Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 05.06.2003

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 05.06.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Braunschweig S 14 U 139/98
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 6 U 248/02
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozial-gerichts Braunschweig vom 10. April 2002 wird
zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversi-cherung (UV). Ihr Ehemann C.
(Versicherter) verunglückte am 10. September 1997 gegen 22 Uhr auf dem Heimweg von der Arbeit (Unfallanzeige und
Wege-unfallfragebogen vom 22. September 1997) tödlich, als der Pkw, den er fuhr, in einer Rechtskurve von der
Fahrbahn nach links abkam, sich querstellte und ge-gen einen Straßenbaum schleuderte. Die Straße war im
Unfallzeitpunkt trocken. Bremsspuren waren nicht vorhanden. Polizeihauptmeister (PHM) D. vermutete, dass der
Versicherte mit zu hoher Geschwindigkeit gefahren sei (Verkehrsunfall-anzeige und Ermittlungsbericht vom 11.
September 1997). Die Untersuchung des Pkw ergab keinen Anhaltspunkt für einen technischen Mangel (Gutachten
des Dipl.-Ing. E. vom 25. September 1997). Das Institut für Rechtsmedizin der Uni-versität F. teilte im
Blutalkoholbefund vom 12. September 1997 einen Wert von 1,19 0/00 mit. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 10.
Dezember 1997 die Ge-währung von Hinterbliebenenleistungen ab, weil die auf Alkoholgenuss zurück-zuführende
Fahruntüchtigkeit des Versicherten den Versicherungsschutz aus-schließe. Im Widerspruchsverfahren legte die
Klägerin das Gutachten des Dipl.-Ing. G. vom 6. Februar 1998 vor, in dem die Möglichkeit erörtert wird, dass dem
Versicherten ein anderes Kfz entgegengekommen sei und er deshalb seinen Pkw nach links verrissen habe. Die
Beklagte hielt an ihrer Entscheidung fest und wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 29. Juni
1998).
Das Sozialgericht (SG) Braunschweig hat die am 29. Juli 1998 erhobene Klage durch Urteil vom 10. April 2002
abgewiesen.
Gegen das ihr am 6. Mai 2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22. Mai 2002 Berufung eingelegt. Sie bezieht sich
auf das Gutachten des Dipl.-Ing. G. und hält an ihrer Auffassung fest, dass ihr Ehemann einem Hindernis ausweichen
musste und deshalb verunglückte. Der Blutalkoholgehalt sei rechtlich somit nicht allein wesentliche Unfallursache.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
1. das Urteil des SG Braunschweig vom 10. April 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 1997 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 1998 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihr Hinterbliebenenleistungen zu ge-währen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Braunschweig vom 10. April 2002 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Dem Senat haben neben den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der
Beratung gewesen. Wegen der Einzelhei-ten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf
den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen
Erfolg. Das SG hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig.
Entgegen der Auf-fassung der Berufung hat das SG im Einzelnen rechtlich zutreffend begründet, dass die
alkoholbedingte - absolute - Fahruntüchtigkeit des Versicherten die rechtlich allein wesentliche und damit den Schutz
der gesetzlichen UV ausschlie-ßende Unfallursache war. Darauf nimmt der erkennende Senat zur Vermeidung von
Wiederholungen Bezug (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Lediglich im Hinblick auf das Vorbringen im
Berufungsverfahren ist zusammenfassend auf Folgendes hinzuweisen:
Aufgrund des Blutalkoholbefundes von 1,19 0/00 steht ohne besondere Beweis-zeichen fest, dass der Versicherte
zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls fahruntüch-tig war (BSG, Urteil vom 25. Februar 1992 - 2 RU 40/91). Die - absolute
- Fahr-untüchtigkeit ist auch als die rechtlich allein wesentliche Unfallursache anzuse-hen. Denn der Versicherte
verunglückte am späten Abend des 10. September 1997 bei guten Witterungsverhältnissen in einer Kurve, die er
mehrmals täglich durchfuhr. Deshalb kann der Unfall nur durch die Alkoholeinwirkung erklärt wer-den. Somit ist davon
auszugehen, dass der Versicherte, wenn er nicht unter Al-koholeinfluss gestanden hätte, wahrscheinlich nicht
verunglückt wäre, zumal er ansonsten ein besonnener Fahrer war (vgl. den Vermerk über das mit der Kläge-rin
geführte Telefongespräch vom 11. Mai 1998). Eine andere Ursache als Alko-holeinwirkung ist nicht bewiesen.
Ein technischer Mangel als Unfallursache ist durch das Gutachten des Dipl.-Ing. E. ausgeschlossen worden.
Entgegen den Ausführungen der Berufung ist dem Gutachten des Dipl.-Ing. G. nicht mit der erforderlichen Gewissheit
(Vollbeweis) zu entnehmen, dass neben der alkoholbedingten Verkehrsuntüchtigkeit des Ver-sicherten weitere
Umstände für den Unfall ursächlich waren. Vielmehr sieht Dipl.-Ing. G. es lediglich als möglich an, dass dem
Versicherten ein anderes Kfz entge-genkam und er deshalb seinen Pkw verriss. Diese Annahme beruht auf einer
Spur, die Dipl.-Ing. G. auf den von der Unfallstelle gefertigten Fotos gesehen hat und die von einem
entgegenkommenden Kfz stammen soll. Ob ein Zusammen-hang zu dem Unfall des Versicherten besteht, kann nach
den weiteren Ausfüh-rungen des Dipl.-Ing. G. jedoch nicht geklärt werden (S. 4 des Gutachtens vom 6. Februar 1998).
Auch ist nicht nachgewiesen, dass der Versicherte Wild aus-weichen musste. Zwar ist nach der - von der Klägerin
überreichten - Mitteilung des Landwirts H. vom 24. Februar 1998 davon auszugehen, dass sich im Bereich der
Unfallstelle schon Wildunfälle ereigneten. Zum Zeitpunkt des Unfalls hat der Landwirt Auffälligkeiten jedoch nicht
beobachtet und auch den polizeilichen Er-mittlungen sind Hinweise auf einen Wildunfall nicht zu entnehmen. Im
Übrigen vermag der Senat die Wertung des Dipl.-Ing. G. nicht nachzuvollziehen, dass das Verreißen eines Kfz aus
normalem Kurvenverlauf heraus nicht typisch für einen alkoholisierten Autofahrer sei. Vielmehr belegt ein Unfall beim
Durchfahren einer Kurve unter Alkoholeinwirkung regelmäßig eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit (Urteile des
erkennenden Senats vom 18. Oktober 2001 - L 6 U 48/00 - und 17. September 1998 - L 6 U 250/97; vgl. auch
Schneble, Nachweis der Fahrunsi-cherheit infolge Alkohols, Blutalkohol 1983, 177, 182). Infolge leistungsmindern-der
Wirkung, die schon geringe Alkoholdosen bewirken, kommt es beim Ansteu-ern und Durchfahren einer Kurve zu
Fahrfehlern (aaO, 182 f), die auch in Fahr-versuchen mit Sportfahrern unter Alkoholgenuss gesichert wurden (vgl
Bürkle ua, Erscheinungsformen, Ursachen und Folgen alkoholbedingter Verkehrsunfälle in Kurven sowie die Häufigkeit
ihres Vorkommens, Blutalkohol 1971, 149, 175).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor.