Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 31.10.2012

LSG Niedersachsen: befreiung von der versicherungspflicht, geschäftsführer, gesellschafter, vergütung, geschlecht, einfluss, stammkapital, sozialversicherung, einkünfte, arbeitsorganisation

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Zur Einordnung der Tätigkeit einer Sortiererin von Eintagsküken nach dem
Geschlecht als abhängige Beschäftigung (sog. Chickensexing).
SG Oldenburg (Oldenburg) 81. Kammer, Urteil vom 31.10.2012, S 81 R 580/11
§ 2 S 1 Nr 9 SGB 6, § 1 S 1 Nr 1 SGB 6
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie als selbständig tätige
versicherungsfrei in der gesetzlichen Rentenversicherung ist.
Die am E. 1953 in Korea geborene Klägerin übersiedelte im Jahre 1979 in die
Bundesrepublik Deutschland. Sie war durch eine Firma eingeladen worden, die
Küken nach dem Geschlecht sortiert und ist seit dem als Kükensortiererin tätig.
Seit vielen Jahren erhält sie vermittelt über die Firmen F. GmbH Co. KG sowie
die G. GmbH & Co. KG Arbeit. Beide Kommanditgesellschaften sind unter
derselben Adresse ansässig. Allein haftende Komplementärin beider
Kommanditgesellschaften ist die H. Verwaltungsgesellschaft mbH mit einem
Stammkapital von 25.000 €, deren Geschäftsführer, Herr I. somit auch
Geschäftsführer beider Kommanditgesellschaften ist.
Die Klägerin trat am 07.06.2007 als Kommanditistin der F. GmbH & Co. KG bei.
Sie gründete am 04.11.2009 eine Unternehmergesellschaft mit beschränkter
Haftung (UG), die J. UG. Gegenstand des Unternehmens ist die Durchführung
von Geschlechtsbestimmungen an Eintagsküken. Das Stammkapital der
Gesellschaft beträgt 500 €. Die Klägerin ist Alleingesellschafterin und
Alleingeschäftsführerin der UG. Angestellte hat die UG nicht. Die UG der
Klägerin wurde daraufhin statt der Klägerin persönlich neben zahlreichen
anderen Unternehmergesellschaften mit beschränkter Haftung, Kommanditistin
der F. GmbH & Co. KG. Die UG der Klägerin bekommt ihre Aufträge im
Wesentlichen über die Kommanditgesellschaften und den für diese arbeitenden
Gruppenführer Herrn K.. Die Kommanditgesellschaften haben für verschiedene
Brütereien die Sortierleistungen an Eintagsküken übernommen. Für ihre
Tätigkeit stellt die UG der Klägerin Rechnungen an die
Kommanditgesellschaften aus. Auf diese Weise hat die Klägerin, vermittelt über
die Kommanditgesellschaften, in verschiedenen Brütereien gearbeitet. Seit Mitte
des Jahres ist sie nur noch in einer Brüterei, nämlich „L.“ beschäftigt, da sie von
Herrn K. keine weiteren Arbeitsaufträge mehr benannt bekommt.
Am 05.08.2010 stellte die Klägerin einen Antrag auf Feststellung der
Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung nach § 2 S. 1 Nr. 9
Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) über ihren Prozessbevollmächtigten,
der über den Geschäftsführer der Kommanditgesellschaften, Herrn M. vermittelt
wurde. Sie sei selbständig tätig, weil sie Alleingeschäftsführerin und -
gesellschafterin der UG sei. Auf die UG seien die gleichen Grundsätze
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anzuwenden, wie auf eine GmbH. Die UG unterliege nicht der
Versicherungspflicht nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI, da sie vermittelt über die KG
mehrere Brütereien als Auftraggeber habe. Hilfsweise beantragte die Klägerin
Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als Existenzgründer gem. § 6
SGB VI. Sie reichte das von den Rentenversicherungen ausgegebene Formblatt
auf Befreiung von der Versicherungspflicht für Selbständige mit einem
Auftraggeber in Bezug auf die UG ein und trug vor, die UG sei gegenüber den
Brütereien schadenersatzpflichtig, wenn Tiere verletzt würden oder die
Sortierrichtigkeit von 98 % unterschritten würde. Die Klägerin als natürliche
Person erhalte keine Aufträge. Sie erhalte nur über die UG ein Gehalt. Im
Verhältnis zur UG sei sie selbständig und daher für drei Jahre von der
Versicherungspflicht zu befreien.
