Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 02.06.2014

LSG Niedersachsen: psychologisches gutachten, unfallfolgen, psychiatrisches gutachten, contusio cerebri, akte, zustand, befund, bedingung, unfallversicherung, erwerbsfähigkeit

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Unfallversicherung
SG Lüneburg 2. Kammer, Gerichtsbescheid vom 02.06.2014, S 2 U 35/11
Tenor
1.) Der Bescheid der Beklagten vom 03.07.2009 und der
Widerspruchsbescheid vom 24.02.2011 werden aufgehoben.
2.) Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger aufgrund des Unfalls vom
4.07.1984 entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen ab dem 01.08.2008
eine Rente nach einer MdE i. H. v. 60 % zu gewähren.
3.) Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die notwendigen
außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer höheren Rente.
Der im Jahr 1959 geborene Kläger erlitt am
24.07.1984
beruflich veranlassten Fahrt mit dem Motorrad einen schweren
Unfall
auf einen Pkw prallte. Danach wurde er mit dem Rettungshubschrauber in das
Allgemeinen Krankenhaus (= AKH) A. eingeliefert. Nach dem
Durchgangsarztbericht von D., ebenda, vom 27.07.1984 zog er sich dabei "ein
Schädel-Hirn-Trauma (= SHT) und beidseitige Knieverletzungen“ zu (Bl. 2 der
Akte des Beklagten <= UA>). Im weiteren Verlauf des stationären Aufenthalts
kam es zur Ausbildung einer Atelektase der rechten Lunge. Im Bericht vom
13.12.1084 wurden sodann als Diagnosen „ein SHT mit contusioneller
Hirnschädigung, eine Ruptur der Kreuzbänder und des Außenbandes rechts,
ein Hämatopyothorax rechts nach Pneumothorax und Atelektase“ angegeben
(Bl. 54 UA).
Mit dem
Bescheid vom 27.08 1987
Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (= MdE) i. H. v. 50 %.
Als Unfallfolgen wurden anerkannt:
- Belastungsinsuffizienz des rechten Beines mit
Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenks,
- Muskelminderung des rechten Beines mit Kalksalzgehaltsminderung
des rechten Knieskelettes,
- Instabilität des rechten Kniegelenks mit Reizerscheinungen und
liegenden Schrauben im Knieskelett,
- Zustand nach contusioneller Hirnschädigung.
Dabei stützte sich die Beklagte auf ein neurologisches
Zusammenhangsgutachten der E. und F. vom 02.02.1987 (Einzel-MdE: 40 %,
Bl. 262 ff. UA), ein unfallchirurgisches Zusammenhangsgutachten der G., H.
und I. vom 22.07.1986 (Einzel-MdE: 20 %, Bl. 234 ff. UA) und deren
Stellungnahme zur Gesamt-MdE vom 18.02.1987 (Bl. 279 UA).
Mit dem
Bescheid vom 04.01.1990
01.03.1990 zunächst nur noch nach einer MdE i. H. v. 40 % gezahlt. Zur
Begründung wurde ausgeführt, dass sich der psychische Zustand stabilisiert
habe (Bl. 586 UA). Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit dem
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Widerspruchsbescheid vom 26.01.1990
darauf folgenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (= SG) Lüneburg (S 2
U 30/90) hob die Beklagte den Bescheid vom 04.01.1990 und den
Widerspruchsbescheid vom 26.01.1990 auf und gewährte weiter eine Rente
nach einer MdE i. H. v. 50 % (Bl. 685 UA). Die medizinische Grundlage hierfür
war das nervenärztliche Gutachten von J. vom 17.10.1990. Darin wies er
insbesondere darauf hin, dass im Gutachten der E. und F. vom 02.02.1987
zwar bestimmte psychische Auffälligkeiten genannt worden seien, jedoch
keine validen Testergebnisse vorliegen würden, die zu den jetzt erhobenen
Befunden quantitativ in Beziehung gesetzt werden könnten. Daher könne eine
Besserung nicht nachgewiesen werden.
