Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 27.01.2003

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 27.01.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 14 RA 141/00
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 12 RA 3/01
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 5. Dezember 2000 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu zahlen ist.
Der am 5. September 1944 geborene Kläger ist gelernter Schriftsetzer. Als solcher ar-beitete er bis März 1999.
Seitdem ist er arbeitslos.
Im April 1999 stellte er bei der Beklagten einen Rentenantrag. Er legte eine Bescheini-gung des Neurologen und
Psychiaters Dr. E. vom 11. Dezember 1998 vor, wonach eine neurotische Störung nach langjährigem
Alkoholmissbrauch mit erheblicher Einschrän-kung der Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz besteht. Eine weitere von
dem Kläger vor-gelegte Bescheinigung stammt von dem Facharzt für Arbeitsmedizin F. (Betriebsarzt-zentrum Bremen
e.V.), die unter dem 28. Dezember 1998 zur Vorlage beim Arbeitsamt erstellt wurde. Danach ist der Kläger seit 1980
trocken und berichtet über psychosomati-sche Störungen, eine depressive Verstimmung sowie Beschwerden im
Bereich der Wir-belsäule und der Kniegelenke.
Die Beklagte beauftragte den Orthopäden G. mit einer Begutachtung des Klägers. In seinem Gutachten vom 7. Juni
1999 stellte dieser die Diagnose eines Hohlrundrückens mit Osteochondrose und chronischen Lumbalgien und vertrat
die Auffassung, der Kläger könne vollschichtig als Schriftsetzer berufstätig sein. Ein weiteres Gutachten erstellte im
Auftrag der Beklagten der Neurologe/Psychiater Dr. H ... Unter dem 8. Juni 1999 diagnos-tizierte er einen Verdacht
auf paranoide Persönlichkeitsstörung und Alkoholabhängigkeit bei Abstinenz seit 1981. Der Gutachter vertrat die
Auffassung, der Kläger könne keine Tätigkeiten mit höheren Anforderungen an die geistige Leistungsfähigkeit mehr
ausüben, hielt jedoch eine Fortsetzung der Tätigkeit als Schriftsetzer in vollschichtigem Umfange für möglich.
Die Beklagte lehnte daraufhin den Rentenantrag mit Bescheid vom 30. Juni 1999 mit der Begründung ab, der Kläger
könne noch vollschichtig in seinem bisherigen Beruf tätig sein.
Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe Ende 1998 sein Arbeitsverhältnis
aufgelöst, um eine Verschlimmerung des angegriffenen Gesundheitszustands zu vermeiden. Er habe insbesondere
unter einer beruflichen Ü-berforderung bei "Mobbing” durch die Arbeitskollegen gelitten; dies ergebe sich auch aus den
eingereichten Bescheinigungen des Betriebsarztes und des behandelnden Neurolo-gen/Psychiaters. Die Beklagte
holte daraufhin einen Befundbericht von Herrn Dr. E. vom 13. März 2000 ein. Den Widerspruch wies sie mit
Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2000 unter Hinweis darauf zurück, dass sich aus dem zusätzlich eingeholten
Befundbe-richt des behandelnden Arztes keine Befunde ergeben hätten, die nicht bereits bei den medizinischen
Feststellungen während des Rentenverfahrens berücksichtigt worden seien. Der Widerspruchsbescheid wurde am 30.
Juni 2000 abgesandt.
Am 1. August 2000 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht (SG) Bremen erhoben und zur Begründung ausgeführt,
auf dem Hintergrund einer allgemeinen Rationalisierung im Berufsfeld des Schriftsetzers habe sich das Betriebsklima
dermaßen verschlechtert, dass er sich auf Anraten des Betriebsarztes dazu entschlossen habe, das langjährige
Arbeits-verhältnis aufzulösen. Seine allgemeine Erschöpfbarkeit lasse eine weitere berufliche Tätigkeit nicht mehr zu.