Die Beklagte forderte die Klägerin daraufhin auf, in Bezug auf die
Kapitalgesellschaften einen Antrag auf Feststellung des
sozialversicherungsrechtlichen Status ausgefüllt und unterschrieben
zurückzusenden. Das Innenverhältnis zur UG als Gesellschafter-
Geschäftsführerin werde nicht bezweifelt, entscheidend sei aber der
sozialversicherungsrechtliche Status im Verhältnis zu den Kapitalgesellschaften
in ihrer Tätigkeit als Kükensortiererin. Unerheblich sei, dass die UG
Kommanditistin der GmbH & Co. KG sei, da sie keine Sperrminorität habe und
das Verhalten der KG nicht beeinflussen könne.
Die Klägerin weigerte sich, den Antrag zu stellen, und vertrat die Ansicht,
entscheidend sei allein das Verhältnis zu ihrer UG.
Mit Bescheid vom 13.07.2011 lehnte die Beklagte den Antrag auf Befreiung
gem. § 6 SGB VI von der Rentenversicherungspflicht gem. § 2 Nr. 9 SGB VI ab.
Voraussetzung dafür sei die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit. Darüber
entscheide auf Antrag die Clearingstelle der DRV Bund nach § 7a SGB IV. Trotz
mehrfacher Aufforderung habe die Klägerin einen solchen Antrag nicht gestellt,
so dass der sozialversicherungsrechtliche Status nicht verbindlich habe
festgestellt werden können. Im Rahmen der Amtshilfe habe die Beklagte eine
Stellungnahme der Clearingstelle der DRV Bund eingeholt. Diese habe die
Klägerin als Geschäftsführerin im Innenverhältnis zur UG als selbständig
angesehen, entscheidend aber darauf abgestellt, dass sie im Außenverhältnis
zu den N. Kommanditgesellschaften abhängig beschäftigt sei. Sie akquiriere
keine eigenen Kunden, die Preise seien vorgegeben, die Aufträge erhalte sie
über eine Zuweisung, sie sei an die Ablauforganisation in der Produktionsstätte
gebunden und erhalte Weisungen hinsichtlich Arbeitsbeginn und täglicher
Arbeitszeit, Arbeitsumfang sowie Ort der Arbeitstätigkeit. Die Klägerin nutze die
betriebseigene Technik und Hygienekleidung und arbeite an einem Sortierband
in einem Produktionsprozess mit vor- und nachgelagerten Arbeitsschritten. Sie
setze kein eigenes Kapital ein und habe keinen deutlichen Zuwachs
unternehmerischer Freiheit gegenüber der vorher ausgeübten Sortiertätigkeit auf
Stücklohnbasis. Sie habe auch keinen maßgeblichen Einfluss auf die
Kommanditgesellschaften. Für eine selbständige Tätigkeit spreche lediglich die
geleistete Kommanditeinlage. Daher sei sie nach den Gesamtumständen als
Arbeitnehmerin zu beurteilen.
Die Klägerin legte am 04.08.2011 Widerspruch ein. Sie sei als Gesellschafter-
Geschäftsführerin der UG selbständig tätig. Die Einkünfte, die sie von der UG
erhalte, seien daher Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit. Die Klägerin
persönlich erhalte keine Vergütung von den Brütereien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.10.2011 wies die Beklagte den Widerspruch
zurück. Sie wiederholte und vertiefte das Vorbringen aus dem angefochtenen
Bescheid.
Mit ihrer am 07.11.2011 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren
weiter. Die Klägerin selbst erhalte weder Aufträge noch eine Vergütung. Sie sei
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ausschließlich Gesellschafterin der UG und damit selbständig. Die Beklagte
konstruiere rechtsfehlerhaft ein Beschäftigungsverhältnis. Einen solchen Antrag
habe die Klägerin aber nicht gestellt. Sie habe nur einen Antrag in Bezug auf die
UG gestellt, nicht in Bezug auf die Tätigkeit als Kükensortiererin. Dieser Antrag
sei konsequent zu beachten.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 13.07.2011 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 19.10.2011 aufzuheben und festzustellen,
dass die Klägerin versicherungsfrei in der gesetzlichen
Rentenversicherung ist, hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin
von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 SGB VI zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen
Widerspruchsbescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig aber unbegründet. Die Bescheide
der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Beklagte war als Rentenversicherungsträger zuständig für eine
Entscheidung über die beantragte Feststellung der Versicherungsfreiheit in der
Rentenversicherung nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI bzw. hilfsweise über die
Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 SGB VI.