Die Verschlimmerungsanträge vom 21.08.1991 (Bl. 739 UA), vom 28.11.1994
(Bl. 912 UA) und vom 06.01.1999 (Bl. 992 UA) hatten keinen Erfolg (Bescheid
vom 24.02.1993 und Widerspruchsbescheid vom27.04.1993
UA>; Bescheid vom 18.04.1995; Bescheid vom 25.03.1999,
Widerspruchsbescheid vom 27.09.1999, Klagerücknahme im Verfahren vor
dem SG Lüneburg S 2 U 173/99 ).
Am 13.10.2008 machten die Prozessbevollmächtigten des Klägers erneut eine
wesentliche Verschlimmerung der Unfallfolgen geltend und stützten sich
hierbei auf den Bericht des behandelnden Neurologen und Psychiaters, K.,
vom 08.09.2008 (Bl. 1154 ff. UA). Mit dem
Bescheid vom 03.07.2009
die Beklagte die Erhöhung der Rente ab (Bl. 1218 UA). Dabei stützte sich die
Beklagte auf ein unfallchirurgisches Gutachten der L., M. und N. vom
12.01.2009 (Bl. 1176 ff. UA) und ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten
der O. und P. vom 24.03.2009 (Bl. 1094 ff. UA). Aufgrund des hiergegen
erhobenen Widerspruchs haben die Q. und R. unter dem 16.06.2010 ein
neuro-psychologisches Gutachten erstattet. Darin gelangten Sie zu dem
Ergebnis, dass
- eine verringerte psychophysische Belastbarkeit,
- Vigilanzstörungen,
- leichtgradige Störungen der Fähigkeit zur Aufmerksamkeitsteilung,
- mäßiggradige verbalmnestische Defizite sowie
- Versagensängste, Zukunftssorgen und eine verstärkte Irritabilität
Folgen des angeschuldigten Ereignisses seien (Bl. 1288 UA). In der
Stellungnahme vom 12.08.2010 vertraten die O. und P. die Ansicht, dass sich
hierdurch die MdE nicht geändert habe (Bl. 1293 UA). Der Widerspruch wurde
durch den
Widerspruchsbescheid vom 24.02.2011
1315 UA).
Hiergegen hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers am 17.03.2011 beim
SG Lüneburg Klage erhoben (S 2 U 35/11) und sich hierbei auf einen Bericht
der behandelnden Psychiaterin S. vom 12.07.2011 gestützt (Bl. 15 SG-Akte).
Unter dem 10.02.2012 hat J. ein weiteres nervenärztliches Gutachten erstattet.
Darin ist er zu dem Ergebnis gelangt, dass eine wesentliche Verschlimmerung
im Unfallfolgenzustand - insbesondere im Hinblick auf den hirnorganischen
Befund - nicht eingetreten sei. Zwar sei nunmehr eine chronische depressive
Verstimmung hinzugetreten, welche den psychischen Befund insgesamt
verschlechtern würde. Diese könnten jedoch nicht mit dem ausreichenden
Grad an Wahrscheinlichkeit dem streitgegenständlichen Unfall zugeordnet
werden. Unter dem 02.08.2012 hat daraufhin T. ein neuro-psychologisches
Gutachten gem. § 109 SGG erstattet. Darin ist sie zu dem Ergebnis gelangt,
dass zu den hirnorganischen Störungen, die insgesamt mit einer MdE i. H. v.
50 % einzuschätzen seien, eine unfallbedingte Anpassungsstörung i. S. einer
reaktiven Depression mit einer MdE i. H. v. 20 % getreten sei. Auf
neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet sei somit von einer Einzel-MdE i. H.
v. 60 % und insgesamt von einer MdE i. H. v. 70 % auszugehen (Bl. 106 ff. SG-
Akte). Demgegenüber hat U. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom
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19.09.2012 die Ansicht vertreten, dass eine Verschlimmerung der Unfallfolgen
nicht nachgewiesen werden könne (Bl. 126 ff. SG-Akte). In der ergänzenden
Stellungnahme vom 02.11.2012 hat T. an ihrem Votum festgehalten, jedoch
eingeräumt, dass die von ihr verwendete Diagnose „Anpassungsstörung“
unzutreffend sei. Vielmehr würde beim Kläger eine „mittelgradige depressive
Episode“ bestehen. Sie habe jedoch durch ihr Gutachten nachgewiesen, dass
der Kläger tatsächlich schlechtere Leistungen erbringen würde. Aufgrund der
damit verbundenen Überforderung seien emotionale Probleme und eine
chronische Depression hinzugekommen, die eine Neubewertung der MdE
rechtfertigen würden (Bl. 131 ff., 134 SG-Akte). V. hat sich in der
beratungsärztlichen Stellungnahme vom 22.11.2012 wiederum dem Gutachten
von J. angeschlossen (Bl. 137 ff. SG-Akte).
