllung dieses Anspruchs den beruflichen Werdegang und die
Qualifikation des Antragstellers abgeklärt und durch Kontakte mit ihm und Arbeitgebern sowie ärztliche Prüfung der
Einsetzbarkeit (Dr. S ..., 21.08.2002) schon frühzeitig sicher zu stellen versucht, ihm bei Wiedereintritt der
Arbeitsfähigkeit ein den Anforderungen des § 26 Abs. 2 Nr.2 SGB VII genügendes Arbeitsplatzangebot zu unterbreiten
und ihn in die Lage zu versetzen, dieses anzunehmen.
Im Rahmen der im Verfahren zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung ist
deshalb nicht ersichtlich, dass bereits vor Abschluss der medizinischen Heilbehandlungs- und
Rehabilitationsmaßnahmen ein weitergehender Anspruch im Sinne der §§ 26 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2,
Abs. 5, 35 Abs. 1 SGB VII, 33 Absätze 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), z.B. auf die vom Kläger
gewünschte qualifizierende Umschulung, besteht. Zu Recht weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass vor einer
förmlichen Entscheidung über geeignete Maßnahmen zur Teil habe am Arbeitsleben der Abschluss der medizinischen
Maßnahmen abgewartet werden muss, um zu beurteilen, in welchem Umfang die Erwerbsfähigkeit des Antragstellers
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt dauerhaft eingeschränkt ist. Aus diesem Grunde ist die Anordnung einer
vorläufigen Regelung vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens derzeit nicht geboten.
Auch die von dem Antragsteller behauptete Eilbedürftigkeit aus wirtschaftlichen Gründen besteht schon deshalb nicht,
weil er durch das derzeit als Lohnersatzleistung gewährte Verletztengeld wirtschaftlich hinreichend abgesichert ist.
Schon deshalb ist ihm zumutbar, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG
(vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 7. Aufl. 2002, § 86b Rdnr.47).