Die Anträge konnten keinen Erfolg haben, da die Klägerin als abhängig
beschäftigt anzusehen ist, nicht als selbständig tätig.
Nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI sind so genannte „arbeitnehmerähnliche
Selbstständige“ als Selbstständige in der gesetzlichen Rentenversicherung
versicherungspflichtig, wenn diese auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen
Auftraggeber tätig sind und regelmäßig keinen sozialversicherungspflichtigen
Arbeitnehmer beschäftigen.
Diese Vorschrift ist vorliegend nicht einschlägig, da die Klägerin abhängig
beschäftigt ist. Dem Antrag auf Feststellung der Versicherungsfreiheit bzw.
Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als Selbständige konnte daher
nicht entsprochen werden. Personen, die sich in einem versicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnis befinden, unterliegen in der Kranken-, Pflege-, Renten-
und Arbeitslosenversicherung der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht (§ 5 Abs.
1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch , § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Elftes
Buch Sozialgesetzbuch ; § 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch
Sozialgesetzbuch ; § 25 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch
). Beschäftigung in diesem Sinne ist die nichtselbstständige Arbeit,
insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine
Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich
abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall,
wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit,
Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des
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Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit
vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer
eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft
sowie die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit
gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist,
hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (BSG, Urteil vom 22.06.2005 - B
12 KR 28/03 R, zitiert nach Juris; zur Verfassungsmäßigkeit der anhand dieser
Kriterien häufig schwierigen Abgrenzung Bundesverfassungsgericht Beschluss
vom 20.05.1996 - 1 BvR 21/96, zitiert nach Juris). Maßgebend ist das
Gesamtbild der Arbeitsleistung (vgl. BSG, Urteil vom 24.01.2007 - B 12 KR 31/06
R, zitiert nach Juris).
Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen.
Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten
Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der
abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine abhängige Beschäftigung vorliegt,
ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des
rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher
zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von
ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung
erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen
Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus
ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der
Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine -
formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die
Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition
nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem
Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten
zustehende Rechtsmacht (BSG, Urteil vom 08.08.1990 - 11 RAr 77/89; Urteil
vom 08.12.1994 - 11 RAr 49/94, zitiert nach Juris). In diesem Sinne gilt, dass die
tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen
abweichen (BSG, Urteil vom 01.12. 1977 - 12/3/12 RK 39/74 - BSGE 45, 199,
200 ff.; Urteil vom 10.08.2000 - B 12 KR 21/98 - R BSGE 87, 53, 56; jeweils
m.w.N.). Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die
praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (vgl. hierzu insgesamt
BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R, zitiert nach Juris).
Ausgehend hiervon ist die Tätigkeit der Klägerin zu als abhängige
Beschäftigung anzusehen. Zwar ist die Klägerin im Verhältnis zur UG
Gesellschafter-Geschäftsführerin und als solche insofern grundsätzlich als
selbständig tätig anzusehen. Maßgeblich ist bei der Beurteilung der
Rentenversicherungspflicht als Selbständige bzw. abhängig Beschäftigte
allerdings vorliegend nicht das Verhältnis der Klägerin zu der UG, bei der sie
Gesellschafter-Geschäftsführerin ist, sondern ihre ausgeübte Tätigkeit als
solche, nämlich die Tätigkeit als Kükensortiererin. Könnte allein durch den
formalen Akt einer UG-Gründung, unabhängig von der konkreten Art der
Tätigkeit, eine Selbständigkeit erreicht werden, wäre einer massenweisen
Umgehung der Sozialversicherungssysteme durch Arbeitnehmer aller Branchen
Tür und Tor geöffnet. Die Klägerin erhält ihre Vergütung nach der formellen
Firmenkonstruktion über die UG und nicht direkt von den Auftraggebern der UG,
den Kommanditgesellschaften bzw. deren Auftraggebern, den Brütereien. Die
gesamte aus der Tätigkeit der Klägerin erworbene Vergütung wäre dann allein
durch die Gründung einer zwischengeschalteten Kapitalgesellschaft
versicherungsfrei in den Zweigen der Sozialversicherungen. Eine solche
Umgehungsmöglichkeit würde das Sozialversicherungssystem insgesamt zu
Fall bringen.