Unter dem 18.10.2013 hat W. im Auftrag der Beklagten ein lungenfachärztlich-
internistisches Gutachten erstattet. Darin ist er zu dem Ergebnis gelangt, dass
auf diesem Fachgebiet kein krankhafter Befund zu erheben gewesen und
somit eine Verschlechterung nicht nachzuweisen sei (Bl. 102 ff. SG-Akte).
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,
1. den Bescheid der Beklagten vom 03.07.2009 und den
Widerspruchsbescheid vom 24.02.2011 aufzuheben,
2. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger eine Rente nach einer MdE
i. H. v. mindestens 60 % zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Entscheidung wurden die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten
zugrunde gelegt. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind
rechtswidrig und waren aufzuheben, da dem Kläger ab dem 01.08.2008 Rente
nach einer MdE i. H. v. 60 % zusteht.
Aus den §§ 212, 214 Abs. 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (= SGB VII) ergibt
sich, dass auf den vorliegenden Rechtsstreit hinsichtlich der Rentenhöhe noch
die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (= RVO) anzuwenden sind.
Die Vorschriften des SGB VII gelten im Hinblick auf Rentenleistungen nur
dann, wenn die Leistungen für Versicherungsfälle vor dem 01.01.1997
erstmals nach diesem Zeitpunkt festzustellen sind. Dies ist hier jedoch nicht
der Fall. Anwendbar ist im vorliegenden Fall allerdings § 73 SGB VII (§ 214
Abs. 3 S. 3 SGB VII).
Gem. § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO erhält ein Verletzter, dessen Erwerbsfähigkeit
zwar nicht vollständig, aber mindestens zu einem Fünftel gemindert ist, den
Teil der Vollrente, der dem Grad seiner MdE entspricht. Bei der Frage einer
Verschlimmerung von Unfallfolgen ist zusätzlich die Vorschrift des § 48 Abs. 1
Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (= SGB X) zu beachten. Danach ist ein
Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben,
soweit in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen
haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine Verschlimmerung des
Unfallfolgenzustandes war und ist allerdings nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (= BSG) nur dann eine wesentliche
Änderung i. S. der obigen Vorschrift, wenn sich hierdurch der Grad der MdE
um mehr als 5 % verändert (§ 73 Abs. 3 SGB VII). Entscheidend für die
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Feststellung, ob eine wesentliche Änderung i. S. des § 48 Abs. 1 SGB X
vorliegt, ist ein Vergleich zwischen den objektiven Verhältnissen, d. h. den
objektiven Befunden im Zeitpunkt des Erlasses der bindend gewordenen
letzten bescheidsmäßigen Feststellung der Leistung und dem Zustand im
Zeitpunkt der Neufeststellung (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Kommentar zu
gesetzlichen Unfallversicherung, § 48 SGB X, Rz. 3.1;
Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S.
110, m. w. N.).
Bei Anwendung dieser Kriterien ist auf neurologisch-psychiatrischem
Fachgebiet eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen dergestalt
eingetreten, dass sich aufgrund der zusätzlich als Unfallfolge festgestellten
„mittelgradigen depressiven Episode“ eine Erhöhung der MdE ergibt. Im
Vergleichsgutachten der E. und F. vom 02.02.1987 wurde seinerzeit
festgestellt, dass beim Kläger im Wesentlichen „ein hirnorganisches
Psychosyndrom mit einer herabgesetzten Hirnleistung i. S. v.
