Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 25.04.2002

LSG Nsb: psychische störung, berufliche tätigkeit, wissenschaft, diplom, erlass, widerspruchsverfahren, behandlung, anfang, anhörung, gutachter

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 25.04.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 27 SB 235/00
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 13 SB 12/01
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 9. März 2001 wird mit der Maßgabe
zurückgewiesen, dass die Beklagte der Klägerin die außergericht- lichen Kosten bis zum Abschluss des erst-
instanzlichen Verfahrens zu ¼ zu erstatten hat. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Grad der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) bzw. dem
Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX).
Die 46-jährige Klägerin ist gelernte Köchin und seit einer innerbetrieblichen Umsetzung Anfang 1995 als EDV-
Sachbearbeiterin tätig. Bei ihr war aufgrund eines Bescheides der Beklagten vom 8. April 1993 ein GdB von 60 unter
Berücksichtigung der Funktionsbeeinträchtigung "operativ und chemotherapeutisch behandelte Brustdrüsenerkrankung
links 10/1992 (in Heilungsbewährung)” festgestellt.
Im September 1997 leitete die Beklagte von Amts wegen ein Nachuntersuchungsverfahren ein. Sie zog einen
Befundbericht des Gynäkologen Dr. I. aus Oktober 1997 bei, der seinem Bericht einen Entlassungsbericht der LVA J.
über einen Aufenthalt der Klägerin in der Reha-Klinik K. vom 12. April 1995 - 10. Mai 1995 sowie Berichte des L. vom
13. Februar 1996, 13. Mai 1996 und 20. Juni 1996 beifügte. Ferner holte die Beklagte einen Befundbericht des
Praktischen Arztes Dr. M. vom 5. November 1997 ein, der einen Entlassungsbericht der LVA J. über einen Aufenthalt
der Klägerin vom 12. Januar 1994 - 9. Februar 1994 in der Klinik N. mitschickte.
Entsprechend einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 27. November 1997 gab die Beklagte der Klägerin mit
Schreiben vom 1. Dezember 1997 Gelegenheit, sich zu einer beabsichtigten Herabsetzung des GdB auf 20 zu
äußern.
Nach einem Hinweis der Klägerin auf eine starke Beeinträchtigung ihrer allgemeinen Lebensführung in beruflicher und
privater Hinsicht setzte die Beklagte mit Neufeststellungsbescheid vom 12. Januar 1998 den GdB auf 20 ab 1.
Februar 1998 herab. Berücksichtigt wurde hierbei die Funktionsbeeinträchtigung "Aufbauplastik der Brust links”.
Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin eine nicht ordnungsgemäße Durchführung des Anhörungsverfahrens
geltend und berief sich ferner darauf, dass sie unter Schmerzen und Bewegungseinschränkungen im Schulter-
/Armbereich, Narben-beschwerden nach der Aufbauplastik und depressiven Verstimmungszuständen leide. Die
Beklagte übersandte der Klägerin Kopien sämtlicher im Nachuntersuchungsverfahren eingeholten medizinischen
Berichte sowie die Kopie eines im Widerspruchsverfahren beigezogenen Befundberichtes der Fachärztin für
psychotherapeutische Medizin Frau Dr. O. vom 13. September 1998. Auf Anforderung der Beklagten berichtete mit
Datum vom 15. April 1999 nochmals Dr. I. über den Gesundheitszustand der Klägerin. Auch zog die Beklagte
ärztliche Gutachten der BfA zu einem Reha-Antrag der Klägerin vom 16. März 1998 (Dr. P.) und vom 14. Juli 1998
(Dr. Q.) bei. Der Bericht des Dr. I. und das Gutachten des Dr. Q. waren Gegenstand eines weiteren
Anhörungsschreibens vom 4. August 1999, welches die Beklagte nach Stellungnahmen des ärztlichen Dienstes vom
28. September 1998 und 5. Juli 1999 der Klägerin übersandte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2000 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, da auch
unter Berücksichtigung eines "depressiven Erschöpfungssyndroms” der Gesamt-GdB nicht erhöht werde.