Maßgeblich ist daher nicht allein die vertragliche Ausgestaltung der
Zusammenarbeit, sondern sofern diese abweicht, die tatsächliche
Ausgestaltung der Tätigkeit der Klägerin. Wenn diese sich - wie hier - tatsächlich
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als abhängige Beschäftigung darstellt, ist die UG-Gründung lediglich als
Umgehungsversuch anzusehen, um versicherungsfrei in der Sozialversicherung
zu werden, sie verdeckt eine Scheinselbständigkeit.
Die Tätigkeit der Klägerin als Kükensortiererin nach dem Geschlecht ist zur
Überzeugung des Gerichts nach der ausführlichen Befragung der Klägerin in der
mündlichen Verhandlung als abhängige Beschäftigung zu qualifizieren. In
Bezug auf die Kommanditgesellschaften bzw. auf die Brütereien spricht
maßgeblich gegen eine selbständige Tätigkeit, dass die Klägerin sich nicht
bewusst und wohlüberlegt dazu entschieden hat, selbständig tätig zu werden.
Auf Befragen des Gerichts, weshalb die Klägerin die UG gegründet hat, erklärte
sie, die gesetzlichen Dinge wisse sie nicht so genau, deshalb habe sie die
Hinweise der Auftraggeber befolgt. Ihr sei der UG-Vertrag fertig vorgelegt
worden.
Für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung spricht darüber hinaus, dass
die Klägerin nicht über eine eigene Arbeitsorganisation verfügte, sondern
vielmehr funktionsgerecht dienend in einer fremden Arbeitsorganisation tätig und
folglich mit ihrer Tätigkeit in den Betriebsablauf der jeweiligen Brüterei
eingebunden war. Die Klägerin verfügt über keine eigene Betriebsstätte und
auch keine eigenen Betriebsmittel. Alle Arbeitsutensilien werden in den
Brütereien gestellt. Sie zieht sich dort Hygienekleidung und Schuhe an, die vor
Ort bereitgestellt werden, nutzt das ebenfalls gestellte Händedesinfektionsmittel
und setzt sich an das Sortierkarussell. Die zu sortierenden Küken werden von
anderen Arbeitern gebracht, die sortierten Küken von anderen Arbeitern
abgeholt. Die Tätigkeit der Klägerin ist also in einen komplexen
Produktionsablauf eingebettet, ihr wird zugearbeitet, ihr Arbeitsprodukt wird
weiterbearbeitet. Ihre Tätigkeit ist in den Produktionsprozess der Brütereien
eingegliedert.
Für eine abhängige Beschäftigung spricht auch, dass der Arbeitsbeginn
vorgegeben ist und die Arbeiter - abgesehen von kurzen Toilettenpausen - die
größeren Pausen auf Ansage des Brutmeisters gemeinsam abhalten. Die
Klägerin kann sich weder Zeit noch Ort frei einteilen. Sie erscheint zum
vorgegebenen Zeitpunkt und arbeitet so lange, wie Arbeit da ist. Sie kann nicht
frei entscheiden, etwa am nächsten Tag weiter zu arbeiten. Insbesondere kann
die Klägerin auch nicht, wie es typischerweise bei einer selbständigen Tätigkeit
wäre, Aufträge fei ablehnen. Sie habe nur einmal abgelehnt und daraufhin sei
der Gruppenführer Herr K. böse geworden. Die Klägerin kann nicht, wie es für
eine selbständige Tätigkeit üblich wäre, Subunternehmer einsetzen und z.B. für
den Fall, dass sie verhindert ist, jemand anderes hinschicken, etwa ihren
Ehemann, der in der gleichen Branche tätig ist. Ein Ersatz ihrer Arbeitskraft wird
im Bedarfsfall ohne ihr Zutun organisiert.
Für eine selbständige Tätigkeit könnte sprechen, dass die Klägerin im August
und Oktober 2012 insgesamt viermal für eine andere Brüterei in den
Niederlanden gearbeitet hat. Allerdings musste sie dem Geschäftsführer der
Kommanditgesellschaften darüber konkrete Mitteilung geben und Unterlagen
übermitteln, was wiederum eher für eine enge Anbindung im Rahmen einer
abhängigen Beschäftigung spricht. Zudem übte sie diese Arbeit nur in einem
geringen Umfang aus, ganz überwiegend arbeitete sie weiter in ihrer Stamm-
Betriebsstätte L..
