Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 28.05.2001

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 28.05.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 18 AL 301/99
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 8 AL 9/01
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 10.
Januar 2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Rechtsfolgen einer einwöchigen Säumniszeit (§ 145 Abs 3 Drittes Buch
Sozialgesetzbuch – SGB III -).
Die 1952 geborene Klägerin bezog von der Beklagten ab 1. Oktober 1998 Arbeitslosengeld (Alg) in Höhe von zuletzt
479,57 DM wöchentlich (Bewilligungsbescheid vom 6. November 1998 in der Fassung des Änderungsbescheides vom
18. Januar 1999). In der Zeit vom 26. August 1999 bis zum 15. September 1999 gestattete die Beklagte der Klägerin
gemäß § 3 Erreichbarkeitsanordnung den Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs unter
Leistungsfortzahlung. Mit Schreiben vom 3. September 1999 wurde die Klägerin aufgefordert, sich am 16. September
1999 persönlich beim Arbeitsamt E. zu melden. Dieser Meldeaufforderung kam die Klägerin nicht nach. Nach ihren
Angaben kehrte sie am 15. September 1999 aus dem Urlaub zurück, holte aber erst am 17. September 1999 die
postlagernd aufbewahrten Sendungen ab, so dass sie den Meldetermin am 16. September 1999 nicht wahrnehmen
konnte. Sie habe sofort am 17. September 1999 angerufen und die Nachricht erhalten, sie sei zum 27. September
erneut eingeladen worden.
Mit Bescheid vom 1. Oktober 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 1999 hob die Beklagte
die Bewilligung von Alg vom 17. September bis zum 23. September 1999 wegen Eintritts einer aufgrund besonderer
Härte auf eine Woche verkürzten Säumniszeit auf. Die hiergegen gerichtete Klage blieb erfolglos (Urteil des
Sozialgerichts Lüneburg vom 10. Januar 2001).
Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, eine Aufforderung zur Meldung am
Tage nach einem bewilligten Urlaub sei nicht unbillig. Von der Klägerin müsse erwartet werden, dass sie nach ihrer
Rückkehr aus dem Urlaub sofort die gelagerte Post abhole. Denn wenn in dieser gelagerten Post ein Arbeitsangebot
für die Klägerin gewesen wäre, hätte sie dieses auch erst mit einem Tag Verspätung wahrnehmen können. Durch die
Urlaubsabwesenheit allein könne dies nicht entschuldigt werden.
Gegen das am 22. Januar 2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15. Februar 2001 Nichtzulassungsbeschwerde
eingelegt. Sie macht geltend, dass die Entscheidung des SG auf einem Verfahrensfehler beruhe. Das SG sei davon
ausgegangen, dass der Klägerin bekannt gewesen sei, dass sie sich am Tage nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub
persönlich beim Arbeitsamt melden müsste. Insoweit habe das SG unterstellt, dass das Arbeitsamt der Klägerin dies
zuvor telefonisch mitgeteilt habe. Dies sei jedoch nicht zutreffend. Im Übrigen habe der Sachbearbeiter, mit dem die
Klägerin am 17. September 1999 telefoniert habe, der Klägerin ausdrücklich zugesichert, dass keine Säumniszeit
eintrete.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Landessozialgericht (LSG) zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft, weil gegen das Urteil des SG das Rechtsmittel der Berufung nicht
gegeben ist (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). Der Wert des Beschwerdegegenstandes
ergibt sich aus den Rechtsfolgen der einwöchigen Säumniszeit. Das sind zum einen das Ruhen des
Leistungsanspruchs gemäß § 145 Abs 1 und 3 SGB III vom 17. bis zum 23. September 1999 (479,57 DM) sowie die
Minderung der Anspruchsdauer um 7 Kalendertage gemäß § 128 Satz 1 Nr 5 SGB III (495,53 DM). Die
Berufungssumme von 1.000,00 DM wird folglich nicht erreicht.