Konzentrationsstörungen, vorzeitiger Ermüdbarkeit, herabgesetzter
Gedächtnis- und Merkfähigkeit bei einem Zustand nach contusio cerebri mit
einer computertomographisch gesicherten subkortikalen Substanzminderung“
vorliegt (Bl. 274 UA). Diese Gesundheitsstörungen liegen auch heute noch in
unveränderter Ausprägung vor. Die Kammer folgt dabei der Argumentation von
J. im Gutachten vom 17.10.1990, nach der im Gutachten der E. und F. vom
02.02.1987 keine validen Testergebnisse enthalten sind, die zu den später
erhobenen Befunden quantitativ in Beziehung gesetzt werden können. Daher
kann insoweit weder eine Verbesserung noch eine wesentliche
Verschlimmerung nachvollziehbar dargestellt werden. Auch im Gutachten vom
10.02.2012 hat J. insoweit überzeugend dargelegt, dass mit den zu diesem
Zeitpunkt erhobenen Befunden eine wesentliche Verschlimmerung der
direkten Folgen des hirnorganischen Psychosyndroms nicht festgestellt
werden kann (Bl. 53 ff. des Gutachtens). Dieses Ergebnis wird schließlich auch
durch die Expertise der Q. und R. bestätigt (Bl. 1287 UA). T. ist demgegenüber
insoweit die Ableitung einer wesentlichen Verschlimmerung gegenüber dem im
Gutachten vom 02.02.1987 genannten hirnorganischen Befund nicht
überzeugend gelungen, so dass sich die Kammer ihrer Auffassung, dass es
diesbezüglich zu einer wesentlichen Verschlimmerung gekommen ist, nicht
anschließen kann.
Allerdings folgt die Kammer T. darin, dass zusätzlich als mittelbare Unfallfolge
eine „mittelgradige depressive Episode“ vorliegt. Die Ausbildung einer solchen
depressiven Symptomatik wird dabei von keinem der gehörten
Sachverständigen in Abrede gestellt. Zwar hat J. im Gutachten vom
10.02.2012 die Ansicht vertreten, dass sich die depressive Symptomatik
aufgrund der immer wieder erlebten veränderten sozialen Situation entwickelt
habe. Die von ihm hierfür angeführten Beispiele bzw. Begründungen können
jedoch nicht als vom Unfallgeschehen völlig losgelöste äußere Einflüsse – wie
etwa der Tod eines nahen Angehörigen – angesehen werden. Sie sind
vielmehr ihrerseits direkt oder zumindest indirekt auf die anerkannten Folgen
des streitgegenständlichen Unfalls zurückzuführen, sei es, dass der Kläger
aufgrund der Unfallfolgen nicht mehr in seinem Beruf als Kellner arbeiten oder
den Betrieb der Eltern übernehmen konnte, sei es, dass er deswegen immer
weniger in der Lage war, die Probleme am Arbeitsplatz und im Freundeskreis
zu kompensieren. Auch die Q. und R. haben daher im Gutachten vom
16.06.2010 insbesondere auch „die verringerte psychophysische
Belastbarkeit, die Versagensängste, die Zukunftssorgen und die verstärkte
Irritabilität“ eindeutig als Unfallfolgen ausgewiesen (Bl. 1288 UA). Die Kammer
zieht hieraus den Schluss, dass die Unfallfolgen zumindest eine wesentliche
Teilursache für die Entwicklung der reaktiv depressiven Symptomatik waren
(vgl. hierzu Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 146, Nr. 5.1.6., m. w.
N.). Nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Theorie
der wesentlichen Bedingung erfordert die Feststellung einer wesentlichen
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Ursache dabei nicht, dass die schädigende berufliche Einwirkung die alleinige
oder überwiegende Bedingung ist. Haben mehrere Ursachen gemeinsam zum
Gesundheitsschaden beigetragen, sind sie nebeneinander stehende
Teilursachen. Kein Faktor hebt die Mitursächlichkeit des anderen auf. Dabei
kann sogar eine verhältnismäßig niedriger zu wertende Bedingung für den
Erfolg rechtlich wesentlich sein. Als Faustregel lässt sich dabei festhalten, dass
ein Faktor jedenfalls dann noch als wesentlich für den Eintritt des
Gesundheitsschadens anzusehen ist, wenn er neben anderen Bedingungen
daran mit einem Drittel beteiligt war. Unwesentlich für den Eintritt eines
Gesundheitsschadens ist danach eine Bedingung nur dann, wenn sie nur
einen Anteil von 10 % an der Entstehung erreicht hat
(Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 25 f., m. w. N). Den Anteil der
Unfallfolgen an der Entstehung der depressiven Symptomatik bzw. an der
Dekompensation ist im vorliegenden Fall jedoch deutlich höher einzuschätzen,
zumal eine einschlägige vor dem Unfall bestehende Erkrankung bzw. Anlage
von allen Gutachtern ausgeschlossen wurde. Bei Anwendung dieser
Grundsätze muss somit dem angeschuldigten Ereignis ein wesentlicher
Beitrag - zumindest i. S. einer wesentlichen Teilursache - an der reaktiven
depressiven Entwicklung zugebilligt werden. Der Auffassung der X. und der
von der Beklagten konsultierten Sachverständigen konnte sich die Kammer
daher insoweit nicht anschließen.