Das SG Bremen hat die Klage mit Urteil vom 5. Dezember 2000 abgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen
ausgeführt, die seitens der Beklagten eingeholten Gut-achten seien überzeugend, da die festgestellten
Gesundheitsstörungen nicht besonders gravierend seien. Die spezifischen Probleme des Klägers an seinem früheren
Arbeits-platz könnten in rechtlichem Sinne nicht Grundlage einer Rentengewährung sein, da durch diese
Beeinträchtigungen nicht allgemein das Leistungsvermögen aufgehoben sei. Auch aus der
Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers lasse sich hinsichtlich der Rentengewährung keine günstigere
Konsequenz ziehen.
Gegen dieses ihm am 8. Januar 2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. Februar 2001 Berufung beim
Landessozialgericht (LSG) Bremen eingelegt. Zur Begründung schildert er die technische Entwicklung innerhalb des
Berufsbilds des Schriftsetzers seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Er hat angegeben, im Laufe der Jahre nur
noch begrenzt zu einer Anpassung an die veränderte Technik in der Lage gewesen zu sein und sich insbesondere
durch die Reaktionen von Kollegen beeinträchtigt gefühlt zu ha-ben. Ferner hat er ein Schreiben des Arbeitsamts
Bremerhaven vom 14. November 2002 zu den Akten gereicht.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 5. Dezember 2000 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Be-
scheides vom 30. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2000 zu verurteilen, ihm ab 1.
Mai 1999 eine Rente wegen verminder- ter Erwerbsfähigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt zur Erwiderung vor, seitens des Klägers seien keine neuen medizinischen Er-kenntnisse unterbreitet worden,
die Einfluss auf die Beurteilung des Leistungsvermögens hätten. Das SG Bremen habe demzufolge den Sachverhalt
zutreffend gewürdigt.
Das Gericht hat einen weiteren Befundbericht des Neurologen/Psychiaters Dr. E. vom 4. April 2001 eingeholt; darin
heißt es, bis zu der im März 2000 durchgeführten letzten Behandlung sei keine wesentliche Veränderung des
gesundheitlichen Zustands des Klägers eingetreten. Ein weiterer Befundbericht ist von dem Chirurgen Dr. I. eingeholt
worden. Dieser hat unter dem 10. April 2001 über diverse ambulante Operationen und entsprechende Behandlungen
berichtet. Sodann hat das Gericht den Orthopäden Dr. J. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Der
Sachverständige diagnostiziert in seinem Gutachten vom 13. August 2001 ein statisches degeneratives
Wirbelsäulensyn-drom mit mäßiggradiger Funktionsstörung ohne neurologische Begleitsymptomatik, eine anlaufende
beiderseitige, vorwiegend aber linksbetonte Kniegelenksarthrose ohne Funk-tionseinbuße, aber mit herabgesetzter
Belastbarkeit sowie einen degenerativ bedingten Reizzustand im Bereich der rechtsseitigen Rotatorenmanschette mit
sekundärem Impin-gement. Der Sachverständige schließt sich ausdrücklich den Einschätzungen der Vor-gutachter an
und vertritt die Auffassung, der Kläger könne vollschichtig beruflich tätig sein, möglichst unter Witterungsschutz und
ohne schweres Heben und Tragen sowie längeres Verharren in stereotyper Arbeitshaltung. Der Kläger sei trotz seiner
Kniege-lenksproblematik durchaus in der Lage, längere Wegstrecken als 500 m zurückzulegen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den
Berichterstatter einverstanden erklärt.
Das Gericht hat die Rentenakte der Beklagten – Versicherungsnummer 28 050944 E 005 – beigezogen. Der Inhalt
diese Akte und der Prozessakte des LSG Niedersachsen-Bremen/SG Bremen – L 12 RA 3/01 (S 14 RA 141/00) – ist
zum Gegenstand der Ent-scheidungsfindung gemacht worden.
Entscheidungsgründe:
Das Urteil konnte nach §§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3, 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch
den zum Berichterstatter ernannten Richter des Gerichts getroffen werden, da die Beteiligen sich mit einer solchen
Entscheidung einverstanden erklärt haben.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen, da der Bescheid der
Beklagten rechtmäßig ist. Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
aus der gesetzlichen Rentenversiche-rung besteht nicht.