Am 20. Juli 2000 hat die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht (SG) Bremen erhoben. Sie hat die Aufhebung des
Neufeststellungsbescheides vom 12. Januar 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 2000
begehrt und die Auffassung vertreten, sowohl eine außergewöhnliche psychoreaktive Störung als auch
Verspannungen im Schulter-/Nackenbereich, rezidivierende Rückenbeschwerden, eine eingeschränkte Belastbarkeit
des linken Armes und eine Einschränkung der Gelenkbeweglichkeit der linken Hand seien nicht ausreichend
berücksichtigt worden. Sie hat einen Entlassungsbericht der BfA über einen Kuraufenthalt in der R. vom 30. Mai 2000
- 27. Juni 2000 vorgelegt. Im Übrigen hat sie auf den Beginn einer psychologischen Behandlung bei dem Diplom-
Psychologen S. und auf orthopädische Beschwerden an ihrem rechten Arm hingewiesen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 9. März 2001 hat die Beklagte ein Teil-Anerkenntnis über die
Feststellung eines GdB von 30 ab 30. Mai 2000 mit Rücksicht auf eine Höherbewertung der psychischen Störungen
abgegeben. Die Klägerin hat dieses Teil-Anerkenntnis angenommen, weiterhin aber die Aufhebung der angefochtenen
Bescheide beantragt.
Mit Urteil vom 9. März 2001 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, es handele sich um eine
Anfechtungsklage, bei der bezüglich der Höhe des GdB auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten Entscheidung
der Beklagten (Widerspruchs-bescheid) abzustellen sei. In den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin sei eine
wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen bei Erlass des Bescheides vom 8. April 1993 eingetreten, denen
die Beklagte zutreffend und nach ordnungsgemäßer Anhörung der Klägerin Rechnung getragen habe. Die bei Erlass
des Widerspruchs-bescheides vorliegenden medizinischen Befunde, insbesondere das Gutachten des Dr. Q., ließen
eine Höherbewertung des GdB nicht zu. Dass die Beklagte ein Teil-Anerkenntnis über die Feststellung eines GdB von
30 ab Beginn der Reha-Maßnahme in der R. abgegeben habe, da in dem Bericht über diese Maßnahme deut-licher als
zuvor eine reaktive depressive Stimmungslabilität bestätigt worden sei, sei nicht als Zustimmung zu einer
Klageerweiterung im Sinne eines etwaigen Neufeststellungs-antrages zu sehen. Deshalb habe das Gericht auch
keinen Anlass zu weiterer Sachverhaltsaufklärung gesehen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Begutachtung
des Dr. Q. sei in dem Bericht über die Reha-Maßnahme in der R. im Übrigen auch kein wesentlich verschlechterter
Zustand im Vergleich zu dem Zustand bei Erlass des Widerspruchsbescheides zu sehen.
Gegen diese ihr am 4. Mai 2001 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 17. Mai 2001 Berufung bei dem
Landessozialgericht (LSG) Bremen eingelegt und diese damit begründet, dass schon zum Zeitpunkt der
Widerspruchsentscheidung bei ihr eine außergewöhnliche psychoreaktive Störung vorgelegen habe; der Befund sei
gleichbleibend schlecht geblieben. Das Gutachten des Dr. Q. sei mangelhaft. Bereits seit November 2000 befinde sie
sich in Behandlung bei dem Diplom-Psychologen S ... Im Übrigen sei entsprechend einem Urteil des Sozialgerichts
Frankfurt a.M. vom 2. Juni 1989 – Az. S 2/VB-2019/87 – generell für einen Zustand nach Brustamputation auch nach
Ablauf der fünfjährigen Heilungsbewährungsfrist ohne neue Krebsentwicklung ein GdB von 50 als angemessene
Bewertung zugrunde zu legen. Da die Frage einer solchen generellen Bewertung noch nicht Gegenstand einer
obergerichtlichen oder höchstrichterlichen Entscheidung gewesen sei, komme der Rechtssache grundsätzliche
Bedeutung zu. Schließlich sei auch die vom Sozialgericht getroffene Kostenentscheidung unzutreffend, da sie das
von der Beklagten abgegebene Teil-Anerkenntnis nicht berücksichtige.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 9. März 2001 sowie den Neufest- stellungsbescheid der Beklagten vom 12.