Für eine abhängige Beschäftigung spricht weiterhin, dass die Klägerin nach
eigener Auffassung keine Möglichkeit hat, ihre Vergütung zu steigern und selbst
weitere Aufträge zu akquirieren. Die Preise sind wie bei einem klassischen
Akkordlohn festgelegt, alle gemeinsam tätigen Sortierer erhalten denselben
Stückpreis. Die Klägerin bemüht sich nicht selbst um weitere Aufträge und gibt
an, sie habe keine Chance, da die vorhandene Arbeit vergeben sei. Dies spricht
für eine starke Abhängigkeit von dem Auftraggeber. Auch dass die Klägerin nur
sehr beschränkte Deutschkenntnisse hat, die eine aktive Kommunikation mit
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potentiellen Kunden gar nicht möglich erscheinen lassen, spricht für eine
abhängige Beschäftigung. Auch deutet auf eine abhängige Beschäftigung hin,
dass die Klägerin in der Regel an festen Wochentagen arbeitet, und nach
Durchsicht der vorgelegten Rechnungen, monatlich ein relativ regelmäßiges
Gehalt verdient, ähnlich wie bei einem Akkordlohn.
Zudem darf die UG der Klägerin nach den gewählten Vertragsbeziehungen
überhaupt nicht für weitere Auftraggeber tätig sein. Denn Gesellschafter der F.
GmbH & Co. KG dürfen nach § 6 des Gesellschaftsvertrages während ihrer
Zugehörigkeit und ein Jahr danach nicht mit der Gesellschaft in räumliche
(Bundesrepublik Deutschland) oder sachliche (Sortierung von Eintagsküken
nach dem Geschlecht) Konkurrenz treten. Durch das Wettbewerbsverbot ist
sichergestellt, dass die UG der Klägerin und damit die Klägerin selbst als einzige
in der UG Tätige unternehmerisch im Kerngeschäft der
Kommanditgesellschaften (die insofern als eine Einheit zu betrachten sind, da
sie dieselbe Komplementärin, denselben Geschäftsführer und dieselbe
Firmenadresse aufweisen) nur für diese tätig werden kann, bzw. für ein
anderweitiges Auftreten am Markt deren Einverständnis benötigt.
Da die Klägerin bzw. ihre UG keinen maßgeblichen Einfluss auf den
Geschäftsbereich der Kommanditgesellschaften hat, ist ihr Auftreten nicht von
dem eines Unternehmers geprägt, sondern von einer wirtschaftlichen
Abhängigkeit von den Kommanditgesellschaften. Eine unternehmerische
Freiheit, wie sie für Selbständige typisch ist, ist nicht erkennbar.
Ein Indiz für eine abhängige Beschäftigung ist zudem darin zusehen, dass die
Klägerin auch in rechtlicher Hinsicht durch das Umfeld des Herrn M. betreut wird.
So hat sie zum einen die UG auf dortige Vermittlung hin gegründet und zum
anderen Frau O. eine notarielle Vollmacht erteilt, im Rahmen der F. GmbH & Co.
KG für ihre UG zu handeln. Herr M. hat der Klägerin weiterhin den
Prozessbevollmächtigten für dieses Verfahren vermittelt, bis zum Termin der
mündlichen Verhandlung kannte sie ihn nicht persönlich. Derselbe
Prozessbevollmächtigte vertritt Herrn M. persönlich derzeit in einem
Strafprozess. Es spricht nicht für eine selbständige Tätigkeit, denselben
Rechtsberater wie sein Haupt-Auftraggeber zu haben und sich auch im Übrigen
ausschließlich aus der Sphäre des Auftraggebers rechtlich betreuen zu lassen,
da die Interessen von klassischen Geschäftspartnern sich vielschichtig
unterscheiden.
Insgesamt ergibt sich aus den tatsächlichen Gegebenheiten das Bild einer in
eine scheinselbständige Tätigkeit gedrängten Klägerin, die sich gegenüber dem
Geschäftsführer der Kommanditgesellschaften Herrn M. sowie Herrn K.
ausgeliefert fühlt und von ihnen abhängig ist. Die Wahl der selbständigen Form
ihrer Tätigkeit ist nicht selbstbestimmt. Die für die selbständige Tätigkeit
sprechenden Aspekte, nämlich der Umstand, dass die Klägerin eine UG
gegründet hat, die Kommanditistin der F. GmbH & Co. KG ist und dass sie
Rechnungen über die geleistete Arbeit schreibt, tritt demgegenüber in den
Hintergrund. Denn maßgebend ist hier das Gesamtbild der abhängigen
Arbeitsleistung nach den tatsächlichen Verhältnissen und nicht die von den
Beteiligten gewählte vertragliche Beziehung. Solche Vereinbarungen sind im
Übrigen eher typisch bei Scheinselbständigkeit, die die Arbeitnehmerrechte wie
die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Ansprüche nach dem
Bundesurlaubsgesetz und nicht zuletzt die Beitragszahlung zur
Sozialversicherung umgehen soll. Dem Arbeitnehmer werden dadurch sämtliche
Schutzmöglichkeiten genommen, ohne dass dies im Ergebnis durch
unternehmerische Rechte oder Gewinne kompensiert wird. (vgl. LSG Baden-
Württemberg, Urt. v. 12.12.2008 - L 4 R 3542/05, Urt. v. 24.02-2012 - L 4 KR
352/11, Urt. v. 30.03.2012 - L 4 R 2043/10)
Abgesehen von dem Stammkapital der UG in Höhe von 500 € und der Einlage
in die F. GmbH Co. KG in Höhe von 500 € hat die Klägerin keinen Kapitaleinsatz
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geleistet. Die Klägerin bringt hauptsächlich nur ihre Tätigkeit ein, wie bei einer
klassischen abhängigen Beschäftigung. Insbesondere hat die Klägerin aufgrund
ihrer Kommanditbeteiligung keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke
der Kommanditgesellschaft. Weder hat sie eine Vertretungsbefugnis, noch eine
Sperrminorität, noch hat sie bisher Gewinn ausgeschüttet bekommen. Ein
Gewinnanspruch bestünde nach § 9 des Gesellschaftsvertrages auch nur nach
Abzug der bereits erhaltenen Tätigkeitsvergütung. Scheinbar erwirtschaftet die
P. GmbH & Co. KG keinen Gewinn, der den beteiligten UGs über die bereits
erhaltene Tätigkeitsvergütung hinaus ausgeschüttet würde. Als Begünstigte
verbleibt danach im Wesentlichen die nicht als Kükensortiererin tätige und damit
keine Tätigkeitsvergütung erhaltende Kommanditistin O..
Insgesamt überwiegen danach die Indizien für eine abhängige Beschäftigung.
Nicht zu entscheiden war, welche der Kommanditgesellschaften, ob beide oder
nur eine, oder ob die einzelnen Brütereien als Arbeitgeber der Klägerin
anzusehen sind. Denn streitgegenständlich ist nicht etwa der Status der Klägerin
als abhängig Beschäftigte, sondern lediglich der Antrag auf Feststellung von der
Versicherungsfreiheit der Klägerin in der Rentenversicherung als Selbständige
bzw. hilfsweise auf Befreiung von der Versicherungspflicht als Selbständige.
Dieser Antrag ist von der Beklagten richtigerweise abgelehnt worden.
Eine Beiladung der weiteren Sozialversicherungsträger war nicht erforderlich, da
vorliegend ausschließlich die Rentenversicherungspflicht in Streit stand, nicht
die Mitgliedschaft in den übrigen Sozialversicherungssystemen. Auch eine
Beiladung der Kommanditgesellschaften oder der einzelnen Brütereien als in
Betracht kommende Arbeitgeber war nicht erforderlich, da im vorliegenden
Verfahren keine Feststellungen getroffen wurden, die unmittelbare
Auswirkungen auf diese hätten. Insbesondere wurde gegenüber diesen nicht
rechtsverbindlich festgestellt, dass und bei wem die Klägerin abhängig
beschäftigt war, wer also zur Zahlung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge
verpflichtet wäre. Streitgegenständlich war allein die Feststellung, dass die
Klägerin weder als Selbständige versicherungsfrei in der Rentenversicherung
ist, noch zu befreien ist. Dass sie nicht selbständig tätig sondern abhängig
beschäftigt ist, ist im Zuge dessen lediglich ein Begründungselement.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.