Die Kammer hält auch insoweit eine Einzel-MdE i. H. v. 20 % für zutreffend, da
sie den Bereich einer reinen Verstimmung überschritten hat und deutlich über
eine rein psychovegetative Symptomatik hinausgeht (vgl.
Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 156). T. hat schlüssig dargestellt,
dass die depressive Symptomatik zu deutlichen Einschränkung geführt hat.
Darüber hinaus bedarf die depressive Symptomatik auch der ständigen
Behandlung. Weiterhin ist zu beachten, dass T. diejenige Sachverständige ist,
die den Kläger zuletzt auf diesem Fachgebiet persönlich untersucht hat und
daher auch der aktuellste Eindruck vom Kläger in deren Expertise
eingeflossen ist.
Bei der Gesamtwürdigung des beim Kläger vorliegenden
Unfallfolgenzustandes besteht eine Gesamt-MdE i. H. v. 60 % (§ 128 SGG),
wobei von Einzel-MdE-Werten auf unfallchirurgischem Fachgebiet i. H. v. 20 %
und auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet i. H. v. 50 % auszugehen
ist. Auf internistisch lungenärztlichem Fachgebiet liegt demgegenüber
entsprechend dem Gutachten von W. keine MdE vor. Zwar ist eine
schematische Addierung der Einzel-MdE-Werte zur Feststellung der Gesamt-
MdE grundsätzlich nicht zulässig (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S.
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Werte bei der Bildung der Gesamt-MdE vorzunehmen. Entscheidend ist
vielmehr eine "Gesamtschau der Gesamteinwirkung aller einzelnen Schäden
auf die Erwerbsfähigkeit" vorzunehmen (vgl. BSGE 48, 82). Dabei ist
besonders zu berücksichtigen, inwieweit sich die auf den einzelnen
Fachgebieten festgestellten Unfallfolgen überschneiden. Im vorliegenden Fall
bestehen nach den insoweit überzeugenden Ausführungen von J. zwischen
den Unfallfolgen auf chirurgischem Fachgebiet und der depressiven
Entwicklung Überschneidungen insbesondere auf dem Gebiet der
Schmerzwahrnehmung. Weiterhin bestehen Überschneidungen zwischen den
Folgen der depressiven Symptomatik und den Folgen des hirnorganischen
Psychosyndroms (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 146, Nr.
5.1.6.), so dass eine Gesamt-MdE i. H. v. 60 % angemessen ist.
Eine wesentliche Verschlimmerung lässt sich entsprechend dem Bericht von
K. vom 08.09.2008 ab Juli 2008 feststellen (Bl. 1155 UA). Darin wurde
ausgeführt, dass sich bei der letzten Konsultation eine rasch progrediente
allgemeine Erschöpfung gezeigt hatte, die Konzentration, die
Aufmerksamkeitsdauer und die gedankliche Wendigkeit zunehmend reduziert
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und auch die reaktiv depressiven Komponenten feststellbar waren (Bl. 1155
UA). Zwar ergeben sich anamnestisch schon Hinweise für ein früheres
Entstehen der depressiven Symptomatik. Eine ärztlich fundierte
Befunderhebung ist jedoch erst durch K. erfolgt. Die erhöhte Rente steht daher
ab dem 01.08.2008 zu (§ 73 Abs. 1 SGB VII).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.