Januar 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 2000 und in Gestalt des angenommenen Teil-
Anerkenntnisses vom 9. März 2001 aufzuheben, hilfsweise, von Amts wegen ein psychologisches
Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob die psychische Störung der Klägerin rückwirkend, bezogen
auf den Zeitpunkt Anfang Juli 2000, als stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und
Gestaltungs- fähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische und phobische Störungen,
Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen), bewertet mit einem GdB von 30-40, oder darüber hinaus
als schwere Störung anzusehen gewesen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie vertritt die Ansicht, eine generelle Änderung der Bewertungspraxis bei Aufbauplastik oder Brustdrüsenverlust sei
aufgrund der geltenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach
dem Schwerbehindertengesetz”, herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Stand 1996
(Anhaltspunkte), nicht möglich. Die Voraussetzungen für eine im Einzelfall mögliche höhere Bewertung organischer
sowie psychischer Störungen nach positivem Ablauf der Heilungsbewährung lägen nicht vor. Außergewöhnliche
psychoreaktive Störungen seien – insbesondere für den hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der letzten
Verwaltungsentscheidung – nicht festzustellen. Mögliche weitere Änderungen könnten allenfalls in dem durch Antrag
der Klägerin vom 27. August 2001 begonnenen Neufeststellungsverfahren Berücksichtigung finden.
Der Senat hat einen Befundbericht des Diplom-Psychologen S. vom 15. August 2001 eingeholt. Dieser hat ausgeführt,
die Klägerin ab 6. November 2000 in zweimal wöchentlicher analytischer Psychotherapie zu behandeln. Sie habe eine
Neigung zu Kontaktstörung, Somatisierung, Ängsten und depressiven Zuständen. Es handele sich um eine
neurotische Entwickung. Eine schriftliche Nachfrage des Berichterstatters zur rückwirkenden Einschätzung der
psychischen Störung der Klägerin, bezogen auf Anfang Juli 2000, hat der Diplom-Psychologe nicht beantwortet.
Telefonisch hat er mitgeteilt, dass er mit Rücksicht auf die laufende Behandlung weitere Angaben nicht machen
könne.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, insbesondere des Inhalts der genannten ärztlichen Berichte,
Stellungnahme und Gutachten im Einzelnen, wird Bezug genommen auf die Prozessakte sowie auf die
Schwerbehindertenakten der Beklagten zur Antr.-List.Nr. 870546 mit Widerspruchsakte zum Az. 3302/1746/98. Diese
Unterlagen haben dem Gericht vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der angegriffene Bescheid in
Gestalt des angenommenen Teil-Anerkenntnisses vom 9. März 2001 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Gegenstand
des Verfahrens ist die Rechtmäßigkeit der Herabsetzung des GdB. Dabei strebt die Klägerin ihr Ziel, die Beibehaltung
der durch den ursprünglichen Verwaltungsakt vom 8. April 1993 begründeten Rechtslage, durch die bloße Aufhebung
des für sie ungünstigen Neufeststellungsbescheides vom 12. Januar 1998 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 2000 und in der Gestalt des Teil-Anerkenntnisses vom 9. März 2001 an. Diese
Bescheide verletzen die Klägerin jedoch nicht in ihren Rechten.
Mit den angegriffenen Bescheiden hat die Beklagte den GdB nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X)
wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse herabgesetzt. Für die Beurteilung einer dagegen gerichteten reinen
Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) ist maßgeblich, ob der Herabsetzungsbescheid
bei seinem Erlass der Sach- und Rechtslage entsprochen hat (BSGE 79, 223, 225 ff.; BSGE 81, 50-54). Zu
vergleichen sind danach im vorliegenden Fall die Verhältnisse bei Erlass des Ausgangsbescheides vom 8. April 1993
mit denen, die bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens über die Herabsetzung (Widerspruchsbescheid vom 4. Juli
2000) vorgelegen haben. Nach ordnungsgemäßer Nachholung der gemäß § 24 SGB X erforderlichen Anhörung im
Widerspruchsverfahren (§ 41 Abs. 2 SGB X) hat die Beklagte diesen Vergleich mit dem Ergebnis angestellt, dass der
GdB von 60 auf 30 herabgesunken sei. Gegen dieses Ergebnis bestehen keine rechtlichen Bedenken.
Nach dem Bericht des Dr. I. vom 15. April 1999 ergab sich kein Anhalt für ein Rezidiv der 1992 operativ behandelten
Brustdrüsenkarzinomerkrankung links oder für Metastasen. Die Beklagte durfte mithin von einem positiven Ablauf der
Heilungsbewährung ausgehen und den GdB nach dem verbliebenen Organschaden bemessen. Unter
Berücksichtigung des Ergebnisses der Aufbauplastik der Brust, welches nach dem Bericht des L. (Dr. T.) vom 13.