Die Beschwerde ist ansonsten auch zulässig (§ 173 SGG). Sie ist jedoch unbegründet, weil
Berufungszulassungsgründe gemäß § 144 Abs 2 SGG nicht gegeben sind. Die Klägerin hat insbesondere keinen
Verfahrensmangel geltend gemacht, der tatsächlich vorliegt und auf dem die sozialgerichtliche Entscheidung beruht.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist das SG ausweislich der Entscheidungsgründe nicht davon ausgegangen,
dass ihr der Meldetermin am 16. September 1999 anlässlich des Telefonates vom 24. August 1999, mit dem die
Klägerin "Urlaub” vom 26. August bis 15. September 1999 angemeldet hatte, bekannt gewesen sei. Zwar soll es
üblicher Verwaltungspraxis entsprechen, dass bei einer bis drei Wochen währenden Ortsabwesenheit durch die
Arbeitsvermittlung generell auf die sofortige Wiedermeldung nach Rückkehr verwiesen wird. Auf diese Vermutung
wurde die Entscheidung aber nicht gestützt. Vielmehr hat das SG im Tatbestand des Urteils festgestellt, dass die
Klägerin mit Schreiben vom 3. September 1999 für den ersten Werktag nach dem Urlaub, dem 16. September 1999,
eingeladen worden ist und dass die Klägerin diesen Termin nicht wahrgenommen hat. Allein dieser Sachverhalt war
nach der Entscheidung des SG Anlass für den Eintritt der einwöchigen Säumniszeit. Ein wie auch immer gearteter
Verfahrensfehler ist darin nicht zu erkennen.
Die Entscheidung weicht ferner nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung ab, soweit das SG nicht festgestellt hat,
ob die Klägerin den Meldetermin am 16. September 1999 kannte. Für den Eintritt der Säumniszeit ist es nämlich nicht
erforderlich, dass der Arbeitslose die Meldeaufforderung persönlich und tatsächlich zur Kenntnis nimmt (BSG SozR 3-
4100 § 120 Nr 1). Nach dieser Entscheidung erlaubt eine Gleichbehandlung mit den rechtmäßig handelnden
Leistungsbeziehern keine andere Beurteilung als in den Fällen, in denen der Arbeitslose, der sich an seiner Anschrift
aufhält, die Sendung des Arbeitsamtes – aus welchen Gründen auch immer – nicht zur Kenntnis nimmt. Unerheblich
ist es, wenn der Arbeitslose die Rechtsfolgenbelehrung nach den Umständen des Einzelfalles nicht zur Kenntnis
nehmen konnte (a.A. LSG Niedersachsen vom 12. Juni 1995 – L 8 Ar 36/95 – und vom 17. März 1998 – L 8 Ar 287/97
-). Die höchstrichterliche Rechtsprechung sieht den Zweck der Belehrungspflicht durch die Beklagte auch bei einer
von der individuellen Möglichkeit der Kenntnisnahme abstrahierenden Betrachtungsweise als gewahrt (vgl auch BSG
SozR 3-4100 § 120 Nr 2). Es genügt, wenn die Meldeaufforderung in den Machtbereich des Arbeitslosen gelangt ist,
hier also in das Postlagerungsfach der Klägerin.
Schließlich hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Eine über den Einzelfall hinausgehende
grundsätzliche Bedeutung hätte der vorliegende Rechtsstreit nur, wenn – anders als beim durchgehenden Aufenthalt
am angegebenen Wohnsitz – nach einem genehmigten auswärtigen Aufenthalt der Arbeitslose am ersten Tag nicht
das Arbeitsamt aufsuchen müsste, weil er zulässigerweise von der eingehenden Briefpost erst am Ende dieses Tages
Kenntnis nehmen darf. Ein derartiger Rechtssatz ist aber weder der Erreichbarkeitsanordnung noch aus § 309 SGB III
zu entnehmen. Vielmehr bestehen gegen eine Meldeaufforderung zum ersten Tag nach einem Aufenthalt außerhalb
des zeit- und ortsnahen Bereichs keine durchgreifenden Bedenken.
Die weiteren Einwände der Klägerin (treuwidriges Verhalten des Arbeitsamtes, Verkennung der besonderen Umstände
des Einzelfalles, Zusage über entschuldigtes Fernbleiben beim Telefonat am 17. September 1999) betreffen die
inhaltliche Entscheidung des SG, die im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde einer materiell-rechtlichen
Überprüfung durch das LSG entzogen ist.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).