Der Anspruch richtet sich gemäß § 300 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Ge-setzliche Rentenversicherung -
(SGB VI) nach §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (a.F.), falls der
Rentenanspruch vor dem 1. Januar 2001 entstanden wäre; für die Zeit danach kommt es auf die Voraussetzungen der
§§ 43, 240 SGB VI i.d.F. des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.
Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827) – SGB VI n.F. – an.
Das SG Bremen hat die gesetzlichen Vorschriften über das Vorliegen von Berufsunfä-higkeit und Erwerbsunfähigkeit
nach §§ 43, 44 SGB VI a.F. zitiert. Auch nach neuem Recht ist der Begriff der Berufsunfähigkeit in § 240 Abs. 2 SGB
VI n.F. in gleicher Weise definiert. Das SG Bremen hat ferner die schon im Rentenverfahren eingeholten Gutach-ten
des Orthopäden G. und des Neurologen/Psychiaters Dr. H. in zutreffender Weise ausgewertet und ist aufgrund dessen
zu dem Schluss gekommen, dass der Kläger seine bisherige Tätigkeit als Schriftsetzer noch vollschichtig verrichten
kann. Das erkennende Gericht macht sich diese Ausführungen zu Eigen und nimmt hierauf zur Vermeidung von
Wiederholungen Bezug.
Auch die weitere Sachverhaltsaufklärung im Berufungsverfahren hat keine abweichen-den Erkenntnisse erbracht. So
konnte der behandelnde Neurologe/Psychiater Dr. E. keine Angaben machen, die über die Angaben in seinem im
Klageverfahren eingeholten Befundbericht vom 13. März 2000 hinausgingen; denn nach März 2000 hat keine weitere
Behandlung des Klägers mehr stattgefunden. Das Ergebnis der durch den Chirurgen Dr. I. vorgenommenen
ambulanten Operationen ist durch den Sachverständigen Dr. J. in seinem Gutachten vom 13. August 2001 in die
Beurteilung einbezogen worden. Ebenso wie die Vorgutachter bescheinigt dieser Sachverständige dem Kläger ein
vollschichtiges Leistungsvermögen und eine erhaltene Wegefähigkeit. Zwar schließt der Sachverständi-ge die
Ausübung von körperlich schweren Hebe- und Tragearbeiten aus; es ist aber allgemein bekannt und durch die seitens
des Arbeitsamts Bremerhaven überreichte Aufstellung über die Arbeitsbedingungen von Schriftsetzern bestätigt, dass
das Berufs-bild des Schriftsetzers zumindest in den letzten Jahrzehnten keineswegs mehr durch schwere Hebe- und
Tragearbeiten geprägt ist. Daher bietet auch dieses Gutachten kei-nen ausreichenden Anhaltspunkt für die Annahme,
eine Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit wäre aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich gewesen. Sofern
sich der Kläger auf die psychischen Beeinträchtigungen während des Berufslebens bezieht, ist der auch dem
erkennenden Gericht als erfahrener Gutachter bekannte Neurolo-ge/Psychiater Dr. H. in seinem Gutachten vom 8.
Juni 1999 auf die vorliegenden psychi-schen Störungen eingegangen, ohne sie als Hindernis für eine Tätigkeit als
Schriftsetzer anzusehen; er hat dabei auch die Berichte des Betriebsarztes und des behandelnden
Neurologen/Psychiaters berücksichtigt.
Wenn danach Berufsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung nicht vorliegt, so ist der Kläger auch
nicht als erwerbsunfähig i. S. v. § 44 Abs. 2 SGB VI a.F. oder als voll erwerbsgemindert i. S. v. § 43 Abs. 2 SGB VI
n.F. anzusehen; denn der Begriff der Erwerbsunfähigkeit bzw. der vollen Erwerbsminderung setzt im Vergleich zu dem
der Berufsunfähigkeit eine noch weitergehende Einschränkung des Leistungsver-mögens der Versicherten voraus.
Nach alledem steht dem Kläger eine Versichertenrente aus der gesetzlichen Renten-versicherung zum gegenwärtigen
Zeitpunkt nicht zu, so dass der Berufung der Erfolg zu versagen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.