Mai 1996 und nach den durch den Gutachter Dr. Q. erhobenen Befunden als sehr gut angesehen werden konnte, und
der nur gelegentlichen Schwellungen im Bereich des linken Oberarmes durch ein Lymphödem hat die Beklagte
entsprechend Nr. 26.14 (S. 113 f.) der Anhaltspunkte den hierfür anzusetzenden GdB mit 20 ausreichend
eingeschätzt. Aufgrund der durch den Gutachter Dr. Q. zum neurologisch-psychiatrischen Fachgebiet erhobenen
Befunde, der Ausführungen der Fachärztin O. vom 13. September 1998 sowie der Feststellungen der R. während des
Heilverfahrens in der Zeit vom 30. Mai 2000 bis 27. Juni 2000 (vgl. Bericht vom 7. Juli 2000) lagen überdies
Anhaltspunkte für eine depressive Erlebnisverarbeitung mit Erschöpfung, jedoch ohne Minderung des Antriebes oder
der Psychomotorik vor, weswegen die Beklagte in nicht zu beanstandender Weise entsprechend Nr. 26.3 (S. 60) der
Anhaltspunkte eine leichtere psychovegetative oder psychische Störung mit einem GdB von 20 berücksichtigt hat
(vgl. Teilanerkenntnis vom 20. Dezember 2000). Diese Einschätzung erscheint auch nicht unangemessen, da selbst
die in dem genannten Bericht der R. beschriebene Niedergeschlagenheit und Überlagerung noch als leichtere Störung
eingeordnet werden kann. Der Sachverständigenbeirat beim Bundesarbeitsministerium hat in seiner Tagung vom 18. -
19. März 1998 zur Einordnung und Bewertung psychischer Störungen am Beispiel des schizophrenen
Residualzustandes (vgl. Nr. 26.3, S. 59 der Anhaltspunkte) Abgrenzungskriterien empfohlen, nach denen leichte
soziale Anpassungsschwierigkeiten zum Beispiel vorliegen, wenn Berufstätigkeit trotz Kontaktschwäche und/oder
Vitalitätseinbuße auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ohne wesentliche Beeinträchtigung möglich ist;
mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten sollen hingegen anzunehmen sein, wenn auf Grund psychischer
Veränderungen eine berufliche Tätigkeit grundsätzlich noch möglich ist, bei verminderter Einsatzfähigkeit aber auch
eine berufliche Gefährdung einschließt, und wenn erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive
Nivellierung bestehen. In Anwendung dieser Kriterien ist die im Zeitpunkt Juli 2000 bei der Klägerin vorliegende
psychische Störung entsprechend Nr. 26.3 (S. 60) der Anhaltspunkte noch nicht als "stärker behindernde Störung” mit
einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten. Nach dem Entlassungsbericht der R. wirkte die Klägerin bei Aufnahme zwar
niedergeschlagen und überlagert, zeigte jedoch ansonsten keine psychischen Auffälligkeiten. Durch
psychotherapeutische Einzelgespräche kam es bis zum Ende der Rehabilitationsmaßnahme zu einer deutlichen
psychischen Stabilisierung. Auch wenn eine innerbetriebliche Umsetzung auf einen Arbeitsplatz mit weniger
Computerarbeit empfohlen wurde, wurde die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als EDV-Sachbearbeiterin doch noch als
leistungsadäquat angesehen und die Klägerin arbeitsfähig entlassen. Eine verminderte Einsatzfähigkeit unter
Einschluss einer beruflichen Gefährdung kann dem Bericht daher nicht entnommen werden. Auch erhebliche familiäre
Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung sind dem Entlassungsbericht nicht zu entnehmen.
Die Bildung des Gesamt-GdB von 30 durch die Beklagte ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Bei der Klägerin liegen
zwei voneinander unabhängige Funktionsbeeinträchtigungen mit jeweils einem Einzel-GdB von 20 vor. Bei leichteren
Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht einmal gerechtfertigt, auf eine wesentliche
Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung zu schließen (vgl. Anhaltspunkte Nr. 19 Abschnitt 4, S. 35).
Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung zu schließen (vgl. Anhaltspunkte Nr. 19 Abschnitt 4, S. 35).
Vorliegend hat die Beklagte aber ausgehend von der Aufbauplastik der linken Brust infolge des Hinzutretens des
depressiven Erschöpfungssyndroms den Gesamt-GdB auf 30 erhöht. Dies trägt zur Überzeugung des Senats dem
Gesamtleidenszustand der Klägerin angemessen und ausreichend Rechnung.
Der in der mündlichen Verhandlung vom 25. April 2002 gestellte Beweisantrag der Klägerin auf Einholung eines
psychologischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Bewertung ihrer psychischen Störungen, bezogen auf
den Zeitpunkt Juli 2000, war abzulehnen. Der Senat sieht keinen Anlass zu weiterer Sachverhaltsaufklärung, da für
den hier entscheidenden Beurteilungszeitpunkt mit dem Gutachten des Dr. Q., dem Bericht der Fachärztin O. und vor
allem mit den zeitnah erhobenen Befunden aus dem Entlassungsbericht der R. ausreichende Befunde zur Bewertung
der psychischen Störung der Klägerin vorliegen.
Der Auffassung der Klägerin, wonach mit dem Sozialgericht Frankfurt a.M. (Urteil vom 02.06.1989, Breithaupt 1990,
151 ff.) generell für einen Zustand nach Brustamputation auch nach Ablauf der Zeitphase der Heilungsbewährung ohne
Krebsneuentwicklung ein GdB von 50 als angemessene Bewertung zugrunde zu legen sei, kann nicht gefolgt werden.
Die Anhaltspunkte können nicht ignoriert werden. Bei den Anhaltspunkten handelt es sich um ein geschlossenes
Beurteilungsgefüge zum GdB, auf das auch die Gerichte angewiesen sind. Die Anhaltspunkte in der jeweiligen
Fassung binden die Verwaltung, und die Gerichte können sie nur in beschränktem Umfang prüfen, nämlich wie
untergesetzliche Normen. Es kann nur geprüft werden, ob sie dem Gesetz widersprechen, ob sie dem gegenwärtigen
Kenntnisstand der sozialmedizinischen Wissenschaft nicht mehr entsprechen oder ob ein Sonderfall vorliegt (BSG,
Urteil vom 11. Oktober 1994 – 9 RVS 1/93 –, BSGE 75, 176 ff. m.w.N.). Dass die Anhaltspunkte hinsichtlich des
Zustandes nach Brustamputation dem Gesetz widersprächen, ist weder ersichtlich, noch hat die Klägerin solches
vorgebracht. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass sie dem gegenwärtigen Kenntnisstand der
sozialmedizinischen Wissenschaft nicht mehr entsprechen. Der Sachverständigenbeirat beim
Bundesarbeitsministerium hat sich in seiner Tagung am 10. April 1991 mit der vom Sozialgericht Frankfurt a.M.
vertretenen Auffassung beschäftigt und festgestellt, das Urteil sei nicht geeignet, die in Nr. 26.14 (S. 86) der
Anhaltspunkte genannten Beurteilungskriterien infrage zu stellen. Der Senat zweifelt an der Richtigkeit dieser
Einschätzung nicht. Er geht davon aus, dass diese Ansicht des Beirats die herrschende Ansicht der
sozialmedizinischen Wissenschaft wiedergibt. Es besteht auch kein Anhalt dafür, dass das Meinungsbild in der
sozialmedizinischen Wissenschaft in der maßgebenden Zeit des angefochtenen Bescheides, hier im Jahre 2000,
anders war. Der Vortrag der Klägerin veranlasst den Senat deshalb nicht, weitere Ermittlungen zum Meinungsstand in
der sozialmedizinischen Wissenschaft anzustellen. Der Fall der Klägerin ist auch kein Sonderfall. Die zum Zeitpunkt
der Widerspruchsentscheidung vorliegenden medizinischen Befunde geben, wie oben ausgeführt, keinen Anlass,
davon auszugehen, dass die Brustamputation bei der Klägerin persönlich zu besonders nachteiligen Auswirkungen in
Arbeit, Beruf und Gesellschaft geführt hätte; bei dem Zustand nach Aufbauplastik und leichteren psychischen
Störungen handelt es sich nicht um außergewöhnliche Beeinträchtigungen. Die Annahme eines außergewöhnlichen
Sonderfalles erschien im Übrigen nicht einmal bei Berücksichtigung der späteren medizinischen Erkenntnisse aus
dem Entlassungsbericht der R. mit Angaben über Niedergeschlagenheit und Überlagerung und aus dem Befundbericht
des Diplom-Psychologen S. mit Angaben von Angstneigung und depressiven Zuständen gerechtfertigt.
Nach alledem muss es bei der erstinstanzlichen Entscheidung verbleiben mit der Maßgabe, dass im Hinblick auf das
rückwirkende Teilanerkenntnis vom 9. März 2001 die Beklagte der Klägerin ¼ ihrer außergerichtlichen Kosten bis zum
Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens zu erstatten hat. Diese Entscheidung sowie die Entscheidung über die
Kosten des Berufungsverfahrens folgen aus § 193 SGG.
Es hat kein Anlass bestanden, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).